Mittwoch, 15. Mai 2019

[Fusion-Festival 2019] Eigenes Sicherheitskonzept bei einem Festival? Verboten! Sonst könnte ja jemand auf die Idee kommen, es gehe ohne Polizeistaat: Unterzeichnet die Protesterklärung!


Dossier

Für die Freiheit von Kunst und Kultur! Gegen die Eskalation auf dem Fusion-Festival durch Landesregierung und Polizei! Grafik von Victor Perli (@victorperli) - wir danken!
Grafik von Victor Perli (@victorperli) – wir danken!
Der Polizeipräsident von Neubrandenburg will eine Polizeiwache mitten auf dem Festival und eine anlasslose Bestreifung des Geländes durch Beamte. Die Veranstalter wehren sich: Sie verweisen auf die Freiheit der Kunst und auf mehr als 20 Jahre ohne nennenswerte Zwischenfälle. In der Tat kann die Fusion als Modellprojekt für einen alternativen Sicherheitsansatz bei Großveranstaltungen gelten. Seit mehr als 20 Jahren findet Ende Juni in Mecklenburg-Vorpommern das Fusion-Festival statt. Was als kleine linksalternative Technoparty auf dem ehemaligen Militärflugplatz in Lärz begonnen hatte, ist mittlerweile mit etwa 70.000 Gästen zu einem der größten alternativen Kulturfestivals Europas geworden. Trotz allem Wachstum, trotz mancher Veränderungen und vielen Menschen ist das fünftägige Festival immer anders geblieben als seine kommerziellen Gegenstücke: Es gibt keine Medienpräsenz, keine Werbung, kein Sponsoring, keine Promotion, keine Getränkekontrollen, kein Fleisch – und keine Polizei auf dem Gelände. Das Festival an der Müritz ist auch aus bürgerrechtlicher Sicht interessant, kann es doch als Alternativbeispiel dafür gelten, wie Ordnung und Sicherheit mit einer zurückhaltenden Strategie auch auf Großveranstaltungen gewährleistet werden kann. Das liegt nicht nur an einer funktionierenden Sicherheitsstruktur der Veranstalter, den achtsamen und friedlichen Besucherinnen und Besucher des Festivals, sondern vor allem auch daran, dass die Fusion aus einem Netzwerk veranstaltet wird, aus dem bis zu 10.000 Menschen aktiv an der Gestaltung mitwirken und so die involvierte Basis des Festivals bilden. Es sind also nicht nur gesichtslose kommerzielle Dienstleister, sondern Communities, die mit viel Einsatz für einen reibungslosen Ablauf sorgen. Hierin unterscheidet sich die Fusion von anderen Veranstaltungen in der Größenordnung…“ aus dem Beitrag „Fusion-Festival: Wie die Polizei ein liberales und erfolgreiches Sicherheitskonzept gefährdet“ von Markus Reuter am 04. Mai 2019 bei Netzpolitik externer Link über das versuchte Diktat, den Polizeistaat walten zu lassen… Siehe dazu die Reaktion der Veranstaltungsorganisation – und die Protesterklärung, zu deren Unterzeichnung aufgerufen wird (auch vom LabourNet Germany) sowie weitere Infos:
  • AnwohnerInnen-Demonstration: Solidarisch mit dem Festival, gegen die Polizeipläne New 
    Hartmut Lehmann steht auf einer kleinen Standleiter, in der rechten Hand hält er ein Megafon. „Für alle, die sich jetzt fragen, wer ich bin: Ich bin hier der Bürgermeister“, beginnt er seine Rede und lacht. Bei strahlendem Sonnenschein haben sich diesem Sonntagvormittag mehr als 100 Menschen unter den blühenden Kastanien vor der Dorfkirche des 500-Einwohner-Örtchens Lärz in Mecklenburg-Vorpommern versammelt. Nicht zum Gottesdienst, sondern zu einer Kundgebung: Sie protestieren für den Erhalt des Fusion-Festivals in seiner bisherigen Form und gegen die Pläne der Polizei, in diesem Jahr erstmals eine Polizeiwache direkt auf dem Festivalgelände einzurichten und dort anlasslose Kontrollen durchzuführen. Bis zu 1.000 Polizisten könnten für das Festival zusammengezogen werden. „Hier wird ein fiktives Bedrohungsszenario aufgebaut, dass es gar nicht gibt“, sagt Lehmann, der ehrenamtliche Bürgermeister von der CDU, im Hauptberuf Busfahrer. Eine Wache auf dem Fusion-Gelände ergebe gar keinen Sinn, wenn überhaupt, könne die Polizei im Bürgerzentrum in Lärz eine Zentrale einrichten, das sei völlig ausreichend. Die Zusammenarbeit mit den Veranstaltern laufe hervorragend, die Fusion sei ein „überaus friedliches“ Festival. Für diese Worte gibt es lauten Applaus. Das seit 1997 auf dem ehemaligen Militärflughafen am Rand des Ortes stattfindende Festival hat unter den Anwesenden, die aus Lärz und den umliegenden Ortschaften zur Kundgebung gekommen sind, einen hervorragenden Ruf. War die Fusion in ihren Anfangsjahren noch eher wie ein Ufo in Lärz gelandet, ist sie heute längst mit dem Dorf verwachsen…“ – aus dem Beitrag „Ein Ort der Freiheit“ von Malene Gürgen am 13. Mai 2019 in der taz online externer Link über die Solidaritäts-Demonstration der AnwohnerInnen mit dem Festival und gegen Polizeipläne
  • Schon beinahe 100.000 UnterzeichnerInnen der Solidaritätserklärung gegen eine Polizeiwache auf dem Festivalgelände – da werden die Behörden etwas vorsichtiger…  
    Auf einer kurzfristig für Dienstag anberaumten Pressekonferenz in Neubrandenburg ruderten Polizeipräsident Nils Hoffmann-Ritterbusch und der verantwortliche Landrat Heiko Kärger (CDU) etwas zurück. Sie versuchten, eine Polizeipräsenz auf dem Fusion Festival als selbstverständliche Notwendigkeit darzustellen. Hoffmann-Ritterbusch, der zuvor noch „schwere gewalttätige Auseinandersetzungen“ befürchtet hatte, schlug da mildere Töne an und betonte, die Fusion nicht verbieten zu wollen. Gleichzeitig hielt er an seiner Forderung fest, einen freien Zugang zum Festivalgelände zu bekommen. „Selbstverständlich“, so Hoffmann-Ritterbusch, könne auch die Polizei im Zweifel keine Anschläge oder Straftaten verhindern. „Aber wir wissen auch: Präsenz hemmt.“ (…)Am Mittwoch legte dann der Trägerverein Kulturkosmos mit einer Pressekonferenz im Berliner Maxim Gorki Theater nach; es war die erste Pressekonferenz des medienscheuen Kollektivs überhaupt. Der Betreiberverein hält die Forderungen der Polizei für überflüssig. Die Ordnungshüter haben auch bisher immer die Möglichkeit gehabt, auf das Gelände zu kommen, sagte Martin Eulenhaupt vom Kulturkosmos. Seit 2016 gebe es zudem ein Kriseninterventionsteam, das beim Fusion Festival 2018 „ein entspanntes Wochenende“ gehabt habe. Sowieso seien auf der Fusion alle „hippiemäßig friedfertig“, ergänzte Schauspielerin Meret Becker…“ – aus dem Bericht „Gefahrenabwehr ohne Gefahr?“ von Darius Ossami am 09. Mai 2019 bei der taz online externer Link über die Reaktionen auf die Solidaritätswelle. Siehe dazu auch einen Beitrag, der über die aktuelle Entwicklung der Solidaritätserklärung informiert:
    • »Zwanglos und unkontrolliert«“ von Marc Bebenroth am 09. Mai 2019 in der jungen welt externer Link zur Entwicklung der Solidarität: „Dafür, dass dies so bleibt, hat »Kulturkosmos« einen Aufruf gestartet, den bis Redaktionsschluss rund 96.000 Menschen unterzeichnet haben. Der Appell fordert den Erhalt der Freiheit von Kunst und Kultur und spricht sich gegen Polizisten »auf friedlichen Kulturveranstaltungen« aus. Für diese gäbe es keine Rechtsgrundlage, sagte der den Verein beratene Fachanwalt für Veranstaltungsrecht, Janko Geßner, in Berlin. Ziel der Polizei sei es, einen »Blankoscheck« für eine Reihe von Maßnahmen zu erhalten. Die Forderungen des Polizeipräsidenten seien nicht hinnehmbar, aber die Gespräche mit den Genehmigungsbehörden würde wie gewohnt fortgesetzt. Debatten über Alternativen zur ständigen Präsenz der Staatsmacht seien durch den Polizeipräsidenten abgelehnt worden, erklärte der Jurist…“
  • Blanke Polizeistaats-Willkür – die Solidarität entwickelt sich  
    Und die vermeintlichen Sicherheitsmängel? Hänschel meint, dass diese bis zum Festival behoben sein würden. In den letzten 22 Jahren hätte es in den Wochen bis kurz vor dem Event immer noch Nachbesserungen gegeben. Warum soll das gerade in diesem Jahr anders sein? Anscheinend möchte sich Polizeipräsident Nils Hoffmann-Ritterbusch als harter Hund profilieren. Etwa, wenn er mutmaßt, dass »eine Beteiligung politischer, in Teilen hoch gewaltbereiter Personen« zu erwarten sei. Hänschel vom Kulturkosmos e. V. sieht dafür »keinerlei Belege«. Laut offizieller Polizeistatistik kam es in den letzten Jahren pro Festival zu 2,5 Gewaltverbrechen. Zum Vergleich: Beim »Baumblütenfestival«, der großen Alkoholparty in Werder unweit von Berlin, gab es im vergangenen Jahr 80 Festnahmen und mehr als 200 Gewaltdelikte. »Abgesehen vielleicht vom Kirchentag, ist das ›Fusion-Festival‹ die entspannteste, friedlichste und konfliktfreieste Großveranstaltung der ganzen Republik«, meint Hänschel….“ – aus dem Beitrag „»Wir dürfen das nicht hinnehmen«“ von Niklas Franzen am 06. Mai 2019 in neues deutschland online externer Link unter anderem eben zum Thema des realen Sachverhaltes, was die polizeilichen Begründungen für den Zugriff betrifft… Siehe dazu zwei weitere aktuelle Beiträge auch zur Entwicklung der Solidaritäts-Petition:
    • „Gefährlicher Präzedenzfall“ ebenfalls von Niklas Franzen am 07. Mai 2019 in neues deutschland externer Link ist der Kommentar zu diesem Bericht, worin unter anderem hervor gehoben wird: „Laut dem Polizeipräsidenten in Neubrandenburg ist eine »Beteiligung politischer, in Teilen hoch gewaltbereiter Personen« zu erwarten. Wer das Festival schon einmal besucht hat, weiß, dass diese Aussage jeglicher Grundlage entbehrt. Mehr noch: In Zeiten, in denen gewaltbereite Nazihorden mit Genehmigung der Behörden durch Plauen marschieren, ist die Aussage kaum an Zynismus zu überbieten: Der Feind steht links. Der Angriff auf die »Fusion« könnte sich zu einem gefährlichen Präzedenzfall entwickeln und weitere Angriffe auf Orte der Selbstverwaltung und alternativen Kultur nach sich ziehen. Sollte es wirklich gelingen, eine Polizeiwache auf dem Gelände einzurichten, wird das Festival laut den Veranstalter*innen in den nächsten Jahren nicht mehr stattfinden. Das Ende der »Fusion« wäre für die Region fatal: Denn Festivals wie die »Fusion« sind in ländlichen Gebieten ein lautes und buntes Gegengewicht zum dörflich-rechten Mainstream“.
    • „Feiern unter Aufsicht“ von Michael Merz am 07. Mai 2019 in der jungen welt externer Link unter anderem zur massiven Solidarität: „Als Kompromiss bietet Eulenhaupt den Behörden an, dass die geforderte Polizeiwache außerhalb des Festivalgeländes eingerichtet werden könne. Auch der Kulturkosmos bereitet eine Pressekonferenz für Mittwoch im Berliner Maxim-Gorki-Theater vor, auf der über die aktuelle Entwicklung rund um die »Fusion« informiert werden soll. Eine Sprecherin des Landratsamtes Mecklenburger Seenplatte machte am Montag gegenüber jW deutlich, dass das Antragsverfahren noch nicht abgeschlossen sei. Der Rückhalt, den der Verein indes erfährt, ist immens. Seit am Wochenende die Bedingungen der Polizei für eine Genehmigung bekannt wurden, haben mehrere Linke- und Grünen-Bundespolitiker ihre Unterstützung bekundet. Eine am Sonntag mittag ins Netz gestellte Petition unterzeichneten innerhalb eines Tages bereits mehr als 50.000 Menschen…“
  • „„Wir werden nicht kapitulieren““ von Caroloina Schwarz am 05. Mai 2019 in der taz online externer Link zur Haltung der Festival-Organisatoren angesichts der Polizei-Offensive: „… Die Behörde will auf dem Festivalgelände eine mobile Polizeiwache errichten. Da es sich um ein laufendes Verwaltungsverfahren handelt, will die Polizei diese Pläne nicht bestätigen. Doch Dokumente, die der taz vorliegen, belegen die Pläne der Wache. Zusätzlich teilte eine Polizeisprecherin mit: „Wir haben das vorgelegte Sicherheitskonzept des Veranstalter detailliert betrachtet und festgestellt, dass bundesweite Sicherheitsstandards nicht eingehalten werden.“  Für die Veranstalter der Fusion, ist es keine Option, dass die Polizei ununterbrochen auf dem Gelände unterwegs ist. „Uns ist es wichtig, dass die Gäste frei sein können auf unserem Festival. Die dauerhafte Anwesenheit der Polizei empfinden wir dabei als Repression“, sagt Jonas Hänschel vom Kulturkosmos Müritz zur taz. Sie seien bereit, ihr Sicherheitskonzept in allen anderen kritisierten Punkten zu verändern und die Polizei im Notfall auf ihr Gelände zu lassen. Ihr Kompromissvorschlag: Statt direkt auf dem Gelände sollten die Beamten eine Wache vor dem Gelände erhalten, für alle gut zu erreichen und genügend ausgeschildert. Ein Kompromiss, den die Polizei nicht eingehen möchte. (…) Obwohl also Veranstalter*innen und die Polizei die Großveranstaltung als friedlich einstuften, teilt die Polizei in einem Schreiben an die Veranstalter mit, dass sie das Einvernehmen zur Durchführung der Veranstaltung verweigert. Aufgeben wollen die Veranstalter aber nicht. „Wir werden nicht kapitulieren. Jetzt geht es darum, für unser Festival zu kämpfen“, sagt Hänschel. Auf ihrer Seite rufen sie seit Sonntagmittag dazu auf, eine Petition mitzuzeichnen. Titel: „Für die Freiheit von Kunst und Kultur! Gegen anlasslose Polizeipräsenz auf friedlichen Kulturveranstaltungen!“
  • „Für die Freiheit von Kunst und Kultur! Gegen anlasslose Polizeipräsenz auf friedlichen Kulturveranstaltungen“ bei Kulturkosmos externer Link ist die Erklärung, zu deren Unterzeichnung hier aufgerufen wird (was bisher über 35.000 Menschen bereits getan haben – nacheifern!), in der es unter anderem heißt: „… Seit Jahren heißt die Antwort auf alle gesellschaftlichen, sozialen und politischen Fragen: mehr Polizei, mehr Überwachung und mehr Kontrolle. Und damit weniger Selbstbestimmung, weniger Grundrechte und weniger Freiheit. Dieser autoritäre Trend erreicht nun zunehmend die Kultur, deren Spiel- und Freiräume mit dem Argument vermeintlicher „Sicherheit“ immer mehr beschnitten werden. Dabei gehört es zum Wesen der Kunst- & Kunstfreiheit, die Art, Form und Erscheinung ihrer Inszenierung selbst zu gestalten: Clubs, Bühnen, Performance & Festivals sind die Räume des Schaffens, des Ausprobierens, des Experimentierens, des Staunens und des Erlebens, die existenziell für die freie Entfaltung der Person, die Kreativität und die Ausbildung des kritischen Geistes sind. Die Freiheit von Kunst und Kultur ist – nicht nur in Zeiten des Rechtsrucks – eine unabdingbare Säule für eine offene Gesellschaft und die Demokratie: Sie simuliert und stimuliert das mögliche Andere. Die Tendenz zu „shrinking spaces“ muss durchbrochen werden. Es geht also um weit mehr als um die Zukunft unseres geliebten Fusion-Festivals, das durch extreme polizeiliche Forderungen auf dem Spiel steht. Es geht am Ende um die politische Frage, ob es in dieser Gesellschaft weiterhin Freiräume geben kann, die nicht von der Polizei eingeschränkt und mit repressiven Maßnahmen begleitet werden…“

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