Montag, 15. Oktober 2012

Elitärer Eurozentrismus

IMI-Standpunkt 2012/057 Oder: "Frieden ist, wenn unsere Waffen anderswo töten" von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 12. Oktober 2012 Wenn die Welt nur aus Europa bestünde, dann wäre die Verleihung des Friedensnobelpreises an Europa womöglich nachvollziehbar – zweifelhaft bliebe dann v.a. noch der Zeitpunkt. Tatsächlich haben „die Union und ihre Vorgänger“ (eher letzteres) Kriege zwischen ihren Mitgliedsstaaten weitgehend verunmöglicht. Das etwa war expliziter Zweck der Montanunion, die es Deutschland ermöglichte, unter gemeinsamer Aufsicht mit Frankreich die Produktion von Kohle und Stahl im Ruhrgebiet wieder aufzunehmen. Wegen der enormen Bedeutung dieser Industrie in den vorangegangen deutschen Aggressionen war sie zuvor unter internationale Kontrolle gestellt und teilweise auch demontiert worden. Seit dem erkannten die deutschen Regierungen immer wieder die Möglichkeit, sich über einen vermeintlichen Souveränitätsverzicht und die europäische Zusammenarbeit neue Handlungsspielräume zu eröffnen und erneut zur Weltmacht aufzuschwingen. Heute wird beispielsweise jüngst von Wolfgang Ischinger oder der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) ganz offen eingefordert, Deutschland solle die „Führung“ in Europa übernehmen und die „EU zur Hebelung deutscher außenpolitischer Strategien nutzen“. Dabei sind es gerade die von Deutschland auferzwungenen Spardiktate, welche die soziale Sicherheit breiter Bevölkerungsgruppen erodieren lassen und so einerseits zum Wiedererstarken nationalistischer Bewegungen führen und andererseits legitime Proteste auslösen, die beispielweise in Griechenland nahezu täglich gewaltsam niedergeschlagen werden. Diese Form des Unfriedens wurde jedoch vom Nobelpreiskomitee ebensowenig zur Kenntnis genommen, wie das unumstrittene und sich beständig weiter vertiefende Demokratiedefizit innerhalb der Europäischen Union. Denn nicht nur die Bundesregierungen, sondern auch die Eliten anderer europäischer Staaten haben die EU als Spielfeld erkannt, in dem man parlamentarische Kontrolle und öffentliche Debatten vermeiden und unpopuläre Entscheidungen als Sachzwang etablieren und vorbereiten kann. Jenseits des nach wie vor fast ausschließlich nationalstaatlichen und auch dort unvollständig vorhandenen Grundrechteschutzes war es v.a. Behörden der Inneren Sicherheit möglich, unkontrollierte und dubiose Sicherheitsnetzwerke und -institutionen zu etablieren, welche europaweit politische Bewegungen und bereits jenseits der EU Migrationsbewegungen ausforschen und behindern sollen. Zu nennen wäre hier vor allem die Grenzschutzagentur Frontex, die sich zusammen mit offen autokratischen Nachbarländern – zu nennen wäre hier etwa Libyen bereits vor dem Sturz Gaddafis – am Tod und der Inhaftierung tausender Flüchtlinge mitschuldig gemacht hat. Womit wir bei der Außenpolitik der Europäischen Union angekommen wären, die noch viel mehr als die Innenpolitik unfriedlichen Charakters ist. Einmalig sind bereits die im Lissabon-Vertrag mit verfassungsrang verankerte Verpflichtung zur Aufrüstung und die Europäische Rüstungsagentur, die es der EU ermöglichen sollen, die „Globalisierung zu gestalten“. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als ein militärisch gestützter Weltmachtanspruch einer Europäischen Union mit einem deutschen Zentrum. Dieser drückt sich u.a. in mehreren Europäischen Polizei- und Militärmissionen insbesondere in Afrika und auf dem Balkan aus. Neben diesen hat sich die EU jedoch auch ein breites Spektrum zivil-militärischer Instrumente bereitgelegt, um jenseits der direkten militärischen Intervention über die Unterstützung von Akteuren vor Ort Einfluss auszuüben. Zu nennen wäre hier u.a. die African Peace Facility aus dem Europäischen Entwicklungsfonds, mit der Einsätze der Afrikanischen Union finanziert werden. Es ist diese im Europäischen Auswärtigen Dienst institutionalisierte Verschränkung diplomatischer, humanitärer, entwicklungspolitischer und militärischer Instrumente und Zielsetzungen, welche zu einer weiteren Intransparenz in der Außenpolitik führen und die Asymmetrie in der Kriegführung durch ihre Einbeziehung und primäre Ausrichtung auf Zivilistinnen weiter vorantreiben werden. Dieses von der EU prinzipiell zivil-militärisch gedachte und auf Zugang zu Ressourcen und offene Handelswege, also die Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen ausgerichtete „Krisenmanagement“ hat eine wahrhaft zivile Außenpolitik undenkbar gemacht und wird das Verhältnis von humanitären und entwicklungspolitischen Organisationen, von Stiftungen und Botschaften zu den Gesellschaften in den jeweiligen Ländern unumkehrbar verändern. Es ist just diese unfriedliche Außenpolitik, in der sich die Strategische Gemeinschaft der Europäischen Union nun bestätigt fühlt: Die EU-Außenbeuaftragte Catherin Ashton etwa hob in ihrer ersten Reaktion ausdrücklich die Schaffung des Europäischen Auswärtigen Dienstes hervor, der es ermöglicht hätte „einen umfassenden Ansatz zu entwickeln, um die Europäischen Werte weltweit zu fördern“. Geradezu erfolgstrunken wirkte der Kommentar des Ratspräsidenten Van Rompuy, der infolge der Verleihung des Friedensnobelpreises nicht nur die beiden Weltkriege zu „Europäischen Bürgerkriegen“ umdeutete, sondern gar behauptete: „Die Europäische Union ist tatsächlich die größte friedensschaffende Institution der Weltgeschichte und hat weiterhin die Aufgabe, Frieden, Demokratie und Menschenrechte zu fördern – im Rest der Welt”. Dermaßen elitäre, eurozentristische und geradezu missionarische Sichtweisen erhalten durch die Entscheidung des Nobelpreiskomitees Rückenwind – es selbst scheint von diesen beseelt, trunken zu sein.

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