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Wer keinen Platz hat, ist überall
Was ist 2019 schon futuristisch? »Nicht normenkonforme Körper und stylisher Sex«, sagen Bráulio Bandeira, Nicky Miller und Stasys Žak und leiten mit ihrer Performance »Valentine Date with Space« den dritten Abend des Festivals »The Present Is Not Enough - Performning Queer Histories and Futures« im Berliner Hebbel am Ufer (HAU) ein. Das Stroboskop schickt helle Blitze über die Bühne, Technobeats dröhnen aus den Lautsprechern, noch etwas schüchtern tanzt eine Gruppe von Statist*innen in einem Dreieck aus orangefarbenem Neontape. Im Schwarzlicht bewegen sich nackte, mit Neonfarbe bemalte Körper durch die futuristische Partyszenerie. Eine Stimme hallt elektronisch verstärkt durch den Raum - »Space«, wiederholt sie. »Der Raum ist das Element, in dem die queere Kultur ihre Zukunft erkennen kann«, so die Künstler*innen. Mit ihrer Performance leiten sie ein in einen Abend mit neun szenischen Manifesten - genauer »Manifestos for Queer Futures 3«. Ein Abend, der den Atem rauben, die Geduld fordern, provozieren, konfrontieren und berühren wird. Licht aus.
Im Saal wird es still. Das spartanische Bühnenbild der Performance »Mirror, mirror here I stand. Who is the fairest in the land?« von Iury Trojaborg und Ming Poon sind zwei von der Decke hängende Spiegel. In ihnen betrachten sie ihre männlich gelesenen Körper genau. Sie fragen sich »Ist mein Schwanz zu klein?«, »Bin ich zu dick?«, oder: »Ist mein Akzent zu stark?« Was das Publikum beobachten darf, ist eine intime Auseinandersetzung mit der Normativität von Geschlecht, Ethnisierung, Alltagsrassismus, aber auch das Finden zu sich selbst - »Für wen performe ich? Als wer performe ich?« - sowie die allmähliche Befreiung hin zu einem Sein, das sich nicht in vorgegebene Schablonen stecken lässt. Diese Verwandlung wird begleitet von dem sanften Gesang von Maria Bethânias »Canto de Oxum«, ein Manifest der Verletzlichkeit. Eine sensible, ruhige, langsame Performance mit präzise platzierten Symbolen kann mehr Eindruck hinterlassen als dröhnende Bässe und Partynächte. Es ist aber gerade diese Vielfalt, die das Festival besonders macht.
Mit »The Present Is Not Enough« wird eine queere Zukunft für zehn Tage zur Gegenwart. Das HAU nimmt das 50. Jubiläum des Stonewall-Aufstands der New Yorker LGBTIQ*- Community und das 100. Jubiläum der Gründung des Instituts für Sexualwissenschaften durch den deutschen Theoretiker Magnus Hirschfeld zum Anlass, queere Zukunftsszenarien zu entwerfen, ohne den Blick auf die Gegenwart zu vernachlässigen. Im Gegenteil: Die aktuellen Kämpfe von queeren Communitys sind immer wieder Thema in den Performances, Ausstellungen, Installationen und Dokumentarfilmen des Kunstfestivals. Obwohl es scheint, als würde Queerness immer mehr Einzug in den Mainstream erhalten, fordert das Festival mehr - »die Gegenwart ist nicht genug« - und setzt internationale künstlerische Positionen in den Fokus, die im Mainstream nach wie vor nur unzureichend abgebildet werden. »Die Gegenwart ist nicht genug, solange weiterhin Menschen, die aus dem Raster von cis- und heteronormativen Strukturen fallen, weltweit verhaftet, verfolgt und getötet werden«, heißt es im Festivalprogramm.
Sanni Est kriecht auf allen Vieren über den Bühnenboden. Die Sängerin, Komponistin und Produzentin krampft mit elektronisch verzerrter Stimme in ihr Mikrofon. Die dringende Notwendigkeit, eurozentrische kulturelle und akademische Traditionen aus einer afrofuturistischen, transinklusiven femininen Perspektive umzudeuten - das ist Sanni Ests Bestreben, ihre Performance konfrontativ. Sie spricht von erlebten Rassismuserfahrungen, wie sie versuchte, ein normiertes Bild des Weiß-Seins zu erfüllen - jemand, der sie nie sein konnte. Wie sie ausprobierte, ihre Stimme heller klingen zu lassen, weißer. Sie schreit anklagend ins Publikum. Est fordert, eine alternative Wahrnehmung von Wissen wachzurufen, »das aus der Bürgschaft der Kolonisatoren befreit wird«. Und hinterlässt nachdenkliche Stille.
»Manifeste sind in Transformationsprozessen ein mächtiges Instrument« sagt Kurator Ricardo Carmona. Das Festival zeigt, dass Queerness weit mehr ist als eine hippe Art sich zu kleiden oder mit bunten Nägeln eine Nacht zu Techno zu tanzen. Queerness steht für jahrzehntelange Kämpfe um Anerkennung. Kämpfe gegen die Diskriminierung von Schwarzen und People of Colour, von Frauen, von homo-, trans-, inter-, bi- und pansexuellen Menschen, Kämpfe für eine Dekolonialisierung von Körper, Arbeit und Wissenschaft.
Die multimediale Installation »Transition and Apocalypse« repräsentiert zugleich ein Weltuntergangsszenario. Der Raum ist in rotes Licht getaucht. Auf einem Haufen aus Geröll, Backsteinen und Ästen sitzt Gabe Passareli, eine schlanke Gestalt im schwarzen Kleid mit dem Rücken zum Publikum. »Um sich aus seiner eigenen Asche zu erheben, muss ein Phoenix brennen« wiederholt Passareli. Auf einem Bildschirm geht dazu der Vogel in Flammen auf. Dann ein Wald. Feuer. Eines der vier Elemente, die Jota Mombaça in dieser Installation zusammenbringt. Mombaça selbst, eher von großer Gestalt, sitzt im rosafarbenen Kleid auf der anderen Seite einer durchsichtigen Plastikfolie, die beizeiten knisternd weht. Auf dem Boden sind Topfpflanzen im Dreieck angeordnet, an der Wand hängen beschriebene Quadrate aus Stoff. »Was keinen Platz hat, ist überall«, steht dort geschrieben. Derselbe Satz ertönt mit tiefer, starker Stimme. Die Installation ist inspiriert von der »Parabel«-Serie der Science-Fiction-Autorin und Afrofuturistin Octavia Butler, die Mombaça mit eigenen Tagebucheinträgen kombiniert. Die Performance zeigt ein Weltuntergangsszenario, welches jedoch nicht zu einem Endpunkt führt, sondern eine Erfahrung des Überganges ist. Unaufgelöst bleibt, ob das Leid, von dem Gabe Passareli und Jota Mombaça erzählen, schon erlebt wurde, aktuell ist oder zukünftig sein wird. »Wir haben den Hinweis verstanden und wissen, dass wir eine brutale Ära erleben werden. Aber gab es jemals eine Ära, die gut zu uns war?«, fragen sie in den Raum, auf dessen Erde die Asche in goldenen Schalen aufgehäuft ist.
Wenn Zukunft bedeutet, den Blick auf die Gegenwart zu richten, bedeutet es wiederum, Verunsicherungen durch dominante Normative und Verletzungen durch Diskriminierungen sichtbar zu machen. Eine queere Zukunft ist im stetigen Wandel, wie auch queere Identitäten sich ständig neu finden und erfinden. Je statischer eine Norm verankert ist, desto dynamischer wird das Sich-Loslösen von ihr. Was nicht binär ist, ist wandelbar und fließend - verankert nicht im Linearen, sondern losgelöst in der Gleichzeitigkeit. Zehn Tage lang bietet das HAU für diese Auseinandersetzung einen interdisziplinären und intersektionalen Raum der Künste. Ein Mammutprojekt, das gesellschaftliche Diskurse und Konflikte künstlerisch zusammenträgt.
»The Present Is Not Enough - Performing Queer Histories and Futures« bis zum 30. Juni im HAU und im Schwulen Museum in Berlin.
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