Montag, 6. Mai 2013
Ministerin von der Leyen trickst
Zwei Jahre Bildungs- und Teilhabepaket – Wie Ministerin von der Leyen trickst, um das Scheitern nicht zugeben zu müssen
Das Bildungspaket sei erfolgreich und erreicht die Kinder immer besser. Zwei Drittel der berechtigten Kinder profitierten von dem Bildungs- und Teilhabepaket – so bilanzierte die Ministerin am 26. April zufrieden vor der versammelten Presse. Ein genauerer Blick auf die Zahlen und das Gutachten des beauftragten Instituts für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik zeigt dagegen: Es wird massiv getrickst, um die gewünschten Erfolge präsentieren.
Das sogenannte Bildungs- und Teilhabepaket (BuT) besteht aus verschiedenen Elementen: eintägige Ausflüge, mehrtägige Klassenfahrten, Schülerbeförderung, Lernförderung, Mittagessen , Teilhabe und persönlicher Schulbedarf. Diese Leistungen sind keineswegs alle neu. Teilweise gab es sie auch schon vor der Einführung des BuT seit dem 1. April 2011. Dies gilt beispielsweise für den persönlichen Schulbedarf (100 Euro pro Jahr in zwei Zahlungen) oder auch die Finanzierung mehrtägiger Klassenfahrten.
Das Bundesverfassungsgericht hatte die Regierung mit seinem Regelsatz-Urteil vom 9. Februar 2010 unter Handlungsdruck gesetzt. Die Ermittlung der Bedarfe von Kindern und Jugendlichen sei durch die Hartz IV-Gesetzgebung nicht erfolgt. Der praktizierte "Abschlag von 40 Prozent gegenüber der Regelleistung für einen Alleinstehenden beruht auf einer freihändigen Setzung ohne irgendeine empirische und methodische Fundierung" (BVerfG Urteil vom 9. Februar 2010, Rdnr. 191). Insbesondere der notwendige Schulbedarf sei nicht empirisch ermittelt, sondern er wurde "offensichtlich freihändig geschätzt"; es insbesondere bei schulpflichtigen Kindern ein zusätzlicher Bedarf zu erwarten.
Die Bundesregierung hat in Reaktion auf den Auftrag durch das Bundesverfassungsgericht nicht die Bedarfe der Kinder und Jugendlichen eigenständig ermittelt und entsprechend die Regelleistungen erhöht. Dies wäre unbürokratisch gewesen und hätte sichergestellt, dass alle Kinder ihre Ansprüche auch realisieren. Stattdessen hat die Ministerin einen flächendeckenden Missbrauch höherer Geldleistungen durch die Eltern unterstellt. Die Leistungen müssten so organisiert werden, dass die Leistungen auch tatsächlich bei den Kindern ankämen – so die Ministerin. Also hat die Ministerin beschlossen die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen auf Antrag zu organisieren. Dies ist der Geburtsfehler des Bildungs- und Teilhabepaket. Aus dieser Fehlentscheidung folgen die massiven bürokratischen Kosten und die mangelhafte Inanspruchnahme durch die berechtigten Kinder und Jugendlichen.
Um aus dem Bildungs- und Teilhabepaket einen Erfolg konstruieren zu können, müssen die Zahlen der Inanspruchnahme schöngerechnet werden. Und dies geschieht folgendermaßen:
Zunächst einmal wird jede einzelne Leistungskomponente eigenständig berechnet und dann addiert. Nach der Logik hat jedes Kind das Bildungs- und Teilhabepaket in Anspruch genommen, sobald es eine Leistungsart bekommen hat – die Tatsache, dass ein Kind bis zu sechs Leistungsansprüche haben kann, bleibt unbeachtet. Wenn ein Kind zwei Leistungen erhält, erscheint dies statistisch, als ob zwei Kinder das Bildungs- und Teilhabepaket in Anspruch genommen haben. Dies ist methodisch zu kritisieren, ist aber noch ein vergleichsweise harmloser Taschenspielertrick.
Der nächste Schritt ist schon problematischer. Der persönliche Schulbedarf wird bei SGB II leistungsberechtigten (Schul-)Kindern automatisch zu Schulbeginn (70 Euro) und zu Beginn der zweiten Schulhälfte (30 Euro) überwiesen. Die Inanspruchnahme bei den SGB II leistungsberechtigten Schulkindern liegt demzufolge bei 100 Prozent. Bei den Befragungen durch das ISG – deren Erhebung liegt die Bilanz durch das Ministerium zugrunde, weil keine amtliche Zahlen zur Inanspruchnahme des BuT vorliegen – werden denn auch alle Angaben hinsichtlich der Inanspruchnahme des persönlichen Schulbedarfs ggf. als erhalten korrigiert. In der Sprache des ISG: die Daten wurden "imputiert" (ISG 2013, S. 36). Eine Leistungskomponente, die im Gegensatz zu den anderen Komponenten als Geldleistung automatisch überwiesen wird, braucht man aber nicht abzufragen. Der Sinn liegt nur darin, die Quote der Inanspruchnahme zu beschönigen. In der ersten Jahresbilanz durch das Bundesministerium ist diese Leistungsart konsequenterweise gar nicht erst in die Bilanz einbezogen worden.
Der dritte Schritt des Ministeriums grenzt nun an bewusste Irreführung der Öffentlichkeit. Das Rätsel zeigt sich, wenn die ausgewiesene Inanspruchnahme der verschiedenen Leistungskomponenten durch das BMAS und die zugrunde liegende Erhebung durch das ISG nebeneinander gestellt werden (jeweils in Prozent):
Es ist unschwer zu erkennen, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales in allen Bereichen spürbar höhere Inanspruchnahmen ausweist. Der Trick: Das BMAS hat schlicht und einfach die Bezugsgröße verändert, sprich: verkleinert. Sinnvoll und angemessen ist es, die Leistungen des BuT auf die Gesamtzahl der Kinder bis 18 Jahren zu beziehen. Wie oft ist eine Leistungsart von den Kindern bis 18 Jahren in Anspruch genommen worden? So hat es das ISG gemacht und dann die Quote errechnet. Das BMAS geht nun hin und verkleinert die Bezugsgruppe auf die Kinder, die eine Leistung des BuT in Anspruch genommen haben. Alle diejenigen, die keinerlei Leistungen bekommen haben, werden nicht miteinbezogen. Die Bezugsgruppe wird dadurch um etwa 25 Prozent der Kinder bis 18 Jahren verkleinert. Die Zahlen des BMAS finden sich nicht der Studie des ISG, sondern sind vom Ministerium selbst errechnet worden. Wie sich dieses Vorgehen sachlich rechtfertigen lässt, bleibt schleierhaft. Der Effekt ist aber eindeutig: Die Zahlen werden "besser" im Sinne der Ministerin – und lassen sich eher als Erfolg darstellen.
Eine ehrliche Bilanz wäre gewesen: Nicht "fast drei Viertel der berechtigten Kinder" (Pressemitteilung des BMAS), sondern maximal ein Viertel der Kinder bis 18 Jahre haben jeweils eine der Leistungen aus dem Bildungs- und Teilhabepaket bekommen. Lediglich jedes fünfte Kind nimmt etwa die Leistungen zur Teilhabeförderung in Anspruch (zehn Euro pro Monat für Vereinsmitgliedschaft). Dies ist zwei Jahre nach der Einführung des Pakets alles andere als der medial präsentierte Erfolg. Angesichts der Tatsache, dass alle Kinder und Jugendlichen einen verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch auf Leistungen für Bildung und Teilhabe haben, ist die Tatsache, dass bei jeder einzelnen Leistungsart mindestens 75 Prozent leer ausgehen eher ein Offenbarungseid. Daher gilt: Das Bildungs- und Teilhabepaket in der bislang organisierten Form als antragsbasierte Sach- und Dienstleistung ist gescheitert. Die Umsetzung des Schulbedarfs zeigt dagegen, wie es auch gehen kann: Eine automatische Geldleistung schafft keine Bürokratie und garantiert eine hundertprozentige Inanspruchnahme. Daran sollte sich der Gesetzgeber bei der Neukonzeption von Bildung und Teilhabe für Kinder und Jugendliche orientieren.
linksfraktion.de, 6. Mai 2013
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