Montag, 25. März 2019

Kritik der Migration, nicht der Migranten (Rüdiger Göbel)


In einem zweitägigen »Werkstattgespräch« hat die CDU unter der neuen Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer über »Migration, Sicherheit und Integration« diskutiert. »Wir müssen alles daransetzen, dass sich so was wie 2015 nicht wiederholt«, sagte die Parteichefin zum Abschluss der Gespräche. »Und wir müssen deutlich machen: Wir haben unsere Lektion gelernt.« Dank der Diskussionen habe man »vieles auf den Weg gebracht. Aber wir sind noch nicht am Ende.«

Auf 15 Punkte haben die 100 CDU-Politiker die zweitägige Diskussion zusammengefasst. »Wir müssen Humanität und Härte vereinen«, heißt es in einem vierseitigen »Ergebnispapier« der Veranstaltung. Die von der CDU präsentierten migrationspolitischen Forderungen zielen auf leichtere Ausweisung straffälliger Asylbewerber ab, auf die Kürzung der Bezüge (»deutlich spürbare Sanktionen«) und mehr Wege in die Abschiebehaft (»Reisebeschränkungen«). Mit keinem Wort erwähnt wird, wie Migration entsteht, wer Menschen zu Flüchtlingen macht, die nach Europa drängen in der Hoffnung auf Sicherheit und ein besseres Leben. Wer aber über Fluchtursachen wie Krieg und Verarmung nicht sprechen will, hat ganz offensichtlich die Lektion nicht gelernt. Im Gegenteil. Ein inzwischen bekanntgewordenes Zusatzabkommen zum Aachener Vertrag sieht deutsch-französische Rüstungsprojekte und ausdrücklich Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und andere Länder vor, die seit fast vier Jahren Krieg im Jemen führen und verantwortlich sind für die größte humanitäre Katastrophe dieser Tage.

Der Wiener Publizist Hannes Hofbauer erinnert in seinem Buch »Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert« an die Hintergründe der massenhaften Flucht- und Migrationsbewegung der vergangenen Jahre – er nennt sie »muslimische Massenwanderung« und führt dazu auf die erste US-Intervention im Irak vor 24 Jahren zurückgehend aus: »Irak, Afghanistan, Pakistan, Jemen, Somalia, Mali, Libyen, Syrien. Große Teile der muslimischen Welt liegen seit 1991 unter transatlantischem Feuer. US-geführte Militärallianzen zogen eine dicke Blutspur durch Westasien und das nördliche Afrika. Die Feinde der westlichen Demokratien trugen und tragen unterschiedlichste Namen: Saddam Hussein, Al-Qaida, Taliban, diverse islamische Milizen, Muammar Gaddafi, Baschar al-Assad. Sehr unterschiedlich, ja geradezu konträr sind auch die Zuordnungen, die als Rechtfertigung für den Krieg medial verbreitet werden. Bekämpft wurden und werden einerseits laizistisch orientierte Autokratien wie jene von Saddam Hussein, Muammar Gaddafi und Baschar al-Assad, die ihrerseits mit brutaler Härte gegen radikale Islamisten vorgingen, und andererseits radikale Islamisten wie Al-Qaida oder die Taliban, deren Feinde laizistische Diktatoren sind.« Der scheinbare Widerspruch löse sich auf, so Hofbauer, wenn man ein größeres Ganzes vor Augen habe. »Der westlichen Staatengemeinschaft unter Führung der USA geht es seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion darum, keinen anderen Integrationsraum neben sich aufkommen zu lassen, der die eigene Hegemonie gefährden könnte. (Pan)arabische Integrationsversuche, gleich ob auf wirtschaftlicher oder politischer Gemeinsamkeit fußend, werden genauso ins Fadenkreuz von NATO-Kampfjets genommen wie islamische. Die Zerstörung ganzer Kulturkreise nimmt man dafür in Kauf, und freilich auch einen weiteren unausweichlichen ›Nebeneffekt‹: gigantische Fluchtbewegungen.«

Hofbauers Buch ist ein flammender Appell auch und gerade an die Linke, sich den Ursachen von Flucht und Migration zuzuwenden statt liberale Postulate zu übernehmen. »In diesen wird Migration, getreu ihrer Verwertbarkeit und in multikultureller Blauäugigkeit, zu einem nicht hinterfragbaren positiven Bekenntnis.« Die ihr zugrundeliegende weltweite Ungleichheit bleibe ausgeblendet beziehungsweise werde dem karitativen Denken untergeordnet. Damit, so Hofbauer, »verstellt der einzelne, von Krieg, Krise oder Umweltzerstörung gezeichnete Migrant den Blick auf die Funktion von Migration«. Diese bilde den »Schlussstein im Mosaik globalistischer Interventionen, deren wirtschaftliche und/oder militärische Angriffe Millionen von Menschen ihre Lebensgrundlage entziehen«. Und weiter: »Wer es moralisch und politisch verwerflich findet, dass bengalische Näherinnen in einsturzgefährdeten Fabriken zusammengepfercht um einen Hungerlohn für den Weltmarkt roboten, kann den ständigen Import von Menschen aus dem ›globalen Süden‹ in die Zentralräume dieser Welt nicht positiv konnotieren. Zu sehr ähneln einander die Auslagerung von Arbeitsplätzen an Billiglohnstandorte und die Masseneinwanderung entwurzelter Arbeitskräfte in den ›globalen Norden‹ in ihrer Ausbeutungsstruktur.«

Hofbauer untersucht in seinem Buch Ursachen und Auswirkungen der Migration – in Geschichte und Gegenwart. Ursachen sind vor allem vom Kapital getrieben. Als Beispiel dienen allein die Freihandelsverträge der EU mit den Staaten Afrikas. Große Konzerne können ihre Waren zollfrei in afrikanische Länder exportieren und zerstören durch Dumpingpreise die dortige heimische Wirtschaft. Menschen werden ihrer Subsistenzgrundlagen beraubt. Die Söhne und Töchter von Bauern oder Fischern, deren Überlebenschancen derart minimiert werden, machen sich in der Folge auf den Weg nach Europa.

Migranten sind die Opfer, stellt Hofbauer klar. Wer aber Migration idealisiere, setze quasi einen positiven Schlusspunkt unter globalkapitalistische Verelendung und imperialistische Kriegspolitik. Dies könne keine linke Politik sein. Das Schicksal von Migranten dürfe nicht verwechselt werden mit der Struktur von Migration.
Hofbauer will den Blick auch dafür schärfen, was Migration mit denjenigen macht, die verlassen werden. Während hierzulande Ärzte und Pflegepersonal etwa aus Ländern Osteuropas arbeiten, liege das Gesundheitssystem dort am Boden. Der Migrationsforscher Paul Collier verwies unlängst darauf, dass allein in London mittlerweile mehr sudanesische Ärzte arbeiten als im gesamten Sudan.

Hofbauers »Kritik der Migration« richtet sich nicht gegen Migranten, wie ihm von Kritikern bisweilen vorgehalten wird und von denen die Verblendetsten ihn gar als Rassisten zu etikettieren versuchen. Das Buch legt die soziale Deregulierungsfunktion offen, die Migration hat, die Weltoffenheit übersetzt mit Investitionsfreiheit und Gewinnrückführungsmöglichkeiten. Anschaulich beschreibt Hofbauer den strukturell zerstörerischen Charakter von Wanderungsbewegungen. Seine Kritik am Wesen der Migration und ihren Triebkräften ist eine wichtige Lektion, die es zu lernen gilt, und ein Kontrapunkt zu Werkstattgesprächen, die Migranten zum Problem erklären und nicht diejenigen, die Menschen millionenfach erst dazu machen.


Hannes Hofbauer: »Kritik der Migration. Wer profitiert und wer verliert«, Promedia Verlag, 272 Seiten, 19,90 €

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