Man hätte die zwei Stunden am Montagabend nutzen können, um wichtige Fragen zu erörtern. Zum Beispiel die, wie die LINKE es schaffen könnte, ihre politischen Inhalte ansprechend zu gestalten, um mit kessem Dresscode und einer gehörigen Portion Coolness neue Wähler*innen und Mitglieder zu gewinnen (oder ob die Ästhetisierung der Politik überhaupt etwas Erstrebenswertes ist). Oder die, ob Wolfgang Joop bereit wäre, innerhalb einer entsprechenden Parteistruktur mitzuwirken, die versucht, ästhetische Verbrechen der Basis bei Wahlkampfauftritten und Parteiveranstaltungen auszumerzen. Denkbar wäre etwa auch eine Art Mitgliederinitiative für Stilsicherheit (»MfS«) mit umfassenden Vollmachten.
Als Joop jedoch die Bühne betrat, fragte man sich unweigerlich, wie jemand, der so viel Geld mit Mode verdient hat, selbst so unfassbar schlecht gekleidet sein kann: ein zerknittertes Hemdchen unter einem ganz und gar geschmacklosen Polyester-Anzug.
Wagenknecht bewies hingegen Feingefühl: In vielen Jahren als Person des öffentlichen Lebens hat sie gelernt das rote Kostüm zuhause zu lassen, wenn der Hintergrund, vor dem sie sich bewegt, genau so rot ist. Wer seine Gesinnung dem eigenen Fanclub gegenüber nicht mehr beweisen muss, kann sich getrost für dasselbe Kostüm in Schwarz entscheiden. Ihre Nervosität unterdrückte sie gekonnt, als Joop auf Bundeskanzlerin Merkel zu sprechen kam, die ebenfalls gerne das immergleiche Outfit in unterschiedlichen Farben aus dem Schrank greifen lässt.
Inhaltlich blieb man auch die folgenden zwei Stunden auf diesem Niveau. Joop erklärte eingangs, dass Mode mehr sei als nur Klamotten, vielmehr sei es ein anderes Wort für »Epoche«, und Wagenknecht bekannte sich unter donnerndem Applaus des Publikums dazu, dass ihr Marken nicht so wichtig seien und sie nicht wisse, ob sie schon mal ein Kleidungsstück der Marke »Joop« getragen habe.
Die Veranstaltung blieb unfassbar langweilig. Anstatt interessante Fragen zu stellen, gab die unbeholfene Moderatorin den beiden Prominenten immer wieder die Möglichkeit, die Wikipedia-Artikel zu ihrer jeweiligen Person wiederzugeben: Aufwachsen in Ost und West, schwierige Kindheit, Rebellentum.
Man wünschte sich zeitweise, dass Aktivist*innen die Bühne stürmen und wahlweise Wagenknecht für ihre hinlänglich bekannten nationalistischen Entgleisungen oder Joop für die Ausbeutung der Näherinnen im Trikont zur Rede stellen, damit überhaupt noch irgendetwas Interessantes auf der Bühne passiert, über das man am nächsten Tag schreiben könnte.
Einmal gelang Wagenknecht ein kluges Gleichnis, als Antwort auf die Frage, wieso sie vor ’89 sehr DDR-kritisch gewesen sei, aber nach der Wende in der Bundesrepublik als osttreue Stalinistin, die auch der Mauer etwas Gutes abgewinnen konnte, verunglimpft worden sei. Das sei eben wie bei einem reichen Onkel, dem die Familie zu Lebzeiten hintenreingekrochen sei und nach dessen Tod kein gutes Wort mehr über ihn verloren wurde. Als Rebellin habe sie, so Wagenknecht, natürlich nun gegen alle Widerstände auf der Seite des toten Onkels stehen müssen. Allerdings verwarf sie ihre spontane kluge Antwort im nächsten Satz wieder und sprach stattdessen von jugendlichem Leichtsinn.
Als Joop gefragt wurde, warum er sich neuerdings so »links« gebe, erzählte er abermals von seinem Werdegang. Als Student habe er sich inmitten der 68er-Bewegung wiedergefunden, mit der er nichts habe anfangen können. So sei er zum Rebell gegen die Rebellen geworden, indem er die internationale Solidarität und die Nicht-Ästhetik des SDS hinter sich gelassen habe, um ein reicher, alter, weißer Mann zu werden. Jetzt, wo er genau das ist und ihm nicht mehr viel Zeit bleibt, habe er sich eine Utopie suchen wollen: »Mir blieb also der Kommunismus oder das Christentum.« Wofür er sich entschieden hat, wurde nicht ganz klar. Zwar finde er den Kommunismus ganz schlüssig, so Joop, in Sahra Wagenknecht sehe er aber mehr ein modernes Madonnenbild. Im Gegensatz zu vielen Frauen, die zu viel Haut zeigen, besitze sie eine anmutige Klasse, die ihm imponiere. Selbstverständlich erwähnte der Modedesigner nicht, dass er die Symbolfigur einer Industrie ist, die Frauen zu jenen Sexobjekten macht, die er, im Alter konservativ, offensichtlich verachtet und gleichzeitig mit Kleidungsstücken beliefert, die aus immer weniger Stoff bestehen.
Die Kunst, zwischen den Zeilen zu lesen, ermöglicht, zu verstehen, worum es Joop an diesem Abend wirklich ging: Angesichts eines sich verändernden Zeitgeistes, der ein größeres Bewusstsein für die drängenden Probleme der Welt (soziale Ungerechtigkeit, Umweltzerstörung etc.) schafft, braucht Joop eine neue Marketingstrategie, um die junge Generation als Kund*innen zu erreichen. Im Fachjargon nennt man das »greenwashing«. Fridays for Future als großes Marktforschungsexperiment.
Es geht um die Vereinnahmung einer diffusen vorherrschenden »linken Ästhetik«, die selbst nur die Glorifizierung von Armut und Elend darstellt: Konsum für das gute Gewissen, wenn auf dem Label »fair«, »öko« und »vegan« steht. Das Schicksal seiner Lohnarbeiter*innen in der kapitalistischen Peripherie und in den Slums im Trikont, die er seit Jahren und wohl auch in Zukunft um ein Vielfaches des Mehrwerts prellt, ist ihm herzlich egal.
Ob sich die Generation, die gegen die Klimakatastrophe kämpft und mit dem Finger auf die Verantwortung des Kapitalismus zeigt, so einfach vereinnahmen lässt oder lieber sein möchte wie der Dichter Oscar Wilde und eine neue Ästhetik entwickelt, die sich auf einen klaren theoretischen Standpunkt bezieht - sozialistisch, sexy und schick wie die Sünde -, wird sich zeigen. Wünschenswert wäre Letzteres.
Die Veranstaltung »Mode trifft Politik« hat jedenfalls zu den drängenden Fragen linker Mode keinen Beitrag geleistet. »Was tun?«, fragte sich stets der Genosse Lenin. In erster Linie ging es wohl um das Geltungs- und Selbstdarstellungsbedürfnis zweier Medienfiguren. In zweiter Linie versprach sich Wagenknecht vielleicht noch davon einen Nutzen für die LINKE, dass sie sich mit einem anderen Prominenten zeigte (ein Fehler, den schon die PDS in den 90ern zu Genüge wiederholt hat). Und Joop konnte sich ein bisschen von seinen Sünden reinwaschen (Katholizismus schlägt Kommunismus). Aber wirklich geholfen hat dieser Abend niemandem.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen