Dienstag, 17. März 2015
Warum immer mehr Flüchtlinge nach Nordkorea zurück wollen
Viele Nordkoreaner fühlen sich beim südlichen Nachbarn nicht zu Hause
Son Jung-hun lebt seit mehr als zehn Jahren in Freiheit, und doch gleicht die Existenz des Wahlsüdkoreaners einem Scherbenhaufen: Die unbezahlten Rechnungen stapeln sich, seine Wohnung musste er bereits verkaufen. Seine Leber ist ruiniert, und die Ärzte geben ihm noch maximal drei Jahre. Für seinen Lebensabend hat der Nordkoreaner nur mehr einen Wunsch: in sein Heimatland zurückzukehren, einen der repressivsten Staaten der Erde. "Wenn es nicht die Strafen gäbe, würden acht von zehn Flüchtlingen wieder zurück zu ihren Familien gehen", behauptet Son.
Mittlerweile leben mehr als 27.000 Nordkoreaner beim südlichen Nachbarn, doch seit einigen Jahren wandern immer mehr von ihnen ab. Das südkoreanische Wiedervereinigungsministerium listet nur sieben Nordkorea-Rückkehrer für das Jahr 2013 auf, doch die Dunkelziffer liegt weitaus höher. Ein ehemaliger Abgeordneter behauptete jüngst, dass jedes Jahr rund hundert Flüchtlinge über China wieder nach Nordkorea einreisen.
Als Abtrünnige riskieren sie Gefängnisstrafen in ihrem Heimatland, sie nehmen karge Mahlzeiten in Kauf und möchten freiwillig in einem totalitärem System leben. Für Außenstehende mag das eine abwegige Vorstellung sein – nicht jedoch, nachdem man ihre Existenzen in Südkorea näher betrachtet hat.
Depressionen und Angststörungen
Eine aktuelle Umfrage unter 1.750 Flüchtlingen umreißt die Eckpunkte einer tragischen Parallelgesellschaft: Die Hälfte aller Nordkoreaner werden in ihrer Wahlheimat wegen Depressionen oder Angststörungen behandelt, mehr als 20 Prozent haben Selbstmordgedanken, und fast alle fühlen sich der südkoreanischen Gesellschaft nicht zugehörig. Innerhalb einer Bevölkerung, die seit mehr als zehn Jahren die Selbstmordstatistiken aller OECD-Länder anführt, nehmen sich nordkoreanische Flüchtlinge im Schnitt dreimal öfter das Leben.
Dass sie sich in ihrer Wahlheimat nicht heimisch fühlen, kann ihnen nicht verübelt werden. Viele südkoreanische Senioren hegen noch immer die latenten Feindbilder, die im blutigen Koreakrieg wurzeln und später in einem jahrzehntelangen Klima aus Paranoia und Kommunistenhetze weiterlebten. Viele Konservative halten die Flüchtlinge für Spione oder gewöhnliche Kleinkriminelle, die aus ihrer Heimat vor Haftbefehlen geflohen sind. Für die politische Linke stellen sie oftmals Landesverräter dar. Die Jugend in Südkorea interessiert sich wenig für deren Schicksal. Nur wenige Arbeitgeber sind bereit, Nordkoreaner anzuheuern.
Rotlicht und Kleinkriminalität
Und wenn doch, dann verrichten sie trotz abgeschlossenen Universitätsstudiums einfache Hilfsarbeiterjobs. Nicht wenige nordkoreanische Frauen enden im Rotlichtbezirk, die Männer werden in die Kleinkriminalität gedrängt. Die Arbeitslosigkeit unter nordkoreanischen Flüchtlingen ist sechsmal höher als im Landesdurchschnitt. All das führt dazu, dass immer mehr von ihnen sich von ihrer Wahlheimat abwenden.
Auch Park In-sook kehrte 2012 nach sechs Jahren im Süden nach Nordkorea zurück. Auf einer Pressekonferenz berichtete sie, dass Südkorea an einer wild wuchernden Arbeitslosigkeit leide und sich alles nur ums Geld drehe: "Es gibt keine Spur von Menschlichkeit mehr."
Zu Pressekonferenzen genötigt
Unter vielen ihrer Landesgenossen im südkoreanischen Exil erhielt sie Applaus für ihre Aussagen – auch wenn sie diese möglicherweise nicht freiwillig getätigt hat. Rückkehrer werden in Pjöngjang dazu genötigt, eine Pressekonferenz abzuhalten, auf der ihre gescheiterte Existenz in Südkorea öffentlichkeitswirksam ausgeschlachtet wird. Jedes Jahr strahlt das Staatsfernsehen ein knappes Dutzend solcher Medienbeichten aus.
Seit Kim Jong-uns Machtantritt vor mehr als drei Jahren gibt es verstärkt Bemühungen aus Pjöngjang, die Exilanten aus dem Ausland zurückzuholen. Aktivisten berichten immer wieder von verdeckten Sicherheitsagenten aus Nordkorea, die Flüchtlinge besuchen und ihnen eine Rückkehr in die Heimat schmackhaft machen wollen – mit satten Geldbeträgen und 15 Minuten Ruhm im Staatsfernsehen.
Die Rückkehrer spielen dem Regime bei der Verteidigung seiner Menschenrechtsverletzungen in die Hände: Wenn Nordkorea wirklich so grausam ist, wieso kehren dann Leute freiwillig zurück?
Genaueres Bild vom südlichen Nachbarn
Breite Teile der nordkoreanischen Bevölkerung wissen längst, dass es Südkorea entgegen der Staatspropaganda zu beachtlichem Wohlstand gebracht hat. Durch die geschmuggelten DVDs und Radiogeräte vom Schwarzmarkt können sie sich ein weit genaueres Bild von der Außenwelt machen als noch ihre Eltern. Umso dringender braucht Pjöngjang die Rückkehrer aus dem Süden, um das Narrativ für die eigenen Zwecke umzumünzen: Die südkoreanische Gesellschaft mag zwar reich sein, doch sie ist auch unmenschlich und kalt. Wer dort sein Glück sucht, so lautet das Credo aus Pjöngjang, der landet unweigerlich in Schulden und sozialer Isolation. Für manche Flüchtlinge trifft das auch tatsächlich zu.
Tatsächlich stellt die südkoreanische Regierung allen Nordkoreanern einen Pass aus, gibt ihnen eine eigene Wohnung und monatliche Sozialbeiträge. Da die meisten Flüchtlinge jedoch erst einmal ihre Schlepper bezahlen müssen, starten viele mit Schulden in ihre neue Existenz.
Dass das Leben in Südkorea kein Zuckerschlecken ist, hat sich schnell bis in den Nordosten Chinas herumgesprochen, die erste Station für nordkoreanische Flüchtlinge. Dort überlegen sie es sich zweimal, ob sie wirklich die südkoreanische Staatsbürgerschaft annehmen wollen – oder in einem anderen Drittstaat um Asyl bitten. Immer wieder klopfen Nordkoreaner auch bei europäischen Behörden an, vor allem in Großbritannien, Belgien, Dänemark und den Niederlanden.
Son Jung-hun wird seinen Traum von einer Rückkehr nach Nordkorea nicht auf legalem Weg erreichen können. Südkorea hat ihn mit einem Ausreiseverbot belegt. (Fabian Kretschmer, derStandard.at, 13.3.2015)
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