02.05.18
Eine
kurze stadtpolitische Reflexion zur Verhaftung zweier Bewohner* der
Rigaerstraße 94 im Zusammenhang mit dem Konstrukt des Gefahrengebiets.
Mehr Infos auf: https://besetzen.noblogs.org
Als #besetzen haben wir grundsätzliche Sympathie für jede Form der
Aneignung von Häusern, Plätzen, Parks usw. Denn sie gehören in die Hand
der Bewohner*innen, jenen, die sie nutzen oder die sie brauchen. Ein
solcher Ort ist auch die Rigaer94 mit dem sich immer mehr öffnenden
Szeneraum „Kadterschmiede“. Seit der Besetzung 1990 wurde das Haus,
seine Bewohner*innen und die „Schmiede“ auf vielfältige Weise
angegriffen. Insbesondere das Zwangsräumen ist als Angriffsform beliebt.
Kriminalisierung, Belagerung, psychischer und physischer Terror
durch die Staatsgewalt sind die Mittel, die leider zur Geschichte dieses
Hauses gehören, wie die Hausnummer selbst. Durch das von PDS (heute die
Linke) und SPD eingeführte ASOG (Allgemeines Sicherheits- und
Ordnungsgesetz) wurde einiges an Staatsgewalt von Legislative der
Exekutive übergeben. Dies erleichterte beispielsweise die brutalen
Razzien im Januar 2016 und die damit einhergehenden Schikanen (siehe
Video).
#Rigaer94 - Die Geister, die ihr rieft! from left report on Vimeo.
Bestimmend ist aber etwas, dass nicht nur die Rigaerstraße als
rebellischen Kiez betrifft: das Konstrukt des Gefahrengebiets. Auf St.
Pauli, am Leopoldplatz im Wedding oder am Hermannplatz in Neukölln darf
hierdurch ohne bestimmten Grund jede*r kontrolliert werden. Das
geschulte Auge eines jeden Bullen erkennt die Störenfriede, so der
Gedanke. Betroffen sind vor allem Schwarze und POC, Arme,
Drogenkonsument*innen aber auch diejenigen mit subkulturellen Codes oder
Menschen, denen das Bullauge „Szenezugehörigkeit“ attestiert. 24/7
Überwachung durch Kameras und ständig anwesende Bullen gehören hier zur
ekelhaften Normalität. Ziel ist die Säuberung der Stadt von Menschen,
die nicht vom Kapitalismus profitieren (wollen) und dadurch die
kaufkräftigere Kundschaft von hier fernhalten. Diese fühlt sich nun mal
unsicher, wenn Bettler*innen, Trinker*innen und Demos sie beim shoppen
oder „wohnen“ stören. Mehr zur politischen Einordnung des
Gefahrengebiets kann man übrigens hier nachlesen.
Die Festnahme von Isa und Michał am 24.03.2018 ist Teil der
gleichen Logik, die dem Konstrukt des „Gefahrengebiets“ entspringt. Sie
geht sogar noch einen Schritt weiter, sie will nicht nur die Säuberung
von jenen, die Kaufkraft fernhalten, sondern auch diejenigen warnen, die
ihre Solidarität für den rebellischen Nordkiez haben. Isa ist ein
Nachbar des Hausprojekts im Hinterhaus. Spätestens durch die Belagerung,
mit einhergehenden illegalen Räumung der Kadterschmiede im Sommer 2016
wurde jedoch das gesamte Haus zu einem Projekt. Es zählte nicht mehr, ob
man linksradikal war, einen neuen regulären Mietvertrag hat oder die
besetzten Räume im Hinterhaus nutzt. Es zählte der Zusammenhalt gegen
die Gewalt des Staates und gegen die Verdrängung von finanziell
schwächeren Kiezbewohner*innen. Der gemeinsame Feind hat alle – auch
über die Zeit der Belagerung hinaus – miteinander verbunden. Alle
Hausbewohner*innen waren sich im Klaren darüber: Diese Hölle, diese
Machtlosigkeit gegenüber Securities und Bullen will keiner mehr erleben.
Das Tor von der Straße zu allen Wohnungen und dem Hinterhof dieses
Hauses wurde mit zusätzlichen Wänden gesichert um bei etwaigen Angriffen
mehr Zeit zu gewinnen und nachts besser schlafen zu können.
Die Festnahme Isas und der angekündigte Abriss der neuen Tür sind
eine klare Ansage des politischen Akteurs Polizei: „Ihr, die ihr
rebellisch seid und ihr, die ihr solidarisch mit den Aufständigen seid,
ihr sollt nicht ruhig schlafen.“ Der politische Angriff ist einer der
härtesten seit dem Sommer 2016. Das Einknasten eines Vaters und
Ehemanns, der schon einen Tag vor der Festnahme von einer
Einsatzhundertschaft auf die laufenden Ermittlungen angesprochen wurde
wegen Fluchtgefahrs einzuknasten, ist ein Angriff auf das Konzept der
solidarischen Stadt. Isa wurde nicht zum Verhängnis, dass er seine Frau
und seinen Hund beschützte, sondern seine Solidarität. Diese
Einschüchterung darf nicht hingenommen werden. Vielmehr müssen wir uns
enger zusammenstellen. In unseren Häusern, Kiezen, ob in
Gefahrengebieten oder der U-Bahn. Bevor die Staatsgewalt kommt, sollten
wir anstreben uns gegenseitig zu helfen. Solidarität mit jenen zu üben,
die ein Leben ohne Verwertungszwang erkämpfen wollen und aus jedem
einzelnen Kiez ein Gefahrengebiet machen. Ein Gefahrengebiet, in dem
nicht die körperliche Unversehrtheit seiner Bewohner*innen auf dem Spiel
steht, sondern das „Recht des Reicheren“ und die falsche Freiheit
dieses (Knast-)Systems.
Mit dem angekündigten Rückbau des neuen Tors, der bereits seit
einigen Monaten von Eike Geisel medial thematisiert wurde und der
Verhaftung der zwei Nachbar*innen passiert etwas, dass wir aus jedem
anderen Gefahrengebiet kennen. Keine*r soll sich der staatlichen Gewalt
entziehen. „Wo kämen wir denn hin, wenn nachbarschaftliche Solidarität
dazu führte Bullenrazzien zu verhindern?“ (Wie es auch in Hamburg
versucht wird.) Gewalt ist in dieser Logik, die den Ausnahmezustand
herbeiredet (wie wir ihn herbeisehnen) nur dann angemessen, wenn sie vom
Staate ausgeht. Sich ihr zu entziehen, ist schon Hochverrat. Undzwar
eine*r, den wir sympathisch finden. Weshalb wir uns freuen in ganz
Berlin und im Nordkiez vom 10.-13.5. mit Chaot*innen und
Hochverräter*innen zu diskutieren und noch viel mehr...
Für mehr Nachbar*innen wie Isa und Michał ! Für ihre Freiheit!
Mehr Infos:
Zur Vorgeschichte der Razzia:
Zur Razzia:
Solidaritätsaktion der R94 mit den Gefangenen in Moabit:
Ausnahmezustand & Gefahrengebiet:
Zum Prinzip der „gegenseitigen Hilfe“:
Oder in der anarchistischen Bibliothek deines Vertrauens. In Berlin zum Beispiel: Kalabalik und Bibliothek der Freien
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