Montag, 6. Mai 2013

Der 20. Parteitag der KPdSU. Chruschtschows Thesen – die Charta des modernen Revisionismus

hoxha„Die Chruschtschowianer“ – Erinnerungen / Kapitel 6 Die offizielle Proklamation des Revisionismus Der 20. Parteitag der KPdSU. Chruschtschows Thesen – die Charta des modernen Revisionismus Von ENVER HOXHA (Enver Hoxha, „Die Chruschtschowianer“ – Verlag „ 8 NËNTORI“ – Tirana 1980, Seite 195 – 226, deutsche Ausgabe) Kommunisten-online am 5. Mai 2013 – Der 20. Parteitag der KPdSU. Chruschtschows Thesen – die Charta des modernen Revisionismus. Der „Geheimbericht“ gegen Stalin. Togliatti fordert die Anerkennung seiner „Verdienste“. Tito in der Sowjetunion. Molotow wird als Außenminister abgelöst. Gescheiterter Versuch der „parteifeindlichen Gruppe“. Ende der Karriere von Marschall Schukow. Ein weiteres Opfer der chruschtschowianischen Intrigen: Kiritschenko. Mai 1956: Suslow verlangt die Rehabilitierung von Koçi Xoxe und Konsorten. Juni 1956: Tito und Chruschtschow sind unzufrieden mit uns. Juli 1957: Chruschtschow inszeniert in Moskau ein Abendessen, um uns mit Rankoviċ und Kardelj zusammenzubringen. Der Verrat an der Spitze der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und des Landes, in dem die sozialistische Oktoberrevolution gesiegt hatte, stellte einen konzentrischen Angriff auf den Namen und die großen Lehren Lenins, besonders aber auf den Namen und das Werk Stalins dar. Im Zuge der Strategie, die er nach dem II. Weltkrieg verfolgte, intensivierte der Imperialismus mit dem amerikanischen an der Spitze, sobald er die ersten Schwankungen und Rückzüge der neuen sowjetischen Führung feststellte, seine Angriffe und seinen allseitigen Druck noch mehr, um Chruschtschow und Konsorten zu zwingen, auf dem Weg der Kapitulation und des Verrats jeden Tag weiter zu gehen. Die „Mühe“ und die beträchtlichen Summen, die der Imperialismus für diese konterrevolutionären Zwecke aufwandte, waren nicht umsonst. Nachdem Chruschtschow und seine Leute einmal den Weg der Zugeständnisse und des Verrats eingeschlagen hatten, hörten sie nicht mehr auf, die alten Anstrengungen und Wünsche des Imperialismus zu rechtfertigen. Als sie der Meinung waren, sie hätten ihre Stellung gefestigt, mit Hilfe der Marschälle die Armee in ihre Hand bekommen, den Staatssicherheitsdienst auf ihren Kurs gebracht und die Mehrheit des Zentralkomitees für sich gewonnen, setzte Chruschtschow, Mikojan und die anderen Chruschtschowianer für den Februar 1956 den berüchtigten 20. Parteitag an, auf dem sie dann auch den „Geheimbericht“ gegen Stalin hielten. Dieser Parteitag der Kommunistischen Partei der Sowjetunion ging in die Geschichte ein als der Parteitag, der die zutiefst anti-marxistischen und anti-sozialistischen Thesen Nikita Chruschtschows und seiner Helfershelfer offiziell absegnete, der in einer Reihe kommunistischer und Arbeiterparteien von ehemals sozialistischen und von kapitalistischen Ländern dem Eindringen der fremden bürgerlich-revisionistischen Ideologie die Türen sperrangelweit aufstieß. All die Verdrehungen in großen Grundsatzproblemen – etwa des Charakters unserer Epoche, der Weg des Übergangs zum Sozialismus, der friedlichen Koexistenz, der Frage von Krieg und Frieden, der Haltung zum modernen Revisionismus und zum Imperialismus usw. usf. -, die später zur Grundlage der großen, offenen Polemik mit dem modernen Revisionismus wurden, hatten ihren offiziellen Ausgangspunkt in Chruschtschows Bericht auf dem 20. Parteitag. Schon gleich nach Stalins Tod, bis hin zum 20. Parteitag, operierten die chruschtschowianischen Verschwörer auf füchsische Weise mit der „bürokratischen Legalität“, den „Parteiregeln“, der „Kollektivität“ und dem „demokratischen Zentralismus“, mit Krokodilstränen über Stalins Verlust, um so Schritt für Schritt die Torpedierung von Stalins Werk, seiner Persönlichkeit, des Marxismus-Leninismus anzubahnen. Für den Marxisten-Leninisten ist dies eine sehr lehrreiche Periode, denn sie zeigt den Bankrott der „bürokratischen Legalität“, die für eine marxistisch-leninistische Partei sehr gefährlich ist; sie zeigt die Methoden, mit denen die Revisionisten diese „bürokratische Legalität“ für sich ausnutzten; sie zeigt, wie ehrliche und erprobte Führer, die allerdings den revolutionären Klassengeist eingebüßt haben, den Intriganten auf den Leim gehen und den Erpressungen und der Demagogie der mit einer revolutionären Phraseologie getarnten revisionistischen Verräter Zugeständnisse machen, nachgeben. Wir sahen, wie die Chruschtschowianer während dieser Übergangsperiode, um ihre Macht zu konsolidieren, unter riesigem Spektakel angeblich mit „großer Parteilichkeit“, befreit vom „Alptraum der Angst vor Stalin“, mit „wahrhaft demokratischen und leninistischen Formen“ aktiv zu Werke gingen, wie sie damit beschäftigt waren, die gemeinsten Verleumdungen gegen die Sowjetunion, gegen Stalin und die sozialistische Ordnung überhaupt auszuhecken, wie sie sonst nur der Bourgeoisie zuzutrauen sind. All diese ungeheuerlichen Verleumdungen der Chruschtschow-Revisionisten, ihre ganze zerstörerische Tätigkeit, untermauerten die seit vielen Jahren umgehenden Verleumdungen der reaktionären Bourgeoisie gegen den Marxismus-Leninismus, die Revolution und den Sozialismus und versuchten sie mit angeblich authentischen Dokumenten, mit“Argumenten“ und „Analysen“ in neuem Geist „zu belegen“. Alles, was in der Vergangenheit gut gewesen war, wurde verzerrt, angeblich im Lichte der „neuen Verhältnisse“, der „neuen Entwicklungen“, der „neuen Wege und Möglichkeiten“ des Fortschritts. Viele ließen sich von dieser Demagogie der Verräter täuschen. Die Partei der Arbeit Albaniens jedoch nicht. Sie hat diese Frage sorgfältig und grundsätzlich analysiert und sich schon früh zu Wort gemeldet, um die marxistisch-leninistische Wahrheit zu verteidigen. Ich war zusammen mit den Genossen Mehmet Shehu und Gogo Nushi von unserer Partei beauftragt worden, am 20. Parteitag teilzunehmen. Der opportunistische „neue Geist“, den Chruschtschow im Begriff war zu wecken und zu schüren, zeigte sich schon daran, wie dieser Parteitag organisiert war und ablief. Dieser liberale Geist drückte wie eine schwarze Wolke auf die ganze Atmosphäre, durchzog die sowjetische Presse und Propaganda in jenen Tagen, herrschte in den Sälen und Gängen des Parteitags, spiegelte sich auf den Gesichtern, in den Gesten und in den Worten der Menschen wider. Es fehlte die frühere Ernsthaftigkeit, wie sie eigentlich für ein so außerordentlich wichtiges Ereignis im Leben einer Partei und eines Landes kennzeichnend sein sollte. Auf dem Parteitag sprachen auch Parteilose. In den Pausen zwischen den Sitzungen spazierten Chruschtschow und Genossen lachend in den Sälen und Gängen umher, wobei sie um die Wette Anekdoten erzählten, Geistreicheleien austauschten, sich volkstümlich gaben und an den übervollen Tischen, die überall aufgestellt waren, Getränke in sich hinein stürzten. Mit all dem wollte Chruschtschow den Eindruck nachhelfen, die „drückende Zeit“, die „Diktatur“, die „düstere Analyse“ der Dinge sei nun ein für allemal vorüber, und nun sei offiziell die „neue Zeit“ der „Demokratie“, der „Freiheit“, des „schöpferischen Herangehens“ an die Ereignisse und Phänomene angebrochen, innerhalb wie außerhalb der Sowjetunion. Sein erster Bericht auf dem Parteitag, großspurig als „kolossaler Beitrag“ zum Bestand des Marxismus-Leninismus, als „schöpferische Weiterentwicklung“ unserer Wissenschaft angepriesen, stellt in Wirklichkeit die offizielle Charta des modernen Revisionismus dar. Schon damals fanden Chruschtschows „Neuentwicklungen“ bei der Bourgeoisie und der Reaktion ungemein großen Anklang. Diese sprachen ganz unverblümt von radikalen Veränderungen, die sich gerade in der Sowjetunion und in der politischen und ideologischen Linie der Kommunistischen Partei der Sowjetunion vollzogen. Die Reaktion und die Bourgeoisie begrüßten also die große, radikale Wende Chruschtschows freudig, versäumten es aber gleichzeitig auch nicht, bei verschiedener Gelegenheit zu erklären, sie sei „gefährlicher“ für ihre eigenen Interessen als die Linie der Stalinzeit. Chruschtschow und die Chruschtschowianer führten diese „Kritik“ der Bourgeoisie als Argument an, um die anderen davon zu überzeugen, die „neue Linie“ sei „richtig“ und „marxistisch“. Doch die Furcht der internationalen Bourgeoisie lag in Wirklichkeit woanders begründet: sie sah in Chruschtschow und seiner „neuen Politik“ nicht nur den neuen Verbündeten, sondern auch den neuen gefährlichen Rivalen im Ringen um Einflusszonen, bei Plünderunge, Krieg und Eroberung. Am letzten Tag wurde der Parteitag hinter verschlossenen Türen abgehalten, weil die Wahlen durchgeführt werden sollten, wir nahmen also an den Sitzungen nicht teil. In Wirklichkeit fanden an diesem Tag nicht nur die Wahlen statt, vielmehr wurde den Delegierten auch noch ein zweiter Bericht Chruschtschows verlesen. Das war der berüchtigte Bericht gegen Stalin, der so ganannte Geheimbericht. Man hatte ihn allerdings schon vorher den jugoslawischen Führern zugesandt, und schon wenige Tage später geriet er als ein neues „Geschenk“ Chruschtschows und der Chruschtschowianer auch in die Hände der Bourgeoisie und der Reaktion. Nachdem der Bericht mit den Parteitagsdelegierten durchgearbeitet worden war, gab man ihn auch uns und allen anderen ausländischen Delegationen zum Lesen. Nur die ersten Sekretäre der Bruderparteien, die am Parteitag teilnahmen, bekamen ihn zu lesen. Ich las die ganze Nacht, und zutiefst erschüttert gab ich den Bericht auch Mehmut und Gogo. Das Chruschtschow und Co. Stalin, seine Gestalt und sein ruhmvolles Werk unter den Tisch gewischt hatten, das wussten wir schon vorher, da hatten wir auch während des Parteitages gesehen, wo sein Name kein einziges Mal positiv erwähnt wurde. Doch dass es die sowjetischen Führer fertig bringen würden, all diese ungeheuerlichen Anschuldigungen und Beschimpfungen gegen den großen, unvergesslichen Stalin zu Papier zu bringen, das hätten wir uns nie vorstellen können. Dennoch, da stand es, schwarz auf weiß; man hatte es den sowjetischen Kommunisten, den Parteitagsdelegierten vorgelesen und auch den Vertretern der anderen Parteien, die am Parteitag teilnahmen, zu lesen gegeben. Wir fühlten uns in unserem Denken und Empfinden zutiefst getroffen. Wir sagten zueinander, dies sei eine grenzenlose Niedertracht mit katastrophalen Folgen für die Sowjetunion und die Bewegung, und unter diesen tragischen Umständen sei es die Pflicht unserer Partei, fest auf ihren marxistisch-leninistischen Positionen zu verharren. Nachdem wir den schrecklichen Bericht gelesen hatten, gaben wir ihn unverzüglich seinen Urhebern zurück. Wir brauchten diese von Chruschtschow ausgeheckte Jauchegrube ekelerregender Beschuldigungen nicht. Wir gehörten nicht zu der Sorte von „Kommunisten“, die den Bericht mitnahmen, um ihn der Redaktion auszuhändigen und als gewinnträchtiges Geschäft pfundweise an den Kiosken zu verkaufen. Was wir im Vaterland Lenins und Stalins gesehen hatten, ließ uns blutenden Herzens nach Albanien zurückkehren, doch gleichzeitig nahmen wir auch die wichtige Lehre mit, dass wir den Taten und Auffassungen Chruschtschows und der Chruschtschowianer gegenüber wachsamer zu sein, die Augen offen zu halten hatten. Schon nach ganz wenigen Tagen begannen die Ideen des 20. Parteitags überall ihren schwarzen Rauch zu verbreiten. Als einer der ersten trat Palmiro Togliatti, unser direkter Nachbar, der uns dennoch am fernsten stand und sich uns gegenüber am unzugänglichsten zeigte, vor seine Partei und warf sich in die Brust. Er lobte nicht nur die neuen „Perspektiven“, die der Parteitag der Sowjetrevisionisten eröffnet habe, über den grünen Klee, sondern nahm für sich auch das Verdienst in Anspruch, geistiger Vater und „alter Vorkämpfer“ vieler dieser neuen Thesen und Ideen Chruschtschows zu sein. „Was unsere Partei anbelangt“, erklärte Togliatti im März 1956, „so meine ich, dass wir mutig gehandelt haben. Wir haben uns stets darum bemüht, unsere, die italienische Art der Entwicklung zum Sozialismus zu finden.“ Die Belgrader Revisionisten lebten vor Freude auf wie nie zuvor, während in den anderen Parteien der volksdemokratischen Ländern damit begonnen wurde, im Geist der Thesen Chruschtschows nicht nur die Zukunft zu entwerfen, sondern auch die Vergangenheit zu überprüfen. Revisionistische Elemente, die sich bis dahin verkrochen gehabt hatten und heimlich ihr Gift verspritzten, traten nun ganz offen hervor, um mit ihren Gegnern abzurechnen. Die Welle der Rehabilitierung von verurteilten Verrätern und Feinden setzte ein, die Gefängnistore wurden geöffnet, und viele der früheren Verurteilten kamen geradewegs in die Führungen der Parteien. Die Chruschtschowclique selbst ging als Vorbild voran. Stolz verkündete Chruschtschow auf dem 20. Parteitag, in der Sowjetunion seien über 7 000 in der Stalinzeit Verurteilte freigelassen und rehabilitiert worden. Dieser Prozess sollte weitergehen und noch verstärkt werden. Chruschtschow und Mikojan fingen an, einen nach dem anderen und schließlich alle auf einmal jene Mitglieder des Präsidiums des ZK der Partei auszuschalten, die sie dann als „parteifeindliche Gruppe“ hinstellten. Nachdem sie Malenkow ein Bein gestellt und ihn vorläufig durch Bulganin ersetzt hatten, kam Molotow an die Reihe. Das war am 2. Juni 1956. An diesem Tag erschien die „Prawda“ mit einer großen Fotografie Titos, mit dem dobro požalovat [russisch im Original: Herzlich willkommen!] zur Ankunft des Oberhaupts der Belgrader Clique in Moskau auf der Frontseite, und sie schloss auf Seite 4 in den „Tagesmeldungen“ mit der Nachricht von Molotows Absetzung als Außenminister der Sowjetunion. In der Meldung hieß es, Molotow sei „auf eigenen Wunsch“ von dieser Funktion entbunden worden, in Wirklichkeit wurde er aber abgesetzt, weil dies Titos Vorbedingung für seinen ersten Besuch in die Sowjetunion seit dem Abbruch der Beziehungen 1948-49 gewesen war. Und Chruschtschow und Konsorten erfüllten die aus Belgrad kommende Vorbedingung umgehend, um Tito Satisfaktion zu geben, hatte doch Molotow zusammen mit Stalin 1948 die Briefe der Sowjetführung an die jugoslawische Führung unterzeichnet. Die Stellung der revisionistischen Reaktionäre festigte sich, und ihre Gegner im Präsidium – Malenkow, Molotow, Kaganowitsch, Woroschilow und andere – begannen nun die revisionistische Intrige und die teuflischen Pläne, die Chruschtschow gegen die Kommunistische Partei der Sowjetunion und den Staat der Diktatur des Proletariats betrieb, deutlicher zu durchschauen. Auf einer Sitzung des Präsidiums des Zentralkomitees der Partei im Sommer 1957 im Kreml blieb Chruschtschow nach zahlreichen Kritiken in der Minderheit und wurde, wie uns Poljanski höchstpersönlich erzählte, von seiner Funktion als Erster Sekretär entbunden und zum Landwirtschaftsminister gemacht, weil er doch „Kukuruzspezialist“ [Maisspezialist] war. Aber das galt nur für ein paar Stunden. Chruschtschow und Konsorten gaben heimlich Alarm, die Marschälle ließen den Kreml mit Panzern und Soldaten umstellen und gaben Befehl, noch nicht einmal eine Maus aus dem Kreml herauszulassen. Außerdem wurden überall hin Flugzeuge abgeschickt, um die Plenumsmitglieder des ZK der KPdSU zusammenzuholen. „Dann“, erzählte uns Poljanski, diese Kreatur Chruschtschows, „gingen wir in den Kreml und verlangten Zutritt zu der Sitzung. Woroshilow kam heraus und fragte, was wir wollten. Als wir ihm sagten, wir wollten Zutritt zu der Sitzung, lehnte er ab. Als wir ihm die Faust zeigten, fragte er: `Was geht hier vor?` Wir warnten ihn aber: Red nicht lange herum, sonst verhaften wir dich. Wir gingen in die Sitzung und sorgten dafür, dass sich das Blatt wendete. Chruschtschow holte sich die Macht zurück.“ So wurden diese ehemaligen Kampfgefährten Stalins, die sich den Verleumdungen gegen sein ruhmreiches Werk angeschlossen hatten, nach diesem gescheiterten Versuch als „parteifeindliche Gruppe“ bezeichnet und von den Chruschtschowianern endgültig abserviert. Niemand weinte ihnen eine Träne nach, niemandem taten sie Leid. Sie hatten ihren revolutionären Geist eingebüßt, waren Leichen des Bolschewismus, keine Marxisten-Leninisten mehr. Sie hatten sich mit Chruschtschow zusammen getan und zugelassen, dass Stalin und sein Werk mit Schmutz beworfen wurden; sie versuchten etwas zu tun, aber nicht auf dem Parteiweg, denn auch für sie gab es die Partei nicht. Ihr Schicksal sollte allen beschieden sein, die sich auf die eine oder andere Weise Chruschtschow widersetzten oder die er nicht mehr brauchte. Jahrelang wurde ein gewaltiger Rummel um die „großen Verdienste“ Schukows gemacht, man benutzte seine Tätigkeit während des Großen Vaterländischen Krieges, um Schmutz auf Stalin zu werfen, man nutzte seine Macht als Verteidigungsminister aus, um Chruschtschows Putsch zum Triumph zu verhelfen. Doch später erfuhren wir völlig überraschend, dass er von seinen Funktionen entbunden worden war. Damals war Schukow zu Besuch bei uns. Wir empfingen ihn als alten Kader und Helden der Stalinschen Roten Armee wohlwollend, sprachen mit ihm über die Probleme der Verteidigung unseres Landes und des sozialistischen Lagers, und an seinen Ansichten fiel uns nichts Beunruhigendes auf. Im Gegenteil, er kam gerade von einem Besuch in Jugoslawien und sagte zu uns: „Nach dem, was ich in Jugoslawien alles gesehen habe, kann ich mir nicht vorstellen, dass das ein sozialistisches Land sein soll!“ Daraus entnahmen wir, dass er mit Chruschtschow nicht einer Meinung war. Genau am Tag seiner Abreise erfuhren wir, dass er wegen „Fehler“ und „schwerer Verstöße“ bei der Durchführung der „Parteilinie“, wegen Übertretung der „Gesetzlichkeit in der Armee“ usw. usf. seines Postens als Verteidigungsminister der UdSSR enthoben worden war. Ich kann nicht sagen, ob Schukow Fehler oder Verstöße in dieser Hinsicht begangen hatte, doch es ist leicht möglich, dass die Gründe tiefer liegen. Mir war bei einer Zusammenkunft mit Chruschtschow das Auftreten Schukows gegenüber aufgefallen. Ich erinnere mich nicht mehr an das Jahr, doch es war im Sommer, und ich hielt mich zum Urlaub im Süden der Sowjetunion auf. Chruschtschow hatte mich zum Mittagessen eingeladen. Von den Russen waren Mikojan, Kiritschenko, Nina Petrowna (Chruschtschows Frau) und noch einige andere anwesend. Als ausländische Gäste waren außer mir noch Ulbricht und Grotewohl da. Wir saßen draußen auf der Veranda, aßen und tranken. Als Schukow kam, forderte ihn Chruschtschow auf, sich zu setzen. Schukow schien nicht in bester Verfassung zu sein. Mikojan stand auf und sagte zu ihm: „Ich bin der tamada [Russisch im Original: der mit dem Trinkspruch an der Reihe ist], füll dein Glas!“ „Ich trinke nicht“, entgegnete Schukow. „Ich fühle mich nicht wohl.“ „Gieß ein, sag ich dir“, beharrte Mikojan in herrischem Ton. „Hier habe ich zu befehlen und nicht du.“ Nina Chruschtschowa griff ein: „Anastas Iwanowitsch“, sagte sie zu Mikojan, „zwing ihn icht, wenn es ihm nicht gut tut.“ Schukow schwieg und füllte sein Glas nicht. Chruschtschow scherzte mit Mikojan und wechselte das Thema. Gab es vielleicht schon damals Widersprüche zu Schukow, und sie hatten angefangen, ihn zu beleidigen und ihm vorzuführen, dass andere zu „befehlen“ hatten und nicht er ? Begann Chruschtschow und Konsorten die Angst zu packen vor der Macht, die sie selbst Schukow gegeben hatten, um ans Ruder zu kommen, und beschuldigten sie ihn deshalb später des „Bonapartismus“?! Waren Chruschtschow vielleicht schon Informationen über Schukows Ansichten zu Jugoslawien zugegangen, ehe dieser noch in die Sowjetunion zurückgekehrt war ?! Wie dem auch sei, Schukow verschwand von der politischen Bühne, trotz seiner vier Sterne des Helden der Sowjetunion, einer Reihe von Leninorden und zahlloser anderer Auszeichnungen. Nach dem 20. Parteitag verhalf Chruschtschow auch Kiritschenko zum Aufstieg und machte ihn zu einer der zentralen Figuren in der Führung. Ich hatte Kiritschenko viele Jahre zuvor in Kiew kennengelernt, er war damals Erster Sekretär der Ukraine gewesen. Dieser stattliche, rotgesichtige Mann hatte keinen schlechten Eindruck auf mich gemacht. Er empfing mich weder hochnäsig noch, um eben der Form Genüge zu tun. Kiritschenko begleitete mich an viele Orte, die ich zum ersten Mal sah. Er zeigte mir die ganz neu gebaute Hauptstraße von Kiew, führte mich nach Babij Jar, das bekannt geworden ist durch das Judenmassaker der Nazis. Wir gingen zusammen in die Oper, wo wir ein Werk über Bodan Chmelnizkij sahen, den er, wie ich mich erinnere, mit unserem Skanderberg verglich. Das freute mich, wenn ich mir auch sicher war, dass Kiritschenko von dem, was ihm die Tschinowniks über die Geschichte Albaniens berichtet hatten, nur der Name Skanderberg in Erinnerung geblieben war. Er versäumte es nicht, die Liebe, die ich für Stalin bekundete, mit den gleichen Wendungen und Ausdrücken der Bewunderung und Treue zu beantworten. Doch weil er aus der Ukraine war, unterließ es Kiritschenko auch nicht, über Chruschtschow zu sprechen, dessen „Klugheit, Befähigung, Energie“ usw er rühmte. In diesen Formulierungen, die ich damals für verständlich hielt, sah ich nichts Schlechtes. Es ergab sich häufig, dass ich im Kreml neben Kiritschenko am Tisch saß und mich mit ihm unterhielt. Nach Stalins Tod wurden zahlreiche Bankette gegeben; damals traf man nämlich die Führer der Sowjetunion gewöhnlich nur auf Banketten an. Die Tische waren Tag und Nacht gedeckt, widerwärtig überladen mit Speisen und Getränken. Wenn ich den sowjetischen Genossen beim Essen und Trinken zusah, fühlte ich mich an den Gargantua von Rabelais erinnert. Das war nach Stalins Tod, als die sowjetische Diplomatie über priomy [Russisch im Original: Empfänge] abgewickelt wurde und der Chruschtschow-“kommunismus“ unter anderen mit Banketten, mit Kaviar und Krimsekt veranschaulicht wurde. Auf einem der Empfänge, bei dem ich neben Kiritschenko saß, sagte ich laut zu Chruschtschow: „Sie müssen auch einmal zu Besuch nach Albanien kommen, überall sonst sind Sie schon gewesen.“ „Ich werde kommen“, antwortete Chruschtschow. Kiritschenko fuhr hoch und sagte zu Chruschtschow: „Albanien ist weit, versprich deshalb nicht, wann du gehst und wie lange du bleibst.“ Mir gefiel dieser Einwurf natürlich nicht, und ich fragte Kiritschenko: „Genosse, warum diese Unfreundlichkeit unserem Land gegenüber?“ Er tat, als ob er den Vorfall bedauere, und wollte sich rechtfertigen: „Nikita Chruschtschow geht es augenblicklich nicht gut, wir müssen auf ihn aufpassen.“ Das waren natürlich alles Märchen. Chruschtschow war prall wie ein Ferkel und aß und trank für vier. Ein anderes Mal ( natürlich, wie gewöhnlich, auf einem Empfang) kam ich wieder in der Nähe von Kiritschenko zu sitzen. Ich war in Begleitung von Nexhmije. Das war im Juli 1957. Chruschtschow war mit den Titoisten ins Reine gekommen, schmeichelte ihnen und übte gleichzeitig Druck auf sie aus. Die Titoisten taten, als gefielen ihnen die Schmeicheleien, den Druck und die Messerstiche hingegen gaben sie ihm zurück. Chruschtschow hatte sich schon am Abend vorher an mich gewandt, um bei mir „die Erlaubnis einzuholen“, mich zu diesem Abendessen einladen zu dürfen, bei dem sowohl Schiwkoff mit Gattin als auch Ranković und Kardelj mit Frauen anwesend waren. Chruschtschow scherzte wie gewöhnlich mit Mikojan. Doppelbödig kombinierte er die Pfeile, die Bosheiten, die hinterhältigen Anspielungen, die Falschheiten, die Drohungen mit den Späßchen, die er mit „Anastas“ trieb, den den „Hofnarren“ spielte. Nach den einleitenden Scherzen mit dem „Hofnarren“ begann Chruschtschow uns mit erhobenem Glas eine Vorlesung über die notwendige Freundschaft zwischen dem Dreieck Albanien-Jugoslawien-Bulgarien und dem Viereck Sowjetunion-Albanien-Jugoslawien-Bulgarien zu halten. „Die Beziehungen zwischen der Sowjetunion und Jugoslawien sind nicht geradlinig verlaufen“, sagte er. „Am Anfang waren sie gut, dann kühlten sie ab, dann wurden sie abgebrochen, dann sah es nach unserem Belgradbesuch so aus, als seien sie wieder in Ordnung gebracht. Dann platzte die Bombe [damit meinte er die Ereignisse im Oktober/November 1956 in Ungarn], und sie wurden erneut zerstört. Doch jetzt sind die objektiven und subjektiven Bedingungen dafür geschaffen worden, dass sie sich verbessern. Hingegen haben sich die Beziehungen Jugoslawiens zu Albanien und Bulgarien noch nicht verbessert. Die Jugoslawen müssen, wie ich vorher bereits zu Ranković und Kardelj gesagt habe, ihre Agententätigkeit gegen diese Länder einstellen.“ „Es sind die Albaner, die uns nicht in Ruhe lassen“, warf Ranković ein. Nun griff ich ein und rechnete Ranković die albanienfeindlichen Handlungen, die Komplotte, die Sabotage- und Diversionsakte vor, die sie gegen uns organisierten. Chruschtschow hatten wir an jenem Abend „auf unserer Seite“, doch seine Kritik an Jugoslawien war aus Watte. „Ich verstehe nicht“, sagte er, wobei er das Glas schwenkte, „wie ihr eure Partei `Bund der Kommunisten Jugoslawiens` nennen konntet. Was heißt das, `Bund`? Außerdem gefällt euch Jugoslawen der Ausdruck `sozialistisches Lager` nicht. Ja, aber sagt doch mal, wie sollen wir es denn nennen – `neutrales Lager` oder `Lager der neutralen Länder`? Wir sind doch alle sozialistische Länder, oder seid ihr etwa keines?“ „Doch, natürlich sind wir das!“ entgegnete Kardelj. „Dann kommt doch zu uns, wir sind die Mehrheit“, sagte Chruschtschow darauf. Diese ganze, stehend gehaltene Ansprache, voll Gezeter und Händefuchteln, voll `Kritik` an den Jugoslawen, gehörte zu Chruschtschows Anstrengungen, Tito, der Chruschtschow auf keinen Fall als „Ersten“ im Rat anerkennen wollte, kleinzukriegen. Kiritschenko an meiner Seite hörte zu und sagte nichts. Später fragte er mich leise: „Wer ist denn die Genossin neben mir?“ „Meine Frau, Nexhmije“, sagte ich. „Hätten Sie mir das nicht früher sagen können ? Ich halte die ganze Zeit den Mund, weil ich meine, das ist die Frau von einem von denen“, sagte er zu mir, mit den Augen auf die Jugoslawen weisend. Er begrüßte Nexhmije und fing dann an, bei mir über die Jugoslawen herzuziehen. Chruschtschow fuhr indessen mit seinen „Kritiken“ an den Jugoslawen fort und versuchte sie dann davon zu überzeugen, dass er (natürlich versteckte er sich hinter dem Namen der Sowjetunion, der Kommunistischen Partei der Sowjetunion) und kein anderer „an der Spitze“ zu stehen habe. Mit dem anderen meinte er Tito, der seinerseits bemüht war, sich selbst und die jugoslawische Partei über alle Übrigen zu stellen. „Es wäre lächerlich“, sagte er zu ihnen, „wenn wir an der Spitze des Lagers stehen wollten, ohne dass die anderen Parteien uns anerkennen, genauso wie es lächerlich wäre, wenn eine andere Partei die Führung beanspruchte, wenn die anderen dies nicht anerkennen.“ Kardelj und Ranković antworteten ihm mit kalter Miene, unternahmen verzweifelte Anstrengungen, ruhig zu erscheinen, doch man sah ihnen genau an, dass sie innerlich kochten. Tito hatte ihnen aufgetragen, seine Position gebührend zu vertreten, und sie wurden ihrem Meister nicht untreu. Der Dialog zwischen ihnen zog sich hin, immer wieder unterbrochen von Chruschtschows Gezeter, doch ich hörte nicht mehr hin. Außer meiner Antwort an Ranković , als er uns vorwarf, wir mischten uns in ihre Angelegenheiten ein, wechselte ich kein Wort mit ihnen. Die ganze Zeit über unterhielt ich mich mit Kiritschneko, der mächtig über die Jugoslawen herzog und die gesamte Haltung unserer Partei gegenüber der revisionistischen Führung Jugoslawiens vollkommen richtig nannte. Doch auch dieser Kiritschenko erhielt später von Chruschtschow seine Ohrfeige. Er, der bei ausländischen Beobachtern eine Zeit lang als zweiter Mann hinter Chruschtschow galt, wurde in eine kleine, entlegene Stadt in Russland geschickt, was sicherlich fast einer Internierung gleich kam. Einer unserer Militärstudenten erzählte, als er nach Albanien zurück kam: „Ich fuhr einmal im Zug, als ein sowjetischer Mitreisender kam und sich neben mich setzte. Er zog eine Zeitung hervor und fing an zu lesen. Nach einiger Zeit ließ er die Zeitung sinken und fragte mich, wie es üblich ist: `Wo fahren Sie hin?` Ich sagte es ihm. Aufmerksam geworden durch meinen Akzent, mit dem ich russisch sprach, fragte er mich: `Welcher Nationalität gehören Sie an?` – `Ich bin Albaner`, antwortete ich ihm. Der Reisende war überrascht, freute sich, sah nach der Abteiltür, wandte sich zu mir, drückte mir fest die Hand und sagte: `Ich bewundere die Albaner`. Ich war erstaunt über seine Einstellung“, sagte unser Offizier, „denn zu jener Zeit standen wir bereits im Kampf mit den Chruschtschowianern. Es war nach der Beratung der 81 Parteien. `Wer sind Sie denn`, fragte ich. Er erwiderte mir: `Ich bin Kiritschenko`. Als er mir den Namen sagte“, berichtete uns der Offizier,“ wurde mir klar, wer er war, und ich wollte die Unterhaltung mit ihm fortsetzen, doch er fragte mich auf einmal: `Spielen wir ein Domino?` – `Einverstanden`, antwortete ich, erzog eine Schachtel mit Steinen aus der Tasche und wir begannen zu spielen. Ich begriff bald, warum er Domino spielen wollte. Er wollte mir etwas sagen und seine Stimme mit dem Klappern der Steine auf dem Tisch übertönen. Und er fing an: `Hervorragend, wie eure Partei Chruschtschow entlarvt hat. Es lebe Enver Hoxha ! Es lebe das sozialistische Albanien !` Und so unterhielten wir uns zum Klappern der Dominosteine weiter sehr freundschaftlich. Im Verlauf unseres Gespräches kamen andere Leute ins Abteil. Noch ein letztes Mal klapperte er mit den Steinen und sagte: `Bleibt fest, Grüße an Enver.` Dann nahm er die Zeitung, vertiefte sich in die Lektüre und tat, als hätten wir nie miteinander gesprochen“, schloss unser Offizier seinen Bericht. Chruschtschow und Konsorten versuchten mit allen Mitteln, ihre offen revisionistische Linie, ihre anti-marxistischen und putschistischen Vorgehensweisen und Methoden auch in allen anderen kommunistischen und Arbeiterparteien zu verbreiten und zu züchten. Und wir erlebten, wie rasch der Chruschtschow-Revisionismus in Bulgarien und Ungarn, in Ostdeutschland, in Polen, Rumänien und der Tschehoslowakei aufblühte. Der große Prozess der Rehabilitierungen unter dem Deckmantel der „Korrektur vergangener Fehler“ verwandelte sich in allen ehemals volksdemokratischen Ländern in eine Kampagne ohnegleichen. Überall wurden die Gefängnistore geöffnet, die Oberhäupter der anderen Parteien traten in den Wettstreit miteinander, wer am meisten und am schnellsten die verurteilten Feinde aus dem Gefängnis lassen konnte, wer am meisten Posten bis an die Spitze von Partei und Staat an sie zu vergeben hatte. Die Zeitungen und Zeitschriften dieser Parteien veröffentlichten täglich Kommuniqués und Bekanntmachungen über diesen Frühling der revisionistischen Mafia; die Zeitungsspalten füllten sich mit den Reden Titos, Ulbrichts und der anderen revisionistischen Chefs, während es die Prawda und TASS brandeilig hatten, auf diese Ereignisse hinzuweisen und sie als „fortschrittliches Beispiel“ zu verbreiten. Wir sahen, was geschah, fühlten den wachsenden Druck, der von allen Seiten auf uns ausgeübt wurde, ließen uns aber keinen Millimeter von unserem Weg und unserer Linie abbringen. Das ärgerte natürlich vor allem Tito und Konsorten, die – in Hochstimmung versetzt durch die Beschlüsse des 20. Parteitags und das, was in den anderen Ländern vor sich ging – darauf warteten, dass auch in Albanien der große Umsturz stattfinde. Die Tätigkeit der Titoisten, die von der jugoslawischen Botschaft in Tirana aus gegen unsere Partei und unser Land arbeiteten, erlebte einen Aufschwung. Die jugoslawischen Diplomaten in Tirana missbrauchten unser korrektes Verhalten und die Erleichterungen, die wir ihnen zur Durchführung ihrer Aufgaben eingeräumt hatten, und fingen auf Befehl und Anweisung Belgrads an, ihre alten Agenten in unserem Land aus der Versenkung zu holen und zu reaktivieren; sie richteten sie aus und gaben ihnen das Angriffssignal. Der gescheiterte Versuch auf Konferenz von Tirana im April 1956, der Führung unserer Partei einen Schlag zu versetzen, war das Werk der Belgrader Revisionisten, zugleich aber auch Chruschtschows und der Chruschtschowianer. Letztere waren mit ihren revisionistischen Thesen und Ideen die Inspiratoren der Verschwörung, die Titoisten und ihre heimlichen Agenten dagegen die Organisatoren. Doch als die sowjetischen Führer diese Verschwörungen ebenfalls scheitern sahen, versäumten sie es nicht, obwohl sie sich als unsere Busenfreunde und als prinzipienfest ausgaben, auch offen Druck auf uns auszuüben und Forderungen an uns zu stellen. Am Vorabend des 3. Parteitags unserer Partei, der Ende Mai/Anfang Juni 1956 tagte, verlangte Suslow von unserer Führung ungeschminkt, sie solle ihre bisherige Linie „überprüfen“ und „korrigieren.“ „Es gibt nichts, was unsere Partei an ihrer Linie zu überprüfen hätte“, entgegneten wir bestimmt. „Wir haben niemals schwere prinzipielle Fehler in der Linie zugelassen.“ „Die Sache mit Koçi Xoxe und seinen Genossen, die ihr bestraft habt, muss überprüft werden“, sagte Suslow uns. „Sie waren und bleiben Verräter und Feinde unserer Partei und unseres Volkes, Feinde der Sowjetunion und des Sozialismus“, erwiderten wir entschieden. „Und wenn wir die Prozesse gegen sie hundert Mal überprüfen würden, hundert Mal würde dabei herauskommen, dass sie Feinde waren. Und so haben sie auch gehandelt.“ Nun fing Suslow zu reden an. Er sprach von dem, was in den anderen Parteien und in der sowjetischen Partei selbst gerade vor sich ging, von einer „großzügigeren“, „humaneren“ Betrachtungsweise des Problems. „Das“, sagte er, „hat großen Eindruck gemacht und ist von den Völkern gut aufgenommen worden. Das muss auch bei euch passieren.“ „Unser Volk würde uns steinigen, wenn wir die Feinde und Verräter rehabilitieren würden, die das Land in die Ketten einer neuen Sklaverei schlagen wollten“, entgegneten wir Chruschtschows Ideologen. Als Suslow sah, dass er so nicht durchkam, versuchte er es mit einer anderen Karte. „Gut“, sagte er. „Wenn ihr davon überzeugt seid, dass sie Feinde sind, dann sollen sie es eben bleiben. Aber eines müsst ihr tun: sprecht nicht über ihre Verbindungen zu den Jugoslawen, bezeichnet sie nicht mehr als Agenten Belgrads.“ „Wir sprechen hier über die Wahrheit“, gaben wir zurück. „Und die Wahrheit ist, dass Koçi Xoxe und seine Spießgesellen bei dem Komplott von Kopf bis Fuß Agenten der jugoslawischen Revisionisten waren. Wir haben die gegen unsere Partei und unser Land gerichteten Verbindungen Koçi Xoxes zu den Jugoslawen, die vielen Fakten, die dies beweisen, aller Welt bekannt gegeben. Die Sowjetführung kennt sie genau. Weil sie vielleicht noch keine Gelegenheit hatten, die Fakten kennen zu lernen, und weil Sie auf Ihrer Meinung bestehen, wollen wir Ihnen einige aufzählen.“ Suslow vermochte kaum seine Nervosität zu zügeln. Wir zählten ihm in aller Ruhe einen Teil der wichtigsten Fakten auf und betonten abschließend: „Das ist die Wahrheit über Koçi Xoxes Verbindungen zu den jugoslawischen Revisionisten.“ „Da da!“ [Russisch im Original: Ja, ja!] sagte er ungeduldig. „Wie könnten wir dann diese Wahrheit verdrehen?!“ fragten wir ihn. „Und darf eine Partei irgend jemand zuliebe verheimlichen oder verdrehen, was durch zahllose Fakten bewiesen ist?“ „Aber anders lassen sich die Beziehungen zu Jugoslawien nun einmal nicht in Ordnung bringen“, schnaubte Suslow. Uns wurde nun alles sonnenklar. Hinter Suslows „brüderlicher“ Vermittlung steckten Chruschtschows Schachereien mit Tito. Sicherlich strebte die Titogruppe, die nun an Boden gewonnen hatte, nach möglichst viel Spielraum, nach wirtschaftlichen, militärischen und politischen Vorteilen. Sie hatte von Chruschtschow hartnäckig verlangt, die titoistischen Verräter, Koçi Xoxe, Rajk, Kostoff usw. müssten rehabilitiert werden. Doch bei uns kam Tito mit seinem Wunsch nicht durch, während er in Ungarn, in Bulgarien und in der Tschechoslowakei sein Ziel erreichte. Dort wurden die Verräter rehabilitiert und die marxistisch-leninistischen Führungen der Parteien zersetzt. Das war das gemeinschaftliche Werk von Chruschtschow und Tito. Tito waren wir ein Pfahl im Fleisch, doch unsere Haltung ihm gegenüber war unerschütterlich und entschlossen. Auch wenn die Feinde es gewagt hätten, etwas gegen uns zu unternehmen, wir hätten uns gewehrt. Das wusste Tito schon lange, aber das wusste, davon überzeugte sich auch Chruschtschow, der natürlich Tito gerne ein paar Hürden in den Weg gestellt und verhindert hätte, dass dieser auf den „Weiden“ graste, die er als die seinen betrachtete. Fünfzehn oder zwanzig Tage nach unserem 3. Parteitag, im Juni 1956, war ich zu der Konsultation der Führer der Parteien aller sozialistischen Länder, über die ich bereits berichtet habe, in Moskau. Obwohl die Konsultation der Diskussion wirtschaftlicher Probleme dienen sollte, fand Chruschtschow wie gewöhnlich eine Gelegenheit, auch auf alle anderen Probleme einzugehen. Dort gab er in Anwesenheit aller Vertreter der anderen Parteien höchst persönlich zu, dass Tito ihn wegen der Rehabilitierung Koçi Xoxes und der anderen in Albanien verurteilten Feinde unter Druck gesetzt hatte. „Wir haben uns mit Tito über die Beziehungen Jugoslawiens zu den anderen Staaten unterhalten“, sagte Chruschtschow unter anderem. „Mit den Polen, den Ungarn, den Tschechen, den Bulgaren und anderen war Tito zufrieden, doch als er mit mir über Albanien sprach, wurde er sehr nervös, redete mit Händen und Füßen. `Die Albaner liegen falsch`, sagte Tito zu mir, `Sie sind nicht auf dem richtigen Weg, sie geben ihre Fehler nicht zu, haben nichts kapiert von dem, was gerade vor sich geht.`“ Die Wiedergabe von Titos Äußerungen und Vorwürfen war für Chruschtschow in Wirklichkeit eine Gelegenheit, sich den Groll und die Unzufriedenheit vom Leib zu reden, die sich in ihm gegen uns angestaut hatte, weil wir auf dem Parteitag Koçi Xoxe, „den Tito“, so betonte Chruschtschow, „einen großen Patrioten nannte“, nicht rehabilitiert hatten. „Als Tito über die albanischen Genossen sprach, zitterte er am ganzen Körper. Ich widersprach ihm jedoch und erklärte, das seien innere Angelegenheiten der albanischen Genossen, sie müssten selbst wissen, wie sie sie lösen“, fuhr Chruschtschow in seinem „Bericht“ fort. Er versuchte uns tatsächlich weiszumachen, er habe sich mit Tito schwer „gestritten“. Doch wir wussten inzwischen gut genug, was es mit den dauernden Küssen und Zankereien dieser beiden Apostel des modernen Revisionismus auf sich hatte. Tito, der bis zum Hals im Verrat steckte, zettelte viele Komplotte gegen die sozialistischen Länder an. Als dann aber Chruschtschow Verrat beging, spreizte er sich wie ein „Pfau“ und spielte sich als Chruschtschows „Lehrer“ auf. Tito hatte guten Grund, viel von Chruschtschow zu verlangen, und er blieb in dieser Hinsicht auch nichts schuldig. Er wollte Chruschtschow dazu bringen, ihm zu gehorchen und nach seinen Befehlen zu handeln. Tito hatte den amerikanischen Imperialismus und die Weltreaktion hinter sich, deshalb schlug Chruschtschow seinerseits die Taktik ein, Tito zu sich zu heranzulocken, ihn für sich zu gewinnen, fest zu umarmen und ihm schließlich die Luft abzuschnüren. Er hatte es allerdings mit Tito zu tun, und der hatte seine eigene Taktik, Chruschtschow näherzukommen, sich ihm aufzuzwingen und nicht zu unterwerfen, ihm Befehle zu geben und nicht Befehle von ihm entgegenzunehmen, so viel Hilfe ohne Vorbedingung wie nur möglich aus ihm herauszuholen und ihn zu zwingen, alle seine (Titos) Gegner, vor allem die Partei der Arbeit Albaniens, gefügig zu machen. Gerade aus diesem Grund lässt sich in Chruschtschows Linie gegenüber Tito viel Auf und Ab feststellen: einmal lief es blendend, dann wieder war er bitter enttäuscht, einmal griff er an und schimpfte, dann lenkte er wieder ein, um bald darauf erneut zu kritisieren. Das war das Ergebnis mangelnder Prinzipienfestigkeit in der Politik. Tito und Chruschtschow waren zwei Revisionisten, zwei Agenten des Kapitalismus, die Gemeinsames hatten, aber auch Widersprüche, die sich in dem Zickzackkurs äußerten, den es damals in ihrem Verhalten gab, der aber auch heute noch in den Beziehungen zwischen Tito und Chruschtschows Erben fortdauert. In ihren Handlungen und ihrer Haltung gab es nichts Marxistisch-Leninistisches. Sie ließen sich von konterrevolutionären Zielen leiten, hatten die Führung des Revisionismus an sich gebracht, der Kapitalismus in einer neuen Form, der Feind der Einheit der Völker ist, der den reaktionären Nationalismus, die Errichtung und Fortentwicklung der brutalsten faschistischen Diktatur anreizt, der nicht einmal mehr einen Hauch von formaler bürgerlicher Demokratie übrig lässt. Der Revisionismus ist die Idee und die Tat, die die Rückverwandlung eines Landes vom Sozialismus zum Kapitalismus, einer kommunistischen Partei leiten. Er schürt ideologisches Chaos, Konfusion, Korruption, Unterdrückung, Willkür, Instabilität, den Ausverkauf des Vaterlands an den Meistbietenden. Diese Tragödie ereignete sich in der Sowjetunion und in den anderen revisionistischen Ländern. Diese Verhältnisse wurden geschaffen durch Chruschtschow und die Chruschtschowianer, sie wurden geschürt und gefördert durch den amerikanischen Imperialismus und den Weltkapitalismus. Aus: „Die Chruschtschowianer“ – Erinnerungen, Enver Hoxha, Tirana 1980, Kapitel 6, Seite 195 – 226)

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