Montag, 28. Januar 2019

Unter Zwang: Einblicke in den Stationsalltag. Die Mitarbeiter in deutschen Psychiatrien sind häufig überfordert – und müssen rigoroser vorgehen als sie wollen. Sechs Personen erzählen aus der Praxis


Hamburger Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus“… Es ist zehn Uhr morgens in der sogenannten fakultativ beschützten Station der Psychiatrischen Klinik. Früher hieß sie geschlossene Anstalt. Allein das Wort „geschlossen“ passt eigentlich nicht mehr in das Bild einer modernen Psychiatrie, so erklärt es Axel Frank, der Stationsleiter, zu Dienstbeginn. Zwangsmedikation oder Fixierung schon gar nicht. Wie jeden Morgen diskutiert Franks Team bei Rührei und Kaffee die Frage: Öffnen wir heute die gläserne Eingangstür oder bleibt sie verschlossen? Die meisten, mit denen man an der Charité darüber spricht, wünschen sich, dass die Tür offen bleiben kann. Aber immer wieder scheitert das am Personalmangel. Genau so läuft es an diesem Morgen, eigentlich ein ruhiger Tag. Axel Franks Team erfüllt sogar die Mindestbesetzung, wie sie in einer deutschlandweiten Personalverordnung festgelegt ist: Zwei examinierte Pflegekräfte sind anwesend. Und dennoch sind sie nicht genug, um die Situation im Blick zu behalten. Das Team entscheidet sich heute erneut gegen den Anspruch, dass Patienten so viel Selbstbestimmung wie möglich haben sollten. Die Glastür bleibt an diesem Morgen für die Patienten verschlossen. Eine Zwangsmaßnahme. Die Station wird damit, auch wenn sie nicht mehr so genannt wird, zu einer geschlossenen.(…) In deutschen Psychiatrien herrscht Personalmangel. Laut einer Verdi-Online-Umfrage unter Psychiatrie-Mitarbeitern aus dem Jahr 2017 führt der Pflegenotstand zu mehr Gewalt gegen Beschäftigte. Nur durch mehr Fachpersonal, so die Ergebnisse von Verdi, würden sich Zwangsmaßnahmen verhindern lassen.(…) Bis September 2019 hat der Gemeinsame Bundesausschuss Zeit, um über die Neuauflage der Personalbemessung zu bestimmen. Die Verhandlungen seien „intransparent“, kritisierten im vergangenen Sommer rund 100 Mitarbeitervertretungen von psychiatrischen Einrichtungen in einem Brief an CDU–Gesundheitsminister Jens Spahn. Beschäftigtenverbände befürchten, dass das Gremium der Ärzte, Zahnärzte, Therapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen sich nicht für genügend Personal einsetzen könnte. „Das hätte markante Folgen“, sagt Gisela Neunhöffer, Sprecherin von Verdi. Wenn die Zeit für baldige Betreuung und Deeskalation nicht da sei, müssten Patienten notfalls häufiger fixiert werden. Das Ergebnnis, warnt sie, könnte ein Rückfall in die Verwahrpsychiatrie früherer Zeiten sein.” Bericht von Ann Esswein vom 23. Januar 2019 beim Tagesspiegel online externer Link

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