Montag, 8. Oktober 2012
Che Guevara: Ikone des Widerstands
Quelle: junge Welt 08.10.12
Am 9. Oktober 1967 wurde Che Guevara in Bolivien ermordet
Von André Scheer
Ein Mord machte ihn unsterblich. Als Ernesto Guevara de la Serna, genannt »El Che«, am 8. Oktober 1967 von der bolivianischen Armee nach einem Gefecht gefangengenommen wurde, fragten die Soldaten bei ihren Kommandeuren an, was mit dem schon damals weltberühmten Guerillero geschehen solle. Diese holten sich ihre Order aus den USA: Ein Prozeß gegen Che mußte auf jeden Fall verhindert werden. Ihm durfte nicht die Gelegenheit gegeben werden, wie einst Fidel Castro nach dem Sturm auf die Moncada, den Gerichtssaal in eine Kundgebungstribüne zu verwandeln. Auch als Gefangener war Che noch gefährlich. So erging der Befehl, den geschlagenen Revolutionär zu ermorden.
Während Che Guevara im Schulgebäude des kleinen Örtchens La Higuera gefangengehalten und verhört wurde, erklärte die bolivianische Regierung am Morgen des 9. Oktober, der Comandante sei am Tag zuvor im Kampf getötet worden. Zugleich wurde der CIA-Agent Félix Rodríguez an den Ort des Geschehens geschickt. Am Mittag erteilte der damalige bolivianische Präsident René Barrientos den offiziellen Befehl, Guevara zu töten. Beauftragt damit wurde Rodríguez, doch der gab den Mordbefehl an den Feldwebel Mario Terán weiter. Im Gespräch mit der französischen Zeitschrift Paris Match berichtete dieser zehn Jahre später: »Als ich den Raum betrat, saß Che auf einer Bank. Als er mich sah, sagte er: ›Sie sind gekommen, um mich zu töten.‹ Ich fühlte mich ertappt und senkte den Kopf, ohne zu antworten. Ich traute mich nicht zu schießen. Che sah ich in diesem Augenblick groß, sehr groß, riesenhaft. Seine Augen leuchteten hell. Ich fühlte, daß er sich aufrichtete, und als er mich fest ansah, überlief mich ein Schauer. Ich dachte, Che könnte mir mit einer schnellen Bewegung die Waffe entreißen. ›Konzentrieren Sie sich und zielen Sie gut‹, sagte er zu mir. ›Sie werden einen Mann töten!‹ Ich trat einen Schritt zurück in den Türrahmen, schloß die Augen und feuerte die erste Salve ab. Che stürzte mit zertrümmerten Beinen auf den Boden, brach zusammen und begann, viel Blut zu verlieren. Ich faßte noch einmal Mut und feuerte die zweite Salve ab, die ihn an einem Arm, in der Brust und im Herzen traf. Er war tot.«
Über Guatemala nach Kuba
Che Guevara war 39 Jahre alt, als er getötet wurde. Sein Weg, der ihn zum weltberühmten Revolutionär machte, hatte 14 Jahre zuvor begonnen, als er sich am 7. Juli 1953 von seinen Eltern verabschiedete, um drei Monate nach dem Abschluß seines Medizinstudiums nach Caracas zu reisen, wo Alberto Granado, Ernestos Gefährte bei der gemeinsamen Motorradreise ein Jahr zuvor, in einem Krankenhaus für Leprakranke arbeitete. Er reiste nicht auf direktem Weg, sondern auf dem billigsten. Zunächst mit der Eisenbahn nach Bolivien, dann nach Peru und von Lima aus im Autobus nach Guayaquil in Ecuador. Hier traf er auf andere junge Argentinier, die ihn schließlich überredeten, statt nach Venezuela lieber nach Guatemala weiterzureisen.
Dort war unter dem Präsidenten Jacobo Arbenz ein Reformprozeß eingeleitet worden, der die Vorherrschaft des größten US-amerikanischen Obstanbaukonzerns United Fruit Company beschränken sollte. Das reichte, damit die US-Administration und die CIA den Sturz Arbenz’ vorbereiteten. Che, der ein halbes Jahr vor dem Staatsstreich in Guatemala eintraf, erlebte, wie mit einer planmäßig durchgezogenen Propagandakampagne der Boden für den Putsch gegen die demokratisch gewählte Regierung bereitet wurde. Am 16. Juni 1954 erhoben sich dann rund 150 von der CIA ausgerüstete und ausgebildete Söldner. Nach zehn Tage dauernden Kämpfen erklärte Arbenz schließlich am 27. Juni 1954 seinen Rücktritt.
Che, der sich aktiv an der Verteidigung der verfassungsmäßigen Regierung beteiligt hatte, floh in die argentinische Botschaft. Rund einen Monat blieb er dort und weigerte sich auch, mit einem Flugzeug nach Buenos Aires zurückzukehren, das der damalige Staatschef Juan Domingo Perón den argentinischen Bürgern in Guatemala geschickt hatte. Statt dessen entschied er sich, nach Mexiko weiterzureisen. Dort traf er auf den jungen kubanischen Rechtsanwalt Fidel Castro, der den Guerillakampf gegen die Diktatur Fulgencio Batistas vorbereitete. Che schloß sich den Kubanern an, die Ende 1956 mit der Yacht »Granma« auf Kuba anlandeten. Es folgten drei Jahre Guerillakrieg in der Sierra Maestra, während denen Che zum Comandante der kubanischen Revolutionäre aufstieg.
Vom Kongo nach Bolivien
Am 26. November 1959, fast ein Jahr nach dem siegreichen Einzug der Revolutionäre in Havanna, ernannte Fidel Che zum Präsidenten der Nationalbank Kubas. Che hatte zu diesem Zeitpunkt bereits die Abteilung für Industrialisierung des mächtigen Instituts für die Agrarreform geleitet und führende Funktionen in der Rebellenarmee innegehabt, und stürzte sich nun in die neue Aufgabe. Es war ihm klar, daß die Nationalbank eine lebenswichtige Ader der kubanischen Wirtschaft war, durch die alle Gelder der Insel flossen.
Die Devisenreserven Kubas waren vom Batista-Regime geplündert worden, allein 424 Millionen Dollar hatte Batista auf seiner Flucht mit in die USA genommen. Es mußte verhindert werden, daß auch noch die letzten Reserven von privaten Banken in das Ausland geschafft wurden, denn erst am 13. Oktober 1960 wurden alle in Kuba aktiven in- und ausländischen Finanzinstitute verstaatlicht.
Che bewährte sich auch hier, so daß er am 23. Februar 1961 Industrieminister wurde. In dieser Funktion erlebte Che selbst die Schwierigkeiten beim Neuaufbau eines revolutionären Staates und faßte sie im Februar 1963 in einem Artikel für die theoretische Zeitschrift Cuba Socialista unter dem Titel »Gegen den Bürokratismus« zusammen (siehe unten).
Doch Che war nicht dafür geboren, in Amtsstuben zu versauern. Getreu seiner Devise, daß es »in diesem Kampf auf Leben und Tod gegen den Imperialismus keine Grenzen« gibt, stellte er sich an die Spitze kubanischer Internationalisten, die im Kongo gegen die neokolonialistische Diktatur Joseph-Désiré Mobutus kämpften, und ging schließlich nach Bolivien. Im März 1967 griff dort die von ihm geführte Befreiungsarmee ELN erstmals die Truppen der bolivianischen Diktatur an. Während es der Guerilla in Bolivien jedoch nicht, wie Jahre zuvor in der kubanischen Sierra Maestra, gelang, die Unterstützung der Bauern zu gewinnen, erkannte die CIA bald, daß die Aufständischen von Che geführt wurden. Die bolivianische Armee wurden massiv aufgerüstet, US-Militärberater beteiligten sich an der Jagd auf Che. Bis zum Oktober 1967.
Ihr Versuch, Che verschwinden zu lassen und die Erinnerung an ihn auszulöschen, scheiterte. Das berühmte Bild Ches, das der kubanische Fotograf Alberto Korda in Havanna aufgenommen hatte, wurde zum Symbol der rebellierenden Studenten Europas – und ist bis heute überall präsent. Auf jeder Demonstration in Lateinamerika, Spanien, Griechenland oder hierzulande wehen die roten Fahnen mit seinem Gesicht. Die ihn dort tragen, wissen, was er repräsentiert. Che Guevara ist nicht das Logo peinlicher Unterhosen, Fußabstreifer oder Papiertaschentücher – sondern ein Zeichen des Widerstandes überall auf der Welt. Hasta la victoria siempre.
Che Guevara: Gegen den Bürokratismus
Die ersten Schritte als revolutionärer Staat sowie die ganze Anfangsepoche unserer Regierungsführung blieben stark geprägt von den Grundelementen der Guerillataktik, die auch der staatlichen Verwaltung als Form diente. Bei der Besetzung des ganzen komplexen Apparates der Gesellschaft stießen die Aktionsfelder der »Verwaltungsguerillas« aufeinander, es gab ständig Reibereien, Anordnungen und Gegenanordnungen, unterschiedliche Auslegungen der Gesetze – die in manchen Fällen auf das genaue Gegenteil hinausliefen – durch Institutionen, die ihre eigenen Diktate in Form von Erlassen herausgaben, unbekümmert um den zentralen Führungsapparat. Nach einem Jahr schmerzlicher Erfahrungen kamen wir zu dem Schluß, daß es unerläßlich sei, unseren Arbeitsstil völlig zu verändern und den Staatsapparat wieder in einer rationalen Weise zu organisieren, gestützt auf die in den sozialistischen Bruderländern bekannten Planungstechniken.
Als Maßnahme gegen diese Zustände begannen sich also jene mächtigen bürokratischen Apparate zu organisieren, die diese erste Phase des Aufbaus unseres sozialistischen Staates kennzeichnen. Doch der Sprung war zu groß, und eine ganze Reihe von Institutionen, darunter das Industrieministerium, leiteten eine Politik der Zentralisierung aller Aufgaben ein, die die Initiative der Betriebsleiter übertrieben eindämmte. Dieses Konzept des Zentralismus erklärt sich aus dem Mangel an mittleren Kadern und der bislang herrschenden anarchistischen Einstellung, die einen enormen Eifer erforderlich machte, um die Erfüllung der Direktiven durchzusetzen. So begann unsere Revolution unter dem »Bürokratismus« genannten Übel zu leiden.
Aus: Cuba Socialista, Havanna 1963
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