Freitag, 12. Oktober 2012
Mexikos Energiekonzern Pemex als Spielball der Politik
Mexiko wird nach dem Regierungswechsel erneut versuchen, seinen ineffizienten staatlichen Ölkonzern Pemex zu reformieren. Die Gefahr besteht in einer Privatisierung ohne Wettbewerb.
Alexander Busch, São Paulo Matthias Knecht, Mexiko-Stadt
Es war ein Unfall von fürchterlicher Symbolik. Während Mexikos designierter Präsident Enrique Peña Nieto Richtung Brasilien reiste, explodierte im Norden Mexikos ein Gas- und Kondensatwerk des Staatskonzerns Pemex. Viele Todesopfer waren zu beklagen. Bei einer früheren Katastrophe dieser Art war die illegale Abzweigung von Brennstoffen die Ursache. Der Diebstahl von Ölderivaten ist bei Pemex weit verbreitet und steht für die Kontrollprobleme im Staatskonzern.
Melkkuh der Nation
Eine Reform von Pemex steht ganz oben auf der Agenda von Peña Nieto. So soll das private Engagement bei der bisher 100% staatlichen Pemex verstärkt werden, ohne dass am verfassungsrechtlichen Grundsatz des staatlichen Ölmonopols gerüttelt wird. Als Vorbild dafür bezeichnete Peña Nieto bereits während seines Wahlkampfes den brasilianischen Ölkonzern Petrobras.
Mexikos Staatsmonopolist Pemex ist eine der weltweit grössten Ölgesellschaften und setzte zuletzt umgerechnet 105 Mrd. Fr. um. Seit Jahren ist die Ölproduktion rückläufig, vom historischen Hoch von 3,4 Mio. Fass pro Tag im Jahr 2004 auf derzeit 2,6 Mio. pro Tag. Grund dafür sind Ineffizienz, Korruption und vor allem das erbarmungslose Auspressen des Staatskonzerns durch die Regierung. Pemex führte zuletzt mehr als die Hälfte seines Umsatzes an den Staat ab und finanziert damit rund einen Drittel des mexikanischen Haushalts. Zugleich unterblieben dringende Investitionen im Ölsektor und in der Petrochemie.
Die Reform von Pemex, die mexikanische Unternehmer seit Jahren fordern, wird damit zum wirtschaftlichen Schlüsselprojekt für Peña Nietos sechsjährige Amtszeit, die am 1. Dezember beginnt. Laut dem Wirtschaftsanalytiker Luis Fernando De la Calle würde damit ein starkes Signal für die Modernisierung der übrigen Wirtschaftssektoren Mexikos gesetzt. Ähnliches ist von mexikanischen Wirtschaftsvertretern immer wieder zu hören.
Nahezu alle Reformversuche der bisherigen Präsidenten scheiterten am Widerstand der linken Parteien, der mächtigen Pemex-Gewerkschaft und nicht zuletzt von Peña Nietos Partido Revolucionario Institucional (PRI), unter dem Mexikos Ölgeschäft 1938 verstaatlicht wurde. Mexikos Energiereform sei zum Spielball der Ideologien geworden, beklagte sich Peña Nieto darum zum Auftakt seines Wahlkampfes und machte sich damit auch innerhalb seiner Partei Gegner. Noch schärfer formulierte es der Kolumnist Federico Arreola. Mexikos Staatsmonopolist sei ein unantastbarer Mythos, der der Nationalheiligen, der Jungfrau von Guadalupe, kaum nachstehe.
2008 gelang der nun abtretenden Regierung ein Minimalkonsens. Seither darf Pemex Aufträge an Private vergeben und arbeitet in der Ölförderung mit ausländischen Gesellschaften wie Tecpetrol, Baker Hughes, Weatherford, Halliburton und Schlumberger zusammen. Doch Knackpunkt sind die im internationalen Ölfördergeschäft üblichen Gewinnbeteiligungen. Sie sind unter der derzeitigen mexikanischen Rechtslage verboten.
Neidvoller Blick gen Süden
Neidvoll blicken mexikanische Unternehmer nach Brasilien. Das südamerikanische Land lockerte bereits 1997 das Öl- und Gasmonopol. Seitdem dürfen ausländische Konzerne in Brasilien nach Öl suchen, Benzin verkaufen und Raffinerien betreiben. Das Land steigerte die Fördermenge von zuvor 300 000 Fass pro Tag auf nun rund 2,6 Mio. Fass pro Tag. Brasilien wurde Mitte des vergangenen Jahrzehnts erstmals Öl-Selbstversorger.
2010 wurden 40% des Kapitals von Petrobras, rund 70 Mrd. $, an der Börse gelistet, der damals weltweit grösste Börsengang. Damit konnte die damalige Regierung den Einfluss der Interessengruppen im und um den Konzern einschränken. Sie schuf einen Konzern etwa in der Mitte zwischen Markt und Staat. Vergleichbare Initiativen in Mexiko scheiterten bisher stets.
Für das Management von Petrobras bedeutet die staatlich-private Zwitterrolle einen permanenten Machtkampf. Auf der einen Seite stehen, ähnlich wie in Mexiko, die mächtigen Interessengruppen wie Gewerkschaften und Staatsbürokratie. Auf der anderen Seite befinden sich Aktionäre und Investoren. Petrobras profitiert von der Börse als Kapitalquelle. Die Aktie ist eines der weltweit meistgehandelten Papiere.
Dennoch hat der Einfluss des brasilianischen Staates in den vergangenen Jahren wieder zugenommen, nicht zuletzt durch eine gigantische Kapitalerhöhung, welche den Staatsanteil bei Petrobras wieder auf über 50% erhöhte. Das Problem dabei ist: Der Konzern wird von der Regierung masslos überfordert. Denn Petrobras ist zur Kraftmaschine der staatlichen Industriepolitik geworden. Das Unternehmen hat praktisch überall in der brasilianischen Industrie seine Hände im Spiel, von der Öl- und Gasförderung über Chemie, Biotreibstoffe bis zum Schiffsbau und zur Stromerzeugung. Die Regierung nutzt den Giganten für Arbeitsbeschaffungsmassnahmen, für Infrastrukturprojekte und zur Konjunkturpolitik. Petrobras muss deshalb Benzin und Diesel unter den Produktionskosten verkaufen, um die Inflation nicht anzuheizen.
Gleichzeitig hat Petrobras per Gesetz das Fördermonopol in allen Konzessionsgebieten erhalten, auch wenn private oder ausländische Konzerne daran beteiligt sind. Doch das kann Petrobras nicht alleine stemmen. Die Gefahr besteht, dass in Brasilien die Ölproduktion langsamer steigt als bisher erhofft. Der Konzern kann seine Produktion nicht so schnell steigern, wie die Nachfrage im boomenden Brasilien wächst. Petrobras muss deswegen immer mehr Derivate importieren – obwohl in den Tiefen vor der Küste gewaltige Vorkommen existieren.
Mangelnder Wettbewerb
Als grössten Reformerfolg Brasiliens sieht der mexikanische Ökonom De la Calle den Wettbewerb, dem Petrobras im Inland und Ausland ausgesetzt ist. Davon ist Mexiko noch weit entfernt. In keinem Glied seiner Wertschöpfungskette müsse sich Pemex dem Wettbewerb stellen, von der Ölförderung bis zum Benzinverkauf an den Tankstellen, kritisiert der Wirtschaftsanalytiker und Lobbyist. Doch genau gegen einen verschärften Wettbewerb wehrt sich die mächtige Pemex-Gewerkschaft, von der Peña Nieto bisher unterstützt wurde.
De la Calle weist darum warnend darauf hin, dass es in Mexiko erneut nur zu einer partiellen Reform kommen könnte. Das wäre der Fall, wenn Pemex zwar für private Investitionen oder eine teilweise Börsenkapitalisierung geöffnet würde, ohne dass aber für mehr Konkurrenz gesorgt würde. Nach diesem Muster verliefen bereits Mexikos Privatisierungen der neunziger Jahre – mit negativen Folgen bis heute.
URL: http://www.nzz.ch/aktuell/wirtschaft/wirtschaftsnachrichten/mexikos-energiekonzern-pemex-als-spielball-der-politik-1.17674824
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