Montag, 28. Januar 2019

Kritik an der EU darf nicht den Rechtspopulisten überlassen werden, meint die LINKEN-Politikerin Judith Benda

Für eine deutliche pro-europäische EU-Kritik


  • Von Judith Benda
  • Lesedauer: 5 Min.

Wir stehen für ein europäisches Projekt von internationaler Solidarität, Humanismus und Frieden. Nur ist das mit dieser real-existierenden EU nicht zu machen, denn die EU-Verträge bieten keine taugliche Grundlage für ein soziales, demokratisches, ökologisches und friedliches Europa. Das wird deutlich, wenn wir uns die Entwicklungen der EU exemplarisch im Bereich Militarisierung und Soziales anschauen:

Festung Europa und Militarisierung

Im vergangenen Jahr starben auf dem Mittelmeer laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk mehr als 2200 Flüchtlinge bei der Überfahrt nach Europa. Und die Europäische Agentur für Grenz- und Küstenwache Frontex wird sogar weiter ausgebaut. Mit mehr Geld und Kompetenzen werden die Außengrenzen gesichert, Flüchtlinge aufgehalten, die zivile Seenotrettung kriminalisiert und zurückgedrängt. Der EU-Türkei-Deal, Verhandlungen mit afrikanischen Staaten über Aufnahmelager – wir erleben einen Zynismus, der kaum zu überbieten ist. Wenn es den »europäischen« Interessen dient, wird mit autoritären Regimen zusammengearbeitet.
Hymnen des Selbstlobes sind zur Verleihung des Friedensnobelpreises 2012 an die EU gesungen worden. Der ehemalige EU-Ratspräsident Van Rompuy sprach von der EU als »größte friedensstiftende Institution, die jemals bestanden hat«. Doch der relative Frieden innerhalb der Union steht im starken Kontrast zum Verhalten vieler EU-Mitgliedstaaten nach außen und der Rolle der EU als imperialer Block und zunehmende Supermacht.
Seit der Gründung der EU 1992 ist die Union mit zunehmender Intensität militarisiert worden. Mit dem Vertrag von Lissabon haben sich die EU-Staaten zu weiterer Aufrüstung verpflichtet (Art.42,3 EUV): »Die Mitgliedsstaaten verpflichten sich, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern«. Eine solche Rüstungsverpflichtung ist in keiner Verfassung eines EU-Mitgliedstaates zu finden.
In Zeiten von Brexit und Trump soll nun das gemeinsame militärische Projekt den Kitt in der EU bilden. Es ist ein beschleunigter Ausbau der militär-, verteidigungs- und rüstungspolitischen Integration zu beobachten. Eine Entwicklung hin zu einem militärischen Kerneuropa unter deutsch-französischer Führung.
Anlässlich der Aktivierung der »Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit« im Militärbereich (PESCO) durch 25 Mitgliedstaaten in 2017 schwärmte EU-Ratspräsident Tusk »Heute wird ein Traum wahr« und EU-Kommissionpräsident Juncker sprach von der »schlafenden Schönheit des Lissabon-Vertrages«, die nun erwacht sei. PESCO soll militärische Fähigkeiten und Kapazitäten stärker bündeln und militärische Kooperationsprojekte voranbringen. Truppenverbände sollen schneller bereitgestellt und verlegt, die bestehenden militärischen EU-Missionen und EU-Battlegroups ausgebaut und effizienter werden. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich weiterhin, ihre Militärhaushalte regelmäßig zu erhöhen und in die Rüstungsforschung zu investieren.
Der neu geschaffene Europäische Verteidigungsfonds ist ein weiterer zentraler Baustein der verschärften Militarisierung auf EU-Ebene. Gemäß den Plänen soll der Fonds 13 Milliarden Euro aus dem nächsten langfristigen Haushalt der EU erhalten. Es geht vor allem um eine gemeinsame Verteidigungsforschung und Kofinanzierung von militärischen Projekten. Dazu könnte dann auch die Entwicklung neuer Waffensysteme zählen, darunter eine »Euro-Drohne«.


Arbeit und Soziales

Sozialpolitik ist auf EU-Ebene fast nur Beiwerk zum neoliberalen Kern der EU. Zu Recht fordern wir gemeinsam mit den Gewerkschaften eine soziale Fortschrittsklausel in den EU-Verträgen. Allerdings ist der neoliberale Dreiklang aus »Liberalisierung, Deregulierung und Privatisierung« fester Bestandteil der Strategie der EU und zementiert in den Verträgen. Eine Kernforderung unsererseits ist daher die grundlegende Revision der EU-Verträge. Soziale Grundrechte, erreichte Standards und die Tarifautonomie müssen Vorrang vor der Freiheit der Märkte und Wettbewerbsfähigkeit haben. Über eine neue Vertragsgrundlage müssen Volksabstimmungen in allen EU-Mitgliedstaaten abgehalten werden.
In der EU stehen Absichtserklärungen zur »Überwindung von Armut und sozialer Ausgrenzung« die erzwungenen Lohn- und Rentenkürzungen sowie einer Politik des Sozialabbaus und der Privatisierung öffentlicher Daseinsvorsorge gegenüber. Die deutsche Bundesregierung trägt hierfür eine wesentliche Verantwortung und muss im Fokus unserer Kritik stehen.
Jede 5. Person in der EU ist bereits von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht und nun soll der Kohäsionsfonds zur Angleichung der Lebensverhältnisse innerhalb der Union in den kommenden Jahren gar um 10 Prozent gekürzt werden. In dieser Gemengelage klingt es wie ein schlechter Scherz, wenn Juncker sagt: »Das europäische Sozialmodell ist eine Erfolgsgeschichte und hat Europa zu einem erstklassigen Lebens- und Arbeitsort gemacht«.


Auf in einen kämpferischen Wahlkampf

Diese EU braucht unbedingt eine starke Linke, die sich nicht unterbuttern lässt, sondern die unterscheidbar und im Sinne der Mehrheit der Bevölkerung auftritt. Lasst uns einen geschlossenen, angriffslustigen Wahlkampf für eine andere EU führen, der sich in seiner Kreativität und Positionen von den lauwarmen EU-Worten der anderen Parteien abhebt.
Anknüpfen können wir an die Empörung vieler Menschen über den krassen Widerspruch zwischen propagierten Werten der EU und der konkreten Politik, die von Aufrüstung und verstärkter sozialer Ungleichheit geprägt ist. Dieser Unmut kommt aktuell hierzulande z.B. durch die »Seebrücke-Bewegung« gegen die inhumane Migrations- und Flüchtlingspolitik zum Ausdruck. Auch die aktuellen Proteste der »Gelbwesten-Bewegung« hängen mit der EU-Politik zusammen, denn diese ist durch ihre Kürzungspolitik mitverantwortlich für die Verschlechterung der Lebensbedingungen breiter Teile der Bevölkerung.
DIE LINKE muss mutig das aussprechen, was ist. Kritik an der EU darf sie nicht den Rechtspopulisten überlassen. Eine unkritische Verteidigung der real-existierenden EU als »kleineres Übel« ist nicht hilfreich, sondern treibt den Rechtspopulisten Wähler zu. Als Linke stehen wir klar gegen die neoliberale Kürzungspolitik und die nationalistische und rassistische Politik der Rechten, deren Aufstieg durch die marktliberale, undemokratische Politik der EU begünstigt wurde. Das Fundament unserer Politik ist die Solidarität. Nur DIE LINKE ist die antikapitalistische Kraft für Frieden, soziale Gerechtigkeit, Antirassismus und Solidarität.
Für ein solidarisches Europa der Millionen, gegen eine EU der Millionäre!
Judith Benda ist Mitglied des Parteivorstands der LINKEN und des Vorstands der Partei der Europäischen Linken. Sie lebt in Berlin und Brüssel.



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