Die deutschen »Gelben Westen«: Die Volksseele trägt Gelb
Dossier
“…
Nachdem in Frankreich teils militante Massenproteste gegen die steigende Kraftstoffsteuer ausgebrochen waren,
deren Teilnehmer diese Westen trugen, wurde die extreme Rechte
hierzulande aufmerksam. Bei der Jungen Freiheit, deren Macher sonst
keine Freunde brennender Barrikaden sind, schafften es die gilets jaunes
mit ihrer »Wut auf die Elite« auf die Titelseite. »Aus der Tiefe der
Volksseele« sei die Bewegung erstanden, schwärmt das Blatt. Die
Sezession begeistert sich für die Bewegung aus der weißen Mittelschicht
in einem bereits stark »umgevolkten« Frankreich. Hierzulande wurde die
Symbolik umgehend für eine Kampagne gegen den UN-Migrationspakt
adaptiert, der am 10. Dezember auf einer UN-Konferenz unterzeichnet
werden soll. In den einschlägigen Ecken des Internet kursieren
Rücktrittsultimaten an die Bundesregierung, andernfalls soll unter der
Parole »Deutschland macht dicht« der Verkehr blockiert und eine
»Revolution« ausgerufen werden. Vor allem liest sich der
Forderungskatalog der deutschen Warnwesten, als hätten einige
Reichsbürger zu viel gekifft: Viel ist vom »eigenen Volk« die Rede,
gefordert werden Austritte aus den UN, der EU, Nato und dem IWF, dazu
die Abschaffung von Schulpflicht, Zinsen, Waffenfabriken und
Gentechnologie. Cannabis hingegen soll legalisiert, die »deutsche
Souveränität« wiederhergestellt werden. Am Ende aber geht es wieder um
Migration. (…) Anders als in Frankreich ist der Unmut nicht einem
ökonomischen Problem entsprungen, sondern wird von der AfD-Lobby
angeheizt. Die Rechercheure der Initiative »Volksverpetzer«, die sich
früh des neongelben Wahnsinns angenommen haben, machen eine signifikante
Zahl von AfD-Aficionados in der Blase der Warnwesten aus…”
Artikel von Volker Weiß in der Jungle World vom 06.12.2018 , siehe dazu:
- Gekaperte Proteste in Berlin: Außen Gelbweste, innen Reichsbürger
“… Nun protestieren sie auch hier. Stehen in gelben Westen auf dem
Rasen vorm Reichstag, beteuern ihre Solidarität mit den Aufständischen
in Paris und rufen Passanten dazu auf, sich anzuschließen. Für
Neugierige haben sie zusätzliche Westen mitgebracht. Eine Mitstreiterin
fordert, den Reichstag zu besetzen, ein anderer ruft „Revolution!“. Der
Wortführer stolziert mit französischer Flagge umher und verkündet: „Ihr
müsst wütend werden!“ Was der Mann nicht erwähnt: Mit den Zielen der
französischen Bewegung haben die Berliner Gelbwesten wenig gemein. Die
regelmäßigen Proteste auf dem Platz der Republik werden von
Reichsbürgern organisiert. Federführend ist eine Gruppierung namens
„Staatenlos“, die seit Jahren vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Bei
ihrem Wortführer handelt es sich um einen ehemaligen NPD-Kader, der
wegen versuchten Mordes mehrere Jahre im Gefängnis saß…” Beitrag von Sebastian Leber vom 25. Januar 2019 beim Tagesspiegel online
- „Gelbwesten“-Kopien von rechts. Große Teile der
„Gelbwesten“-Proteste gegen die Unterzeichnung des „Vertrags von Aachen“
waren am Dienstag durch Vertreter aus der rechten Szene geprägt
“Am gestrigen Dienstag haben in Aachen Bundeskanzlerin Angela Merkel
und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron den neuen
deutsch-französischen Freundschaftsvertrag unterzeichnet. Dabei kam es
vor dem Rathaus zu mehreren Kundgebungen. Laut Polizei war das
EU-freundliche Netzwerk „Pulse of Europe“ mit rund 150 Menschen vor Ort,
zudem demonstrierten 120 Vertreter der „Gelbwesten“. Sowohl Vertreter
linker Gruppen und Parteien, als auch extreme Rechte waren in gelbe
Westen gekleidet und hielten getrennte Versammlungen ab. Teilnehmer der
rechtsextremen „Gelbwesten“ wurden dabei in den sonst von ihnen
gehassten „Lügenmedien“ oft als deutsche Vertreter des französischen
Originals dargestellt. Tatsächlich waren nach Recherchen von bnr.de
unter dieser Gruppe der „Gelbwesten“ jedoch zahlreiche Rechtsradikale
und Rechtsextremisten, vereinzelt Anhänger der AfD, Antisemiten,
Verschwörungsgläubige und „Reichsbürger“. (…) Obschon in Aachen am
Dienstag ein Aufmarsch von rechten beziehungsweise rechtsextremen
„Gelbwesten“-Nutzern stattfand, erreichten diese gegenüber anderen
Versammlungen aus den eigenen Reihen medial gesehen eine enorme
Reichweite. Sie konnten ihre Inhalte zuweilen sogar per Interviews unter
dem Deckmantel des unzufriedenen Normalbürgers verbreiten.
Pressevertreter erkannten oft diese dubiose Mischung von Personen aus
verschiedenen rechten und verschwörungsideologischen Spektren oft nicht,
umschrieben sie zuweilen sogar eher hilflos als Linke und
linksalternative Kapitalismuskritiker. Der mediale Hype um das Original
in Frankreich schien zu verlockend zu sein: endlich konnten die Medien
vermeintlich authentisch auch deutsche Vertreter der „Bewegung“ auf dem
eignen Sender zeigen. Hinzu kam offenbar ein Mangel an Wissen darum,
dass rechte Splitterparteien, Verschwörungsgläubige und verschrobene
Einzelkämpfer die „Gelbwesten“ unterdessen kopieren, um so selbst
Reichweite und Einfluss zu erlangen.” Artikel von Michael Klarmann vom 23.01.2019 bei blick nach rechts
- Gelbe Westen in Gießen machen weiter – Zweifel an Überparteilichkeit
“Die Demo der Gelben Westen am Sonntag war keine Einzelfall. Die
Gruppe hat bis Ende März Kundgebungen angemeldet. Es bestehen jedoch
Zweifel an der Überparteilichkeit. (…) Auch am kommenden Sonntag will
die Gruppe am Nachmittag vor dem Rathaus Flagge zeigen. Zudem hat die
Stadt bestätigt, dass die Gelben Westen bis Ende März an jedem
Sonntagnachmittag am Berliner Platz eine Kundgebung angemeldet haben.
»Eine Gegendemo ist derzeit nicht angemeldet«, hieß es aus dem Rathaus.
Am vergangenen Sonntag waren knapp 50 Personen einem auf Facebook
verbreiteten Aufruf zur Demonstration der Gießener Gelbwesten gefolgt.
Die Gruppe war Anfang Januar von Ronny Böhm aus Buseck gegründet worden.
Mittlerweile haben sich den Gelben Westen bei Facebook rund 100
Personen angeschlossen. In dem Aufruf zur ersten Demonstration hieß es:
»Wir sind weder links noch rechts. Wir sind das Volk aus der Mitte.« An
dieser Verankerung in der Mitte indes bestehen Zweifel, dies zeigt schon
der Blick auf den Forderungskatalog, den die Gruppe in der vergangenen
Woche veröffentlicht hatte. Es ist ein Sammelsurium an Themen, die in
den letzten Jahren im Wesentlichen von der AfD und der Linkspartei
[sic!] bestimmt wurden. (…) Auf der Facebookseite der GAZ wird von Usern
darauf verwiesen, dass der Initiator im Internet auf
rechtspopulistischen Seiten wie »Patriotischer Aufbruch – Familie,
Heimat, Zukunft«, »Gegen Til Schweiger und die Gutmenschen«, »Keine
weiteren Asylantenheime in Deutschland« unterwegs ist und Beiträge des
rechten Netzaktivisten Henryk Stöckl teilt…” Artikel von Burkhard Möller vom 24. Januar 2019 bei Gießener Allgemeine online
- Gelbe Westen missbraucht: Rechte Demos in Stuttgart und Wiesbaden / Rassismus und soziale Forderungen
“Dass bundesweit vernetzte rechte Kreise gezielt die äußere Form der
französischen Gelbwestenbewegung für ihre Zwecke zu kapern versuchen,
wurde am Samstag in Stuttgart deutlich. Dort war die AfD zusammen mit
einer rechten Gewerkschaft treibende Kraft einer Kundgebung von
»Gelbwesten« gegen das Dieselfahrverbot. In Wiesbaden demonstrierte
gleichzeitig eine bislang in der Stadt nicht in Erscheinung getretene
Gruppe in gelben Warnwesten sowie mit Deutschlandfahnen und Reichsadler
gegen »regierungspolitische Missstände«, »abgehobene Politiker« und die
»Diktatur der EU«. Die vorab über Internetdienste gestreuten Forderungen
umfassten soziale Belange und den Protest gegen Altersarmut ebenso wie
knallharte rassistische, gegen Geflüchtete gerichtete Parolen. (…) Auf
dem Weg zum Landtag stellten sich zwei Dutzend Antifaschisten den rund
80 Demonstranten in den Weg. Mit einer friedlichen Blockade hinderten
sie die Rechten für anderthalb Stunden am Weitermarschieren. Offenbar
war die Polizei auf die Aktion nicht vorbereitet, denn sie wurde von den
Antifaschisten von selbst beendet. Später seien zwei Antifaschisten am
Hauptbahnhof von rechten »Gelbwesten« attackiert und verletzt worden,
berichteten Aktivisten in Online-Netzwerken…” Beitrag von Hans-Gerd Öfinger bei neues Deutschland vom 20. Januar 2019
- Gelbe Westen Dortmund: Die Bewegung der „Gelben Westen“ – Soziale Revolte oder nationalistische Mobilisierung?
“… Die gesellschaftlichen Widersprüche, die von der französischen
Bewegung thematisiert werden, existieren im Prinzip auch in Deutschland.
Dennoch gab es hierzulande bislang nur einige weitgehend erfolglose
Versuche, an die Bewegung der „Gelben Westen“ anzuknüpfen. Die Aufrufe
kamen meist aus dem politisch rechten Lager und riefen anstatt zum
Protest gegen die soziale Misere eher zum Schutz des Abendlandes vor
vermeintlicher Überfremdung auf. Wir wollen uns damit jedoch nicht
kampflos abfinden! Deshalb haben auch wir uns gelbe Warnwesten angezogen
und mischen uns ein, um andere Akzente zu setzen. Wir rufen alle
freiheitlich gesinnten Menschen auf, es uns gleich zu tun. Sorgen wir
dafür, dass eine möglicherweise entstehende Bewegung eine
antifaschistische und antiautoritäre Ausrichtung hat! Der Aufruf aus
Commercy könnte dafür eine gute Diskussionsgrundlage sein. Wir
dokumentieren ihn im Wortlaut…” Beitrag von Gelbe Westen Dortmund vom 06.12.2018 bei indymedia – siehe diese auf Twitter unter: @gelbwestenDort2
- Gelbe Westen [in Essen]
“Eigentlich entschied ich mich am 30. November, nachdem ich
mal wieder eine Demo der Dortmunder Nazis begleitet hatte, den Tag
darauf mal nichts mit Nazis zu machen. Mein Plan war mir die
angekündigte “Revolution” der Gelben Westen am 1. Dezember 2018
anzuschauen. Davon ausgehend, dass es schon nicht so krass wird, dachte
ich es würde mal für etwas Entspannung, ja vielleicht für leichte
Unterhaltung sorgen. Es sollte leider anders kommen … (…) Hier, in
Doitschland ist das anders. Es gibt genügend Belege, dass die “Gelben
Westen” eindeutig aus dem rechten Spektrum kommt. Erstmalig bin ich
durch Texte dazu des rechten “Frauenbündnis Kandel” aufmerksam geworden.
Mittlerweile versuchen auch die Patrioten NRW sowie Dominik Roeseler,
der Gründer von HoGeSa, diese “Bewegung” für sich zu vereinnahmen. Das
bedeutet, allen die da mitmachen muss eigentlich klar sein, mit wem sie
sich da gemein machen. Da findet keine Abgrenzung statt und im Gegensatz
zu Frankreich steht hier in erster Linie der sogenannte Migrationspakt
im Vordergrund. Wo wir dann wieder bei Hetze gegen Geflüchtete sind. Die
Gruppe bewegte sich in Richtung Weihnachtsmarkt und verteilte ihre
Flyer², ich begleitete sie und twitterte darüber, nachzulesen unter dem
Hashtag #essen0112. Für mich war offensichtlich, dass hier keine mir
bekannten Nazis handelten, eher so klassisches Wutbürgertum. Das auch
ein bekannter Reichsbürger unter ihnen war habe ich erst später erfahren…” Bericht vom 2. Dezember 2018 von und bei Robert Rutkowski
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