Dienstag, 17. März 2015
[Chiapas98] Danksagung III - Das teuerste Bauwerk der Welt
Subcomandante Insurgente Moisés. Subcomandante Insurgente Galeano.
Februar-März 2015.
Vorabend. Morgengrauen. Die Kälte beißt unter die Kleider des Schattens. Auf dem Tisch, der einsam die Hütte möbliert (obwohl nichts angeschrieben ist, weiß man, dass sie jetzt das Hauptquartier der zapatistischen Kommandatur ist), liegt ein zerknülltes Blatt Papier, mit der Hand beschrieben, mit der Aufstellung der Abrechnung des Baus der/des Schule-Krankenhauses im zapatistischen La Realidad. Die Stimme vereint Blicke, Schweigen, Rauch, Wut:
Hm, hm, also sie geht sich nicht aus die Rechnung. Das Leben jedweden Zapatistas ist mehr wert als das Weiße Haus Peña Nietos und alle Häuser aller Reichen der Welt zusammen. Alles Geld zusammen das nötig ist, um die großen Gebäude zu errichten, wo die Mächtigen sich verstecken um Raub und Verbrechen zu begehen, reicht nicht aus, um nur einen einzigen indigenen zapatistischen Blutstropfen zu bezahlen. Daher glauben wir, dass dies das teuerste Bauwerk der Welt ist.
Daher müssen wir sagen, dass das, was nicht auf der Abrechnung steht, das Blut unseres Compañero Galeano ist. Nicht einmal alle Papiere der Geschichte der Welt reichen aus, um diese Rechnung zu schreiben.
Und daher sollen sie es so in den Kommunikationsmedien hinein schreiben, wenn sie die Listen machen, wer der Reichste ist und wo der Ärmste ist. Denn der Reiche hat Name und Vorname, Stammbaum und Geblüt. Der Arme dagegen hat nur Geographie und Kalender. Sie sollen dann schreiben, dass das teuerste Bauwerk des gesamten Planeten sich in der Zapatistischen Realitaet in Chiapas, Mexiko befindet. Und dass die indigenen zapatistischen Mädchen und Buben in die teuerste Schule der Welt gehen. Und wenn die Männer, Frauen, Mädchen, Buben, Alten, Indigenen, Zapatist*innen, Mexikaner und Mexikanerinnen in La Realidad krank werden, dann werden sie im teuersten Krankenhaus der Welt geheilt.
Aber die einzige Art, die Abrechnung richtig zu stellen besteht im Kämpfen, um das kapitalistische System zu zerstören. Nicht ändern. Nicht verbessern. Es nicht humaner machen, weniger grausam, weniger mörderisch. Nein. Total zerstören. Alle und jeden der Köpfe der Hydra vernichten.
Und dann fehlt noch immer, so wie wir hier das wünschen, die Errichtung von etwas Neuem und viel Besserem: ein anderes System errichten, eines ohne Gebieter, ohne Herren, ohne Befehlende, ohne Ungerechtigkeit, ohne Ausbeutung, ohne Geringschätzung, ohne Unterdrückung, ohne Beraubung. Eines ohne Gewalt gegen Frauen, gegen Kinder, gegen das Andere. Eines wo die Arbeit gerecht bezahlt wird. Eines wo nicht die Dummheit regiert. Eines, wo Hunger und gewaltsamer Tod nichts als böse Erinnerungen sind. Eines wo niemand oben ist um den Preis, dass andere unten sind. Ein vernünftiges. Ein viel besseres.
Dann und nur dann werden wir Zapatistinnen und Zapatisten sagen können, dass unsere Abrechnung richtig ist.
-*-
Vielen Dank an die AnderEn, Männer, Frauen, Mädchen, Buben, Alten, Gruppen, Kollektive, Organisationen und-wie-man-sonst-noch-sagt, der Sexta und Nicht-Sexta in Mexiko und überall auf der Welt für die Unterstützung die ihr uns zukommen habt lassen. Diese Klinik und diese Schule gehören auch Ihnen.
Das heißt, jetzt wissen Sie es, dass Sie eine autonome Klinik und eine autonome Schule im zapatistischen La Realidad haben.
Wir wissen, dass das jetzt ein wenig weit weg ist, aber man weiß ja nie, die Welt ist rund und dreht sich und es kann ja sein, vielleicht, wer weiß…….wie wäre es wenn eines Tages beim Morgengrauen irgendwer versteht, dass das Kämpfen, damit die Rechnung richtig wird, auch auf seine/ihre Rechnung geht.
Aus den Bergen des Südostens von Mexiko
Subcomandante Insurgente Moisés. - Subcomandante Insurgente Galeano.
Die zapatistische Realität, Chiapas, Mexiko.
März 2015.
SEKTION »AUS DEM NOTIZHEFT DER/DES KATZE HUNDES«: Geschlechterspezifische Aufzeichnungen:
- (…) Daher müssen wir Frauen dieses Landes uns organisieren, denn es gibt zu viele Verschwundene. Viele von uns Frauen sind Mütter, die wir diesen Schmerz erleiden, diese große Traurigkeit wegen unserer verschwundenen Söhne, unserer ermordeten Töchter. Denn jetzt, in diesem schlechten System ist es so, dass wir nicht nur erniedrigt und gedemütigt und ausgebeutet werden, zudem kommen sie auch noch um unsere Kinder zu ermorden und zum Verschwinden zu bringen. So war das beim Fall von ABC und jetzt mit den 43 Verschwundenen von Ayotzinapa, den verschwundenen Frauen von Ciudad Juarez, der Fall von Aguas Blancas, und all das zusammen ist das System. Es wird unsere Probleme nicht lösen, dieses aktuelle System wird uns keine Antwort geben. Daher Brüder und Schwestern ist es nötig, dass wir uns organisieren, denn es ist dort, im Dorf wo wir entscheiden, wo wir den Weg sehen werden, den wir als Volk einschlagen wollen. Als Volk von Männern und Frauen, nicht nur die vom Land und die Indigenen, auch Sie Schwestern, die in der Stadt leben, denn wir alle sind es, die wir uns regieren werden, und das zusammen mit unseren Männern, wir Männer und Frauen zusammen werden ein neues System errichten, wo wir wirklich als Frauen beachtet werden und vielleicht dort, Compañeras, Schwestern, werden wir eine Linderung der Schmerzen erfahren, die wir jetzt erleiden und von dieser kollektiven Wut, die uns jetzt eint.
(…) Jetzt wo wir bereits im 21. Jahrhundert angelangt sind, genießen nur einige wenige Frauen Reichtum, das heißt, nur die Frauen der Reichen, nur die Frauen der Präsidenten, der Regierenden und Abgeordneten. Aber in unserem Fall, wir die wir indigene Frauen sind, wir erleiden weiterhin Schmerz, Traurigkeit, Bitterkeit, Gewalttätigkeit, Ausbeutung, Verachtung und Diskriminierung, Gefängnis, Demütigung, Marginalisierung, Folterung und vieles mehr, denn auf uns Frauen schaut keine Regierung. Daher ist es für die anderen Frauen des Landes ebenso, so wie die Frauen früher gelebt haben, wie in den Zeiten der Ejidos, der Siedler, die Großväter haben diese schlechte Gewohnheit weitergeschleppt, so wie sie es in ihrem Leben mit dem Großgrundbesitzer gelernt haben, sie haben befohlen, so als ob sie der Gebieter des Hauses wären und dazu sagten sie noch: ´Ich befehle´ und das, obwohl er der Familienvater ist. Und wem er befahl das war seine Ehefrau und so entstand das allerschrecklichste, dass die Frauen, das heißt die Töchter, die Compañeras von damals gezwungen wurden zu heiraten, weil die Eltern entschieden, wer ihnen als Schwiegersohn genehm war. Sie wählten den, der mehr für Alkohol auslegte oder mehr Geld anbot, ja so war es in den Zeiten des Ejido, die Frau wurde nie beachtet, die Männer begannen sich zu organisieren, sie organisierten sich bei der Arbeit aber die Frau wurde nie beachtet.
(…) Wie viele verschwundene Frauen, Tote, Vergewaltigte, Ausgebeutete, und niemand sagt etwas über sie. Denn diese reichen Frauen, das sind nur einige wenige die den Reichtum deshalb genießen können, weil andere Frauen ausgebeutet werden. Diese reichen Frauen leiden nicht, sie fühlen keinen Schmerz, die Demütigung der Ausbeutung weil sie arm sind. Aber deshalb werden wir als Frauen es nicht unterlassen, uns zu organisieren und zu kämpfen, denn für die Frauen gibt es in diesem System nur Schmerz, Traurigkeit, Gefängnis, Demütigung und Vergewaltigung. So wie die Mütter der 43 verschwundenen Studenten, die des Kindergartens ABC und die von der Mine Pasta de Conchos. So wie in Acteal, aber deshalb werden wir es nicht unterlassen, uns ebenfalls zu organisieren und zu kämpfen, auf dem Land und in der Stadt. Daher tauschen wir mit Ihnen das erste Mal in der Geschichte unsere Gedanken aus.
(…) im System, da gibt es Männer die machen Arbeiten wie die Frauen aber es ist nicht zum Wohl einer neue Gesellschaft wie wir es machen, wir als Zapatist*innen; wir kennen Beispiele, in einigen Orten in den großen Restaurants, dort sind Männer, elegant gekleidet und machen die Arbeit, die die sonst Frauen verrichten, aber dort sind sie die Ausgebeuteten und die Frauen, die diese Stellen besetzten, werden an andere Orte gebracht, für einen anderen Zweck, wie Ware, Fotos macht man von ihnen, die kommen in Zeitschriften, auf Filme, Publikationen im Internet. Hm, so wie wir sehen, dass das Leben in diesem System in dem wir uns befinden schwieriger ist als seit 520 Jahren, denn die Situation, in die uns die schlechte Regierung treibt, nun also, das sind jetzt die Enkel und die Söhne der Großgrundbesitzer und sie setzen die Ausbeutung in diesem Land fort und wir sehen, dass es niemals eine Änderung gibt in diesem Systm und die Schwestern und Brüder erleiden weiterhin diese Schmerzen, welche uns die schlechte Regierung weiterhin zufügt. (Aufzeichnungen anlässlich des Gedankenaustausches der Zapatist*innen beim Ersten Weltfestival der Widerstände und Rebellionen gegen den Kapitalismus. Die komplette Version erscheint in »Rebeldía Zapatista. No. 4?, die in Kürze veröffentlicht werden wird)
.- In diesem System als Frau geboren zu werden, aufzuwachsen, zu leben und zu sterben ist vergleichbar mit einem sich lebenslänglich fortschleppen in einem Gewirr aus Stacheldraht. Aber dieser Schmerz ist einer der vielen Schmutzflecken der Geschichte. Was Hoffnung macht ist die Tatsache dass sie, immer mehr sie, sich entscheiden aufzustehen und aufrecht zu gehen. Nicht so, als ob die Stachel Blumen wären, sondern so als ob die Kratzer, selbst die tödlichen, sie stärker machten….um den Weg zu öffnen. Nicht, um der Vorherrschaft ein anderes Geschlecht aufzudrücken, sondern dafür, dass es keine Vorherrschaft mehr gibt. Nicht um dadurch einen Platz in den Geschichtsbüchern von oben einzunehmen sondern deshalb, damit die Geschichte von unten aufhöre, eine Wunde ohne Heilung zu sein. Weder Herrscherin noch Beherrschte. Weder Königin noch Plebejerin. Weder Khaleesi noch Jhiqui. WederChefin noch Hausangestellte. Weder Herrin noch Sklavin. Weder Gebieterin noch Dienerin. Aber das Schlimmste ist nicht, dass jede als Frau geborene diesen Betrug antrifft als Kalender der kommen wird, in jedweder politischen Geographie. Das Erschreckende ist, dass jene die den Eifer für eine bessere Welt auf ihre Fahnen heften, nicht selten mit ihren eigenen Händen diese schmerzenden Fallen weben. Aber von Zeit zu Zeit gibt die Realität, die ja weiblich ist, dem Kalender von oben eine Ohrfeige in allen Geographien von unten. Ich bezeuge es.
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