Eine vorläufige Rekonstruktion der Ereignisse: Samstagnachmittag, 17.30 Uhr. Mehrere Aktivisten waren im Laufe des Tages in den Tagebau Garzweiler eingedrungen. Nun räumt die Polizei die Blockaden. »nd«-Reporter Fabian Hillebrand filmt mit anderen Journalisten den Einsatz einer Rampe auf dem Abhang. Sein Presseausweis hängt deutlich erkennbar um seinem Hals. Nach seinen Angaben kommt nun ein Polizist auf ihn zu und bittet ihn, Platz zu machen. Hillebrand folgt der Anweisung und filmt weiter. Kurze Zeit später wird plötzlich seine Hand nach hinten geknickt, Polizisten führen ihn ab. Hillebrand schreit vor Schmerzen auf. Er wird zu einem Platz gebracht, an dem bereits abgeführte Kohlegegner sitzen und auf ihren Abtransport in die Gefangenensammelstelle warten.
Hillebrand weist darauf hin, dass er Journalist ist. Einer der Polizisten entgegnet, dass er Hausfriedensbruch auf firmeneigenem Gelände begangen und sich in Lebensgefahr gebracht habe. Man werde ihn nun mit einem Gefangenentransporter wegfahren. Der Beamte gibt auf Nachfrage weder seinen Namen noch den seines Einsatzleiters an. Die Journalistin Marlene Halser, die zuvor in der Nähe des »nd«-Kollegen von der Räumung berichtete, wird auf die Situation aufmerksam. Sie schreibt auf Twitter von der Polizeimaßnahme. Auf Nachfrage erklären ihr Beamte, dass sich Hillebrand den Anweisungen der Polizei widersetzt habe, die »Gefahrenstelle« zu verlassen. Der Kollege informiert erstmals die Redaktion über das Polizeivorgehen. »nd«-aktuell-Ressortleiter Robert Meyer telefoniert mit der Pressestelle der Polizei, doch diese kann keine Auskünfte geben.
Hillebrand erklärt derweil den Beamten, dass er nicht weggebracht werden will und sie ihn auch nicht wegfahren dürfen. Die Landtagsabgeordnete Imke Byl (Grüne), unterwegs als parlamentarische Beobachterin, ist jetzt eingetroffen und redet auf die Polizisten ein. Mit Erfolg: Der Gefangenentransporter fährt ohne Hillebrand los. Auch die für die Maßnahme verantwortlichen Polizisten fahren nun weiter und übergeben den »nd«-Kollegen an eine andere Einheit. Die Pressestelle der Polizei kann Ressortchef Meyer immer noch keine Auskünfte geben.
Vor Ort ist weiter unklar, wer für Hillebrand verantwortlich ist und was genau ihm vorgeworfen wird. Polizisten diskutieren mit ihrem Dienstleiter, was mit dem Journalisten passieren soll. Die Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden (Grüne), die ebenfalls als parlamentarische Beobachterin vor Ort ist, stößt dazu, spricht mit den Beamten. Ihr Eindruck, wie sie ihn im Nachhinein gegenüber »nd« schildert: Die Situation sei ein Missverständnis gewesen. Die Polizisten hätten eigentlich signalisiert, mit Hillebrand »kulant« umgehen zu wollen und ihn weiterziehen zu lassen. Sie habe deswegen keine weitere Notwendigkeit gesehen, in der Nähe zu bleiben, so Verlinden.
Ein Polizist sagt dem immer noch wartenden Kollegen kurze darauf, er dürfe rund 80 Meter von der Räumung der Aktivisten entfernt Fotos machen, die Maßnahme gegen ihn sei beendet. Ungefähr eine halbe Stunde lang kann auch er die Bilder machen. Ein weiterer Polizist fordert ihn dann aber plötzlich doch auf, in einen Gefangenentransporter einzusteigen. Um 19.10 Uhr fährt das Fahrzeug los, rund 20 Minuten später wird Hillebrand am anderen Ende des Tagebaus herausgelassen. Er muss drei Kilometer bis ins nächste Dorf laufen.
Die Bundestagsabgeordnete Verlinden wiederum hat einen Tweet Hillebrands aus dem Gefangenentransporter gesehen. Wieder spricht sie einen Polizisten auf die Situation an. Dieser sagt der Abgeordneten, der Journalist sei freiwillig eingestiegen, um aus dem Tagebau zu kommen. Eine Behauptung, die Hillebrand zurückweist. Die Polizei Aachen schreibt dem Kollegen am Ende des Tages auf Twitter: »Guten Tag Herr Hillebrand, sollten Sie weiterhin aus dem Tagebau heraus berichten wollen, wenden Sie sich bitte an unsere Pressestelle. Wir werden ihnen, wie bereits anderen Pressevertretern, den erneuten Zugang ermöglichen.«
Wie ist der Vorfall zu bewerten? Zum einen wurde die journalistische Arbeit des »nd« behindert. »Die Polizei hat für mehr als zwei Stunden unsere Berichterstattung über die Proteste und insbesondere über die Blockade des Tagebaus Garzweiler massiv beeinträchtigt«, sagt der zuständige »nd-aktuell«-Ressortchef Meyer. Besonders empörend sei für ihn gewesen, dass niemand von der Polizei einen Grund nennen konnte, warum der Kollege festgehalten wurde.
Zum anderen geht es um die politische und die juristische Bewertung. »Ein Freiheitsentzug ist nur gerechtfertigt, wenn konkrete Tatsachen dafür sprechen, dass von einer Person eine Gefahr ausgeht«, erklärt eine Anwältin des Republikanischen Anwältinnen - und Anwältevereins (RAV) gegenüber »nd«. »Wenn ein Journalist seinen Job macht, geht von ihm keine Gefahr aus«, betont sie. Die Polizei habe die Sonderrechte der Presse und anderer Professionen zu achten. Die Anwältin weist weiter daraufhin, dass laut NRW-Polizeigesetz ein in Gewahrsam Genommener über die Rechtsgrundlagen der Maßnahme zu informieren ist. Nur so könne der Betroffene sich Rechtsschutz organisieren. Der Vorwurf des Hausfriedensbuchs allein sei absurd, da das RWE-Gelände nicht umzäunt gewesen sei, so die Juristin.
Die Ingewahrsamnahme eines deutlich ausgewiesenen Journalisten während seiner Berichterstattung ohne klare Begründung ist somit ein starker Eingriff in die Pressefreiheit wie auch in die freie Berufsausübung. Beides ist dem Kollegen Hillebrand widerfahren. »Nach vorläufiger Einschätzung war das Vorgehen der Polizei rechtswidrig«, sagte die RAV-Anwältin.
»Sollte sich der Fall wie beschrieben zugetragen haben, wäre dies ein großer Skandal«, sagt auch Tina Groll, die Bundesvorsitzende der Deutschen Journalistinnen- und Journalistenunion in der Gewerkschaft ver.di, im Gespäch mit »nd«. »Wir verurteilen solch eine Einschränkung der Pressefreiheit.« Einschränkungen kritischer Berichterstattung müssten auch in einem größeren Kontext gesehen werden, so die DJU-Bundesvorsitzende. »Wir beobachten mit Sorge, dass Polizisten immer wieder die Arbeit von Journalisten behindern oder die Rechtsgrundlagen der Pressefreiheit nicht ausreichend kennen.« Zudem registriere die Gewerkschaft eine Zunahme von Polizeigewalt gegen Journalisten. »In den vergangenen Jahren ist auch hier das politische Klima verroht«, sagt Groll. »Dem müssen wir entgegentreten, beispielsweise mit gezielten Schulungen.«
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