Freitag, 31. Mai 2013
Von 100 Opfern bewaffneter Konflikte kommen rund 95 durch Kleinwaffen zu Tode.
Mit dem G36 gegen das G3
BERLIN/RIAD
german-foreign-policy.com vom 28.05.2013 – Die Bundesregierung vermeldet einen neuen Rekord bei den Ausfuhr-Genehmigungen für sogenannte Kleinwaffen. Wie es in der Antwort auf eine Anfrage im Deutschen Bundestag heißt, hat Berlin letztes Jahr „Kleinwaffen“-Exporten im Wert von über 76 Millionen Euro zugestimmt – doppelt so viel wie im Vorjahr. Als „Kleinwaffen“ werden nicht nur Pistolen, sondern etwa auch Maschinenpistolen und Sturmgewehre bezeichnet. Experten nennen sie, da sie besonders viele Todesopfer fordern, auch „Massenvernichtungswaffen des 21. Jahrhunderts“: Von 100 Opfern bewaffneter Konflikte kommen demnach rund 95 durch Kleinwaffen zu Tode. Ganz wie bei den Rüstungsexporten allgemein liefert Deutschland auch in ihrem Fall einen relevanten Teil an die Diktaturen auf der Arabischen Halbinsel: Beinahe zehn Prozent aller 2012 genehmigten Kleinwaffen-Ausfuhren gehen nach Saudi-Arabien. Das dortige Regime verfügt sogar über die Lizenz, deutsche Sturmgewehre des Typs G36 in Eigenregie zu bauen. Fachleute stellen die Behauptung, der deutsche Produzent Heckler und Koch könne unerwünschte G36-Weiterverkäufe des saudischen Lizenznehmers verhindern, in Frage. Wozu die Lizenzvergabe führen kann, zeigt das Beispiel des Iran, der einst ebenfalls die Erlaubnis zur eigenständigen Herstellung eines deutschen Sturmgewehrs erhielt – und es bis heute nutzen kann.
Kleinwaffen-Export in Rekordhöhe
Die Bundesregierung hat letztes Jahr die Ausfuhr sogenannter Kleinwaffen im Wert von 76,15 Millionen Euro genehmigt. Dies geht aus einer Antwort auf eine aktuelle Bundestags-Anfrage der Fraktion Die Linke hervor. Dabei handelt es sich um die größte Summe, seit die Bundesregierung ihre „Rüstungsexportberichte“ veröffentlicht – deren erster behandelte das Jahr 1999 -, möglicherweise sogar um das größte Genehmigungsvolumen in der Geschichte der Bundesrepublik. Ähnlich hohe Beträge wurden lediglich zu Zeiten der Großen Koalition (2008: 68,9 Millionen Euro; 2009: 70,4 Millionen Euro) und unter Rot-Grün (2002: 61,6 Millionen Euro) erreicht.[1] Ein erheblicher Teil der Exporte ist für Saudi-Arabien bestimmt: Berlin hat der Golfdiktatur gestattet, Kleinwaffen und Kleinwaffenteile im Wert von 6,5 Millionen Euro zu kaufen; das entspricht fast einem Zehntel der Genehmigungen.
Expansion per Export
Die Schwerpunktsetzung auf Kleinwaffen-Lieferungen an die Diktaturen auf der Arabischen Halbinsel entspricht der Tendenz deutscher Rüstungsexporte insgesamt. Seit einigen Jahren klagt die deutsche Rüstungsindustrie über eine Stagnation der Militärhaushalte in der Bundesrepublik sowie bei deren westlichen Verbündeten. Man müsse deshalb „stärker in den Export gehen“, äußerte im Herbst 2011 exemplarisch der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV). Ähnliches ist zuweilen auch aus der IG Metall zu hören (german-foreign-policy.com berichtete [2]). Da Genehmigungen für Rüstungsausfuhren aber nur für Staaten erteilt werden, die außenpolitisch als Kooperationspartner Berlins eingestuft werden können, ist der Kreis der Abnehmer, die noch dazu kaufkräftig sein müssen, prinzipiell begrenzt. Zuletzt kam es zu aufsehenerregenden Waffenverkäufen nach Südostasien. Die dortigen Staaten gelten als mögliche Partner im Hegemonialkampf gegen China.[3] Vor allem jedoch hoffen deutsche Rüstungskonzerne auf Exporte in den Mittleren Osten. Die Diktaturen auf der Arabischen Halbinsel sind nicht nur eng mit dem Westen liiert – im Hegemonialkampf gegen Iran, der seit einigen Jahren eskaliert. Sie besitzen darüber hinaus auch genügend Mittel aus ihren Öl- und Gasausfuhren, um Kriegsgerät in fast beliebigem Umfang zu kaufen.
Nummer zwei nach den USA
Beispielhaft ließ sich das Werben deutscher Waffenschmieden um Aufträge aus den Golfdiktaturen auf der Militärmesse „IDEX 2013“ im Februar dieses Jahres in Abu Dhabi erkennen. Auf der Messe waren alles in allem 69 deutsche Firmen präsent; wie zu hören ist, war Deutschland damit der zweitgrößte Aussteller nach den USA. Schon vorher hatten eine ganze Reihe deutscher Konzerne voluminöse Aufträge beispielsweise aus Saudi-Arabien und Qatar an Land ziehen können; dies zeigen die teils milliardenschweren Geschäfte, die in den vergangenen Monaten schrittweise an die Öffentlichkeit gelangten [4], aber auch die Kleinwaffen-Ausfuhrgenehmigungen des Jahres 2012. Dennoch wirbt die deutsche Rüstungsindustrie weiter in Mittelost – begleitet von der Bundesregierung. Diese war bei „IDEX 2013“ nicht nur mit dem Verteidigungsattaché der deutschen Botschaft in den Vereinigten Arabischen Emiraten sowie mit dessen Stellvertreter präsent, sondern auch mit vier Mitarbeitern des Bundesverteidigungsministeriums. Zudem waren acht Soldaten der Bundeswehr zugegen. Zu den Unternehmen aus der Bundesrepublik, die unter den Augen der Funktionäre von Bundesregierung und Bundeswehr in Abu Dhabi ihre Produkte vorstellten, gehörte auch der bedeutendste deutsche Kleinwaffen-Hersteller, die süddeutsche Waffenschmiede Heckler und Koch.
In Eigenregie
Heckler und Koch unterhält besondere Beziehungen nach Saudi-Arabien, seit die Golfdiktatur die Erlaubnis erhalten hat, deutsche Sturmgewehre in Lizenz selbst zu produzieren. Kritiker verweisen immer wieder auf die massiven Menschenrechtsverletzungen, die das Regim in Riad verantwortet, vor allem auf die blutige Unterdrückung der schiitischen Minderheit im Osten des Landes. Dessen ungeachtet erhielt Saudi-Arabien bereits 1969 die Lizenz zur Herstellung des Sturmgewehrs G3 aus dem Hause Heckler und Koch. Inzwischen darf Riad auch das hochmoderne Nachfolgemodell G36 (ebenfalls Heckler und Koch) in Lizenz herstellen; die Genehmigungen für erste Lieferungen der nötigen Ausrüstung fielen offenbar in das Jahr 2007. Ob die saudischen Streitkräfte die Waffe nutzten, als sie 2011 in Bahrain zur Niederschlagung der dortigen Massenproteste intervenierten, ist unbekannt. Ebenso unbekannt ist, ob Saudi-Arabien das Sturmgewehr bereits an Drittstaaten weiterverkauft hat oder dies plant. Experten nehmen jedenfalls Behauptungen, Riad sei ohne ausdrückliche deutsche Genehmigung zu einem solchen Schritt gar nicht in der Lage, nicht weiter ernst. Einem Bericht zufolge strebt Riad es sogar ganz offen an, das G36 vollständig in Eigenregie zu produzieren.[5]
Aus dem Ruder gelaufen
Wozu es führen kann, wenn man einem Verbündeten die Lizenz zur Waffenproduktion erteilt, zeigt das Beispiel Iran. Das Land erhielt 1967 die Erlaubnis, G3-Sturmgewehre aus dem Hause Heckler und Koch selbst herzustellen. Damals herrschte in Teheran der Schah, der zu seiner Zeit als ebenso enger Partner des Westens galt wie heute der Monarch in Riad. „Im September 1978 verübten seine Soldaten mit G3-Gewehren ein Massaker unter Demonstranten“, berichtet der Publizist Jürgen Grässlin in einer umfassenden neuen Untersuchung über deutsche Rüstungsexporte: „Rund 4.000 Menschen wurden erschossen.“ Kurz danach stürzte der Schah; „im Frühjahr 1979“, schildert Grässlin, „exekutierte das Regime des Ayatollah Chomeini mit G3-Gewehren Gegner im Schnellverfahren ohne Gerichtsverhandlung“ – zahllose Oppositionelle wurden ermordet. Im Krieg gegen den Irak (1980 bis 1988) seien „G3-Gewehre die Standardwaffe der iranischen Streitkräfte“ gewesen, fährt Grässlin fort.[6] Wie sehr der Bundesrepublik der Lizenz-Export in der Perspektive der außenpolitischen Eliten aus dem Ruder gelaufen ist, zeigt dabei vor allem die Tatsache, dass Iran laut Fachkreisen noch heute G3-Gewehre in Eigenregie herstellen und an seine Verbündeten liefern kann – zu einer Zeit, zu der er vom Westen als Hauptgegner im Mittleren Osten betrachtet wird. Käme es zu einem Konflikt zwischen Iran und Saudi-Arabien, stünden alte G3- gegen neue G36-Sturmgewehre.
Repressiv und instabil
Dabei kann – noch jenseits der Kritik an der saudischen Repression – niemand garantieren, dass die G3-Lizenzproduktion in Saudi-Arabien nicht ebenfalls aus dem Ruder läuft. Abgesehen davon, dass Riad prinzipiell in der Lage sein dürfte, die Gewehre auch unabhängig von deutschen Interessen zu exportieren, warnen Spezialisten immer wieder, das Regime herrsche keineswegs stabil. Verwiesen wird dabei nicht nur auf die wiederkehrenden schiitischen Proteste in der saudischen Ostprovinz, sondern auch auf die hohe Jugendarbeitslosigkeit von offiziell rund 30 Prozent. Ein Experte des Stockholmer Forschungsinstituts SIPRI hat jüngst erklärt, es bestehe kein Zweifel, dass Riad in Zukunft „auch militärisch in der Lage sein“ wolle, „jeden inneren Aufruhr zu unterdrücken“ [7], und dass es auch deshalb bestimmte Waffengattungen importiere. Zu diesen können die 2012 von Berlin genehmigten Kleinwaffen ebenso zählen wie die aus Deutschland gelieferten Kampfpanzer Leopard 2A7+, die sich mit ihren Räumschaufeln auch zur Aufstandsbekämpfung einsetzen lassen. In wessen Hände das Kriegsgerät fiele, sollte der Monarch in Riad einst – wie der gleichfalls repressiv herrschende Schah – gestürzt werden, wird in Deutschland nicht diskutiert.
[1] Rüstungsindustrie verdoppelt Exporte von Kleinwaffen; www.sueddeutsche.de 27.05.2013
[2] s. dazu Gegen den Trend
[3] s. dazu Panzer für Südostasien
[4] s. dazu Hegemonialkampf am Golf (II), Ein Stabilitätsfaktor und Waffen für Diktatoren
[5], [6] Jürgen Grässlin: Schwarzbuch Waffenhandel. Wie Deutschland am Krieg verdient, München 2013. S. dazu unsere Rezension.
[7] s. dazu Gegen den Trend
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