Die schreiende Stille, mit der die gesamte internationale Gewerkschaftsbewegung auf den in dieser Form einmaligen Korruptionsskandal bei der US-Autogewerkschaft UAW reagiert, ist ein weiteres Zeichen, dass deren Situation keine besonders aussichtsreiche ist. Denn der Skandal wäre einmalig – wenn es denn ein Skandal wäre und nicht System, das 40 Jahre lang herrschte. Nicht zu vergleichen mit alten deutschen Neue Heimat-Geschichten, die übel genug waren. Auch nicht mit Auto-Betriebsräten anderswo, die Management-Gehälter beziehen und (nicht nur) dafür die Leiharbeit „gestalten helfen“. Denn neben persönlichem Wohlergehen gab es eben das ganze System der „Verwaltung“ von Geldern, das die ganze Zeit nicht nur in die Finanzierung von Leben in den von der amerikanische Mittelklasse so beliebten privaten Gefängnissen – gated communities – floss, sondern auch einer umfassenden Klientelwirtschaft diente, Stellenvergabe und Beförderungen inklusive. Dies ist nicht nur eine Traumvorlage für jede künftige Aktivität von „Union-busting“ Anwaltsfirmen, sondern wirft wirklich auch die Frage auf, inwiefern so ein Verein noch irgendwie reformierbar sein soll – wozu es gerade jetzt Bestrebungen aus dem Kreis aktiver Mitglieder gibt. Dieweil die Unternehmensleitungen der „großen drei“ in aller Offenheit sich zum Erfolg ihrer Strategie bekennen: „Wir wollten sie fett und dumpf halten, um konkurrenzfähig zu bleiben“. Was nun wirklich gelang – vor allem über gewerkschaftlich abgesegnete Systeme der Lohndiskriminierung und Ausweitung der Leiharbeit wurde Konkurrenzfähigkeit hergestellt – und Standort-Sicherung (bis zu ihrer jeweiligen Schließung auf Raten) betrieben. Zur Situation der UAW und möglichen Perspektiven drei aktuelle Beiträge, ein Beitrag über das „Finanzsystem“ UAW und der Link zu einer neuen oppositionellen Initiative:
- „UAW corruption starts with the pro-company strategy of the leaders“ am 27. Dezember 2019 beim Oakland Socialist (OS) ist ein Beitrag, der sich dem Zusammenhang von Korruption und Sozialpartnerschaft widmet – ausgehend von einer Rede des früheren Gewerkschaftsvorsitzenden King (nicht angeklagt), der sich über die aktuelle Korruption „entsetzt“ zeigte, aber eben – beispielsweise – in einer (Online warum auch immer nicht mehr verfügbaren, vom OS aber dokumentierten) Rede vor der Handelskammer Detroit unterstrich, dass im 21. Jahrhundert seine Gewerkschaft verstanden habe, dass die Unternehmen eben international konkurrenzfähig bleiben müssten. Und den Verwaltungsfonds gab es auch schon lange…
- „Democratizing the UAW“ am 23. Dezember 2019 im Jacobin Mag ist ein Interview von Chris Brooks mit Justin Mayhugh (GM Arbeiter), in dem dieser sowohl seine Arbeitsbedingungen, als auch seine gewerkschaftlichen Erfahrungen berichtet. Der Kollege unterstreicht dabei insbesondere seine Sympathie für die Geschichte der Opposition in der UAW, die es ja bereits zu Zeiten des vom AFL-CIO als „Legende“ gehandelten einstigen großen Vorsitzenden Walter Reuther gab. Dabei erwähnt er unter mehreren anderen Bestrebungen etwa auch das New Directions Movement, in der UAW eine der größten oppositionellen Zusammenschlüsse – die aber, und das ist, was am meisten nachdenklich machen sollte, allesamt erfolglos blieben…
- „Six UAW Locals Back Direct Elections of Top Officers“ von Chris Brooks am 18. Dezember 2019 bei den Labornotes berichtet nun von einer neuen Initiative die sich für die Direktwahl der Vorstandsmitglieder durch die Basis einsetzt (was ja insofern Sinn macht, als das eingangs kurz skizzierte System der Patronage auch bei der Zusammensetzung der Delegierten der Gewerkschaftstage „wirksam“ war). Bisher haben sich sechs verschiedene UAW-Grundorganisationen dieser Initiative angeschlossen, die zusammen rund 10.000 Mitglieder haben. Ob es besonders aussichtsreich ist, sich in einer solchen Extremsituation dabei an statuarische Regeln (es wird sich auf § 8 der Satzung berufen über die Einberufung von Sonderkongressen) sei aus der Ferne dahin gestellt…
- „Unite All Workers for Democracy“ ist die Facebook-Seite jenes Netzwerkes, das auch diese Initiative unterstützt und das sich im Zuge der jüngsten Enthüllungen im Laufe von 2019 herausgebildet hat. Darin werden – unter vielem anderen – auch eine ganze Reihe von Dokumenten veröffentlicht, die Aktive der Gewerkschaft, inklusive Funktionäre vor Ort zu jenen – sehr zahlreichen – Zeitpunkten verfasst haben, als sie gegenüber der Gewerkschaftsmafia resigniert hatten und ihren Austritt oder ihre Niederlegung von Funktionen begründeten.
- „Die 760 Millionen Dollar schwere Streikkasse der UAW: Goldgrube für Spitzenfunktionäre, nur 250 Dollar pro Woche für streikende GM-Arbeiter“ am 20. September 2019 bei wsws fasst das Wirtschaftsunternehmen UAW in Zusammenhang mit dem GM-Streik (samt lächerlichem Streikgeld) so zusammen: „… Die UAW behauptet, eine Gewerkschaft zu sein, die die Interessen von zehntausenden beitragszahlenden Mitgliedern vertritt. In Wahrheit funktioniert sie als mittelgroßes Wirtschaftsunternehmen. Ihr hauptsächliches Geschäft besteht darin, General Motors, Ford und Fiat Chrysler mit billigen Arbeitskräften zu versorgen und diese Arbeiter als Betriebspolizei in Schach zu halten. Der gewaltige Korruptionsskandal, in dem die UAW versinkt, ist lediglich der krasseste Ausdruck dieser Tatsachen. Der Begünstigte dieser korrupten Vorgänge ist eine privilegierte Gruppe von etwa 450 bezahlten Gewerkschaftsfunktionären, Managern, Büroangestellten und einer Horde von Lakaien, deren Aufgaben nirgends klar definiert sind. Ihr einziger Zweck besteht – wie bei den Mafiacharakteren in Martin Scorceses Filmen – darin, den Gewerkschaftsfunktionären, auf deren Gunst sie angewiesen sind, ihre „Muskeln“ zur Verfügung zu stellen. Die Daten des US-Arbeitsministeriums weisen mehr als 450 Führungskräfte der UAW aus, die im Jahr 2018 jeweils mehr als 100.000 Dollar erhalten haben. Sogar jetzt, wo der Streik im Gange ist, stellt die UAW noch immer Gehaltsschecks an diese Bande von Nutznießern aus. Noch bevor irgendein Arbeiter sein erstes Streikgeld erhält, wird die UAW 1,9 Millionen Dollar an ihr eigenes Personal ausgezahlt haben. Laut den Daten des Arbeitsministeriums von 2018 gab die UAW mehr als 72 Millionen Dollar für Gehälter und gehaltsbezogene Ausgaben aus – 276.483 Dollar pro Tag. Das betrifft auch diejenigen Funktionäre, die derzeit unter Anklage stehen und zwischen 2.000 und 3.000 Dollar pro Woche erhalten. An ihre 30 Führungsfunktionäre zahlte die UAW im Jahr 2018 3,7 Millionen Dollar. Verglichen mit dem Vorjahr 2017 mit 2,4 Millionen entspricht dies einem Anstieg von 54 Prozent in nur einem Jahr. Die meisten dieser Angestellten besetzen Platzhalter-Stellen mit begrenzter oder gar keiner tatsächlichen Funktion. Die Daten des Arbeitsministeriums zeigen als Gehaltsempfänger der UAW zum Beispiel 258 Dienstleistungsvertreter („servicing representatives“), 134 Assistenten, 83 Sekretäre, 42 Organisatoren, 27 Buchhalter und 25 befristete Kampagnen-Mitarbeiter, von denen die meisten über 100.000 Dollar pro Jahr erhalten. Was, um alles in der Welt, tun diese Leute?...“
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