Der Kommunist Ernst Meyer ist weitgehend vergessen. 1929
endgültig an den Rand gedrängt, betrieb der zeitweilige Vorsitzende der
KPD eine Politik im Geiste seiner Lehrerin Rosa Luxemburg
Von Florian Wilde
Freund der innerparteilichen Demokratie und
Diskussionsfreiheit, Gegner administrativ-bürokratischer Maßnahmen.
Ernst Meyer (1887–1930)
Foto: Privatarchiv Jörg Meyer
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Florian Wilde: Revolution
als Realpolitik. Ernst Meyer (1887–1930) – Biographie eines
KPD-Vorsitzenden. UVK-Verlag, Konstanz 2018, 451 Seiten, 29,90 Euro
Florian
Wilde ist Gewerkschaftsreferent der Rosa-Luxemburg-Stiftung und
Mitglied in der Historischen Kommission der Partei Die Linke.
Kürzlich
erschien im UVK-Verlag die von Florian Wilde verfasste Biographie des
zeitweiligen KPD-Vorsitzenden Ernst Meyer. Der vorliegende Text Wildes
bietet einen knappen Überblick über das Leben und Wirken des Kommunisten
Meyer und stellt eine geraffte Zusammenschau der in der Biographie
entwickelten Thesen des Autors dar. (jW)
Der bevorstehende 100. Jahrestag des Beginns der Novemberrevolution
in Deutschland bietet Anlass zu einer Wiederentdeckung der radikalen
Tendenzen der deutschen Arbeiterbewegung und vor allem der KPD. Dabei
sollten auch in Vergessenheit geratene Akteure in den Blick genommen
werden, insbesondere, wenn die Kenntnis ihres Wirkens bei der
Beantwortung aktueller strategischer Fragen einer linken Politik eine
Hilfe sein kann. Zu ihnen gehört auch der zeitweilige KPD-Vorsitzende
Ernst Meyer (1887–1930).
Meyer war Teil einer in den Anfangsjahren der KPD stark präsenten
Grundströmung revolutionärer Marxisten, die aus dem Scheitern isoliert
gebliebener Aufstandsversuche die Notwendigkeit einer kommunistischen
Realpolitik ableiteten. Sie verstanden sich als in der Tradition Rosa
Luxemburgs stehende deutsche Leninisten und versuchten, Kämpfe um
Reformen innerhalb des Kapitalismus mit dem Ziel seiner revolutionären
Überwindung konzeptionell zu verbinden. Sie traten ein für eine
Einheitsfrontpolitik gegenüber SPD und Gewerkschaften, für einen
tatsächlich demokratischen Zentralismus in der KPD und für eine gewisse
Unabhängigkeit von Moskau. Stärker noch als andere dieser heterogenen
Grundströmung zuzuordnende Persönlichkeiten wie etwa Paul Levi, Clara
Zetkin, Heinrich Brandler und August Thalheimer ist Ernst Meyer in
Vergessenheit geraten. Dabei war er einer ihrer herausragenden
Protagonisten.
Der vergessene Parteiführer
1908 in die SPD eingetreten,
war Meyer im Ersten Weltkrieg ein wesentlicher Organisator der
konspirativen Untergrundarbeit der Spartakusgruppe und spielte eine
wichtige Rolle in der Novemberrevolution. Er entging nur knapp dem
Schicksal seiner politischen Lehrerin und Freundin Rosa Luxemburg, die
im Januar 1919 von Freikorpssoldaten ermordet worden war. In den
Anfangsjahren der Weimarer Republik war Meyer fast ununterbrochen in der
Führung der KPD und zwischen 1921 und 1924 deren Fraktionsvorsitzender
im Preußischen Landtag. Als KPD-Vorsitzender zwischen 1921 und 1922
konnte er auf Luxemburg zurückgehende Vorstellungen einer revolutionären
Realpolitik umsetzen. Dies gilt vor allem für die
Einheitsfrontstrategie, die er maßgeblich entwickelte. Seine Zeit an der
Spitze der KPD liefert zudem ein anschauliches Beispiel für das hohe
Maß an Demokratie in der jungen KPD. Im »Deutschen Oktober« 1923 lehnte
er die rein militärischen Aufstandsvorbereitungen seines Nachfolgers
Heinrich Brandler ab. Meyer argumentierte, der Aufstand müsse aus einer
Zuspitzung der sozialen Kämpfe hervorgehen. Er gehörte zu den frühesten
und schärfsten Kritikern des schließlich fast kampflosen Verzichtes auf
einen Revolutionsversuch. Zwischenzeitlich an den Rand gedrängt, wurde
er 1927 noch einmal der eigentliche Parteiführer. Der Durchsetzung von
Parteistrukturen nach Moskauer Vorstellungen stemmte er sich entgegen,
verteidigte engagiert das Erbe Luxemburgs, die innerparteiliche
Demokratie und die Einheitsfrontpolitik. Ohne Erfolg: In den
Auseinandersetzungen innerhalb der KPD aufgerieben und an der
bürokratischen und autoritären Degeneration der kommunistischen
Weltbewegung verzweifelnd, starb er 1930 im Alter von nur 42 Jahren an
Tuberkulose.
In unterschiedlichem Maße konnte Meyer in verschiedenen Phasen der
kommunistischen Bewegung seinen Stempel aufdrücken. Dies galt
insbesondere für die Zeit zwischen dem Jenaer und dem Leipziger
Parteitag (August 1921 bis Januar 1923), als er an der Spitze der KPD
stand. Sein bedeutendster Verdienst als Vorsitzender war die Festigung
der damals noch sehr jungen Partei. Gerade erst mit dem linken Flügel
der USPD vereint, steckte die KPD nach dem katastrophalen Ausgang der
»Märzaktion« 1921, jener von KPD, KAPD und anderen linksradikalen Kräfte
initiierten bewaffneten Arbeiterrevolte in der Industrieregion um
Halle, Leuna, Merseburg und im Mansfelder Land, in einer schweren Krise.
Unter Meyers Leitung konnten größere Abspaltungen vermieden, die zuvor
starken Mitgliederverluste gestoppt und sogar 44.000 neue Mitstreiter
gewonnen werden. Der kommunistische Einfluss in den Gewerkschaften, aber
auch bei Wahlen, stieg deutlich an. Die KPD konnte mit Meyer als
Vorsitzendem ihre Identität als jene Massenpartei entwickeln und
festigen, die sie bis zum Ende der Weimarer Republik bleiben sollte. Er
trug zu dieser Konsolidierung vor allem auf zwei Ebenen bei: zum einen
durch seinen ausgleichenden und integrativen Führungsstil, der es der
heterogenen Partei ermöglichte, eine gemeinsame politische Praxis zu
entwickeln. Zum anderen gelang ihm durch die Einheitsfrontpolitik eine
Veränderung der Beziehungen der KPD zur nichtkommunistischen Mehrheit
der Arbeiterschaft.
1927 stand Meyer erneut – nun neben seinem Gegenspieler Ernst
Thälmann – für einige Monate an der Spitze der KPD und hatte noch einmal
prägenden Einfluss auf deren Politik. Auch in dieser Zeit wuchs die
Partei, steigerte sie ihren Einfluss und festigte ihre Substanz durch
intensive Bildungsarbeit, gerade auch auf dem ihm so wichtigen Feld der
Parteigeschichte. Seinen Beitrag zu einer positiven Entwicklung leistete
Meyer auf die gleiche Weise wie schon 1921/22: Sein Führungsstil
förderte die strömungsübergreifende Zusammenarbeit in der Parteiführung,
und es gelang ihm erneut, seine Einheitsfrontpolitik durchzusetzen.
Protagonist der Einheitsfront
Die Weiterentwicklung und
Anwendung der auf dem III. Weltkongress der Komintern 1921
verabschiedeten Einheitsfrontstrategie ist Meyers eigenständiger Beitrag
zur kommunistischen Theorie und Praxis. Bei der Einheitsfront handelt
es sich um das Konzept einer revolutionären Realpolitik, also den
Versuch, in einem nichtrevolutionären Umfeld eine massenwirksame
revolutionäre Politik zu betreiben. Wenn die unerlässliche Voraussetzung
einer Revolution die Gewinnung proletarischer Mehrheiten für den
Kommunismus ist (und hierin war Meyer unbedingt ein Schüler Rosa
Luxemburgs), diese Mehrheiten aber noch der Sozialdemokratie folgen, so
musste die KPD nach Wegen suchen, sie von der SPD zu lösen. Als
effektivstes Mittel hierfür sah Meyer die Einheitsfrontstrategie. Bei
dieser war nicht mehr die Radikalität einer Forderung an sich das
entscheidende Kriterium, sondern die Frage, ob sie zu breit getragenen
außerparlamentarischen Kämpfen der gesamten Arbeiterschaft führen und
eine radikalisierende, über den parlamentarischen Horizont
hinausweisende Dynamik entfalten könne. Dabei bildeten der Kampf für
konkrete Verbesserungen und die Perspektive einer revolutionären
Umwälzung der Gesellschaft keinen Gegensatz, sondern eine innere
Einheit. Dieses Herangehen machte auch Angebote an die SPD für
gemeinsame Aktionen erforderlich. Unerlässliche Voraussetzung blieb,
dass die Kommunisten ihre organisatorische Unabhängigkeit und die
Freiheit zur – auch öffentlichen Kritik – an ihren Bündnispartnern
bewahrten.
Wie wenig Meyer zu Dogmatismus oder Opportunismus neigte, zeigt sich
in der Frage einer möglichen »Arbeiterregierung«, also einer gemeinsamen
Regierung von Sozialdemokraten und Kommunisten. Die Strategie eines
gemeinsamen Kampfes der Arbeiterparteien für konkrete Forderungen musste
notwendig die Frage aufwerfen, welche Regierung diese schließlich
umsetzen sollte. Meyer lehnte eine langfristige Strategie von
Regierungsbeteiligungen ab, die auf eine schrittweise Überwindung des
Kapitalismus durch Reformen abzielte. Eine solche schien für ihn auf
eine Integration in den Kapitalismus, eine Politik des
Stellvertretertums und damit auf die Aufgabe der revolutionären
Perspektive überhaupt hinauszulaufen. Zugleich verwarf er aber auch die
vom linken Flügel der KPD und der Komintern vertretene Annahme, unter
einer Arbeiterregierung dürfe nichts anderes verstanden werden als die
Diktatur des Proletariats. Ihm galt die Arbeiterregierung hingegen als
eigenständiges Element einer sozialistischen Transformationsstrategie:
Vor dem Hintergrund sich zuspitzender Klassenkämpfe und einer Offensive
des Proletariats könne sie dazu beitragen, die Bourgeoisie zu schwächen.
Dafür müsse sich eine Arbeiterregierung nicht nur auf das Parlament,
sondern vor allem auf Einheitsfrontorgane der Arbeiterschaft
(Betriebsräte, Kontrollausschüsse, proletarische Hundertschaften)
stützen und diesen gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Sie könne die
Stellung der Arbeiterklasse deutlich stärken, etwa indem sie eine
Produktionskontrolle durch die Arbeiterschaft und drastisch höhere
Steuern für die Reichen durchsetze, die faschistischen Organisationen
ent- und die Arbeiterschaft bewaffne. So verstanden könne eine
kommunistische Regierungsbeteiligung als ein Sprungbrett zur
Rätedemokratie und zum Sozialismus fungieren.
Zu keinem Zeitpunkt bedeuteten Meyers realpolitische Konzepte ein
Abrücken von der Perspektive einer revolutionären Überwindung des
Kapitalismus. Im Gegenteil: Sie stehen für den Versuch, das Ziel der
Revolution auch unter den Bedingungen eines relativ stabilen
Kapitalismus zu erreichen.
Mal Partner, mal Gegenspieler in der KPD. Aber im
Zweifel wollte Meyer lieber mit Thälmann (hier auf einer Kundgebung um
1930) gehen als mit Brandler
Foto: picture alliance/CPA Media
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Ernst Meyer war wohl diejenige Führungsfigur der KPD, die durch
verschiedene Phasen der Parteientwicklung hindurch am entschiedensten
die Notwendigkeit von innerparteilicher Demokratie und
Diskussionsfreiheit betonte. Ununterbrochen trat er dafür ein,
politische Konflikte politisch, durch breite Diskussion und Überzeugung,
zu lösen. Ausschlüsse nach intensiven inhaltlichen Debatten galten ihm
als letztes, manchmal aber auch notwendiges Mittel.
Administrativ-bürokratische Methoden zur »Lösung« innerparteilicher
Differenzen waren ihm ein Greuel. Schon 1921/22 trat er für die
Integration unterschiedlicher Positionen und Strömungen in eine
gemeinsame, damit faktisch plurale kommunistische Partei ein. In den
späten 1920ern trug ihm dieser Umgang mit der »rechten« Opposition der
KPD die diffamierend gemeinte Bezeichnung »Versöhnler« ein.
Dabei bewegte er sich immer im Spannungsfeld zwischen Diskussion und
Demokratie einerseits und effektivem und zentralisiertem Handeln
anderseits. Dies war für ihn eine doppelte Lehre, die er aus der
Entwicklung der SPD gezogen hatte: So hatte der Kampf gegen den
Parteiapparat und dessen bürokratische Methoden in der Weltkriegszeit
ihn die Notwendigkeit parteiinterner Demokratie gelehrt. Zugleich kam er
zu der Ansicht, dass eine verbindliche gemeinsame Praxis wichtig ist,
nachdem er in der SPD Erfahrungen mit einer Partei gemacht hatte, die
eben keine mit ihrem radikalen Programm korrespondierende Praxis
entwickelt hatte und so trotz aller kriegskritischen Rhetorik in das
Fahrwasser des Imperialismus geriet.
Diese Erfahrungen machten ihn zu einem leidenschaftlichen Anhänger
des demokratischen Zentralismus. Dessen Prinzipien lauteten nach Meyers
Verständnis: Freiheit der Diskussion nach innen, Einheit in der Aktion
nach außen und Unterordnung der Minderheit unter gemeinsam gefasste
Beschlüsse bzw. demokratisch gewählte Gremien. Dabei betonte er stark
das demokratische Element. Sein Ansatz unterschied sich deutlich von dem
Modell eines in der Realität bürokratischen Zentralismus ohne echte
Diskussionsfreiheit, das später in den stalinisierten kommunistischen
Parteien dominant war. Zeit seines Lebens hielt Meyer an seinen
parteidemokratischen Vorstellungen fest.
Kopf der »Versöhnler«
Aus der Kritik an der
»Oktoberniederlage« 1923 ging eine sich um Meyer gruppierende Strömung
hervor, die in den folgenden Jahren für eine Fortsetzung einer
revolutionären Realpolitik eintrat und zeitgenössisch als Meyer- oder
Mittelgruppe bezeichnet wurde. Ihren Anhängern – u. a. Arthur Ewert,
Gerhart Eisler, Hugo Eberlein, Jacob Walcher und Meyers Trauzeuge Paul
Frölich – galt die Einheitsfrontstrategie unter nichtrevolutionären
gesellschaftlichen Bedingungen als elementares Instrument zur Gewinnung
proletarischer Mehrheiten für den Kommunismus. Als humanistische
Marxisten gerieten sie in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in
Gegnerschaft zu den von dem Historiker Hermann Weber als
»Stalinisierung« beschriebenen Prozessen eines Abbaus der
innerparteilichen Demokratie in der kommunistischen Bewegung. Sie
verteidigten die emanzipatorische Tradition des revolutionären Marxismus
gegen das zusehends bürokratisch-autoritäre Parteiregime und traten für
eine revolutionäre Realpolitik im Gegensatz zum zunehmend abstrakt
revolutionistischen Kurs der Parteiführung ein.
Dabei gab es starke inhaltliche Überschneidungen zwischen
»Versöhnlern« und den »KPD-Rechten« um Heinrich Brandler. Differenzen
bestanden vor allem in der Einschätzung der Oktoberniederlage 1923:
Während Brandler sie als Ausdruck objektiver Kräfteverhältnisse wertete,
sah Meyer die Ursache in der in seinen Augen falschen und
opportunistischen Auslegung der Einheitsfrontstrategie durch die
Brandler-Führung. Ein weiterer Unterschied bestand in der Einschätzung
der Parteilinken um Thälmann: In Meyers Augen bestand sie aus
aufrichtigen revolutionären Arbeitern, deren Abkehr von der
Einheitsfront als Konsequenz aus 1923 er zwar inhaltlich verurteilte,
aber durchaus auch als psychologisch nachvollziehbare Reaktion auf die
Niederlage betrachtete. Meyers Strategie war, Thälmann und seine
Anhänger von den Ultralinken um Ruth Fischer zu lösen und für eine
»Führung der Konzentration« gemeinsam mit seiner Mittelgruppe zu
gewinnen. Durch praktische Zusammenarbeit hoffte Meyer, sie von der
Richtigkeit der Einheitsfront überzeugen zu können. Tatsächlich kehrte
die KPD 1926/27 vorübergehend zu diesem Kurs zurück, und es bildete sich
eine Parteiführung um Thälmann und Meyer.
Als in der Folge des VI. Weltkongresses der Komintern die russischen
Fraktionskämpfe zwischen dem »rechten« Nicolai Bucharin und dem
neuerdings »linken« Josef Stalin auch auf die KPD übertragen wurden,
standen die »rechten« Anhänger Brandlers bald vor dem Ausschluss aus der
Partei. In Ernst Meyer fanden sie ihren engagiertesten Verteidiger: Er
bestand auf innerparteilicher Demokratie und Diskussionsfreiheit und
stemmte sich gegen die organisatorische Auflösung politischer Konflikte
durch Ausschluss langjähriger und erfahrener Genossen. Vergeblich: zur
Jahreswende 1928/29 sahen sich die Brandler-Leute gezwungen, eine eigene
Organisation, die KPD-Opposition, zu gründen. Eine Reihe ehemaliger
Anhänger Meyers schloss sich an. Meyer selbst, der in der Vergangenheit
häufig betont hatte, im Zweifel lieber mit Thälmann als mit Brandler zu
gehen, blieb in der Partei. In den Monaten bis zum Weddinger Parteitag
im Juni 1929 kämpfte er mit dem Rücken zur Wand gegen den Abschluss der
Stalinisierung des deutschen Kommunismus und gegen das Aufkommen der
verhängnisvollen »Sozialfaschismusthese«, derzufolge die
Sozialdemokratie objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus sei.
Meyers »Versöhnler« erlitten als letzte verbliebene innerparteiliche
Oppositionsgruppe auf dem Parteitag ihre finale Niederlage. Um auch nach
dem Ende innerparteilicher Demokratie und Diskussionsfreiheit in der
Partei bleiben zu können, sahen sich viele seiner Weggefährten zu
Kapitulation und Anpassung gezwungen. Ein Weg, dem sich Meyer
verweigerte: Bis zu seinem frühen Tod blieb er in offener Opposition zum
Kurs der Parteiführung.
Selbstbewusste Traditionsbildung
Um den Kapitalismus im 21.
Jahrhundert überwinden zu können, muss die sozialistische Bewegung
wieder eine Massenbasis finden. Dies wird ihr nur gelingen, wenn sie
glaubhaft für eine Einheit von Sozialismus und Demokratie und für die
Emanzipation der Arbeiterklasse als Vorbedingung einer Emanzipation der
Menschheit von allen Formen von Ausbeutung und Unterdrückung eintritt.
Für eine selbstbewusste Bezugnahme auf die emanzipatorischen Traditionen
der revolutionären Arbeiterbewegung bietet sich – neben anderen –
insbesondere auch Ernst Meyer an, kann gerade die Auseinandersetzung mit
ihm doch strategisches Lernen in der Linken heute befördern.
Im Falle Meyers haben insbesondere seine Einheitsfrontpolitik und
seine Haltung zu Arbeiterregierungen starke aktuelle Bezüge: zum
Verhältnis radikaler Linker zu Sozialdemokratie und Gewerkschaften, zu
Fragen linker Hegemonie heute und zu den andauernden Debatten über das
strategische Ziel linker Regierungsbeteiligungen. In der
Auseinandersetzung mit Meyer lässt sich verdeutlichen, dass Kämpfe um
konkrete Reformen und die systemüberwindende revolutionäre Perspektive
keineswegs Gegensätze sein müssen, sondern eine organische Einheit
antikapitalistischer Strategien bilden können. Dogmatismus und die
autoritäre Herrschaft des Parteiapparats waren keineswegs von Anbeginn
dem kommunistischen Projekt eingeschrieben, im Gegenteil: Im ersten
Jahrzehnt ihres Bestehens war die KPD eine überaus lebendige, plurale
und diskussionsfreudige Partei mit einem hohen Maß an innerparteilicher
Demokratie. Der Blick auf Akteure wie Meyer kann helfen, das Potential
einer alternativen Entwicklung der kommunistischen Bewegung zu erkennen.
Die verschüttete und in Vergessenheit geratene Grundströmung jener
Leninisten innerhalb der KPD, die in der Tradition Rosa Luxemburgs
standen, bietet sich für all jene als Bezugspunkt an, die selbstbewusst
an revolutionäre Traditionen anknüpfen wollen und nach historischen
Bezugslinien für den Aufbau einer massenhaften sozialistischen Bewegung
im 21. Jahrhundert suchen.