Die rot-grüne Reformkoalition machte sich, 1998 kaum ins Regierungsamt gelangt, unverzüglich ans Werk: Nachdem sie es bereits im ersten Regierungsjahr geschafft hatte, das von ihr regierte Land an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen einen souveränen Staat teilnehmen zu lassen, brachte sie 2001 die Teilprivatisierung der Gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten von Banken und Finanzdienstleistern über die Bühne. Bei diesem Coup trat das politische Markenzeichen des koalitionären Juniorpartners, Bündnis 90/Die Grünen, noch erfreulich ungeschminkt zutage: rabiater Opportunismus gepaart mit fachlicher Inkompetenz. Beispielhaft dafür predigte die grüne Welt-Ökonomin und Beinahe-Theologin Katrin Göring-Eckardt während der Beratung des Gesetzentwurfes der Regierungskoalition im Bundestag, dass sich ihre Fraktion durchaus hätte »mehr vorstellen können als das, was jetzt in diesem Gesetzentwurf steht: ein Mehr an Zukunftsfähigkeit, zum Beispiel durch noch geringere Beiträge, damit den Leuten noch mehr im Portemonnaie verbleibt, vielleicht auch ein noch geringeres Rentenniveau, um die Notwendigkeit einer privaten Zusatzvorsorge deutlicher zu unterstreichen«. Grüne Politik 2001 hieß also: noch stärkere Kürzung der individuellen Renten durch geringere Beiträge bei noch tieferem Rentenniveau, um die Opfer dieser Kürzungen in die Arme von Allianz & Co zu treiben. Joachim Rohloff stellte 2004 zu Recht fest: »Es fällt schwer zu entscheiden, ob Katrin Göring-Eckardt bloß frech und zynisch ist oder frech, zynisch und dumm.«
Dass mit Privatisierung keine solide Rente erreicht werden kann, fiel einige Zeit später Hans-Ulrich Sckerl auf, dem parlamentarischen Geschäftsführer und stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der baden-württembergischen Landtags-Grünen. Nachdem noch 2008 das baden-württembergische Landesparlament die staatliche Pension für Neu-Abgeordnete zugunsten eines Modells privater Altersvorsorge abgeschafft hatte, sollte Anfang 2017 eben jene staatliche Pension für alle Abgeordneten wieder eingeführt werden; anlässlich der Debatte dieses Vorhabens konstatierte Göring-Eckardts Parteikollege: »Mit privaten Vorsorgeverträgen werden Versicherungen gefüttert, aber keine auskömmlichen Altersversorgungen hergestellt.« Göring-Eckardt jedenfalls verkündete wenige Monate später, sich künftig vor allem um das Wohlergehen von Bienen und Schmetterlingen zu kümmern – eine erfreuliche Botschaft für Deutschlands Rentner.
Statt Göring-Eckardt haben nun Robert Habeck und Sven Giegold das rentenpolitische Ruder bei Bündnis 90/Die Grünen übernommen. In ihrem Grundsatzpapier mit dem Titel »Ein Bürgerfonds für die Altersvorsorge« konstatieren sie zu Beginn, dass es eine wahre »Herkulesaufgabe« sei, ein langfristig stabiles, den Lebensstandard der Senioren wahrendes Rentensystem zu erhalten. Eilig wird abgehandelt, dass die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) für diesen Zweck ebenso zentral wie unverzichtbar ist, aber zu einer Bürgerversicherung, die Beamten, Selbständigen und Freiberuflern offensteht, erweitert werden muss; auf den Anteil der Grünen an der planvollen Destabilisierung der GRV (siehe oben) gehen die beiden Herkulesse selbstredend nicht ein.
Im Mittelpunkt ihres rentenpolitischen Interesses steht etwas anderes – die V2 der rot-grünen Rentenreform, die sich kaum überraschend als Rohrkrepierer entpuppte: die Riester-Rente. Und wie gedenken sie dieser Malaise Herr zu werden? »Um diese Probleme zu lösen, schlagen wir die Errichtung eines Bürgerfonds vor: ein Bürgerfonds für die Altersvorsorge. Er soll die private, kapitalgedeckte Altersvorsorge auf eine neue Grundlage stellen.« Von der Umetikettierung auf Bürgerfonds abgesehen: Wie soll die »neue Grundlage« aussehen? Der »Bürgerfonds« soll das eingesammelte Kapital »in Aktien, Immobilien oder anderen rentablen Werten« anlegen – eine innovative Idee par excellence, auf die noch nie zuvor ein Mensch gekommen ist; orientieren soll sich der grüne »Bürgerfonds« dabei – ebenso »risikoarm« wie »preiswert« – an den skandinavischen Staatsfonds, »so dass auch Menschen mit wenig Geld ohne großes Risiko an renditeträchtigen Anlageformen partizipieren können«.
Wie kamen die durch renditeträchtige Anlageformen erzielten »Wohlstandsgewinne« (auch) der Staatsfonds in den vergangenen Jahren zustande? Durch technische Innovationen und Produktivitätssprünge in Industrie und Dienstleistungen? Weit gefehlt: Die großen Zentralbanken senkten im Gefolge der großen Finanz- und Wirtschaftskrise nicht nur ihre Leitzinsen auf (nahezu) Null, sondern reichten – oft gegen Wertpapiere mindestens zweifelhaften Wertes – riesige Summen frisch geschaffenen Geldes an Geschäftsbanken und große Unternehmen aus, die damit via Aktienrückkäufen, Fusionen, Übernahmen und Immobilienspekulationen die großen Aktienindizes, Grundstücks- und Immobilienpreise sowie Mieten zu neuen Höchstständen trieben. Die 2007 geplatzte gigantische Kreditblase wurde neu aufgepumpt, und unsere grünen Welt-Ökonomen möchten das deutsche Rentensystem an diese Blasenökonomie noch fester ankoppeln – sicherlich ein Ausweis des berühmten grünen Gedankens der Nachhaltigkeit. Bereits geringfügige Zinserhöhungen führten im vergangenen Jahr übrigens dazu, dass das Aktiensoufflé in sich zusammenfiel und beispielsweise der Wert des norwegischen Staatsfonds um stattliche 6,1 Prozent schrumpfte.
Ein Ass zaubern die grünen Renten-Rastellis noch aus dem Ärmel: »Aber auch die Wirtschaft wird von diesem Fonds profitieren, denn es tritt ein gewünschter Nebeneffekt ein: Es wird viel Kapital für Zukunftsinvestitionen mobilisiert, was gerade in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs von zentraler Bedeutung ist.« Als ob der chronische Niedergang der Infrastruktur und die ausgeprägte Investitionsschwäche eine Folge von Kapitalmangel sei; bevor sie dieses Märchen niederschrieben, hätten Habeck & Giegold besser jemanden konsultiert, der etwas von der Materie versteht, etwa den (meist zurecht) zornigen Keynesianer Heiner Flassbeck: »Dass vermehrtes Sparen den volkswirtschaftlichen Kapitalstock erhöht, ist hundertmal empirisch wie theoretisch widerlegt, und es wird nicht besser, wenn einer es noch einmal vollkommen naiv hinschreibt. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Sparen behindert das Investieren und damit die Zukunftsvorsorge. In einer Welt, in der die Zinsen gegen null tendieren (was für einen Marktwirtschaftler ja nur heißen kann, dass es zu viel Sparen und zu wenig Investieren gibt), so zu tun, als ob man nur noch mehr sparen müsse und alles werde gut, ist Volksverdummung.«
Sehr apart ist überdies, dass die Grünen es sich – aller vordergründigen Kritik an der bisherigen privaten Altersvorsorge zum Trotz – mit den privaten Banken und Versicherungen, den Hauptprofiteuren der Riester-Rente, nicht verderben wollen: »Die Altersvorsorge wird weiterhin gefördert. Die staatliche Förderung steht für die Anlage im Bürgerfonds ebenso zur Verfügung wie für die Konkurrenzangebote privater Banken und Versicherungen.«
Das unausgegorene Renten-Papier der beiden Grünen zeigt, dass Rentenpolitik für Bündnis 90/Die Grünen nebensächlich ist und die eingenommenen Positionen bei ersehnten Koalitionsverhandlungen möglichen Ministersesseln und Dienstwagen nicht im Wege stehen werden. Dass Rentenpolitik im grünen Paralleluniversum nachrangig ist, rührt nicht zuletzt aus der Klassenlage ihres treuesten Mitglieder- und Wählerklientels, einer postmaterialistischen Alimentationsbourgeoisie, für welche die Gesetzliche Rentenversicherung nur ein aus der schönen postmodernen Zeit gefallenes Relikt ist; und das Gros der Bündnis 90/Die Grünen in jüngster Zeit zuströmenden jungen, urbanen, prospektiven Funktionseliten ist ohnehin ökonomisch illiterat.
Bei grüner Rentenpolitik kommt einem unweigerlich ein schönes amerikanisches Sprichwort in den Sinn: »You can put lipstick on a pig, but it is still a pig.«
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