Mittwoch, 29. Mai 2019

New Work – Alte Probleme (2) (Marcus Schwarzbach)


Auch wenn Unternehmen die Veränderungen gerne als »New Work« bezeichnen: Die Belastungen für die Beschäftigten sind bereits heute groß. »Gefahren der digitalen Arbeitswelt« benennt das Forschungsprojekt Digitrain 4.0: »Arbeitsverdichtung erzeugt zunehmenden Arbeitsdruck« ergab eine Onlinebefragung von über 200 Beschäftigten für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (https://www.haufe.de/personal/hr-management/gefahren-der-digitalen-arbeitswelt_80_482494.html). 37 Prozent aller Befragten gaben an, dass durch neue Technik der Arbeitsdruck gestiegen sei. Zur Belastung wird, »dass Mitarbeiter zu viele unterschiedliche Tätigkeiten gleichzeitig ausüben müssen, ohne dass dafür mehr Zeit zur Verfügung steht. Für knapp ein Fünftel der Befragten geht die hieraus resultierende gesteigerte Arbeitsbelastung damit einher, viele Überstunden leisten zu müssen«. Auch werde der steigende Technikeinsatz nicht nur als Unterstützung wahrgenommen. Beschäftigte müssen sich »häufig mit einer Vielzahl, mitunter widersprüchlicher, Informationen auseinandersetzen«. So stimmen knapp zwei Drittel der Befragten zu, dass die zu verarbeitende Informationsmenge durch die Digitalisierung der Arbeitswelt zugenommen hat.

Die Trennung von Arbeit und Privatleben wird durch den Technikeinsatz der Unternehmen in Frage gestellt. Der Druck auf die Beschäftigten nimmt zu. Diese Tendenz bestätigt auch Digitrain 4.0. »Entgrenzung lässt Work-Life-Konflikt entstehen«, beschreiben die Forscher verklausuliert »einen weiteren potentiellen Risikofaktor«. Immer mehr Beschäftigte können »dank flexibler Arbeitsformen, wie Homeoffice und mobiler Arbeit« Arbeitsort und Arbeitszeit »frei wählen«. Was nach Selbstbestimmung klingt, findet aber ohne Einfluss auf Arbeitsmenge und Personalplanung statt. In der Folge müssen »sich Beschäftigte auch in ihrer Freizeit verstärkt mit Arbeitsthemen auseinandersetzen und ständig erreichbar sein«. So geben 60 Prozent der Führungskräfte an, dass die Grenze zwischen Beruf und Privatleben durch die Digitalisierung verschwimmt. »Bei den Mitarbeitern entspricht dieser Anteil knapp 43 Prozent«, so die Forscher. Knapp ein Viertel »arbeiten häufig abends oder am Wochenende«. »Unser Ziel ist es, mobiles Arbeiten aktiv zu unterstützen und damit auch die Arbeits- und Führungskultur bei Daimler zu verändern«, benennt Wilfried Porth, Vorstandsmitglied der Daimler AG, die Zielsetzung.

Nicht jeder Befragte ist begeistert von der Zunahme der Arbeit zu Hause per »Homeoffice«. Fast 16 Prozent fühlen sich durch den »verringerten persönlichen Kontakt zu Arbeitskollegen weniger in das Unternehmen und ihr Team integriert«. Ein Viertel der Befragten beklagt, dass »fachliche Probleme mit mobil arbeitenden Kollegen schwerer zu lösen« seien.

Unter der Überschrift »Spielplatz statt Schreibtisch« schieben Kapitalvertreter vermeintliche Interessen der Beschäftigten vor, so ein Beispiel der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA): Ein Produktmanager bei einem Konsumgüterhersteller mache zwei Mal in der Woche »um 15 Uhr Feierabend, um seine Kinder aus der Schule abzuholen und den Nachmittag mit ihnen zu verbringen. Am Abend erledigt der Mitarbeiter bis 23 Uhr noch Korrespondenz via E-Mail aus dem Homeoffice«, wird der herrschende Leistungsdruck geschildert. »Nach derzeit geltender Rechtslage ist dieses Arrangement für den Mitarbeiter und seinen Arbeitgeber ein Problem. Die elfstündige Ruhezeit zwingt ihn, den nächsten Arbeitstag erst gegen zehn Uhr zu beginnen«. (www.arbeitgeber.de). Schutzbestimmungen werden so zum Problem eines Beschäftigten erklärt. Sinnvolle Regelungen im Bereich der Automatisierung wie ein 5-Stunden-Tag mit Lohnausgleich werden als Regelung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie abgelehnt.

In einer repräsentativen Befragung durch das »soziale Netzwerk« XING und das Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA) gaben 62,8 Prozent der knapp 2000 Befragten zwischen 25 und 54 Jahren an, sich auch in ihrer Freizeit mit beruflichen Aufgaben zu beschäftigen (siehe Arbeitsrecht im Betrieb 5/2018). Den Unternehmen reicht das nicht. Die BDA fordert eine Einschränkung des Arbeitszeitgesetzes: »Durch weitere gesetzliche Öffnungen müssen diese betrieblichen Spielräume vergrößert werden.« Auch gesetzliche Nachweispflichten zur Arbeitszeit halten die Unternehmenslobbyisten für störend. »Vertrauensarbeitszeit wird im Zuge der Digitalisierung der Arbeitswelt stetig zunehmen.« Der Gesetzgeber solle es möglich machen, »die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Aufzeichnung der Arbeitszeiten verbindlich an die Beschäftigten zu delegieren«, wird mit dem Schlagwort »New Work« gefordert. Dies sei ein »Rezept, um in einer zunehmend volatilen, unsicheren, komplexen und mehrdeutigen Welt mitzuhalten und dabei erfolgreich zu sein«, betont Nora Heer, die Chefin von Loopline Systems. Und macht deutlich, welche ideologische Denkweise dahinter steht: »Schon Darwin wusste: Nur die Anpassungsfähigsten (›fittest‹) überleben« (https://www.welt.de). So neu sind die »New Work«-Ansätze also gar nicht.

Teil 1 von »New Work – Alte Probleme« erschien in Ossietzky 8/2019.

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