Mecklenburg-Vorpommern
ist für seinen norddeutschen Weitblick und – trotz einer gewissen
geografischen Nähe zu Berlin – für seine bundespolitische
Bedeutungslosigkeit bekannt. Den neuen Präsidenten der
Kultusministerkonferenz (KMK), Helmut Holter, seit Jahren (oder sind es
schon Jahrzehnte) erfahren in Schweriner Küchen- und
Real-Kabinetts-Politik, hielt es nun nicht länger im windigen deutschen
Nordosten. Halb wurde er gezogen, halb zog es ihn. Wohin? Ins Herz von
Deutschland, nach Thüringen. Ein Versorgungsfall? Wohl eher politische
Seelenverwandtschaft, wie wir noch sehen werden.
Und dort in Thüringen nun hat er endlich sein eigenes Herz entdeckt. Es schlägt für die Bildungspolitik. »Es kommt, wie es kommt«, sagt er. Und: »Da schwimme ich mich frei.« »Da kommt meine berufliche Herkunft mir zugute«, meint er, der Betontechnologe und – fast hätte ich es unterschlagen – der Gesellschaftswissenschaftler mit Abschluss in Moskau.
Das erinnert mich an ein Gespräch vor 18 Jahren mit dem Bürgermeister von Siegen, dem wir im UN-Jahr für eine Kultur des Friedens unser neu gegründetes Zentrum für Friedenskultur vorstellen wollten. Mit der »Wiedervereinigung« hatte unsere Stadt ihr Motto »Im Herzen Deutschlands« verloren. Jetzt trägt sie den Namen »Universitätsstadt« und muss sich dessen nun doch nicht schämen, weil die CDU/FDP-Landesregierung ihren Plan, von ausländischen Studierenden Gebühren zu erheben, fallengelassen hat.
In besagtem Gespräch erläuterte uns der Bürgermeister, ein gelernter Betonbau-Ingenieur, dass bei uns schon alles gut geregelt sei. Die Vorschriften, zum Beispiel für die Verlegung von Kabeln, würden hier im Rathaus, in der ganzen Stadt und im ganzen Land gelten. Da brauche man nichts Neues, auch nicht für den Frieden oder für sonstigen Luxus. »Ach so«, verabschiedeten wir uns vorzeitig und wünschten: »Glück auf«.
Ganz so betonmäßig ist der neue Kultusministerkonferenzpräsident erklärtermaßen nicht drauf. »Ich bin der Überzeugung«, sprach er, »dass Ost und West viel zu wenig miteinander reden. Schüler und Schülerinnen aus beiden Teilen Deutschlands müssen in einen tieferen innerdeutschen Gedankenaustausch und Dialog treten.«
Geprägt werden solle dieser Austausch, so der KMK-Präsident, ehemaliges SED-Parteimitglied, wie er selbst bekennt, durch eine stärkere Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur in der DDR. Die komme in den Schulen noch zu kurz, genauso wie die Demokratiebildung, sagt der KMK-Präsident, der so tut, als wüsste er nichts davon, dass im Bund und in den Ländern der Abbau sozialer und demokratischer Rechte auf der Tagesordnung steht und der Weg in die marktkonforme Demokratie, die keine Demokratie mehr ist, systematisch betrieben wird.
Jetzt ahnt man, wohin die seelenverwandtschaftliche Arbeitsteilung führen soll. Nachdem der thüringische Ministerpräsident der Autobahnprivatisierung zugestimmt hat, soll der thüringische KMK-Präsident nun der bevorstehenden Privatisierung der Schulen, getarnt als Private Public Partnership, den Weg bereiten und durch die Festlegung der Schüleraustausch-Koordinaten auf die Spaltung in Ost/West von der Privatisierung ablenken.
Die von Holter vertretene neoliberale Bildungspolitik der Spaltung der Schüler-, Lehrer-, Elternschaften und der Privatisierung der Bildungschancen steht im krassen Gegensatz zur Inklusion und der UN-Behindertenkonvention, zu deren Umsetzung Deutschland sich verpflichtet hat.
»Wie schafft ihr Inklusion?« Das allerdings wäre eine anregende Kernfrage für ein Schulaustauschprogramm mit europäischen und demokratischen Dimensionen. Im Moment aber setzen die Bildungspolitiker*innen alles dran, die Inklusion ihren Privatisierungsgelüsten zu opfern. Zu der Ablenkungsstrategie passt, dass holterdiepolter ein Austauschprogramm erfunden wird, das »tatsächliche Diktaturerfahrung und heutige Zeit zueinanderkommen lässt«, wie Holter sagt. Erinnerungsarbeit geht anders! Inklusion auch.
Inklusion im Bildungsbereich heißt, dass alle Schüler*innen, mit und ohne Behinderung, in »einer Schule für alle« gemeinschaftlich beschult und individuell optimal gefördert werden. Inklusion zu verwirklichen bedeutet aber auch, gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, dass alle Gesellschaftsmitglieder gleich behandelt und geachtet werden, niemand ausgegrenzt wird und es jedem Menschen ermöglicht wird, einen Beitrag zum Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens leisten zu können.
Die neue nordrhein-westfälische Schulministerin Gebauer will von Inklusion nichts wissen. Eine Sofortmaßnahme war die Einschränkung des Rechts auf freie Schulwahl für Schüler*innen mit Behinderung, wenn die gewünschte Schule die Voraussetzungen für Inklusion nicht erfüllt (zum Beispiel kein qualifiziertes Personal, nicht barrierefrei). Verbunden war ihr Erlass mit einem zynischen Hinweis auf den von ihr garantierten Bestandsschutz für Förderschulen. Die Einschränkung der freien Schulwahl soll demnächst nicht nur für behinderte Schüler*innen gelten. Nach dem Motto »Gleichheit in der Ungleichheit« soll Eltern und Schüler*innen die freie Wahl der weiterführenden Schule nach der gemeinsamen Grundschule verwehrt werden.
Muss man Gebauer, Holter und anderen wirklich noch erklären, dass eine zeitgemäße, leistungsfähige Schule nur eine inklusive Schule von Klasse 1 bis 13 sein kann, plus Kita- und Vorschulbereich sowie Übergangshilfen zur beruflichen Bildung?
Für alle Zweifler noch ein Tipp: Mit dem Dunkelcafé Siegen haben wir einen außerschulischen Lernort geschaffen, der Inklusion praktisch erfahrbar macht. Dort arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung ehrenamtlich zusammen. Die Besucher*innen kommen von nah und fern. Ich gehe davon aus, dass der KMK-Präsident und seine Kolleg*innen sich bald zu einem Besuch anmelden (www.dunkelcafe-siegen.de).
Bernhard Nolz ist Lehrer i. R., Sprecher der Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF) und Pädagogischer Leiter des Dunkelcafés.
Und dort in Thüringen nun hat er endlich sein eigenes Herz entdeckt. Es schlägt für die Bildungspolitik. »Es kommt, wie es kommt«, sagt er. Und: »Da schwimme ich mich frei.« »Da kommt meine berufliche Herkunft mir zugute«, meint er, der Betontechnologe und – fast hätte ich es unterschlagen – der Gesellschaftswissenschaftler mit Abschluss in Moskau.
Das erinnert mich an ein Gespräch vor 18 Jahren mit dem Bürgermeister von Siegen, dem wir im UN-Jahr für eine Kultur des Friedens unser neu gegründetes Zentrum für Friedenskultur vorstellen wollten. Mit der »Wiedervereinigung« hatte unsere Stadt ihr Motto »Im Herzen Deutschlands« verloren. Jetzt trägt sie den Namen »Universitätsstadt« und muss sich dessen nun doch nicht schämen, weil die CDU/FDP-Landesregierung ihren Plan, von ausländischen Studierenden Gebühren zu erheben, fallengelassen hat.
In besagtem Gespräch erläuterte uns der Bürgermeister, ein gelernter Betonbau-Ingenieur, dass bei uns schon alles gut geregelt sei. Die Vorschriften, zum Beispiel für die Verlegung von Kabeln, würden hier im Rathaus, in der ganzen Stadt und im ganzen Land gelten. Da brauche man nichts Neues, auch nicht für den Frieden oder für sonstigen Luxus. »Ach so«, verabschiedeten wir uns vorzeitig und wünschten: »Glück auf«.
Ganz so betonmäßig ist der neue Kultusministerkonferenzpräsident erklärtermaßen nicht drauf. »Ich bin der Überzeugung«, sprach er, »dass Ost und West viel zu wenig miteinander reden. Schüler und Schülerinnen aus beiden Teilen Deutschlands müssen in einen tieferen innerdeutschen Gedankenaustausch und Dialog treten.«
Geprägt werden solle dieser Austausch, so der KMK-Präsident, ehemaliges SED-Parteimitglied, wie er selbst bekennt, durch eine stärkere Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur in der DDR. Die komme in den Schulen noch zu kurz, genauso wie die Demokratiebildung, sagt der KMK-Präsident, der so tut, als wüsste er nichts davon, dass im Bund und in den Ländern der Abbau sozialer und demokratischer Rechte auf der Tagesordnung steht und der Weg in die marktkonforme Demokratie, die keine Demokratie mehr ist, systematisch betrieben wird.
Jetzt ahnt man, wohin die seelenverwandtschaftliche Arbeitsteilung führen soll. Nachdem der thüringische Ministerpräsident der Autobahnprivatisierung zugestimmt hat, soll der thüringische KMK-Präsident nun der bevorstehenden Privatisierung der Schulen, getarnt als Private Public Partnership, den Weg bereiten und durch die Festlegung der Schüleraustausch-Koordinaten auf die Spaltung in Ost/West von der Privatisierung ablenken.
Die von Holter vertretene neoliberale Bildungspolitik der Spaltung der Schüler-, Lehrer-, Elternschaften und der Privatisierung der Bildungschancen steht im krassen Gegensatz zur Inklusion und der UN-Behindertenkonvention, zu deren Umsetzung Deutschland sich verpflichtet hat.
»Wie schafft ihr Inklusion?« Das allerdings wäre eine anregende Kernfrage für ein Schulaustauschprogramm mit europäischen und demokratischen Dimensionen. Im Moment aber setzen die Bildungspolitiker*innen alles dran, die Inklusion ihren Privatisierungsgelüsten zu opfern. Zu der Ablenkungsstrategie passt, dass holterdiepolter ein Austauschprogramm erfunden wird, das »tatsächliche Diktaturerfahrung und heutige Zeit zueinanderkommen lässt«, wie Holter sagt. Erinnerungsarbeit geht anders! Inklusion auch.
Inklusion im Bildungsbereich heißt, dass alle Schüler*innen, mit und ohne Behinderung, in »einer Schule für alle« gemeinschaftlich beschult und individuell optimal gefördert werden. Inklusion zu verwirklichen bedeutet aber auch, gesellschaftliche Bedingungen zu schaffen, dass alle Gesellschaftsmitglieder gleich behandelt und geachtet werden, niemand ausgegrenzt wird und es jedem Menschen ermöglicht wird, einen Beitrag zum Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens leisten zu können.
Die neue nordrhein-westfälische Schulministerin Gebauer will von Inklusion nichts wissen. Eine Sofortmaßnahme war die Einschränkung des Rechts auf freie Schulwahl für Schüler*innen mit Behinderung, wenn die gewünschte Schule die Voraussetzungen für Inklusion nicht erfüllt (zum Beispiel kein qualifiziertes Personal, nicht barrierefrei). Verbunden war ihr Erlass mit einem zynischen Hinweis auf den von ihr garantierten Bestandsschutz für Förderschulen. Die Einschränkung der freien Schulwahl soll demnächst nicht nur für behinderte Schüler*innen gelten. Nach dem Motto »Gleichheit in der Ungleichheit« soll Eltern und Schüler*innen die freie Wahl der weiterführenden Schule nach der gemeinsamen Grundschule verwehrt werden.
Muss man Gebauer, Holter und anderen wirklich noch erklären, dass eine zeitgemäße, leistungsfähige Schule nur eine inklusive Schule von Klasse 1 bis 13 sein kann, plus Kita- und Vorschulbereich sowie Übergangshilfen zur beruflichen Bildung?
Für alle Zweifler noch ein Tipp: Mit dem Dunkelcafé Siegen haben wir einen außerschulischen Lernort geschaffen, der Inklusion praktisch erfahrbar macht. Dort arbeiten Menschen mit und ohne Behinderung ehrenamtlich zusammen. Die Besucher*innen kommen von nah und fern. Ich gehe davon aus, dass der KMK-Präsident und seine Kolleg*innen sich bald zu einem Besuch anmelden (www.dunkelcafe-siegen.de).
Bernhard Nolz ist Lehrer i. R., Sprecher der Pädagoginnen und Pädagogen für den Frieden (PPF) und Pädagogischer Leiter des Dunkelcafés.
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