Dienstag, 17. März 2015
Mexico: „Unterstüzung nicht um jeden Preis“
Ein Polizeiabkommen biete Chancen, sagt Christoph Strässer, Menschenrechtsbeauftragter des Bundes. Waffenlieferungen sieht er kritisch.
Das Interview führte W.-D. Vogel
taz v. 11.3.2015
taz: Herr Strässer, vor einigen Tagen haben die kirchlichen Hilfswerke Brot für die Welt und Misereor die Bundesregierung aufgefordert, ein Polizeiabkommen mit Mexiko nicht umzusetzen. Sie haben sich für eine solche Zusammenarbeit ausgesprochen. Warum?
Christoph Strässer: Ich bin selbst gespalten. Der Zustand der mexikanischen Polizei ist mehr als problematisch. Menschenrechtliche und andere rechtsstaatliche Standards werden teilweise nicht beachtet. Lokale und bundesstaatliche Polizisten arbeiten teilweise mit der organisierten Kriminalität zusammen. Das zu unterstützen kann natürlich nicht im Sinne einer Sicherheitspartnerschaft sein.
Andererseits: In Mexiko müssen Polizisten nach wenigen Ausbildungswochen Aufgaben erfüllen, auf die sie nicht ausreichend vorbereitet sind. Vieles funktioniert schlecht, etwa die Sicherung von Tatorten und Beweismitteln. Aber das eigentliche Problem ist die Korruption. Wenn man mit deutscher Hilfe Konzepte entwickeln kann, um diese Schwierigkeiten zu überwinden, wäre das nicht falsch. Allerdings unter der Voraussetzung, dass die Menschenrechte eingehalten werden.
Es könnte passieren, dass Polizisten ausgebildet werden, die später für die Mafia arbeiten.
Die Gefahr besteht sicher in Einzelfällen. Deshalb muss man im Abkommen festlegen, wie überprüft wird, ob das passiert. Das ist machbar, wir haben schließlich mit vielen Staaten Sicherheitspartnerschaften, um Polizisten in demokratischem Handeln zu schulen. Wenn es dafür eine realistische Perspektive gibt, ist das sinnvoll. In Mexiko gibt es eben nur diese Polizei. Wenn man dort rechtsstaatliche Strukturen stärken kann, sollte man es versuchen. Aber nicht um jeden Preis.
Hatten Sie den Eindruck, dass der Fall Iguala von den Behörden ernsthaft strafrechtlich verfolgt wird?
Das ist ein großes Problem. Im Gespräch mit dem jetzt zurückgetretenen Generalstaatsanwalt Jesús Murillo Karam sind große Defizite deutlich geworden. Beweismittel wurden erst nach Wochen gesichtet und offenbar nur aufgrund des Drucks von außen. Die Angehörigen fordern zu Recht, dass bei der Identifizierung der Opfer mehr getan werden muss. Bislang ist nur eines identifiziert worden. Herr Murillo Karam sagte uns, die Ermittlungen seien noch nicht abgeschlossen.
Im Januar hat er sie bereits für beendet erklärt.
Die Angehörigen haben das deutlich kritisiert, die Aussage hat das Vertrauen in die Offenheit und Transparenz der Ermittlungen sehr stark erschüttert. Die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft könnte zu einer Kehrtwende beigetragen haben.
Sie haben sich auch mit den Gewehren der Waffenschmiede Heckler & Koch beschäftigt, die offensichtlich illegal in die Hände der Polizei von Iguala geraten sind. Haben Sie Neues erfahren?
Niemand bestreitet mehr, dass sich die Waffen dort befanden. Ob sie gegen die Studenten eingesetzt wurden, ist noch unklar. Aber auch dafür gibt es Indizien. Wenn man die Rechtslage betrachtet, hätten die Gewehre nicht nach Guerrero gelangen dürfen. Die Angehörigen haben schon an Weihnachten vor der deutschen Botschaft in Mexiko-Stadt dagegen demonstriert. Zu Recht. Sie erwarten, dass wir für Aufklärung sorgen. Und sie fordern, keine Waffen mehr nach Mexiko zu liefern.
Etwa 10.000 dieser Gewehre gingen in das Land. Hätte man nicht vorher wissen können, wie schwierig die Situation ist, und den Export erst gar nicht genehmigen dürfen?
Diese Frage stellt sich im Nachhinein. Meines Wissens hat es eine Absprache über den Endverbleib der Waffen gegeben. Demnach hätten die Gewehre in vier Bundesstaaten nicht gehen dürfen, darunter Guerrero. Die mexikanische Seite hat uns gegenüber bestritten, dass es diese Absprache gab. Das wird das Stuttgarter Landgericht klären müssen, wo gegen Heckler & Koch Ermittlungen laufen. Aber wenn man nicht ausschließen kann, dass sich die andere Seite nicht an Absprachen hält, wird eine solche Genehmigung sehr fragwürdig.
Sie haben gesagt: „Wenn mit Waffen aus Deutschland Verbrechen begangen werden, dann ist es für mich ein Anlass, mich dafür zu entschuldigen.“ Ist das nicht naiv?
Vielleicht ist das naiv. Und mit der Entschuldigung ist der Tatbestand ja auch nicht aus der Welt. Wir haben über drei Stunden mit den Angehörigen gesprochen und ihre Verzweiflung gespürt. Meine Aussage war eine emotionale Reaktion auf das Gespräch. Aber sie war angemessen.
Sollten Ihrer Meinung nach derzeit irgendwelche Rüstungsgüter nach Mexiko exportiert werden?
Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass es zu Vorfällen wie in Iguala kommt, plädiere ich dafür, keine Waffen zu liefern. Das ist auch der aktuelle Stand in der Bundesregierung. Es werden derzeit keine Ausfuhrgenehmigungen für Kriegskleinwaffen nach Mexiko erteilt.
Christoph Strässer, SPD, ist seit 2014 Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Ende Februar besuchte er Mexiko und beschäftigte sich unter anderem mit den 43 im September „verschwundenen“ Studenten von Iguala.
URL: http://www.taz.de/Politiker-ueber-deutsche-Waffen-in-Mexiko/!156226/
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