Montag, 24. Juni 2019

Die EU-Wahl war ein Votum gegen den Stillstand, meint die Grünen-Europaabgeordnete Anna Cavazzini

Eine Richtungsentscheidung für Europa

In vielen Ländern konnten die Grünen bei der EU-Wahl das stärkste Ergebnis ihrer Geschichte verbuchen. Die insgesamt gewachsene Fraktion im Europaparlament zeigt, dass dies nicht nur ein deutsches Phänomen ist. Wir konnten in Ländern wie Frankreich, Finnland oder Luxemburg erhebliche Erfolge erzielen. Schon vor ein paar Monaten wurde diese Entwicklung als »Grüne Welle« betitelt. Die Grünen hatten bei den zwei dominierenden Konfliktlinien in West- und Nordeuropa eine klare Haltung und fundierte Politikvorschläge: Gegen den Rechtsruck und für echten Wandel z.B. im Klimaschutz. Im Wahlkampf haben wir stets klare Kante gegen rechts gezeigt, uns aber nicht an den Rechten abgearbeitet. Im Fokus unserer Kampagne standen vielmehr unsere eigenen, proeuropäischen Vorschläge.

Anna Cavazzini ist seit Mai EU-Abgeordnete der Grünen und seit Jahren in der Europapolitik engagiert.
Anna Cavazzini ist seit Mai EU-Abgeordnete der Grünen und seit Jahren in der Europapolitik engagiert.
So wichtig uns war, klare Kante gegen den Rechtsruck zu zeigen und einen explizit proeuropäischen Wahlkampf zu machen, so sehr konzentrierten wir uns in der Kampagne auf Veränderungen. Ich persönlich versuchte zum Beispiel auf Panels nicht nur die AfD anzugreifen - die sich immer zu gerne in der Opferrolle zu stilisieren versuchte - sondern auch beispielsweise die CDU, die transnationale Listen oder eine Agrarwende verhindert. Oder die SPD, deren Finanzminister im Rat echte Steuertransparenz für Unternehmen blockiert hat. Wie auch schon in den Wahlkämpfen in Bayern und in Hessen versuchten wir, Mut und Zuversicht zu vermitteln, dass ein Wandel nötig aber auch möglich ist.
Mit Blick auf die Europakarte müssen wir allerdings auch feststellen, dass die Schwäche der Grünen in Ost- und Südeuropa liegt. Existierende Grüne Parteien fahren seit Jahren nur marginale Ergebnisse ein oder stürzten nach kurzen Erfolgen wie in Tschechien oder Ungarn wieder ab. Hier ist noch einiges an Arbeit nötig, die existierenden, proeuropäischen, progressiven und ökologischen Kräfte zu bündeln und so zu politischer Durchschlagskraft zu verhelfen. Viele Kommentator*innen fassten die Erfolge von Grünen und Liberalen (die deutsche FDP, die sich eher verhalten proeuropäisch positioniert hatte, allerdings eher weniger) zusammen und etikettierten sie als Sieg der »internationalistischen-proeuropäischen-inklusiven Kräfte«, die in diesem Wahlkampf die Antipode zu dem »nationalistischen-antieuropäischen-exklusiven« Block bildeten.
Was bedeuten diese Ergebnisse für einen Politikwandel in der EU? Konservative und Sozialdemokrat*innen haben ihre Mehrheit verloren, sie sind auf kleinere Fraktionen wie die Grünen angewiesen. Dies gibt uns die Chance, mehr von unseren Themen durchzusetzen, und das versuchen wir während der laufenden Verhandlungen zur Wahl des/der Kommissionspräsident*in und während der nächsten fünf Jahre.
Eines ist klar, wir lassen und nicht mit Trippelschritten abspeisen und kämpfen für einen echten Politikwandel in der EU. Das betrifft zum einen die Art, wie wir Politik machen. Das Parlament muss - als einzig direkt gewähltes Organ - gestärkt werden mit einem Initiativrecht und einer besseren Beteiligung bei internationalen Verhandlungen. Und bei allen Politikmaßnahmen muss vorher untersucht werden, welche Auswirkungen sie auf die Umwelt oder die Menschenrechte haben.
Unser Ziel ist es, unsere Lebensgrundlagen für die nächsten Generationen zu erhalten und allen Menschen ein Leben in Würde und mit Teilhabe zu ermöglichen. Deshalb werden wir unseren gewachsenen Einfluss dafür nutzen, um für den Erhalt der Biodiversität zu streiten und daher für eine andere Agrarpolitik. Wir wollen den Klimawandel aufhalten und setzen uns deshalb unter anderem für einen CO2-Preis ein, der die Wirtschaft in nachhaltigere Bahnen lenkt. Statt öffentliche Dienstleistungen weiter zu liberalisieren, kämpfen wir für den Erhalt der Daseinsvorsorge und europäische soziale Mindeststandards. Die Grundrechte dürfen in der EU nicht mit Füßen getreten werden. Die Menschenrechte müssen die Leitlinie für unsere internationale Politik sein, deshalb braucht es ein Seenotrettungsprogramm und verbindliche Regeln für Unternehmensverantwortung entlang der gesamten Lieferkette.
Diese Europawahl war eine Richtungsentscheidung. Die progressiven, weltoffenen, ökologischen Kräfte haben zwar nicht die Mehrheit erlangt. Aber sie haben am meisten hinzu gewonnen und konnten unglaublich viele junge Leute mobilisieren. Es war eine Wahl gegen den Stillstand und eine Wahl die Hoffnung macht. Wir haben jetzt die Chance und die Pflicht zu liefern.
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