Donnerstag, 31. Mai 2018

Hartz IV-System ist zu teuer: Zu Lasten der Leistungsberechtigten

Hartz IV-System muss überprüft werden

Das Hartz IV-System ist mit einem erheblichen bürokratischen Aufwand verbunden. Dieser Aufwand kostet Geld. Im letzten Jahr wurden daher 911 Millionen EUR in den Verwaltungshaushalt des Jobcenters umgeschichtet. Diese Summe war jedoch für die Förderung und Qualifizierung von Hartz IV-Leistungsbezieher vorgesehen.

Chef der Bundesagentur für Arbeit stimmt ebenfalls für eine Entbürokratisierung

Die Kosten für das System Hartz IV in Höhe von 911 Millionen EUR machen sich bemerkbar. Dies sind 147 Millionen EUR mehr als im Jahr 2016. Der Chef der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, stimmt daher ebenfalls für eine Entbürokratisierung des Hartz IV-Systems. Er fordert mehr Pauschalen und einheitliche Anrechnungsvorschriften.

Umgeschichtetes Geld kommt den Hartz IV-Beziehern zugute

Durch die Umschichtung in den Verwaltungshaushalt arbeitet nunmehr jeder zweite Jobcenter-Mitarbeiter an einem Hartz IV-Bescheid. Vor der Umschichtung war es jeder fünfte Mitarbeiter. Hierdurch soll eine schnellere Bearbeitung sichergestellt werden und das Geld indirekt den Hartz IV-Beziehern zugutekommen. Nichtdestotrotz fehlen die 911 Millionen EUR für Fort- und Ausbildungsmaßnahem. Hartz IV-Bezieher könnten hierdurch der Möglichkeit beraubt werden, dem Hartz IV-System zu entkommen.

Probleme, die das Hartz IV-System mit sich bringt

Durch das undurchsichtige Hartz IV-System kommt es häufiger zu Problemen. Nicht umsonst wird eine Vereinfachung gefordert. Eins der häufigsten Probleme bildet die temporäre Bedarfsgemeinschaft. Haben Hartz IV-Bezieher ein Kind, leben aber getrennt voneinander, müssen diese nachweisen, wann und wie lange das Kind bei wem war. Grund hierfür ist, dass der Bedarf des Kindes dann anteilig den getrenntlebenden Eltern bewilligt wird. Diese Überprüfung ist umfangreich und daher fehleranfällig.
Ein weiterer Fehler liegt bei der Übernahme für die Kosten der Unterkunft. 20 Prozent aller Bescheide weisen diesen Fehler auf. Grund hierfür ist, dass das Jobcenter lediglich Unterkunftskosten übernehmen muss, die auch angemessen sind. Hier wird eine präzisere Begründung bei der Ablehnung durch das Jobcenter gefordert, um die Angemessenheitsvorschriften des Jobcenters besser nachvollziehen zu können.

Misshandlungsvorwürfe gegen Leipziger Polizei


Wurden Jugendliche nach einer Festnahme durch Beamten malträtiert? Die »Rote Hilfe« erhebt schwere Vorwürfe

 

Es sind schwere Vorwürfe, die eine jüngst veröffentlichte Mitteilung der Rechtshilfeorganisation Roten Hilfe gegen die Leipziger Polizei erhebt. An Abend des 25. April haben Polizisten in dem Stadtteil Connewitz eine Gruppe von Jugendlichen aufgegriffen. Sie erwischten die Jugendlichen dabei, wie sie eine Wand mit Farbe besprühten. Die Beamten sollen mit Gewalt reagiert haben.
Die Rote Hilfe, die Menschen unterstützt, die auf Grund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden, gibt in ihrer Mitteilung an, die Betroffenen seien noch vor Ort von den Beamten bedroht und beleidigt worden. Den Jugendlichen soll »in Bauch, die Rippen und auf den Kopf geschlagen« worden sein. Nach dem Transport in den nahegelegenen Polizei-Posten in der Wiedebachpassage im Leipziger Süden soll die Schikane weitergegangen sein. Einem »gefesselten, wehrlosen Genossen« seien unter »Friss, Friss, Friss« Rufen »Tascheninhalt, Geldscheine und ein Feuerzeug in den Mund gestopft« worden. Ein anderer »Genosse« sei auf einem leeren Stuhl kniend immer wieder »im Genick gepackt und hochgezogen« worden sein. Beschwerden, Einsprüche und Fragen nach Dienstnummern der Polizisten sollen mit »weiteren Gewaltandrohungen und Beleidigungen« quittiert worden sein.
 Nach einer Identitätsfeststellung haben die Jugendlichen die Wache zwei Stunden später wieder verlassen können.
Polizeisprecher Andreas Loepki bestätigte gegenüber »nd«, dass es an besagtem Abend Festnahmen von vier Jugendlichen gegeben hat. Ebenfalls bestätigte er, dass aufgrund eines Schreibens seitens einer Rechtsanwältin, welche einen der beschuldigten Jugendlichen vertritt, interne Ermittlungen gegen die beschuldigten Beamten aufgenommen worden sind. Die Vorwürfe seien aber laut Loepki »zu allgemein« um eine Suspendierung der Polizisten zu rechtfertigen. Die Mitteilung der Roten Hilfe bezeichntete Loepki gegenüber »nd« als unseriös. Er würde dem Verein »jedwede Objektivität absprechem«.
 Der Polizeiposten in der Wiedebachpassage, in dem die Jugendlichen misshandelt worden sein sollen, ist seit seiner Einführung umstritten. Anwohner klagen gegenüber »nd« über eine »zunehmende Überwachung im Kiez«.
Jona, ein Sprecher der Roten Hilfe Leipzig beschrieb die Situation auf »nd«-Nachfrage in dem Leipziger Stadtteil Connewitz als »aufgeheizt«. »Seit Jahren steht das Viertel unter Generalverdacht. Das so etwas in dieser Stimmung passiert ist tragisch, aber es kommt für uns nicht gänzlich überraschend«.
Die Solidaritätsorganisation unterstütze die Jugendlichen, die alle unter sechzehn Jahre alt sind, nach den Geschehnissen. Nach den Vorkommnissen habe man eine intensive Diskussion darüber geführt, ob und in welcher Form man mit den Ereignissen an die Öffentlichkeit gegen sollte. Die Angst war groß, dass die Polizei mit Gegenanschuldigungen antwortet und eventuell ein Verfahren wegen Verleumdung eröffnet. Deshalb ist auch bisher noch keine Anzeige von den Betroffenen wegen Körperverletzung eingegangen. »Vor Gericht haben solche Verfahren unserer Erfahrung nach wenig Aussicht auf Erfolg«, meint Jona gegenüber »nd«.
Tatsächlich ist in Sachsen die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Polizeibedienstete wegen Körperverletzung im Amt so hoch wie noch nie, während sich die Zahl der tatsächlichen Anklagen auf einem historischen Tief befindet. Nach Angaben des Justizministeriums erhöhte sich 2016 die Zahl der Ermittlungsverfahren im Vergleich zum Vorjahr um 55 Prozent von 274 auf 425 Beschuldigte, die Zahl der vor Gericht angeklagten Fälle aber sank von vier auf drei Prozent.
Letztlich habe aber für die Rote Hilfe überwogen, dass man die Öffentlichkeit über die Geschehnisse informieren wollte. »Da sind Jugendliche festgenommen worden, nur um sie zu verprügeln, da muss jetzt ein politischer Aufschrei kommen«, sagte Jona gegenüber nd.
Die Polizei sieht scheinbar tatsächlich Handlungsbedarf. In einem Schreiben, dass »nd« vorliegt, fordert der »Staatsschutz Dezernat 5« Anwohner dazu auf, Anzeige zu erstatten, wenn ihre Häuser durch Graffiti »beschädigt« worden sind. In dem Schreiben werden alle vier beschuldigten Jugendlichen mit ihrem vollen Namen genannt. Polizeisprecher Loepki rechtfertigt das Vorgehen, da es sich in dem Fall um ein Antragsdelikt handelt, dem grundsätzlich nur auf Antrag des Geschädigten nachgegangen werden kann.
Darüber, was die Jugendlichen am Ende gesprüht haben sollen, machen Polizei und Rote Hilfe unterschiedliche Aussagen. Während die Polizei vermeldet, die Sprayer hätten »Kill Cops« an die Wand gemalt, sprich die Rote Hilfe von »mobilisierenden Parolen gegen den Naziaufmarsch am 1. Mai in Chemnitz«.

Eine gelungene Besetzung


Menschen mit Beeinträchtigung und ihre Angehörigen erkämpfen einen Teilerfolg

 

Über einen Monat lang besetzten Eltern zusammen mit ihren Kindern mit Beeinträchtigung das polnische Parlament. Am vergangenen Sonntag haben sie ihren Protest beendet - nachdem die Regierung ihnen versichert hatte, die Sozialrenten für Menschen mit Behinderung um 19 Prozent auf umgerechnet 250 Euro anzuheben. Den von den Familien eingeforderten Pflegezuschuss von 120 Euro lehnt die rechte Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) jedoch weiterhin ab und bietet stattdessen kostenlose Sachleistungen an, beispielsweise Rollstühle.
»Unser Kampf ist noch keineswegs vorbei, wir werden ihn auf eine andere Weise fortsetzen«, sagte die Sprecherin der Protestaktion Iwona Hartwich. Ihr Sohn Kuba hat mittlerweile Berühmtheit erlangt.
 Die Eltern harrten wochenlang in den Fluren des Sejms aus, schliefen auf dem Fußboden, organisierten Pressekonferenzen und kümmerten sich zugleich um ihre Kinder. Bereits am dritten Tag der »Besetzung« besuchte Polens Staatsoberhaupt Andrzej Duda die protestierenden Eltern, später gesellte sich auch Premier Mateusz Morawiecki dazu.
Zuvor wurden Polens Minister immer wieder von den verärgerten Müttern harsch zurückgewiesen. Die Zugeständnisse waren zu gering. Auch wurden die Eltern vom Sicherheitspersonal daran gehindert, auf dem Parlamentsgebäude Transparente anzubringen. Zum Teil spielten sich tumultartige Szenen ab. Eine Einigung war zunächst nicht in Sicht. Dafür allgegenwärtig: die Kameras. Die erhöhte Aufmerksamkeit wussten auch die Opposition und politische Prominenz für sich zu nutzen.
Es verging kaum ein Tag, an dem Abgeordnete auf »absteigendem Ast« nicht einen Menschen im Rollstuhl vor sich herschoben. »Ich arbeite seit Jahren mit vielen Organisationen zusammen, die sich für Menschen mit Behinderung einsetzen. Ich habe dort niemals einen der Politiker getroffen, die heute im Sejm so regsam ihre Anteilnahme kundtun«, bedauert der Blogger Rafał Szymański. Am 21. Mai besuchte auch der frühere polnische Präsident Lech Wałęsa die unbeugsamen Eltern.
Ob dies tatsächlich etwas bewegt hat, bleibt abzuwarten. In der Presse wurde der Blitzbesuch Wałęsas zum Teil als ein »mediales Trauerspiel« abgetan. Ebenso häuften sich im Laufe des Protests die kritischen Stimmen von Menschen mit Beeinträchtigungen, die den Müttern im Sejm vorwarfen, ihre wichtige Aktion zu einer »Reality Show« verkommen zu lassen. Zeitweilig kursierte gar der Verdacht, manche Eltern würden gezielt eingesetzt werden, um Wahlkampf zu betreiben. Eine Mutter hatte vor den Kameras dazu aufgerufen, bei den Kommunalwahlen »bloß nicht die PiS« zu wählen. »Die Eltern im Parlament sprechen nicht für uns alle«, hieß es dazu.
Es gibt Millionen Menschen mit Behinderung in Polen, die eine Verbesserung ihrer Situation fordern. »Wenn aber jeder von uns den Sejm belagert, würde es die Arbeit der Regierung lähmen. Machen wir uns doch nichts vor: Die Probleme waren doch vorher auch schon da«, sagt Bawer Aondo-Aka, promovierter Philosoph, der seit seiner Kindheit im Rollstuhl unterwegs ist.
Dessen ungeachtet wurde Kubas Mutter, Iwona Hartwich, dennoch von einer jubelnden Menge empfangen, als sie das Parlamentsgebäude verließ. Denn unabhängig vom medialen Spektakel macht sie zweifellos auf die reale Situation aufmerksam: Der aktuelle Zustand der Behindertenpflege in Polen ist nicht nur ungerecht, sondern wurde in einem Gutachten gar als verfassungswidrig eingestuft.
Viele Eltern können nicht berufstätig sein, da sie ihre Kinder pflegen. Dafür bekamen sie jedoch bisher nicht mehr als 350 Euro im Monat. Und dies auch nur, insofern keine weiteren Einkommen erzielt werden. Wenn die pflegebedürftigen Kinder volljährig werden, verfällt auch diese ohnehin geringe monatliche Unterstützung. Unrecht hat Hartwich wohl nur, wenn sie behauptet, die PiS verachte die »schwächste Gruppe der Gesellschaft«. Das Gutachten des Verfassungsgerichts wurde 2014 veröffentlicht und wurde von der liberalen Vorgängerregierung ignoriert.

Geldstrafe für vermeintliche Polizistenbeleidigung


Verfahren gegen Göttingerin wegen Beleididigung eines Polizisten eingestellt / Ihr Sohn war zuvor von Beamten zusammengeschlagen worden

 

»Nicht sanktionslos, aber auch nicht strafwürdig«: So fasste der Göttinger Amtsrichter Julian Oelschlägel am Donnerstag seinen Urteilsspruch gegen eine G20-Gegnerin aus der Universitätsstadt zusammen. Das Verfahren gegen sie wegen Beleidigung eines Polizisten wurde gegen eine Erklärung der Beschuldigten sowie eine Geldauflage eingestellt - die 61-jährige Annette R. muss 200 Euro an den Arbeitskreis Asyl in Göttingen zahlen. Sie soll zu dem Beamten »Sie sind das Allerletzte!« gesagt haben. Der Prozess fand statt, weil die Frau zuvor Widerspruch gegen einen Strafbefehl in Höhe von 400 Euro eingelegt hatte.
Am 5. Dezember des vergangenen Jahres hatte die Polizei in Göttingen zwei Wohnungen mutmaßlicher Aktivisten gegen den G20-Gipfel durchsucht, darunter auch das Haus, in dem R. mit ihrer Familie lebt. Dabei wurden etliche Gegenstände beschlagnahmt. Vier Tage später demonstrierten in der Stadt etwa 700 Menschen gegen die Razzien. Ein Video und mehrere Zeugenaussagen dokumentieren, wie Polizisten an einer Sperre den Demo-Ordner Marian R. zusammenschlugen. Er ist der Sohn von Annette R.
Auf dem zehnminütigen Film ist zu sehen, wie der junge Mann mehrere Schläge ins Gesicht erhält und zu Boden geht. Er wird am Kopf im Würgegriff hinter die Polizeikette gezogen und auf den Boden fallen gelassen. Ein Beamter kniet auf seinem Nacken. Marian R. ringt nach Luft, verliert zeitweise das Bewusstsein. Seine Hände werden mit Kabelbindern auf dem Rücken fixiert. Polizisten schleifen ihn an den Armen über die Straße und legen ihn vor einem Polizeibus ab. »Er ist mein Sohn, er ist mein Sohn«, schreit die aufgebrachte Mutter: »Holt einen Arzt«. Auch andere Demonstranten rufen nach medizinischer Hilfe. Doch statt ins Krankenhaus bringen die Beamten den Ordner auf die Polizeiwache.
Annette R. erfährt davon erst einige Zeit später. Als sie am Abend in Begleitung eines Arztes am Revier auftaucht, ist ihr verletzter Sohn bereits nach Hause geschickt worden. Beamte weisen die Frau vom Gelände, in diesem Zusammenhang sollen die beleidigenden Worte gefallen sein. »Frau R. befand sich in einer emotionalen Situation«, sagte ihr Anwalt Sven Adam am Donnerstag. »Die Mutter ist erregt und darf nicht zu ihrem Sohn.« In diesem Kontext sei die angeklagte Äußerung, sollte sie überhaupt so getätigt worden sein, doch wohl »menschlich verständlich.«
 Als Zeugen hatte das Gericht den Polizeibeamten Jan G. geladen. Er habe die ihm »vom Sehen« bekannte Frau gebeten, das Grundstück zu verlassen, sagte G. aus. Er könne sich zwar nicht mehr daran erinnern, dass R. die betreffenden Worte »hundertprozentig so als Zitat« benutzt habe. Sinngemäß aber schon: »Für mich kam es so rüber, als wäre ich gemeint«, erklärte G. Er habe sich »sowohl selbst als auch als Polizeibeamter beleidigt gefühlt.« Am folgenden Tag erstatte G. Anzeige. Von den Ereignissen bei der Demonstration, über die bundesweit berichtet worden war, will der Beamte auch im Nachhinein nichts mitbekommen haben: »Ich lese keine Zeitung.«
Bereits früh ließ Richter Oelschläger durchblicken, dass eine Verurteilung für ihn kaum in Betracht komme, eine Einstellung des Verfahrens ohne Auflagen aber auch nicht. Der die Anklage vertretende Rechtsrefrendar bestand nach telefonischer Rücksprache mit seiner Behörde zunächst auf einer formellen Entschuldigung der Angeklagten, was sie und ihr Anwalt aber ablehnten.
Schließlich einigten sich die Beteiligten auf eine Formulierung. »Es ging an dem Tag nicht um Sie persönlich«, sagte R. an G. gewandt. Das könne er »so annehmen«, erwiderte dieser. Und Rechtsanwalt Adam erklärte: »Wir können mit der Einstellung leben.« Das »große Fass« wolle er dann bei anderer Gelegenheit aufmachen. Adam vertritt auch Marian R., der wegen der Ereignisse bei der Demonstration am 9. Dezember Beamte angezeigt hat.

"Wegeunfähigkeitsbescheinigung", "Bettlägerigkeitsbescheinigung" - Hier alles Wichtige!

Hier möchte ich für alle Betroffenen noch einmal erklären, warum euer Jobcenter von euch keine Wegeunfähigkeitsbescheinigung, Bettlägerigkeitsbescheinigung oder ein anders lautendes, nicht näher definiertes "Attest" eines Arztes verlangen darf außer der altbekannten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung.

Gefordert wird diese Bescheinigung, ugs. auch "WUB" genannt, meistens in Meldeaufforderungen nach § 59 SGB II i. V. m. § 309 SGB III. Prima, dann sehen wir uns zunächst diese Paragrafen genauer an.
§ 59 SGB II verweist lediglich auf § 309 SGB III, weshalb wir direkt dorthin springen, wo es heißt:

Ist die meldepflichtige Person am Meldetermin arbeitsunfähig, so wirkt die Meldeaufforderung auf den ersten Tag der Arbeitsfähigkeit fort, wenn die Agentur für Arbeit dies in der Meldeaufforderung bestimmt. (vgl. § 309 Abs. 3 SGB III)
Das bedeutet, dass sich der erwerbslose Hilfebedürftige am ersten Tag der Gesundheit unaufgefordert beim JC zu melden hat, wenn das in der Meldeaufforderung gefordert wird. Dieser Paragraf sagt aber nicht nur das, sondern impliziert sogar eindeutig, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein wichtiger Grund ist, den Termin nicht wahrzunehmen.

Gehen wir weiter zum § 56 SGB II, in dem es heißt:

Zweifelt die Agentur für Arbeit an der Arbeitsunfähigkeit der oder des erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, so gilt § 275 Abs. 1 Nr. 3b und Abs. 1a des Fünften Buches entsprechend. (vgl. § 56 Abs. 1 SGB II.

In dem dort genannten § 275 Abs. 1 Nr. 3b und Abs. 1a heißt es:

Die Krankenkassen sind in den gesetzlich bestimmten Fällen oder wenn es nach Art, Schwere, Dauer oder Häufigkeit der Erkrankung oder nach dem Krankheitsverlauf erforderlich ist, verpflichtet, zur Beseitigung von Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst) einzuholen.

Das bedeutet, wenn das JC an eurer AU zweifelt, hat es nicht etwa von dem Arzt, der die AU ausgestellt hat, eine "WUB" zu fordern, sondern den Medizinischen Dienst (MDK) einzuschalten, um jedweden Zweifel an der AU auszuräumen oder diese sogar aufheben zu lassen.

Auch die Bundesagentur für Arbeit schreibt in ihren Geschäftsanweisungen (Punkt 56.6) sinngemäß, dass eine AU einen wichtigen Grund darstelle, dass eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vorliegt. Ferner wird auf die Möglichkeit des MDK bei Zweifeln verwiesen und auch, wann diese Zweifel entstehen können (Punkt 56.8).
Von einer "WUB" ist in der gesamten Geschäftsanweisung nichts zu lesen.

In ihrer Geschäftsanweisung zu den Meldeterminen schreibt die BA sinngemäß, dass AU ein wichtiger Grund sei, dem Meldetermin fernzubleiben. Ferner schreibt die BA:

Jedenfalls nach vorheriger Aufforderung kann vom Leistungsberechtigten auch ein ärztliches Attest für die Unmöglichkeit des Erscheinens zu einem Meldetermin verlangt werden (vgl. Bundessozialgericht, Urteil vom 9.11.2010 - Az. B 4 AS 27/10 R - juris Rn. 32).
"AHA", werden jetzt einige rufen, "da haben wir's!"
Nun, zunächst ist eine Geschäftsanweisung sowie ein Urteil des BSG kein Gesetz, sprich, das Sozialgesetzbuch kennt dieses hier nicht näher definierte Attest nicht, weshalb es für das Abfordern nach wie vor keine Rechtsgrundlage gibt.
Dieses BSG-Urteil wird von der BA und den JC gern angebracht, um die Legitimität zu untermauern. Das Urteil bezieht sich jedoch a) auf eine gänzlich andere Fallkonstellation und b) bezieht es sich auf eine alte Rechtslage; aus einer Zeit, in der das SGB die Hinzuziehung des MDK bei Zweifeln an der AU noch nicht kannte. Das Berufen auf dieses Urteil ist also hinfällig, die aktuelle Gesetzeslage ranzuziehen und, siehe da, wir sind wieder beim o. g. § 56 SGB II, wonach bei Zweifeln an der AU der MDK hinzuzuziehen ist.

Es gibt nun mehrere Möglichkeiten, dies dem SB schmackhaft zu machen. Da müsste man dann den Einzelfall sehen, um einen guten Rat geben zu können, abhängig vom Nervenkostüm des ELO.
Ebenso muss man fairerweise sagen, dass es noch immer Gerichte gibt, die anders urteilen und eine Rechtfertgung in einer "WUB" sehen. Allerdings hat sich, in jedem Fall, den ich kenne, der ELO dann selbst ins Aus manövriert. Ich zumindest habe in meiner Stadt das hiesige JC in puncto "WUB" bereits einknicken lassen mit eben den hier genannten Argumenten.

Ein weiterer Grund, weshalb eine WB nicht gefordert und deren Nichtbeibringung nicht sanktionierbar sein kann:
In § 65 SGB I sind die Grenzen der Mitwirkungspflicht eines jeden ELO geregelt:

Die Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 64 bestehen nicht, soweit ihre Erfüllung dem Betroffenen aus einem wichtigen Grund nicht zugemutet werden kann.

Der wichtige Grund liegt auf der Hand. Der ELO hat keinen Einfluss darauf, ob der Arzt eine Bescheinigung ausstellt, zu der er nicht verpflichtet ist. Demnach kann der ELO für das Handeln des Arztes nicht sanktioniert werden.

Ich hoffe, dies für alle Betroffenen verständlich erklärt zu haben. Lasst euch nicht einschüchtern oder anlügen, kämpft für euer Recht!

Musterschreiben Wegeunfähigkeitsbescheinigung

Sie fordern von mir ohne die Nennung einer Rechtsgrundlage neben der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auch noch zusätzlich eine Wegeunfähigkeitsbescheinigung.
Ich fordere Sie hiermit gemäß §15 SGB I auf, mir die Rechtsgrundlage für ein derartiges Abfordern zu benennen.
Ich weise Sie daraufhin, dass gemäß Ihrer eigenen Geschäftsanweisung zu 59-SGB-II-Meldepflicht Rz. 59.10 (siehe auch FH zu § 32 Rz. 32.9) die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich als wichtiger Grund für das Nichterscheinen zu einem Meldetermin anzuerkennen ist.
Sollten Sie sich versehendlich auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 9.11.2010 - Az. B 4 AS 27/10 R berufen wollen, so teile ich weiterführend mit, dass es dort im Tenor um eine wiederholte Nichtwahrnahme zu einem ärztlichen Untersuchungstermin ging und nicht etwa wie vorliegend, um einen Meldetermin in irgendeinem Jobcenter. Auch lag dem Urteil ein gänzlich anderer Sachverhalt zu Grunde.
Solange mir nicht auch die Rechtsgrundlage gemäß Ihrer Auskunftspflicht nach §15 SGB I zum Abfordern einer Wegeunfähigkeitsbescheinigung genannt worden ist, erfülle ich auch mit Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung einen wichtigen Grund zur Nichtteilnahme zu einem Meldetermin. Meine Mitwirkungspflichten zur Darlegung eines wichtigen Grundes sind demnach also auch mit der Vorlage einer AU bereits schon erfüllt.
Dem zusätzlichen Abverlangen zur Vorlage einer Wegeunfähigkeitsbescheinigung kann ich bis zur Widerlegung durch die Nennung einer Rechtsgrundlage nicht entsprechen Nach meinem derzeitigem Kenntnisstand zählt die zusätzliche Vorlage einer Wegeunfähigkeitsbescheinigung gemäß § 65 SGB I ganz offensichtlich nicht zu meinen Mitwirkungspflichten.
Abschließend möchte ich Ihnen auch noch mitteilen, dass ich ein gesondertes Abverlangen von derartigen Bescheinigungen für grob fahrlässig erachte, da so auch Menschen mit ansteckenden Krankheiten in das Jobcenter trotz schwerer Krankheit beordert werden könnten. Ein „Kunde“ der nämlich in etwa an Tuberkulose erkrankt ist, könnte durchaus in der Lage sein einen Meldetermin in einem Jobcenter wahrzunehmen, doch wäre auch gleichzeitig ein hohes Ansteckungspotential für Mitarbeiter und Kunden in den Jobcentern gegeben. Ein derartiges pauschales Abverlangen einer bloßen Wegeunfähigkeitsbescheinigung neben der AU, ist von daher auch nicht nur extrem kurzsichtig, sondern darüber hinaus auch noch grob fahrlässig.
Auch ist oftmals noch nicht einmal eindeutig durch den Arzt festgestellt, warum es denn bestimmten Patienten scheinbar „nur etwas“ schlecht geht!
MfG

Revolutionäre Realpolitik


Der Kommunist Ernst Meyer ist weitgehend vergessen. 1929 endgültig an den Rand gedrängt, betrieb der zeitweilige Vorsitzende der KPD eine Politik im Geiste seiner Lehrerin Rosa Luxemburg

Von Florian Wilde
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Freund der innerparteilichen Demokratie und Diskussionsfreiheit, Gegner administrativ-bürokratischer Maßnahmen. Ernst Meyer (1887–1930)
Florian Wilde: Revolution als Realpolitik. Ernst Meyer (1887–1930) – Biographie eines KPD-Vorsitzenden. UVK-Verlag, Konstanz 2018, 451 Seiten, 29,90 Euro
Florian Wilde ist Gewerkschaftsreferent der Rosa-Luxemburg-Stiftung und Mitglied in der Historischen Kommission der Partei Die Linke.
Kürzlich erschien im UVK-Verlag die von Florian Wilde verfasste Biographie des zeitweiligen KPD-Vorsitzenden Ernst Meyer. Der vorliegende Text Wildes bietet einen knappen Überblick über das Leben und Wirken des Kommunisten Meyer und stellt eine geraffte Zusammenschau der in der Biographie entwickelten Thesen des Autors dar. (jW) Der bevorstehende 100. Jahrestag des Beginns der Novemberrevolution in Deutschland bietet Anlass zu einer Wiederentdeckung der radikalen Tendenzen der deutschen Arbeiterbewegung und vor allem der KPD. Dabei sollten auch in Vergessenheit geratene Akteure in den Blick genommen werden, insbesondere, wenn die Kenntnis ihres Wirkens bei der Beantwortung aktueller strategischer Fragen einer linken Politik eine Hilfe sein kann. Zu ihnen gehört auch der zeitweilige KPD-Vorsitzende Ernst Meyer (1887–1930).
Meyer war Teil einer in den Anfangsjahren der KPD stark präsenten Grundströmung revolutionärer Marxisten, die aus dem Scheitern isoliert gebliebener Aufstandsversuche die Notwendigkeit einer kommunistischen Realpolitik ableiteten. Sie verstanden sich als in der Tradition Rosa Luxemburgs stehende deutsche Leninisten und versuchten, Kämpfe um Reformen innerhalb des Kapitalismus mit dem Ziel seiner revolutionären Überwindung konzeptionell zu verbinden. Sie traten ein für eine Einheitsfrontpolitik gegenüber SPD und Gewerkschaften, für einen tatsächlich demokratischen Zentralismus in der KPD und für eine gewisse Unabhängigkeit von Moskau. Stärker noch als andere dieser heterogenen Grundströmung zuzuordnende Persönlichkeiten wie etwa Paul Levi, Clara Zetkin, Heinrich Brandler und August Thalheimer ist Ernst Meyer in Vergessenheit geraten. Dabei war er einer ihrer herausragenden Protagonisten.

Der vergessene Parteiführer

1908 in die SPD eingetreten, war Meyer im Ersten Weltkrieg ein wesentlicher Organisator der konspirativen Untergrundarbeit der Spartakusgruppe und spielte eine wichtige Rolle in der Novemberrevolution. Er entging nur knapp dem Schicksal seiner politischen Lehrerin und Freundin Rosa Luxemburg, die im Januar 1919 von Freikorpssoldaten ermordet worden war. In den Anfangsjahren der Weimarer Republik war Meyer fast ununterbrochen in der Führung der KPD und zwischen 1921 und 1924 deren Fraktionsvorsitzender im Preußischen Landtag. Als KPD-Vorsitzender zwischen 1921 und 1922 konnte er auf Luxemburg zurückgehende Vorstellungen einer revolutionären Realpolitik umsetzen. Dies gilt vor allem für die Einheitsfrontstrategie, die er maßgeblich entwickelte. Seine Zeit an der Spitze der KPD liefert zudem ein anschauliches Beispiel für das hohe Maß an Demokratie in der jungen KPD. Im »Deutschen Oktober« 1923 lehnte er die rein militärischen Aufstandsvorbereitungen seines Nachfolgers Heinrich Brandler ab. Meyer argumentierte, der Aufstand müsse aus einer Zuspitzung der sozialen Kämpfe hervorgehen. Er gehörte zu den frühesten und schärfsten Kritikern des schließlich fast kampflosen Verzichtes auf einen Revolutionsversuch. Zwischenzeitlich an den Rand gedrängt, wurde er 1927 noch einmal der eigentliche Parteiführer. Der Durchsetzung von Parteistrukturen nach Moskauer Vorstellungen stemmte er sich entgegen, verteidigte engagiert das Erbe Luxemburgs, die innerparteiliche Demokratie und die Einheitsfrontpolitik. Ohne Erfolg: In den Auseinandersetzungen innerhalb der KPD aufgerieben und an der bürokratischen und autoritären Degeneration der kommunistischen Weltbewegung verzweifelnd, starb er 1930 im Alter von nur 42 Jahren an Tuberkulose.
In unterschiedlichem Maße konnte Meyer in verschiedenen Phasen der kommunistischen Bewegung seinen Stempel aufdrücken. Dies galt insbesondere für die Zeit zwischen dem Jenaer und dem Leipziger Parteitag (August 1921 bis Januar 1923), als er an der Spitze der KPD stand. Sein bedeutendster Verdienst als Vorsitzender war die Festigung der damals noch sehr jungen Partei. Gerade erst mit dem linken Flügel der USPD vereint, steckte die KPD nach dem katastrophalen Ausgang der »Märzaktion« 1921, jener von KPD, KAPD und anderen linksradikalen Kräfte initiierten bewaffneten Arbeiterrevolte in der Industrieregion um Halle, Leuna, Merseburg und im Mansfelder Land, in einer schweren Krise. Unter Meyers Leitung konnten größere Abspaltungen vermieden, die zuvor starken Mitgliederverluste gestoppt und sogar 44.000 neue Mitstreiter gewonnen werden. Der kommunistische Einfluss in den Gewerkschaften, aber auch bei Wahlen, stieg deutlich an. Die KPD konnte mit Meyer als Vorsitzendem ihre Identität als jene Massenpartei entwickeln und festigen, die sie bis zum Ende der Weimarer Republik bleiben sollte. Er trug zu dieser Konsolidierung vor allem auf zwei Ebenen bei: zum einen durch seinen ausgleichenden und integrativen Führungsstil, der es der heterogenen Partei ermöglichte, eine gemeinsame politische Praxis zu entwickeln. Zum anderen gelang ihm durch die Einheitsfrontpolitik eine Veränderung der Beziehungen der KPD zur nichtkommunistischen Mehrheit der Arbeiterschaft.
1927 stand Meyer erneut – nun neben seinem Gegenspieler Ernst Thälmann – für einige Monate an der Spitze der KPD und hatte noch einmal prägenden Einfluss auf deren Politik. Auch in dieser Zeit wuchs die Partei, steigerte sie ihren Einfluss und festigte ihre Substanz durch intensive Bildungsarbeit, gerade auch auf dem ihm so wichtigen Feld der Parteigeschichte. Seinen Beitrag zu einer positiven Entwicklung leistete Meyer auf die gleiche Weise wie schon 1921/22: Sein Führungsstil förderte die strömungsübergreifende Zusammenarbeit in der Parteiführung, und es gelang ihm erneut, seine Einheitsfrontpolitik durchzusetzen.

Protagonist der Einheitsfront

Die Weiterentwicklung und Anwendung der auf dem III. Weltkongress der Komintern 1921 verabschiedeten Einheitsfrontstrategie ist Meyers eigenständiger Beitrag zur kommunistischen Theorie und Praxis. Bei der Einheitsfront handelt es sich um das Konzept einer revolutionären Realpolitik, also den Versuch, in einem nichtrevolutionären Umfeld eine massenwirksame revolutionäre Politik zu betreiben. Wenn die unerlässliche Voraussetzung einer Revolution die Gewinnung proletarischer Mehrheiten für den Kommunismus ist (und hierin war Meyer unbedingt ein Schüler Rosa Luxemburgs), diese Mehrheiten aber noch der Sozialdemokratie folgen, so musste die KPD nach Wegen suchen, sie von der SPD zu lösen. Als effektivstes Mittel hierfür sah Meyer die Einheitsfrontstrategie. Bei dieser war nicht mehr die Radikalität einer Forderung an sich das entscheidende Kriterium, sondern die Frage, ob sie zu breit getragenen außerparlamentarischen Kämpfen der gesamten Arbeiterschaft führen und eine radikalisierende, über den parlamentarischen Horizont hinausweisende Dynamik entfalten könne. Dabei bildeten der Kampf für konkrete Verbesserungen und die Perspektive einer revolutionären Umwälzung der Gesellschaft keinen Gegensatz, sondern eine innere Einheit. Dieses Herangehen machte auch Angebote an die SPD für gemeinsame Aktionen erforderlich. Unerlässliche Voraussetzung blieb, dass die Kommunisten ihre organisatorische Unabhängigkeit und die Freiheit zur – auch öffentlichen Kritik – an ihren Bündnispartnern bewahrten.
Wie wenig Meyer zu Dogmatismus oder Opportunismus neigte, zeigt sich in der Frage einer möglichen »Arbeiterregierung«, also einer gemeinsamen Regierung von Sozialdemokraten und Kommunisten. Die Strategie eines gemeinsamen Kampfes der Arbeiterparteien für konkrete Forderungen musste notwendig die Frage aufwerfen, welche Regierung diese schließlich umsetzen sollte. Meyer lehnte eine langfristige Strategie von Regierungsbeteiligungen ab, die auf eine schrittweise Überwindung des Kapitalismus durch Reformen abzielte. Eine solche schien für ihn auf eine Integration in den Kapitalismus, eine Politik des Stellvertretertums und damit auf die Aufgabe der revolutionären Perspektive überhaupt hinauszulaufen. Zugleich verwarf er aber auch die vom linken Flügel der KPD und der Komintern vertretene Annahme, unter einer Arbeiterregierung dürfe nichts anderes verstanden werden als die Diktatur des Proletariats. Ihm galt die Arbeiterregierung hingegen als eigenständiges Element einer sozialistischen Transformationsstrategie: Vor dem Hintergrund sich zuspitzender Klassenkämpfe und einer Offensive des Proletariats könne sie dazu beitragen, die Bourgeoisie zu schwächen. Dafür müsse sich eine Arbeiterregierung nicht nur auf das Parlament, sondern vor allem auf Einheitsfrontorgane der Arbeiterschaft (Betriebsräte, Kontrollausschüsse, proletarische Hundertschaften) stützen und diesen gegenüber rechenschaftspflichtig sein. Sie könne die Stellung der Arbeiterklasse deutlich stärken, etwa indem sie eine Produktionskontrolle durch die Arbeiterschaft und drastisch höhere Steuern für die Reichen durchsetze, die faschistischen Organisationen ent- und die Arbeiterschaft bewaffne. So verstanden könne eine kommunistische Regierungsbeteiligung als ein Sprungbrett zur Rätedemokratie und zum Sozialismus fungieren.
Zu keinem Zeitpunkt bedeuteten Meyers realpolitische Konzepte ein Abrücken von der Perspektive einer revolutionären Überwindung des Kapitalismus. Im Gegenteil: Sie stehen für den Versuch, das Ziel der Revolution auch unter den Bedingungen eines relativ stabilen Kapitalismus zu erreichen.
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Mal Partner, mal Gegenspieler in der KPD. Aber im Zweifel wollte Meyer lieber mit Thälmann (hier auf einer Kundgebung um 1930) gehen als mit Brandler
Ernst Meyer war wohl diejenige Führungsfigur der KPD, die durch verschiedene Phasen der Parteientwicklung hindurch am entschiedensten die Notwendigkeit von innerparteilicher Demokratie und Diskussionsfreiheit betonte. Ununterbrochen trat er dafür ein, politische Konflikte politisch, durch breite Diskussion und Überzeugung, zu lösen. Ausschlüsse nach intensiven inhaltlichen Debatten galten ihm als letztes, manchmal aber auch notwendiges Mittel. Administrativ-bürokratische Methoden zur »Lösung« innerparteilicher Differenzen waren ihm ein Greuel. Schon 1921/22 trat er für die Integration unterschiedlicher Positionen und Strömungen in eine gemeinsame, damit faktisch plurale kommunistische Partei ein. In den späten 1920ern trug ihm dieser Umgang mit der »rechten« Opposition der KPD die diffamierend gemeinte Bezeichnung »Versöhnler« ein.
Dabei bewegte er sich immer im Spannungsfeld zwischen Diskussion und Demokratie einerseits und effektivem und zentralisiertem Handeln anderseits. Dies war für ihn eine doppelte Lehre, die er aus der Entwicklung der SPD gezogen hatte: So hatte der Kampf gegen den Parteiapparat und dessen bürokratische Methoden in der Weltkriegszeit ihn die Notwendigkeit parteiinterner Demokratie gelehrt. Zugleich kam er zu der Ansicht, dass eine verbindliche gemeinsame Praxis wichtig ist, nachdem er in der SPD Erfahrungen mit einer Partei gemacht hatte, die eben keine mit ihrem radikalen Programm korrespondierende Praxis entwickelt hatte und so trotz aller kriegskritischen Rhetorik in das Fahrwasser des Imperialismus geriet.
Diese Erfahrungen machten ihn zu einem leidenschaftlichen Anhänger des demokratischen Zen­tralismus. Dessen Prinzipien lauteten nach Meyers Verständnis: Freiheit der Diskussion nach innen, Einheit in der Aktion nach außen und Unterordnung der Minderheit unter gemeinsam gefasste Beschlüsse bzw. demokratisch gewählte Gremien. Dabei betonte er stark das demokratische Element. Sein Ansatz unterschied sich deutlich von dem Modell eines in der Realität bürokratischen Zentralismus ohne echte Diskussionsfreiheit, das später in den stalinisierten kommunistischen Parteien dominant war. Zeit seines Lebens hielt Meyer an seinen parteidemokratischen Vorstellungen fest.

Kopf der »Versöhnler«

Aus der Kritik an der »Oktoberniederlage« 1923 ging eine sich um Meyer gruppierende Strömung hervor, die in den folgenden Jahren für eine Fortsetzung einer revolutionären Realpolitik eintrat und zeitgenössisch als Meyer- oder Mittelgruppe bezeichnet wurde. Ihren Anhängern – u. a. Arthur Ewert, Gerhart Eisler, Hugo Eberlein, Jacob Walcher und Meyers Trauzeuge Paul Frölich – galt die Einheitsfrontstrategie unter nichtrevolutionären gesellschaftlichen Bedingungen als elementares ­Instrument zur Gewinnung proletarischer Mehrheiten für den Kommunismus. Als humanistische Marxisten gerieten sie in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre in Gegnerschaft zu den von dem Historiker Hermann Weber als »Stalinisierung« beschriebenen Prozessen eines Abbaus der innerparteilichen Demokratie in der kommunistischen Bewegung. Sie verteidigten die emanzipatorische Tradition des revolutionären Marxismus gegen das zusehends bürokratisch-autoritäre Parteiregime und traten für eine revolutionäre Realpolitik im Gegensatz zum zunehmend abstrakt revolutionistischen Kurs der Parteiführung ein.
Dabei gab es starke inhaltliche Überschneidungen zwischen »Versöhnlern« und den »KPD-Rechten« um Heinrich Brandler. Differenzen bestanden vor allem in der Einschätzung der Oktoberniederlage 1923: Während Brandler sie als Ausdruck objektiver Kräfteverhältnisse wertete, sah Meyer die Ursache in der in seinen Augen falschen und opportunistischen Auslegung der Einheitsfrontstrategie durch die Brandler-Führung. Ein weiterer Unterschied bestand in der Einschätzung der Parteilinken um Thälmann: In Meyers Augen bestand sie aus aufrichtigen revolutionären Arbeitern, deren Abkehr von der Einheitsfront als Konsequenz aus 1923 er zwar inhaltlich verurteilte, aber durchaus auch als psychologisch nachvollziehbare Reaktion auf die Niederlage betrachtete. Meyers Strategie war, Thälmann und seine Anhänger von den Ultralinken um Ruth Fischer zu lösen und für eine »Führung der Konzentration« gemeinsam mit seiner Mittelgruppe zu gewinnen. Durch praktische Zusammenarbeit hoffte Meyer, sie von der Richtigkeit der Einheitsfront überzeugen zu können. Tatsächlich kehrte die KPD 1926/27 vorübergehend zu diesem Kurs zurück, und es bildete sich eine Parteiführung um Thälmann und Meyer.
Als in der Folge des VI. Weltkongresses der Komintern die russischen Fraktionskämpfe zwischen dem »rechten« Nicolai Bucharin und dem neuerdings »linken« Josef Stalin auch auf die KPD übertragen wurden, standen die »rechten« Anhänger Brandlers bald vor dem Ausschluss aus der Partei. In Ernst Meyer fanden sie ihren engagiertesten Verteidiger: Er bestand auf innerparteilicher Demokratie und Diskussionsfreiheit und stemmte sich gegen die organisatorische Auflösung politischer Konflikte durch Ausschluss langjähriger und erfahrener Genossen. Vergeblich: zur Jahreswende 1928/29 sahen sich die Brandler-Leute gezwungen, eine eigene Organisation, die KPD-Opposition, zu gründen. Eine Reihe ehemaliger Anhänger Meyers schloss sich an. Meyer selbst, der in der Vergangenheit häufig betont hatte, im Zweifel lieber mit Thälmann als mit Brandler zu gehen, blieb in der Partei. In den Monaten bis zum Weddinger Parteitag im Juni 1929 kämpfte er mit dem Rücken zur Wand gegen den Abschluss der Stalinisierung des deutschen Kommunismus und gegen das Aufkommen der verhängnisvollen »Sozialfaschismusthese«, derzufolge die Sozialdemokratie objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus sei. Meyers »Versöhnler« erlitten als letzte verbliebene innerparteiliche Oppositionsgruppe auf dem Parteitag ihre finale Niederlage. Um auch nach dem Ende innerparteilicher Demokratie und Diskussionsfreiheit in der Partei bleiben zu können, sahen sich viele seiner Weggefährten zu Kapitulation und Anpassung gezwungen. Ein Weg, dem sich Meyer verweigerte: Bis zu seinem frühen Tod blieb er in offener Opposition zum Kurs der Parteiführung.

Selbstbewusste Traditionsbildung

Um den Kapitalismus im 21. Jahrhundert überwinden zu können, muss die sozialistische Bewegung wieder eine Massenbasis finden. Dies wird ihr nur gelingen, wenn sie glaubhaft für eine Einheit von Sozialismus und Demokratie und für die Emanzipation der Arbeiterklasse als Vorbedingung einer Emanzipation der Menschheit von allen Formen von Ausbeutung und Unterdrückung eintritt. Für eine selbstbewusste Bezugnahme auf die emanzipatorischen Traditionen der revolutionären Arbeiterbewegung bietet sich – neben anderen – insbesondere auch Ernst Meyer an, kann gerade die Auseinandersetzung mit ihm doch strategisches Lernen in der Linken heute befördern.
Im Falle Meyers haben insbesondere seine Einheitsfrontpolitik und seine Haltung zu Arbeiterregierungen starke aktuelle Bezüge: zum Verhältnis radikaler Linker zu Sozialdemokratie und Gewerkschaften, zu Fragen linker Hegemonie heute und zu den andauernden Debatten über das strategische Ziel linker Regierungsbeteiligungen. In der Auseinandersetzung mit Meyer lässt sich verdeutlichen, dass Kämpfe um konkrete Reformen und die systemüberwindende revolutionäre Perspektive keineswegs Gegensätze sein müssen, sondern eine organische Einheit antikapitalistischer Strategien bilden können. Dogmatismus und die autoritäre Herrschaft des Parteiapparats waren keineswegs von Anbeginn dem kommunistischen Projekt eingeschrieben, im Gegenteil: Im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens war die KPD eine überaus lebendige, plurale und diskussionsfreudige Partei mit einem hohen Maß an innerparteilicher Demokratie. Der Blick auf Akteure wie Meyer kann helfen, das Potential einer alternativen Entwicklung der kommunistischen Bewegung zu erkennen. Die verschüttete und in Vergessenheit geratene Grundströmung jener Leninisten innerhalb der KPD, die in der Tradition Rosa Luxemburgs standen, bietet sich für all jene als Bezugspunkt an, die selbstbewusst an revolutionäre Traditionen anknüpfen wollen und nach historischen Bezugslinien für den Aufbau einer massenhaften sozialistischen Bewegung im 21. Jahrhundert suchen.

Schnüffler auf Entzug setzen


Bundesregierung von Betreiber des weltgrößten Internetknotenpunkts verklagt. Der will BND-Glasfaserüberwachung stoppen

Von Marc Bebenroth
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Sollten die Richter freien Zugriff auf die ­Leitungen in Frankfurt stoppen, geht auch der große Bruder NSA leer aus
Aktualisierung vom 31. Mai, 10 Uhr: Der Bundesnachrichtendienst (BND) darf weiterhin massenhaft Daten beim Internetknotenpunkt De-Cix in Frankfurt am Main abgreifen. Dies hat am späten Mittwoch abend das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig entschieden, wie die Deutsche Presseagentur in der Nacht zum Donnerstag berichtete. Die Klage der Betreiberfirma gegen die Bundesregierung wurde abgewiesen. In ihrer Urteilsbegründung betonten die Richter, De-Cix könne verpflichtet werden, bei der strategischen Überwachung durch den BND mitzuwirken. Weitere Rechtsmittel gegen die Entscheidung ließ das Gericht nicht zu. (mb)
Eine millionenfache Grundrechtsverletzung gebe es in Deutschland nicht, behauptete im August 2013 der damalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla (CDU). Zugleich erklärte er kurzerhand die Debatte um Massenüberwachung durch deutsche, britische und US-amerikanische Geheimdienste für beendet. Für das Gegenteil sprechen zahlreiche Beweise und Indizien. Viele davon verdanken wir Edward Snowden, ehemaliger Mitarbeiter des US-Geheimdienstes NSA. Vor fünf Jahren berichteten Journalisten des britischen Guardian auf der Grundlage von ihm gelieferter Informationen erstmals über das Ausmaß der weltweiten Überwachung. Bei dieser gewährleistet das Anzapfen der globalen Internetknotenpunkte höchste Effizienz. Wer auf sie zugreifen kann, dem fällt quasi der weltweite Datenstrom in die Hände. Der weltweit größte Netzknotenpunkt befindet sich in Frankfurt am Main. Dort unterhält die Betreiberfirma De-Cix mehrere Rechenzentren, in denen mehr als 1.000 Glasfaserkabel zusammenlaufen. An diese hat sich der Bundesnachrichtendienst (BND) schon vor Jahren angeschlossen. Wie bereits in der jW-Mittwochausgabe kurz berichtet, hat De-Cix gegen diese Praxis Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eingereicht. Die erste mündliche Verhandlung fand am Mittwoch statt. Konkret wendet sich das Unternehmen gegen die »Inanspruchnahme« durch den BND »im Rahmen der strategischen Fernmeldeüberwachung«, wie es in einer Mitteilung des Gerichts heißt. Geklagt wird gegen Anordnungen der Bundesregierung an den Geheimdienst. Deshalb müssen sich auch Vertreter der Regierung und nicht Repräsentanten des BND in Leipzig zu den Vorwürfen äußern.
Die Anwälte der Bundesregierung argumentieren einem Bericht der Süddeutschen Zeitung (Dienstagausgabe) zufolge, die Betreiberfirma sei gar nicht klageberechtigt. De-Cix könne nicht stellvertretend für Millionen Betroffene Beschwerde führen. Für die Firma dagegen ist klar: Der BND ist ein Auslandsgeheimdienst und hat deshalb kein Recht, Inlandskommunikation zu überwachen. Anlassloses Abhören sei ebenfalls rechtswidrig. Ob das, was der BND tut, rechtens ist, interessierte bislang weder Regierung noch Geheimdienst. Mit der im Dezember 2016 in Kraft getretenen Änderung des BND-Gesetzes wurden jedoch alle bis dato illegalen Praktiken legalisiert.
De-Cix hatte die Klage beim Bundesverwaltungsgericht bereits im September 2016 eingereicht, wie Firmensprecher Carsten Titt am Mittwoch auf jW-Anfrage mitteilte. »Art und Umfang der Ausführung« der Anordnungen aus dem Bundesinnenministerium seien bereits seit Beginn der Überwachungsmaßnahmen im Jahr 2009 »strittig« gewesen. Aufgrund einer im Herbst 2016 veröffentlichten Stellungnahme des früheren Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, habe De-Cix »gewichtige Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser strategischen Fernmeldeaufklärung«, so Titt. Mit der Klage will das Unternehmen eine gerichtliche Überprüfung der Überwachung erwirken.
Martina Renner, für die Linke-Fraktion Mitglied im Innenausschuss des Bundestags, kritisierte am Mittwoch gegenüber jW, dass der Generalbundesanwalt oder andere Behörden nicht ihrerseits »im Zusammenhang mit dem rechtswidrigen Abschnorcheln am Knotenpunkt in Frankfurt Ermittlungen aufgenommen« haben. Die Bundesregierung wiederum versuche mit »Gerede von ausreichendem Grundrechtsschutz durch Filtersysteme« die Bevölkerung in Sicherheit zu wiegen. Tatsächlich werde »massenhaft Recht verletzt«, sagte die Politikerin.

UN-Hochkommissariat für Menschenrechte hat unsere Forderungen übernommen!

Weil wir es vorher noch nicht mitbekommen hatten, erst jetzt unser Hinweis auf diesen wichtigen Bericht und unser Kommentar dazu:
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Am 31.1.2017 hat das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte (OHCHR) einen Bericht zu "Mental health and human rights" veröffentlicht, Dokument A/HRC/34/32.
Damit hat sich die für Fragen der Menschenrechte bedeutendste Stelle eindeutig geäußert und die Schwierigkeiten, die ein falsches "Recht auf Gesundheit" logischerweise mit sich bringt, relativ elegant umgangen. Wir haben die unseres Erachtens wichtigsten Passagen übernommen, übersetzt und kommentieren sie weiter unten.

Das OHCHR beginnt mit dem "Recht auf Gesundheit". Es bilde den Rahmen für das weiter Gesagte. Wir möchten gleich darauf hinweisen, dass es Unsinn bzw. ein Betrug mit Wörtern ist, weil nicht gemeint sein kann, was gesagt wird. Gesundheit wird dabei gemäß der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur der Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen beschrieben („Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.“). Diesen Zustand zu einem Anspruchsrecht zu erklären heißt:
  • jede Krankheit, und in deren Folge auch der Tod - ja sei er auch nur durch einen Unfall bedingt - ist nicht nur Schmerz und Leid, sondern wird als ein Rechtsverstoß konzipiert. Damit wird also ein Anspruch formuliert, der schlechterdings NIE erfüllt werden kann, ein prinzipiell unerfüllbares Recht. Im Versprechen auf des ewige Leben im Reich Gottes soll es erfüllt werden, aber weder ist der Messias schon gekommen, noch gibt es einen Lebenden, der tatsächlich unsterblich ist. Ein Recht auf Gesundheit zu proklamieren ist die bewußte Erzählung eines Phantasy-Märchens, eine Fiktion. Sie ernst zu nehmen und daran wider besseres Wissen festzuhalten, ist also ein ideologisch begründeter Betrug.
  • Ein gefährlicher Betrug, weil die Folgen dieses falschen Versprechens dann sind:
    a) Krank werden ist ein Rechtsbruch, damit wird Gesundheit tendenziell zu einer Pflicht.
    b) dem Staat wird als Garant des Rechts eine Machtposition mit umfassenden Durchsetzungsmöglichkeiten gegen die Störer der Gesundheit eingeräumt - extrem ausgespielt wurde das in der Nazi-Volksgesundheits-Diktatur. Unheilbar bzw. chronisch Kranke laufen als Menschen, die das Phantasma eines Gesundheitsrechts konterkarieren, unmittelbar Gefahr ihrer Würde beraubt zu werden.
    c) verschärft wird diese betrügerische Forderung noch dadurch, dass Gesundheit sogar als ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens festgelegt wurde. Damit wird jede Unpässlichkeit, jede geringste Verstimmung mit einem Recht auf Beseitigung dieser Nicht-mehr-Gesundheit, also als Krankheit, verstanden. Damit ist die Grundlage für die Ärzte als Herren der Gesellschaft, wenn nicht sogar der Welt, gelegt - und wird exekutiert in der Machtausübung der Psychiatrie. Allen Frances und die anderen Kritiker des DSM 5 haben unrecht; selbstverständlich ist bei einer solchen Definition der WHO z.B. jedes Trauern ein Verstoß gegen das Recht auf einen Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens. Der Tod des Betrauerten war es sowieso.
Wir können also zusammenfassen, dass das Recht auf Gesundheit die letzte der großen Utopien des 19. und 20. Jahrhunderts ist, die sich als Dsytopien herausgestellt haben, als Phantasma, besser als Fiktion eines säkular verwirklichten Reiches Gottes auf Erden, im Hier und Jetzt, oder zumindest in Bälde. Es ist ein falsches Versprechen, eine Ideologie zur Begründung von Herrschaft und Unterdrückung, insbesondere einer Normierung durch medizinisch Tätige, die den Heilsversprechen einer säkularen Religion dienen.
Wir fordern stattdessen ein Recht auf Krankheit (demagogisch, wenn es in eine Pflicht zu Krankheit umgedeutet würde). Von der FDP Abgeordneten Sybille Lurischk wurde es erstmals am 4.3.2004 in ihrer Rede im deutschen Bundestaganerkannt.
Wie hat nun das OHCHR die Klippen dieser ideologisch begründeten Irreführung umschifft?
  • Indem es versucht, in das Recht auf Gesundheit das hineinzulesen, was es tatsächlich meine, also schlichtweg uminterpretiert, was es sagt. Das liest sich dann ins Deutsche übersetzt so: 
    "Es ist ein integratives Recht, das sowohl rechtzeitige als auch angemessene Gesundheitsversorgung und die zugrunde liegenden Gesundheitsdeterminanten umfasst ....

    ... Zu den Kernverpflichtungen für das Recht auf Gesundheit gehört die Gewährleistung des Rechts auf Zugang zu Gesundheitseinrichtungen, Waren und Dienstleistungen auf nicht diskriminierender Grundlage, insbesondere für schutzbedürftige oder marginalisierte Gruppen; Gewährleistung des Zugangs zu angemessener Nahrung und Ernährung; Gewährleistung des Zugangs zu grundlegenden Unterkünften, Unterkünften und sanitären Einrichtungen;Bereitstellung von Zugang zu essentiellen Medizin/Drogen; Gewährleistung einer gerechten Verteilung aller Gesundheitseinrichtungen, Güter und Dienstleistungen; und Verabschiedung und Umsetzung einer nationalen Strategie und eines Aktionsplans für die öffentliche Gesundheit, die den Gesundheitsbelangen der gesamten Bevölkerung Rechnung tragen."
    Aus dem Recht auf Gesundheit wird also ein Recht auf medizinische Hilfe bester Güte. Das ist etwas ganz anderes.
  • Aber erst mit der folgenden Aussage werden dem Recht auf Gesundheit nicht nur die Giftzähne gezogen, sondern auch darauf verwiesen, wo bisher der schwarze Fleck wie eine tabuisierte Nullstelle ist, Zitat: 
    Das Recht auf Gesundheit 
    enthält Freiheiten (wie die Freiheit, die eigene Gesundheit und den Körper zu kontrollieren, und das Recht, frei von Störungen, Folter und nicht-einvernehmlicher ärztlicher Behandlung zu sein) und Ansprüche (wie das Recht auf ein Gesundheitssystem, das den Menschen die gleiche Möglichkeit auf das das höchste erreichbare Gesundheitsniveau bietet). Während das Recht auf Gesundheit in Anerkennung von Ressourcen Zwängen einer progressiven Verwirklichung unterliegt, unterliegt das Element der Freiheit im Recht auf Gesundheit weder progressiven Realisierung noch Ressourcenverfügbarkeit.Wenn man in medizinische Hand gerät, ist Freiheit nahezu nichtexistent. Mit Hilfe eines psychiatrischen Konsils kann praktisch immer durch psychiatrischen Diagnonsens gutachterlich verurteilt werden. Das Gericht kann dann auf Zuruf die Entmündigung exekutieren.
Mit diesen beiden interpretatorischen Hilfsgriffen des OHCHR muss dann weder das Dogma eines Rechts auf Gesundheit aufgegeben werden, noch eine desaströse Hierarchisierung der Menschenrechte hingenommen werden. Stattdessen muss die medizinisch-psychiatrische Hegemonie gebrochen werden, über den Geisteszustand anderer Menschen urteilen zu können, um damit Zwang und Gewalt zu rechtfertigen. Es muss endlich gelten: Geisteskrank? Ihre eigene Entschiedung!
Das wird in dem Bericht des OHCHR durchdekliniert, siehe den Teil ganz am Ende.
Inzwischen haben außerdem 3 UN-Sonderberichterstatter
  •  über Folter etc., Juan Mendez,
  •  des Recht auf Gesundheit, Puras,
  •  und die Sonderberichterstatterin on the rights of persons with disabilities, Ms. Catalina Devandas Aguilar, 
im Kern das Gleiche wie das OHCHR gesagt. Die Gesetzgeber müssen jetzt gezwungen werden, endlich die Menschenrechte in diesem besonders empfindlichen Bereich einzuhalten und nicht nur deren Beachtung vorzutäuschen.
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Auszüge aus dem Bericht des OHCHR vom 31.1.2017, Dokument A/HRC/34/32:
3. mangelnde freie und informierte Einwilligung
17. Wie der Sonderberichterstatter zum Recht eines jeden auf Genuss des höchsten erreichbaren Standards der körperlichen und geistigen Gesundheit festgestellt hat, ist die informierte Einwilligung nicht die bloße Annahme einer ärztlichen Intervention, sondern eine freiwillige und hinreichend informierte Entscheidung, Schutz des Rechts des Patienten, sich an medizinischen Entscheidungsverfahren zu beteiligen und damit verbundene Pflichten und Pflichten an Leistungserbringer zu vergeben. 25 damit die Einwilligung gültig ist, sollte Sie freiwillig und auf der Grundlage vollständiger Informationen über die die Art, die Folgen, die Vorteile und die Risiken der Behandlung, die damit verbundenen Schäden und die Verfügbarkeit von Alternativen. 26 Unfreiwillige Behandlung bezieht sich auf die Verabreichung von medizinischen oder therapeutischen Verfahren ohne Zustimmung des Individuums. Eine Behandlung, die beispielsweise auf der Grundlage von Fehldarstellungen ausgeübt wird, würde eine unfreiwillige Behandlung darstellen, ebenso wie eine in Gefahr gegebene Behandlung ohne vollständige Information oder aus bedenklichen medizinischen Gründen. 27 die Gewährleistung einer fundierten Einwilligung ist die Autonomie, Selbstbestimmung und die Menschenwürde des Individuums zu respektieren. 28

23. Der auf Menschenrechte basierende Ansatz der Behinderung erfordert neben anderen Grundsätzen die bedingungslose Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung in Bezug auf Menschen mit Behinderungen. Keine zusätzlichen Qualifizierung, die mit einer Beeinträchtigung verbunden sind, können die Beschränkung der Menschenrechte rechtfertigen. Beispielsweise sollten Personen mit psychosozialer Behinderung aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht willkürlich ihrer Freiheit beraubt werden, auch in Verbindung mit einer vermeintlichen Gefahr für sich selbst oder andere. 33 Psychische Gesundheitspolitik sollte diesen Ansatz zum Schutz vor Senkung der Standards verwirklichen.

28. In bestimmten Situationen könnte der Wille der betroffenen Person schwer zu bestimmen sein. Instrumente wie Patientenverfügung oder Vorsorgevollmacht sollten gefördert und klar formuliert werden, um Missverständnissen oder Willkür durch die ausführenden vorzubeugen. Selbst wenn solche Instrumente in Kraft sind, müssen Personen mit psychosozialer Behinderung immer ihr Recht behalten, ihren Willen zu modifizieren, und die Diensteanbieter sollten Ihre Einwilligung weiterhin einholen. Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat festgehalten, dass in jedem Fall zu verstehen ist, dass Artikel 12 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen es untersagt, auf das Prinzip der "besten Interessen" des Individuums in Beziehung zu Erwachsenen mit Behinderungen. 37 Es müssen erhebliche Anstrengungen unternommen werden, um den Willen und die Präferenzen des einzelnen zu bestimmen und sicherzustellen, dass alle möglichen Unterkünfte, Unterstützungen und vielfältigen Kommunikationsmethoden zur Verfügung gestellt und zugänglich gemacht werden. Wo alle Mittel erschöpft sind und der Wille des Individuums unbestimmt bleibt, muss das Prinzip der "besten Interpretation des Willens und der Präferenzen des Individuums" in gutem Glauben aufrecht erhalten und durchgeführt werden.38

B. Das absolute Verbot der Freiheitsentzug aufgrund von Beeinträchtigungen
29. in Artikel 14 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen wird ein absolutes Verbot der Freiheitsentziehung aufgrund von Beeinträchtigungen festgelegt, die unfreiwillige Verpflichtung und Behandlung ausschließt. 39 diese Bestimmung spiegelt die nicht diskriminierender Ansatz, der durch das Übereinkommen im Zusammenhang mit dem Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person gewährleistet ist. Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat eindeutig und konsequent den nicht diskriminierenden Ansatz für das Recht auf Freiheit bestätigt, der das eindeutige Verbot der Freiheitsentzug auf der Grundlage von Beeinträchtigungen festlegt, sei es oder nicht, es ist mit anderen Faktoren verbunden.

30. Personen mit psychosozialer Behinderung werden weiterhin einer erzwungenen Institutionalisierung unterworfen, wie Sie in vielen Ländern durch bürgerliche Rechtsvorschriften und Gesetze zur psychischen Gesundheit erlaubt ist. Ihrer Freiheit beraubt, werden Sie häufig einer erzwungenen Behandlung unterworfen, und die Lebensbedingungen und Arrangements können auch ihre körperliche und geistige Unversehrtheit gefährden. Kinder oder Erwachsene, die in Einrichtungen inhaftiert sind, haben ein erhöhtes Risiko von Gewalt und Missbrauch, einschließlich der sexuellen Ausbeutung und des Menschenhandels. 40 der Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung hat festgestellt, dass Kinder in Wohn-oder institutionelle Betreuung sind ein größeres Risiko für psychische Gesundheit Trauma, Gewalt und Missbrauch, und dass die schweren emotionalen Schmerzen und Leiden durch Segregation verursacht werden kann, um das Niveau der illtreatment oder Folter. 41 außerhalb von Institutionen, die Verwendung von gemeinschaftliche Behandlungs Aufträge oder obligatorische ambulante Behandlungen, selbst wenn Sie in der Gemeinschaft durchgesetzt werden, verletzen das Recht auf Freiheit und Sicherheit der Person, da solche Maßnahmen die Behandlung und die drohende Inhaftierung verhängen, wenn Sie abgelehnt werden.

31. erzwungene Institutionalisierung verletzt das Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit, verstanden als Freiheit von der Entbindung des Körpers und von der Freiheit von der Verletzung zu einer körperlichen oder geistigen Vollständigkeit, beziehungsweise. 42 es beläuft sich auf eine Verletzung des Rechts auf frei leben von Folter und Misshandlung, 43 und von Ausbeutung, Gewalt und Missbrauch sowie vom Recht auf persönliche Integrität. Die Vertragsstaaten sollten Rechtsvorschriften und Politiken aufheben, die eine unfreiwillige Verpflichtung zulassen oder verewigen, einschließlich ihrer Auferlegung als Bedrohung, und wirksame Abhilfemaßnahmen und Wiedergutmachung für die Opfer ermöglichen. 44

32. Strafrecht und-Verfahren verwehren in der Regel den rechtmäßigen Rechtsweg für Personen mit Behinderungen, die als ungeeignet angesehen werden und/oder nicht in der Lage sind, strafrechtlich zu verantworten, was zu Freiheitsentzug aufgrund von Beeinträchtigungen führt, auch durch die Umleitung von Personen mit psychosozialer Behinderung in das Sorgerecht für forensische Institutionen. Der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen hat nach wie vor die Auffassung vertreten, dass dies faire Gerichtsverfahren ablehnt, willkürliche Inhaftierungen vorsieht und häufig zu härteren folgen führt als strafrechtliche Sanktionen wie die unbefristete Inhaftierung in der psychischen Gesundheit Ausstattung.

Zwangsbehandlung: Zwangsmedikation, Übermedikation und schädliche Praktiken bei Freiheitsentzug
33. viele Praktiken innerhalb psychischer Gesundheitseinrichtungen verstoßen auch gegen die Artikel 15, 16 und 17 der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Erzwungene Behandlung und andere schädliche Praktiken, wie Einzelhaft, Zwangssterilisation, die Verwendung von Beschränkungen, Zwangsmedikation und Übermedikation (einschließlich Medikation, die unter falscher Vorspiegelung und ohne Offenlegung von Risiken verabreicht wird) nicht nur das Recht auf freie und informierte Einwilligung verletzen, aber eine Misshandlung darstellen und Folter betragen können. 45 dementsprechend hat der Ausschuss für die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Abschaffung aller unfreiwilligen Behandlung und die Annahme von Maßnahmen zur sicherzustellen, dass die Gesundheitsdienste, einschließlich aller psychiatrischen Dienstleistungen, auf der freien und informierten Zustimmung der betreffenden Person beruhen. 46 der Ausschuss hat auch die Beseitigung der Verwendung von Abgeschiedenheit und Beschränkungen, sowohl physischer und pharmakologischer Natur. 47

42......in alle Rechts-und Verwaltungsvorschriften sollten den Artikeln 5, 12, 13, 14, 15, 16, 17 und 25 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen unter anderen Bestimmungen entsprechen und:
(a) die willkürliche Freiheitsentzug auf der Grundlage einer Beeinträchtigung zu untersagen, unabhängig von einer angeblichen Rechtfertigung, die auf der Notwendigkeit beruht, "Fürsorge" zu leisten, oder wegen "einer Gefahr für ihn oder sich selbst oder andere";
(b) das Recht des Individuums auf freie und informierte Einwilligung in allen Fällen für alle Behandlungen und Entscheidungen im Zusammenhang mit der Gesundheitsfürsorge zu gewährleisten, einschließlich der Verfügbarkeit und Zugänglichkeit unterschiedlicher Verkehrsträger und Kommunikationsmittel, Informationen und Unterstützung zur Ausübung dieses Recht;....
Diese klaren Aussagen bzw. diese Positionierung des OHCHR hat dazu geführt, dass der UN-Menschenrechtsrat am 28.9.2017 in seiner 39, Sitzung die Resolution 36/13 einstimmig angenommen hat, Dokument A/HRC/RES/36/13. Darin werden auszugsweise folgende Aussagen getroffen:
Unter Hinweis darauf, dass nach der Verfassung der Weltgesundheitsorganisation Gesundheit ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens ist und nicht nur der Abwesenheit von Krankheit oder Gebrechen,

5. Fordert die Staaten nachdrücklich auf, aktive Schritte zur vollständigen Integration der Menschenrechte in die psychische Gesundheit und in die Dienstleistungen der Gemeinschaft einzuführen und gegebenenfalls alle bestehenden Gesetze, Politiken und Praktiken im Hinblick auf die Beseitigung alle Formen der Diskriminierung, Stigmatisierung, Vorurteile, Gewalt, Missbrauch, soziale Ausgrenzung Zusammenhang und zur Förderung des Rechts von Personen mit psychischer Gesundheit sozialen Behinderungen zur vollständigen Einbeziehung und zur wirksamen Gesellschaft, auf der gleichen Grundlage mit anderen;

8. fordert die Staaten auf, alle Praktiken aufzugeben, die die Rechte nicht respektieren, und Präferenzen aller Personen auf gleicher Basis, die zu macht Ungleichgewichten führen, Stigmatisierung und Diskriminierung in psychischen Gesundheits Einstellungen.
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Wir feiern das 10 jährige Jubiläum der PatVerfü

am Samstag 30. Juni ab 14 Uhr mit Grillen und Programm - das Wetter wird gut - auf dem kleinen Bunkerberg im Friedrichshain. (Bitte alkoholische Getränke selber mitbringen).

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Dies sind Nachrichten des Werner-Fuß-Zentrums
im Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, 10405 Berlin
http://www.psychiatrie-erfahrene.de

Unser Solidaritätsfonds zur Verteidigung notariell beurkundeter PatVerfü®, die beim LPE B-B in Kopie hinterlegt wurde, wird ausschließlich durch einseitige Unterstützungszahlungen gespeist. Um ihn zu unterstützen, bitte hier einzahlen:
    RA Dr. Eckart Wähner, Treuhandkonto
    bei der Deutschen Kreditbank
    IBAN:  DE09 1203 0000 1059 9283 80

BAYER-HV: Konzernmacht & Proteste

Bericht von Axel Köhler-Schnura (Vorstand Coordination gegen
BAYER-Gefahren / CBG)

 

Erfolgreiche Aktionen zur BAYER-HV
18. bis 25. Mai 2018

Widerstand
& Proteste!

„March Against MONSANTO“ wandelt sich zu „March Against BAYSANTO“ / Vandana Shiva am Vorabend der BAYER-HV in Bonn / BAYER scheut Öffentlichkeit / Versammlungsgebäude weiträumig abgegittert / Sicherheitskontrollen verschärft / Heftige Proteste vor und in der Hauptversammlung / 28 Redebeiträge der KritikerInnen im Saal

Seit im Mai 2016 bekannt wurde, dass BAYER den MONSANTO-Konzern übernehmen will, organisiert die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) Widerstand, Proteste und Kritik gegen diese „Tödliche Hochzeit“.

18. Mai 2018: Proteste in 428 Städten

In einem seit 2016 verbreiteten internationalen Aufruf for­dert die CBG die MONSANTO-AktivistInnen in aller Welt dazu auf, ihre Kritik künftig an BAYER zu richten. Insbe­sondere schlägt die Coordination vor, den Jahr für Jahr Mitte Mai weltweit stattfindenden Protest unter dem Motto „March Against MONSANTO“ zum „March Against BAY­ER“ zu wandeln.

An den Tagen rund um den 18. Mai 2018 gingen in 428 Städten der Welt Zehntausende auf die Straßen. In Europa unterstützte die CBG die Märsche in Düsseldorf, Hamburg und Basel.

Vandana Shiva in Bonn

Am 24. Mai 2018 war die bekannte indische Quantenphysikerin und Konzernkritikerin Vandana Shiva in Bonn. In einer vom „Stopp BAYER/MONSANTO“-Bündnis ausgerichteten Podiumsdiskussion sprach sich die Preisträgerin des Alternativen Nobelpreises vehement gegen den „kriminellen Zusammenschluss“ der beiden Agrar-Riesen aus.

BAYER hatte nichts besseres zu tun, als Vandana Shiva auf seiner Brainwash-Seite „www.hier-sind-die-Fakten.de niederzumachen. In der für BAYER seit Jahrzehnten üblichen Art und Weise wird allen missliebigen wissenschaftlichen Ergebnissen die Berechtigung abgesprochen, einzig für den Konzern positive Studien werden akzeptiert. Messerscharfes BAYER-„Fazit: Vandana Shiva ignoriert schlicht den wissenschaftlichen Konsens“.

„Aktionäre rechnen mit BAYER ab“ (RP)

Auch auf der diesjährigen Zusammenkunft der BAYER-AktionärInnen gab es - wie nun schon seit 1983 - vor und im Saal umfangreiche Proteste gegen den Chemie-Gigan­ten aus Leverkusen. Es ging um die seit Jahrhunderten anhaltende Ausbeutung von Mensch und Umwelt, um Umweltzerstörung in aller Welt und um die Gefährdung menschlicher Gesundheit bis hin zum Tod durch BAYER. Die Verantwortung des Konzerns für das Bienensterben wurde ebenso angeprangert wie der Tod tausender junger Frau aufgrund der Einnahme von BAYER-Antibaby-Pillen. Die aktuell besonders akute MONSANTO-Kritik allerdings machte bei allem den klaren Schwerpunkt aus.

Die erzkonservative Rheinische Post (RP) titelte kurz und knapp: „Aktionäre rechnen mit BAYER ab“. Sie traf damit den Nagel auf den Kopf: An den Mikrofonen der BAYER-Hauptversammlung wurde der Konzern nicht nur von den Kritischen AktionärInnen der CBG in die Mangel genommen, auch von den VertreterInnen der (Klein-)Aktionärs­vereinigungen und von vielen der anwesenden KleinanlegerInnen hagelte es Kritik.

Da half dem Konzern sein schickes neues millionenschweres Bühnendesign und dem Vorstandsvorsitzenden sein hippes Jacket und sein obercooler rosafarbener Binder nichts mehr, die von Konzernchef Baumann vorgetragene Erfolgsstory zum „MONSANTO-Deal“ ging - auch in den Medien - mit Pauken und Trompeten unter. Das Manager-Magazin titelte „Baumanns Höllentage mit MONSANTO“. Die RP meinte: „Angesichts der massiven Kritik wirkten die Imagefilme über geheilte Krebspatienten und glückliche Bauern hilflos“.

Anonyme HV im Hochsicherheitstrakt hinter Gittern

BAYER scheute die Öffentlichkeit. Wie nun schon seit Jahren anonymisierte der Konzern seine HV. Von außen war nicht zu erkennen, dass hier einer der mächtigsten Konzerne der Welt sein jährliches Aktionärstreffen abhielt. Kein BAYER-Kreuz weit und breit. Statt klarer Bekenntnisse nur heiße Luft: Vereinzelt ein paar schmucklos blaue Großballons mit der Aufschrift „www.hier-sind-die-Fakten.de“.

Auch im Saal kaum ein BAYER-Kreuz. Vor allem überall dort nicht, wo ein Kritiker fotografiert werden könnte. War früher das BAYER-Kreuz überpräsent und allgegenwärtig, war nun die Beschriftung der Bühne reduziert auf „Hauptversammlung 2018“. Es soll nun mal bei Fotos von den Protesten und/oder der kritischen RednerInnen nicht erkennbar werden, dass es um die Hauptversammlung von BAYER, das wichtigste Treffen des Konzerns, geht.

Auch hatte BAYER seine Hauptversammlung zur Festung aufgerüstet. Das Gebäude war wie bereits im Vorjahr komplett mit übermannshohen Gittern abgesperrt. Die Gerichtsurteile, die die Coordination gegen BAYER-Gefahren im Jahr 2017 gegen die großflächigen Absperrmaßnahmen erstritten hatte, konnte BAYER aber nicht nicht ignorieren. Die Gitter mussten wieder sichtdurchlässig sein und konnten bei weitem nicht so weiträumig aufgestellt werden, wie der Konzern sich das gewünscht hat.

CBG prozessiert gegen Verletzung von Grundrechten

Die von der CBG bereits 2017 nach der Hauptversammlung eingeleiteten Grundsatzprozesse gegen die rechtswidrigen Absperr-Maßnahmen des BAYEER-Konzerns laufen übrigens noch. Immerhin werden vom Konzern gleich drei Grundrechte gebrochen: Erstens wird das Versammlungsrecht massiv widerrechtlich eingeschränkt; zweitens maßt sich eine überhaupt nicht zuständige kommunale Behörde an, über Versammlungsrecht bestimmen zu können; und drittens schließlich usurpiert BAYER staatliche Hoheitsrechte und ruft in privatrechtlicher Machtvollkommenheit Gefahren- und sogar Terrorlagen nach eigenem Gutdünken aus.

Doch dafür rüstete BAYER 2018 an anderer Stelle zur Abschreckung der demokratischen und auch der aktionärsdemokratischen Öffentlichkeit weiter auf:

>   Die Verpflegung mit Getränken und Essen wurde für die KleinaktionärInnen drastisch eingeschränkt. Die Fast-Food-Qualität der wenigen Lebensmittel wurde auf Minus-Niveau heruntergeschraubt. Immerhin dauert die HV bis zu 10 Stunden.

>   Die Zahl der Sitzplätze im Saal wurde dramatisch reduziert. Für über 300.000 Kleinaktionärinnen stellte der Konzern lediglich 2.000 Sitzplätze bereit. Entsprechend unzumutbar war das Gedränge. Früher gab es schon mal bis zu 30 Tsd. Sitzplätze.

>   Private Sicherheitskräfte, Polizei und Werkschutz wurden nochmals aufgestockt. Insgesamt war eine kleine Armee am Start. Alle AktionärInnen mussten erstmals Sicherheitsschleusen und Leibesvisitationen gleich mehrfach passieren.

>   Dem Konzern bekannte KritikerInnen bekamen bis zu zwei persönliche „AufpasserInnen“ zur Seite gestellt, die sie sogar bis auf die Toilette begleiteten. Das galt auch für JournalistInnen, die den abseits des HV-Saa­les gelegenen „Presseraum“ verlassen und sich auf der HV frei bewegen wollten.

HV im Zeichen von Kritik und Widerstand

Trotz allem stand der Tag der Aktionärsversammlung des BAYER-Konzerns in Bonn im Zeichen von Kritik und Widerstand. Vor dem Saal und im Saal.

>   Im Vorfeld hat die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) zu allen Tagesordnungspunkten der Hauptversammlung fristgerecht Gegenanträge eingereicht:

-  Kürzung der Dividende auf 10 Cent und Verwendung der Gewinn-Milliarden für Umweltschutz, Menschenrechte und soziale Sicherheit innerhalb und außerhalb der Betriebe sowie für die gerechte Entschädigung der Opfer
- Nichtentlastung des Vorstands
- Nichtentlastung des Aufsichtsrats
- Kandidatur von Axel Köhler-Schnura zum Aufsichtsrat.

>   Rund um den 18. Mai fanden in 428 Städten in aller Welt Demonstrationen und Proteste gegen den Zusammenschluss von BAYER und MONSANTO statt.

>   Am 24. Mai gab es in Bonn eine internationale Pressekonferenz mit Vandana Shiva.

>   Am gleichen Abend fand eine Podiumsdiskussion mit der weltbekannten BAYER-MONSANTO-Kritikerin statt.

>   Für den 25. Mai hatte die CBG im Bündnis mit Dutzenden anderen Organisationen zur mittlerweile seit 1983 traditionell üblichen „Belagerung der BAYER-HV“ mit Kundgebung, internationaler Beteiligung und aussagekräftiger Demonstration aufgerufen.

Ø      Am 25. Mai hielten innerhalb der Hauptversammlung mit der Unterstützung mehrerer hundert traditioneller KleinaktionärInnen und mit mehr als 20 Tausend BAYER-Aktien im Kreuz 28 kritische Redebeiträge. Bei den Abstimmungen stimmten bis zu 14 Millionen weiterer Aktien mit uns gegen das Konzern-Management und die Groß-Investoren.

 

Danksagung

Solche Aktionen zu einem der mächtigsten Konzerne sind keine Selbstverständlichkeit. Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) arbeitet bis auf eine einzige hauptamtliche Kraft ehrenamtlich. Hervorgegangen 1978 aus einer Initiative von AnwohnerInnen in Wuppertal, denen zwei große Unfällen im ortsansässigen BAYER-Werk beinahe das Leben gekostet hätten, arbeitet die CBG seit 40 Jahren und hat sich mit Betroffenen, Geschädigten und Interessierten in aller Welt innerhalb und außerhalb der BAYER-Werke vernetzt. Eine beachtliche Leistung! Es gibt weltweit kein vergleichbares Netzwerk.
Das ist nur möglich, weil viele Menschen Geld und Zeit opfern. Es gibt keine milliardenschweren Budgets und auch keine Millionengehälter wie bei BAYER. Fast die gesamte Arbeit wird neben Beruf und Familie geleistet. Und ausschließlich über Spenden und Förderbeiträge finanziert.
Nur vor diesem Hintergrund lässt sich ermessen, was es bedeutet, wenn von der Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) seit 1983 Jahr für Jahr die Hauptversammlungen des BAYER-Konzerns im Bündnis mit Menschen und Organisationen aus aller Welt in das Zeichen von Protest und Kritik gestellt wird. Wenn Jahr für Jahr die Kehrseiten der immer schamloseren BAYER-Profite aufgedeckt und die Verantwortlichen im Konzern mit den für Mensch und Umwelt verheerenden Folgen ihrer rücksichtslosen Geschäftstätigkeit konfrontiert werden.
Die Coordination gegen BAYER-Gefahren (CBG) bedankt sich bei allen, die bei den großen Protesten in diesem Jahr in aller Welt mitgewirkt und unterstützt haben:
>   Danke den Spenderinnen und Spendern - Flugblätter, Recherchen, Kommunikation etc., das alles kostet Geld, viel Geld. - Leider haben wir noch ein großes Finanzloch, Spenden sind also weiterhin nötig und erbeten (siehe nächste Seite). Jede Spende hilft. Vielen Dank!
>   Danke den vielen AktivistInnen, die bei ehrenamtlicher Mitarbeit Zeit und Geld geopfert haben - herzlichen Dank.
>   Danke den vielen AktionärInnen, die uns ihre Stimmrechte übertragen haben, damit Kritik, Protest und Widerspruch auch an den Mikrofonen der Hauptversammlung möglich werden. Vielen Dank.
>   Danke auch allen Organisationen und Gruppen, die sich mit eigenen Aktivitäten in die Proteste gegen BAYER/MONSANTO eingebracht haben. So etwa (die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, wenn jemand fehlt, bitten wir das zu entschuldigen): Netzwerk Duogynon, Bund Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Food International Action Network (FIAN), Deutscher Berufs- und Erwerbs-Imker-Bund, Katholische Arbeitnehmer Bewegung (KAB), Pappnasen Rot-Weiß, INKOTA, Meine Landwirtschaft, Honig-Connection, SumOfUs, Slowfood, International Federation of Organic Agriculture Movement (IFOAM), Navdanya-Stiftung, Attac, Eine-Welt-Netz, Colabora, Friends of the Earth, Dachverband Kritischer AktionärInnen, Umweltforum München, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL). Auch waren Gliederungen von Bündnis90/Die Grünen sowie von Die Linke aktiv.

 

Achtung: Eine Broschüre mit vielen Fotos und mehreren Berichten zu den Aktionen rund um die BAYER-HV am Vorabend der Übernahme von MONSANTO durch BAYER kann hier bestellt werden: mailto:info2@CBGnetwork.org / Bitte angeben, ob als pdf (4MB) oder als gedruckte Broschüre.

 

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