Montag, 25. März 2019

Die Sanktionsseuche (Ralph Hartmann)


Kein Begriff wird in der internationalen Politik gegenwärtig häufiger verwandt als das schöne Wort »Sanktion«. Die Sanktionitis ist im vollen Gange. Einige Beispiele: Als »Hauptsanktionierer« verwenden die USA diese Erzwingungsmaßnahme unter anderem gegen Kuba, Nordkorea, Iran, Russland, Burundi, Sudan, Syrien, Weißrussland. Gegenwärtig steht Venezuela im Brennpunkt der erpresserischen Politik. Seit Jahren malträtiert Washington das Land mit Sanktionen. Erst kürzlich gab US-Finanzminister Steven Mnuchin voller Stolz bekannt, dass die USA bisher zwischen sieben und elf Milliarden US-Dollar venezolanischen Vermögens eingefroren haben, in erster Linie von der staatlichen Ölfirma Petróleos de Venezuela (PDVSA). Gleichzeitig schickten sie, einige LKW mit ein paar Hilfsgütern für die notleidenden Venezolaner. Wie nobel!

Nahezu jeder Staat verhängt Sanktionen. Selbst die neutrale Schweiz greift zu dieser Maßnahme, unter anderem gegenüber Irak, Myanmar, Simbabwe, Sudan, Weißrussland, Syrien, Somalia, Guinea-Bissau, Jemen, Burundi, Venezuela. Im Handelskrieg zwischen den USA und China wurden Strafzölle verhängt, die der Sache nach nichts anderes sind als schmerzende Sanktionen.

Auch internationale Organisationen und Staatenverbindungen verhängen Sanktionen. So beschloss zum Beispiel der UN-Sicherheitsrat wegen der anhaltenden Raketentests Nordkoreas einstimmig Sanktionen gegen das Land. Bereits 2014 verhängte die EU Wirtschaftssanktionen gegen Russland. Sie wurden inzwischen zum achten Mal verlängert, laufen nun bis Ende Juli und beinhalten unter anderem ein »Militärgüterembargo«, eine »Beschränkung des EU-Kapitalmarktes«, »Einreisebeschränkungen für gelistete Personen«, »Einfrieren der Vermögenswerte von gelisteten Personen oder Organisationen«, »Einfuhr- oder Ausfuhrverbote für bestimmte Güter, Investitionsverbote«. Russland reagierte mit Gegensanktionen, die Präsident Putin bis Ende 2019 verlängerte.

Die Sanktionitis hat sich wie eine Seuche ausgebreitet. Eine Untersuchung von Peter Bergeijk von der Rotterdamer Erasmus-Universität ergab, dass sich die Zahl der verhängten staatlichen Wirtschaftssanktionen seit 1990 gegenüber der Ära des (ersten) Kalten Krieges ungefähr verdoppelt hat. Alles ist in der Regel in schönster Beamtensprache bis ins Detail geregelt, aber keiner sieht mehr durch. Angesichts des Sanktionschaos ist man beinahe versucht, einige Regulierungsmaßnahmen vorzuschlagen, wie zum Beispiel die Erarbeitung und Verabschiedung einer internationalen Konvention über Sanktionen durch die Vereinten Nationen, Einrichtung eines Büros zur Koordinierung und Überwachung von Sanktionen beim Weltsicherheitsrat, Einführung eines Sanktionsmasterstudiums an allen Diplomatenhochschulen. Aber Schluss mit den Phantastereien, so oder so wären alle Versuche, das Sanktionschaos zu regulieren, zum Scheitern verurteilt, da jeder internationale Akteur versucht, seine Interessen durchzusetzen.

Spitzenreiter auf dem Gebiet sind die USA. Sie sind nicht nur das Land, das mit Abstand am häufigsten Sanktionen verhängt hat. Sie sind auch die Erfinder von sogenannten Sekundärsanktionen. 1996 verabschiedete der amerikanische Kongress zwei Gesetze, die nicht nur das Wirtschaftsembargo der USA gegenüber Kuba, Iran und Libyen verschärften, sondern auch Sanktionen gegen diejenigen Firmen und Personen aus Drittländern vorsahen, die sich den amerikanischen Sanktionsbestimmungen nicht anschlossen. Unter Verletzung des Völkerrechts und der Regeln des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) wurden diese juristischen und natürlichen Personen vor die Alternative gestellt, entweder mit den USA oder mit den sanktionierten Ländern ökonomische Beziehungen zu unterhalten. Entschieden sie sich für Letzteres, drohten ihnen schwere Sekundärsanktionen. Auch schon damals galt »America first«. Dass diese Drohungen keine leeren Worte sind, zeigte der Fall der Bank BNP Paribas. Die USA warfen der größten französischen Bank 2014 vor, bei einer Reihe von Geschäften amerikanische Sanktionen gegen den Sudan, den Iran und Kuba gebrochen zu haben, wofür sie bestraft werden sollte. Nach langen Verhandlungen mit den US-Behörden räumte die Bank entsprechende Verfehlungen ein und akzeptierte die Summe von 8,83 Milliarden Dollar. Das ist die höchste je verhängte Strafe für eine europäische Bank. Umso verwunderlicher war es, dass der damalige französische Finanzminister Michel Sapin sich erleichtert zeigte und erklärte, das Strafmaß erlaube der Bank wenigstens das Weiterbestehen. Die Strafe für BNP Paribas ist ein krasser Fall, aber allein steht sie nicht, denn europäische Banken haben seit 2009 schon etwa 16 Milliarden Euro an Strafen an die USA gezahlt.

Nachdem die USA den Iranvertrag aufgekündigt haben und zu harten Sanktionen gegen das Land zurückgekehrt sind, drohen den anderen Vertragspartnern Sekundärsanktionen beziehungsweise hohe Strafen, wenn ihre Unternehmen mit dem Iran Geschäfte machen und gleichzeitig auf dem US-amerikanischen Markt aktiv sind. Selbst Merkels Allzweckwaffe, Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), zeigt sich in diesem Falle hilflos. Auch er sieht wegen der neuen US-Sanktionen gegen den Iran erhebliche Konsequenzen für deutsche und andere europäische Unternehmen. Wörtlich erklärte er im Deutschlandradio: »Wir haben juristisch keine Möglichkeit, deutsche Unternehmen gegen Entscheidungen der amerikanischen Regierung zu schützen oder sie davon auszunehmen.« Optionen wie einen staatlichen Fonds zum Ausgleich möglicher Nachteile für Firmen, die im Iran tätig sind, sehe das deutsche Recht nicht vor. Die Bundesregierung biete jedoch Unterstützung und juristische Beratung für betroffene Unternehmen an. Wie prekär die Lage ist, zeigt auch die Tatsache, dass deutsche Firmen, die mit dem Iran Handel treiben, regelmäßig Anrufe aus der US-Botschaft in Berlin bekommen. Auch der US-Statthalter in der Bundesrepublik, Botschafter Richard Grenell, ließ es sich nicht nehmen, deutsche Unternehmen drohend aufzufordern, ihre Investitionen im Iran zurückzufahren.

Angesichts der Sekundärsanktionsdrohungen haben Deutschland, Frankreich und Großbritannien eine Handelsplattform mit dem Namen »Instex« gegründet, die mit Teheran Verhandlungen aufgenommen hat, um ein iranisches Gegenstück aufzubauen. Als Ergebnis soll eine Tauschbörse entstehen, mittels derer der Handel mit dem Iran ohne Zahlungsverkehr möglich werden soll. Mit anderen Worten: Vorwärts in die Vergangenheit! Zurück zur Naturalwirtschaft! Sanktionen machen es möglich.

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