Dossier
“Klimaschutz und die 40-Stunden-Woche passen nicht gut zusammen. Ein Wissenschaftler hat jetzt berechnet, wie viel Arbeit in der Woche ökologisch verträglich wäre. Im Jahr 1930 hielt der britische Ökonom John Maynard Keynes eine bemerkenswerte Vorlesung. Er stellte die Prognose auf, dass die Enkel der Studierenden, die vor ihm saßen, nur noch 15 Stunden pro Woche würden arbeiten müssen. Rund 100 Jahre werde es dauern, bis sich die notwendige Arbeit dank Technologie und Automatisierung in 3-Stunden-Schichten erledigen lasse. Er hat sich offensichtlich geirrt. Die Produktionszuwächse und technischen Fortschritte, die Keynes erwartete, sind zwar eingetroffen. Sie haben aber kaum etwas an unserer Arbeitszeit geändert. Heute, 11 Jahre vor dem Stichtag, liegt die Wochenarbeitszeit im OECD-Schnitt bei rund 37 Stunden. Doch Keynes’ Forderung ist aktueller denn je. Unternehmer, Gewerkschaftler, Politikerinnen, Wissenschaftler und Aktivistinnen betonen immer wieder, wie wichtig eine Reduzierung der Arbeitszeit ist. (…) Der niederländische Historiker und Journalist Rutger Bregman geht noch weiter, oder vielmehr einen Schritt zurück, zu den Überlegungen von Keynes. Er behauptet, die Zeit sei reif für die 15-Stunden-Woche. (…) Der Thinktank Autonomy hat jetzt in einem »The Ecological Limits of Work« betitelten Arbeitspapier, das vor allem in den britischen Medien großes Aufsehen erregte, nun aber noch einen ganz anderen Grund dafür gefunden, warum eine Reduzierung der Arbeitszeit unausweichlich ist: die ökologische Krise. Der Zusammenhang zwischen Klimawandel und Arbeitszeit mag auf den ersten Blick ein wenig konstruiert erscheinen. Doch bei genauerem Hinsehen erscheinen die Aussagen des Autors Philipp Frey, der am Karlsruher Institut für Technologie forscht, völlig logisch. Der Grund dafür ist unser auf Beschleunigung und Wachstum ausgerichtetes Wirtschaftsmodell, das ein hohes Maß an Arbeitskraft verlangt…” Artikel von Stefan Boes vom 2. Juli 2019 bei Perspective Daily . Siehe dazu eine Studie und weitere Beiträge zu einem neuen Argument für eine schon immer gute Forderung:
- Free day for future! Arbeiten schadet dem Klima. Also lassen wir es doch. Ein Plädoyer für die Viertagewoche
“Ich weiß nicht, was Sie denken, aber ich sehe es so: Der deutsche Klimaschutz steckt in einer Sackgasse. Nachdem vor einem Jahr noch so etwas wie Wechselstimmung in der Luft lag, stellt sich nun Resignation ein: Die Politiker mit ihren Klimapaketchen handeln zu zaghaft. Die Wirtschaft ist offenbar zu mächtig, um sich reglementieren zu lassen. Die Fridays-for-Future-Aktivisten, die im Grunde nicht mehr als die Einhaltung vereinbarter Ziele fordern, gelten manchen als nörgelnde Asketen, die dem kleinen Mann das Schnitzel und den Malle-Urlaub streichen wollen. (…) Sie kennen das alles schon; danke, dass Sie noch weiterlesen. Jetzt kommt etwas Neues, versprochen. Ich habe nämlich die Lösung: Wir müssen den Verzicht nicht dort suchen, wo er wehtut – sondern dort, wo er erträglich ist. Was, wenn es eine Beschränkung gäbe, die regelrecht Freude bringen könnte, um nicht zu sagen: Freiheit! Sind Sie bereit? Deutschland muss auf das verzichten, was niemandem Spaß macht – arbeiten! Ich fordere: Free day for future! Einen Wochentag frei für alle. Bei vollem Lohnausgleich. (…) In einer Zeit, in der viele Bullshit-Jobs mehr einer Beschäftigungstherapie als wertschöpfender Arbeit gleichen, in der durch die Digitalisierung ganze Berufssparten wegfallen, in der eine Burn-out-Phase im Lebenslauf fast schon zum Standard gehört und in der Wünsche nach einer gleichberechtigten Familien- und Karriereplanung das Vollzeitmodell ins Wanken gebracht haben, wäre eine geringere Arbeitszeit für alle keine radikale Zukunftswette – sondern die überfällige Anpassung der Arbeit an die Lebenswelt von Millionen Menschen. (…) Amerikanische Forscher haben herausgefunden, dass es einen Zusammenhang zwischen Arbeitsstunden und Emissionen gibt. Erste Hinweise darauf lieferte 2005 die Bostoner Soziologieprofessorin Juliet Schor. Sie verglich die durchschnittlichen Arbeitsstunden verschiedener Staaten mit deren ökologischem Fußabdruck – und stellte eine positive Korrelation fest. Die Ökonomen David Rosnick und Mark Weisbrot skizzierten 2006 zwei verschiedene Beschäftigungsmodelle: das amerikanische (viele Arbeitsstunden) und das europäische (im Schnitt weniger bei ähnlicher Leistung). Sie empfahlen der US-Wirtschaft, sich die kürzeren Arbeitszeiten in der EU als Vorbild zu nehmen. So ließen sich 20 Prozent Energiekosten einsparen. Die Ökonomen überschlugen auch, was passieren könnte, wenn alle Menschen so lange arbeiten würden wie die Amerikaner: eine Erwärmung des Planeten um zusätzliche ein bis zwei Grad…” Beitrag von Quentin Lichtblau vom 16. Januar 2020 bei der Zeit online - [Nur noch sechs Stunden pro Woche?] Studie: Arbeitszeit und Klimawandel“Um beim gegenwärtigen Emissionsniveau der Klimakrise effektiv zu begegnen, dürften Menschen in Deutschland künftig nur noch sechs Stunden pro Woche arbeiten. Zu diesem Ergebnis kommt Philipp Frey vom ITAS in seiner Studie „The Ecological Limits of Work“. Arbeit schafft Werte, Güter, Dienstleistungen – und Treibhausgasemissionen. Wieviel dürften wir also arbeiten, um die Klimaerwärmung und ihre potenziell dramatischen Folgen noch aufzuhalten? Dieser Frage ist Philipp Frey nachgegangen, der am ITAS als Doktorand zum Themenfeld Technik und Arbeit forscht. Das Ergebnis seiner Studie: Um bei heutigem Emissionsniveau das 2-Grad-Ziel – die offizielle Zielsetzung der Europäischen Union – einzuhalten, dürften deutsche Beschäftigte nur noch sechs Stunden pro Woche arbeiten. In Großbritannien wären zur Einhaltung desselben Ziels noch neun, in Schweden 12 Wochenarbeitsstunden möglich. (…) Dass in Deutschland die geringste Arbeitszeit pro Woche „erlaubt“ wäre, liege, so Frey, an dem starken industriellen Sektor. Großbritannien habe einen vergleichsweise starken Dienstleistungsbereich, in Schweden würden dank des großen Anteils erneuerbarer Energien die Emissionen pro Arbeitsstunde geringer ausfallen. „Es wäre zu eindimensional gedacht, für die Lösung der Klimakrise ausschließlich bei der Arbeitszeit anzusetzen, hier sind vielfältige Maßnahmen gefragt“, stellt Philipp Frey klar. Das Ziel seiner Studie sei es vielmehr, die Herausforderungen in Bezug auf die Klimakrise anschaulich zu machen und für den Zusammenhang zwischen Arbeitszeit und CO2-Emissionen zu sensibilisieren. Bei der Umstellung auf eine nachhaltigere Wirtschaft müsse auch über eine Reduzierung von Arbeitszeit nachgedacht werden. Andernorts werde darüber bereits intensiv diskutiert, beispielsweise über eine Vier-Tage-Woche in Großbritannien...” Mitteilung vom 03.07.2019 des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) und die Studie The Ecological Limits of Work: on carbon emissions, carbon budgets and working time von Philipp Frey
- Wenn du was gegen den Klimawandel tun willst, geh weniger arbeiten“Wenn wir unseren Planeten retten und die Klimakrise eindämmen wollen, sollten wir dringend weniger arbeiten. Hier steht, warum. (…) In seiner Studie kommt Frey zu dem Schluss: Wenn wir etwas ausrichten wollen, müssen wir unsere Arbeitszeit reduzieren. Anstelle der üblichen 40 Stunden wäre laut des Papers eine neun-Stunden-Woche nachhaltig. So sagte auch der Leiter des Think Tanks, Will Stronge, dem britischen Guardian: „Der Weg zu einer grünen, nachhaltigen Gesellschaft erfordert ein Reihe von Strategien – eine kürzere Arbeitswoche ist nur eine davon.“ Dabei sind andere positive Auswirkungen von weniger Arbeit auf unseren Planeten – wie beispielsweise geringeres Verkehrsaufkommen durch weniger Pendler*innen, niedrigere Produktion von Gütern und weniger Transport durch weniger Konsum – nicht mal berücksichtigt. (…) Warum genau weniger Arbeitszeit, auch über das nachhaltige BIP hinaus, so wichtig ist, erklärt die österreichische Klimaforscherin und emeritierte Professorin Helga Kromp-Kolb genauer: „Die Klimakrise ist ein Symptom für die Übernutzung der Ressourcen unseres Planeten. Diese Übernutzung hängt einerseits mit der Zahl der Menschen zusammen; andererseits auch mit unserem Lebensstil und mit den Energieträgern und Materialien, die wir nutzen, um ihn zu ermöglichen“, sagte Kromp-Kolb zu ze.tt. „Wenn wir unsere materiellen Ansprüche zurückschrauben – und das müssen wir, auch mit einer Kreislaufwirtschaft – dann muss weniger produziert werden, dadurch wird der Planet entlastet und die Arbeitszeit sinkt.“ Weniger arbeiten, weniger Dienstleistungen einkaufen und stattdessen wieder mehr selbst machen – dazu gehören beispielsweise Reparaturen, Gartenarbeit und Gemeinschaftsdienst – all das kann auch dabei helfen, Ressourcen zu schonen. „Es ist nicht die Arbeitszeit per se, auf die es ankommt – es ist die Frage, was wir in dieser Zeit machen“, sagt auch die Klimaforscherin…” Artikel von Jessica Wagener vom 03. Juni 2019 bei ze.tt
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