Montag, 30. Juni 2014

»Massenüberwachung ist die neue Staatsreligion«

Der Ex-NSA-Spion Drake wurde zum Whistleblower - und dafür kaltgestellt. Nun sagt er im Untersuchungsausschuss des Bundestags aus Washington. Für Thomas Drake war es, als hätte einer die Copy-Taste eines Alptraums gedrückt, der ihn bis heute in dunklen Nächten verfolgt. Er beginnt mit dem Blick aus dem Fenster seines Hauses in einer properen amerikanischen Kleinstadtsiedlung im Bundesstaat Maryland. Eine Wagenkolonne fährt vor. FBI-Ermittler stapfen durch den Vorgarten. Als sie über die Schwelle seines Hauses treten, gehört Drakes bisheriges Leben der Vergangenheit an. Der Patriot ist zum Staatsfeind Nummer Eins geworden. Als im vergangenen Sommer die Hatz auf Whistleblower Edward Snowden losging, gab es wohl kaum jemanden, der wie Drake wusste, wie sich das anfühlte. Denn der ehemalige Mitarbeiter des amerikanischen Geheimdienstes NSA hatte lange vor Snowden sein Schweigen gebrochen. Im Namen der Verfassung. Und dafür büßt er bis heute. »Wir alle sind dem Staat ausgesetzt. Wir verlieren unsere Bürgerrechte«, sagt der hagere große Mann der Nachrichtenagentur dpa. Seine scharfe Stimme passt nicht zu dem leicht gebückten Gang des 57-Jährigen. Er wirkt erschöpft und gleichzeitig immer auf dem Sprung. Wie ein Radar fährt sein Blick die Umgebung ab, während er gleichzeitig den Fokus nicht verliert. So wie damals, als Drake als junger Pilot der Air Force in Spionageflugzeugen des amerikanischen Geheimdienstes NSA aus der Luft die DDR überwachte. Der Auftrag des ausgebildeten Kryptoanalytikers - der Geheimdaten entschlüsselt - war es, die Funksprüche des Warschauer Pakts abzufangen. Drake sah die Mauer und blickte fassungslos auf den Abhörstaat dahinter. Der vierte Zusatzartikel der US-Verfassung, der die Privatsphäre der Bürger schützt, ist sein oberstes Gebot. Auch als er als Kryptolinguist die Leitung einer Auswertungsabteilung der NSA übernimmt und elektronische Daten entschlüsselt, ändert sich das nicht. Sein erster Arbeitstag ist ausgerechnet der 11. September 2001. »Der Tag der Anschläge war der Tag, an dem die NSA begann, ihre Augen und Ohren auf die eigenen Bürger zu richten«, weiß Drake heute. Mit Deckung aus dem Weißen Haus habe der Geheimdienst durch den »Patriot Act« die Verfassung gebrochen und begonnen, alles und jeden zu durchleuchten. Drake spielte nicht mit. Er gehörte zu einer Gruppe von Mitarbeitern, die eines der geheimen Spionageprogramme publik machten. Das Projekt »Trailblazer« war ein gigantischer Datenstaubsauger. Abhörspezialisten hatten dafür IT-Anlagen in ganz Amerika installiert. Drake kam glimpflich davon und wurde wegen Geheimnisverrats zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Der »Trailblazer« war gestorben - doch seine Nachfolger übertrafen das Spähprogramm noch, wie heute bekannt ist. Die Praktiken des Geheimdienstes überträfen den Abhörskandal in der demokratischen Parteizentrale unter Präsident Richard Nixon in den 1970er Jahren, meint Drake: »Viel schlimmer als Watergate«, seien sie. »Und ich glaube, das Schlimmste kommt noch, denn Teile der Regierung verheimlichen, was sie tun.« Wenn er auf das Land blickt, für das sein Herz nach wie vor schlägt, fühlt Drake sich an Nazi-Deutschland oder den Stasi-Staat der DDR erinnert, gesteht er. »Das ist nicht die Regierung, auf die ich einen Verteidigungseid geleistet habe«, sagt der enttäuschte Patriot. »Massenüberwachung ist die neue Staatsreligion: Du darfst sie nicht hinterfragen, darfst nicht abweichen - oder du wirst exkommuniziert.« Drake hat alles verloren, was er liebte: Seinen Job, sein Haus, die meisten Freunde und sein ganzes Vermögen. Heute arbeitet der hoch spezialisierte Computerexperte für ein paar Dollar Stundenlohn in einem Apple Store in Bethesda, einem Vorort Washingtons. Die Beschimpfungen und Morddrohungen sind verhallt. Dank des Snowden-Skandals ist seine Expertise wieder gefragt. Doch Drake ist desillusioniert: »Wir bewegen uns rückwärts«, sorgt sich der Ex-NSA-Spion, der zum Kriminellen wurde. Der Geheimdienstexperte Drake soll am Donnerstag vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages aussagen. dpa/nd

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