Ende Dezember entschied ein Gericht über die Neuverhandlung von Berufungsanträgen Mumia Abu-Jamals. Jetzt sind bisher unbekannte Akten zum Fall des ehemaligen Black-Panther-Aktivisten aufgetaucht
Von Dave Lindorff ,junge Welt 24.1.19
Übersetzung: Jürgen Heiser
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Die überraschende Anordnung eines Oberrichters am Court of Common Pleas, dem Staatsgericht Philadelphias, vom 27. Dezember 2018 bietet Mumia Abu-Jamal im Jahr 2019 eine neue Chance, seine 1982 erfolgte Verurteilung wegen des angeblichen Mordes an dem weißen Polizisten Daniel Faulkner anzufechten. Der Richter Leon Tucker erteilte mit seiner Entscheidung dem Obersten Gerichtshof von Pennsylvania den Auftrag, erneut vier nach dem »Post Conviction Relief Act« (PCRA) erfolgte Berufungsanhörungen sowie Anträge für weitere Anhörungen zu verhandeln. Diese hatte das höchste Gericht des Bundesstaates im Laufe einiger Jahre unter fragwürdigen Umständen abgewiesen. Das PCRA-Gesetz bietet rechtskräftig Verurteilten das Recht auf Wiederaufnahme ihres Verfahrens.
Der weltbekannte Gefangene, Journalist und ehemalige Black-Panther-Aktivist Mumia Abu-Jamal sitzt seit mehr als 37 Jahren im Gefängnis, davon 29 Jahre in der Einzelhaft eines Todestrakts. Das gegen ihn verhängte Todesurteil war im Dezember 2001 von Bundesrichter William Yohn aus verfassungsrechtlichen Gründen aufgehoben worden.¹ Aufgrund von eingelegten Berufungen der Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia erlangte Yohns Beschluss jedoch keine Rechtskraft, und so blieb Abu-Jamal zunächst im Todestrakt, bis alle Rechtsmittel der Anklagebehörde ein volles Jahrzehnt später ausgeschöpft waren. Erst 2011 wurde das Todesurteil durch ein Bundesberufungsgericht rechtskräftig als verfassungswidrig aufgehoben und in lebenslange Haft umgewandelt.
Die überraschende Anordnung eines Oberrichters am Court of Common Pleas, dem Staatsgericht Philadelphias, vom 27. Dezember 2018 bietet Mumia Abu-Jamal im Jahr 2019 eine neue Chance, seine 1982 erfolgte Verurteilung wegen des angeblichen Mordes an dem weißen Polizisten Daniel Faulkner anzufechten. Der Richter Leon Tucker erteilte mit seiner Entscheidung dem Obersten Gerichtshof von Pennsylvania den Auftrag, erneut vier nach dem »Post Conviction Relief Act« (PCRA) erfolgte Berufungsanhörungen sowie Anträge für weitere Anhörungen zu verhandeln. Diese hatte das höchste Gericht des Bundesstaates im Laufe einiger Jahre unter fragwürdigen Umständen abgewiesen. Das PCRA-Gesetz bietet rechtskräftig Verurteilten das Recht auf Wiederaufnahme ihres Verfahrens.
Der weltbekannte Gefangene, Journalist und ehemalige Black-Panther-Aktivist Mumia Abu-Jamal sitzt seit mehr als 37 Jahren im Gefängnis, davon 29 Jahre in der Einzelhaft eines Todestrakts. Das gegen ihn verhängte Todesurteil war im Dezember 2001 von Bundesrichter William Yohn aus verfassungsrechtlichen Gründen aufgehoben worden.¹ Aufgrund von eingelegten Berufungen der Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia erlangte Yohns Beschluss jedoch keine Rechtskraft, und so blieb Abu-Jamal zunächst im Todestrakt, bis alle Rechtsmittel der Anklagebehörde ein volles Jahrzehnt später ausgeschöpft waren. Erst 2011 wurde das Todesurteil durch ein Bundesberufungsgericht rechtskräftig als verfassungswidrig aufgehoben und in lebenslange Haft umgewandelt.
Befangener Richter
Die vorzeitige Aussetzung der Strafe zur Bewährung wurde indes ausgeschlossen, was bei Verurteilungen zu lebenslanger Haft in Pennsylvania der Regelfall ist und in diesem politisch belasteten Fall eines Gefangenen, der sich nicht scheut, seine Kritik an den Lebens- und Haftbedingungen in den US-Gefängnissen öffentlich zu machen, auch nicht anders zu erwarten war. Will Abu-Jamal nicht im Gefängnis sterben, so hat er nur noch die Chance, dass seine Verurteilung wegen Mordes aufgehoben und ein neuer Prozess angeordnet wird. Das ist juristisch lediglich mittels Anträgen nach dem PCRA-Gesetz möglich, in denen neue Beweise für die Unschuld vorgelegt, frühere Zeugenaussagen widerrufen oder Verfahrensfehler sowie Fehler der Staatsanwaltschaft im ursprünglichen Verfahren geltend gemacht werden. Dies ist allerdings um so schwieriger, je mehr Zeit vergangen ist; normalerweise führen nur neue Unschuldsbeweise – beispielsweise eine entlastende Zeugenaussage oder andere neue Tatsachenbeweise – zu einer PCRA-Anhörung.
Die vorzeitige Aussetzung der Strafe zur Bewährung wurde indes ausgeschlossen, was bei Verurteilungen zu lebenslanger Haft in Pennsylvania der Regelfall ist und in diesem politisch belasteten Fall eines Gefangenen, der sich nicht scheut, seine Kritik an den Lebens- und Haftbedingungen in den US-Gefängnissen öffentlich zu machen, auch nicht anders zu erwarten war. Will Abu-Jamal nicht im Gefängnis sterben, so hat er nur noch die Chance, dass seine Verurteilung wegen Mordes aufgehoben und ein neuer Prozess angeordnet wird. Das ist juristisch lediglich mittels Anträgen nach dem PCRA-Gesetz möglich, in denen neue Beweise für die Unschuld vorgelegt, frühere Zeugenaussagen widerrufen oder Verfahrensfehler sowie Fehler der Staatsanwaltschaft im ursprünglichen Verfahren geltend gemacht werden. Dies ist allerdings um so schwieriger, je mehr Zeit vergangen ist; normalerweise führen nur neue Unschuldsbeweise – beispielsweise eine entlastende Zeugenaussage oder andere neue Tatsachenbeweise – zu einer PCRA-Anhörung.
Nach zwei Jahren erbitterter Auseinandersetzungen in den Anhörungen unter Vorsitz von Richter Tucker entschied dieser überraschend, dass alle vier von Abu-Jamal gestellten PCRA-Anträge unzulässigerweise vom Obersten Gerichtshof Pennsylvanias abgewiesen worden waren. Diesem höchsten Gericht des Bundesstaates gehörte Ronald Castille seit 1994 als Richter an. Von 2008 bis 2014 stand Castille an der Spitze dieses Gerichts. Das Problem ist, dass Castille von 1986 bis 1991 leitender Bezirksstaatsanwalt von Philadelphia war und in seiner Position die juristische Reaktion seiner Anklagebehörde auf die Berufungsbegehren Abu-Jamals beaufsichtigte. Er hatte damit die Supervision über den unbestreitbar politisch heißesten Fall inne, mit dem sich die für Berufungsverfahren zuständige Abteilung der Staatsanwaltschaft je auseinandersetzen musste. Richter Tucker entschied in Anlehnung an ein vom Obersten Gerichtshof der USA gefälltes Präzedenzurteil², dass für Richter Castille aufgrund seiner jahrelangen Tätigkeit als Bezirksstaatsanwalt ein Interessenkonflikt vorlag und er sich von Erörterungen über die PCRA-Anträge Abu-Jamals hätte zurückziehen und selbst für befangen erklären müssen. Abu-Jamals Verteidigungsteam wird nun erneut alle Anträge beim Obersten Gerichtshof Pennsylvanias einreichen. Castille, in seiner Eigenschaft als Richter wegen seines »Mangels an Unparteilichkeit« und wegen des »Anscheins von Befangenheit« von Tucker in Frage gestellt, gehört dem Gerichtshof nicht mehr an. Er wurde 2014 altersbedingt in den Ruhestand versetzt.
Tucker schrieb in seiner am 27. Dezember unterzeichneten 37seitigen Entscheidung: »Die Geltendmachung von Befangenheit, Voreingenommenheit und die Weigerung des ehemaligen Richters Castille, sich von den PCRA-Berufungsanträgen des Antragstellers zurückzuziehen, ist bedenkenswert, denn wahre Gerechtigkeit muss vollständig gerecht sein, ohne jegliche Andeutung von Parteilichkeit, mangelnde Integrität oder Unangemessenheit. Ungeachtet des zugrundeliegenden Schuldspruchs wegen Mordes ersten Grades und unabhängig davon, ob die Verhandlung ein Strafprozess oder ein Berufungsverfahren war, hat der Antragsteller das Recht auf ein unparteiisches Gericht, das nicht einmal den Anschein unangemessenen Verhaltens erweckt.«
Besonders kritisch äußerte sich Richter Tucker zu mehreren Aktennotizen des damaligen Bezirksstaatsanwalts Castille, die auch nach Abschluss einer vom amtierenden Bezirksstaatsanwalt Larry Krasner durchgeführten intensiven Suche auf mysteriöse Weise aus der Abu-Jamal-Akte verschwunden blieben. Die Existenz dieser Aktennotizen ist erwiesen, weil andere Notizen, die sich konkret auf diese beziehen, in den Akten der Bezirksstaatsanwalts gefunden wurden. Tucker: »Das Gericht stellt fest, dass die Staatsanwaltschaft die Pflicht hatte, die Aktennotiz, die Mr. Castille an Ms. Barthold schrieb, aufzubewahren. Die Staatsanwaltschaft hingegen argumentiert, es habe keine Pflicht zur Aufbewahrung der Notiz bestanden. Allerdings befindet sich die Anklagebehörde seit 1983 in seinem (Abu-Jamals, J. H.) speziellen Fall in nachprozessualen juristischen Auseinandersetzungen zur Frage der Todesstrafe. Daher wusste die Staatsanwaltschaft oder hätte wissen müssen, dass Rechtsstreitigkeiten zu erwarten waren, und deshalb alle Dokumente, die sich auf diesen Fall bezogen, aufzubewahren gewesen waren. Es ist paradox, dass die Staatsanwaltschaft sich nicht in der Verantwortung für die Aufbewahrung der Aktennotiz von Mr. Castille sieht, im Gegensatz dazu jedoch das sich darauf beziehende Dokument von Ms. Barthold aufbewahrte, das ursprünglich an die Notiz von Mr. Castille angehängt war. Gleichermaßen stellt das Gericht fest, dass es absehbar war, dass sich das Abhandenkommen der Dokumente über den Todesstrafenfall nachteilig für den Antragsteller auswirken könnte.«
Richter Tuckers Anordnung zur Neuverhandlung der vier abgelehnten PCRA-Anträge stellt mit ihrer scharfen Rüge gegenüber dem Verhalten des früheren Vorsitzenden Richters Castille einen bemerkenswerten Wendepunkt im Umgang der Justiz Pennsylvanias mit Abu-Jamal dar.
Abgekartetes Verfahren
Seit seiner Verhaftung stand der Fall Abu-Jamals im Zeichen von Polizeigewalt, Vorverurteilung und Korruption. Es begann damit, dass ein Schuss aus einer Polizeiwaffe Abu-Jamals Brust durchschlagen und Lunge sowie Leber getroffen hatte. Von starken Schmerzen gezeichnet und stark blutend hatten die Polizisten den lebensgefährlich Verletzten mit Handschellen gefesselt unbeaufsichtigt in einem Polizeiwagen liegen gelassen. Es folgten Falschaussagen von gekauften Zeugen der Staatsanwaltschaft, die Abu-Jamal im Sommer 1982 schwer belasteten. Eine Gerichtsprotokollantin hörte den Vorsitzenden Richter Albert Sabo am Ende des ersten Verhandlungstages zu jemandem sagen: »Ich werde denen (der Staatsanwaltschaft, J. H.) helfen, den ›Nigger‹ zu grillen.«
Seit seiner Verhaftung stand der Fall Abu-Jamals im Zeichen von Polizeigewalt, Vorverurteilung und Korruption. Es begann damit, dass ein Schuss aus einer Polizeiwaffe Abu-Jamals Brust durchschlagen und Lunge sowie Leber getroffen hatte. Von starken Schmerzen gezeichnet und stark blutend hatten die Polizisten den lebensgefährlich Verletzten mit Handschellen gefesselt unbeaufsichtigt in einem Polizeiwagen liegen gelassen. Es folgten Falschaussagen von gekauften Zeugen der Staatsanwaltschaft, die Abu-Jamal im Sommer 1982 schwer belasteten. Eine Gerichtsprotokollantin hörte den Vorsitzenden Richter Albert Sabo am Ende des ersten Verhandlungstages zu jemandem sagen: »Ich werde denen (der Staatsanwaltschaft, J. H.) helfen, den ›Nigger‹ zu grillen.«
Auf den fehlerhaften und durch rassistische Motive gekennzeichneten Prozess folgte ein ebensolches Berufungsverfahren, bei dem sich der Gouverneur von Pennsylvania, der Republikaner Tom Ridge, 1995 Informationen über vertrauliche Gespräche zwischen dem inhaftierten Abu-Jamal und seinen Anwälten beschaffte. Diese Informationen hatten Beamte des Staatsgefängnisses SCI Greene in Waynesburg an den Gouverneur weitergeleitet, der sie wiederum dem leitenden Bezirksstaatsanwalt von Philadelphia übermittelte. So wusste die Staatsanwaltschaft bereits vorher über den Termin Bescheid, an dem Abu-Jamals Anwaltsteam einen Berufungsantrag stellen wollte. Dies ermöglichte dem Bezirksstaatsanwalt und dem Gouverneur, nur wenige Wochen nach der ersten PCRA-Anhörung, dem Antrag der Verteidigung mit einem Hinrichtungsdatum für Abu-Jamal zuvorzukommen. Richter Albert Sabo, der 1982 das Todesurteil über Abu-Jamal verhängt hatte und nun über den ersten Wiederaufnahmeantrag zu entscheiden hatte, setzte daraufhin die Verteidigung zeitlich unter Druck und lehnte die Vernehmung von Zeugen ab, um den Hinrichtungstermin nicht zu gefährden.
Abu-Jamals Verteidigung berief sich im weiteren Berufungsverfahren auf Argumentationen sowohl gegen das Schuldurteil als auch das Strafmaß, die in den Verfahren anderer zum Tode Verurteilter von höheren Gerichtsinstanzen anerkannt, jedoch von der Justiz auf Abu-Jamals Fall für nicht anwendbar erklärt worden waren (ein Muster der selektiven Anwendung von Präzedenzfällen, die der Journalist Linn Washington einmal als die »Mumia-Ausnahme« bezeichnet hat).
Hinzu kommt ein weiterer Aspekt: Weißen Polizisten aus Philadelphia wurde regelmäßig gestattet, während ihrer Dienstzeit und in Uniform als Zuschauer an öffentlichen Anhörungssitzungen im Fall Abu-Jamal teilzunehmen und somit Druck auf den Richter auszuüben. So auch wieder im jüngsten Fall während der von Richter Tucker durchgeführten Anhörungen. Und das hat durchaus Wirkung, da sich Richter der unteren Instanzen regelmäßig zur Wahl stellen müssen und der Berufsverband »Fraternal Order of Police« (FOP) in Philadelphia und im ganzen Bundesstaat Pennsylvania über großen politischen Einfluss verfügt.
Vielleicht spürte auch Richter Tucker diesen Druck der FOP, als er zwar so mutig war, Abu-Jamal eine neue Chance zu einer möglicherweise faireren Beurteilung seiner Berufungsanträge zu gewähren, jedoch den von ihm angeordneten Überprüfungen gewisse Beschränkungen auferlegte. Die Anträge dürfen nämlich nicht durch »neuverfasste Schriftsätze« gestellt werden. Zugelassen sind nur die ursprünglichen Schriftsätze der Anwaltsteams, die Abu-Jamal in den verschiedenen Phasen der Antrags- und Berufungsverfahren vertreten haben: Leonard Weinglass (verstorben) und Daniel Williams, Eliot Grossman und Marlene Kamish (letztere ebenfalls verstorben) sowie das derzeitige Team, das aus Judith Ritter, Professorin an der Juristischen Fakultät der Widener University (Chester, Pennsylania), und Sam Spital, Direktor des Legal Defense and Educational Fund der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), besteht.
Judith Ritter ist der Meinung, Abu-Jamals Verteidigungsteam könne diese Beschränkung anfechten und nach einer Möglichkeit suchen, die früheren Schriftsätze zu aktualisieren. Es gebe jedoch keine Garantie, dass die Gerichte dies als zulässig akzeptierten. Es gebe ebenso keine Garantie dafür, dass der inzwischen neu zusammengesetzte Oberste Gerichtshof Pennsylvanias sich überhaupt mit den vier PCRA-Anträgen befassen werde, so Ritter weiter: »Nur in Fällen von Todesurteilen prüft der Oberste Gerichtshof automatisch. Und da Abu-Jamal nicht mehr im Todestrakt sitzt, könnte der Oberste Gerichtshof zu der Meinung kommen, dass die PCRA-Anträge von einem Richter des Superior Court entschieden werden sollten« – einer niedrigeren Instanz des bundesstaatlichen Gerichtssystems. Man werde jedoch darauf verweisen, dass Abu-Jamal noch von der Hinrichtung bedroht war, als seine vier PCRA-Anträge vom Obersten Gerichtshof unter Mitwirkung des befangenen Richters Castille abgelehnt wurden. Deshalb sollten die Anträge bei einer erneuten Prüfung auch so behandelt werden wie bei der Ersteinreichung. Unter diesen Voraussetzungen wäre der Oberste Gerichtshof Pennsylvanias auch heute automatisch zuständig.
Es bleibt abzuwarten, welche Aspekte der vier abgelehnten PCRA-Anträge als Berufungsgründe ausreichen. Der zuerst von den Anwälten Weinglass und Williams eingereichte Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem PCRA-Gesetz³ enthielt eine Reihe kritischer Fragen zum ursprünglichen Prozess, gefragt wurde unter anderem danach, wie glaubhaft die Aussagen der Zeugen der Anklage waren und ob Zeugen der Verteidigung eingeschüchtert worden waren. Des weiteren ging es um die Unterschlagung von entlastenden Beweisen und die unangemessene Ablehnung qualifizierter schwarzer Geschworener durch den Anklagevertreter. Jedes einzelne dieser in den Anträgen benannten Probleme könnte, wenn die darin enthaltenen prozessualen Rügen vom Obersten Gerichtshof bestätigt würden, die Tür zu einem neuen Prozess für Abu-Jamal öffnen. Dasselbe gilt für Rügen, die in den nachfolgenden Berufungsanträgen gegen die Ablehnung der Wiederaufnahme des Verfahrens sowie in den anderen PCRA-Anträgen dargelegt wurden, die jedoch nie in Anhörungen mündlich vorgebracht werden konnten.
Auch wenn es vermutlich noch ein langer Weg sein wird, bietet eine erneute Überprüfung der vier PCRA-Anträge die Chance, dass ein neues Richtergremium des Obersten Gerichtshofs den aufgeworfenen Fragen nachgeht und möglicherweise etwas findet, das die Beweislage des Falles ausreichend verändert, oder einen Verfahrensfehler von solcher Tragweite aufdeckt, dass ein neuer Prozess zwingend erforderlich sein wird.
Sollte der derzeitige Oberste Gerichtshof in Pennsylvania alle vier der erneut eingereichten PRCA-Anträge ablehnen, besteht noch die Möglichkeit, dass die Verteidigung einen Habeas-Corpus-Antrag zur »unverzüglichen Haftprüfung« einreicht und eine neue Anhörung vor dem dafür zuständigen Bundesbezirksgericht verlangt. Dieses Gericht steht weniger unter dem politischen Druck von Gruppen wie der FOP. Denn Bundesrichter werden im Gegensatz zu den Richtern der unteren Gerichtsinstanzen nicht turnusmäßig neu gewählt, sondern auf Lebenszeit in ihr Amt berufen.
Neue Aktenfunde
Inmitten der neuen, durch Tuckers Entscheidung veränderten Situation teilte die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia dem Richter nun am 3. Januar 2019 mit, in einem abgeschlossenen Lagerraum des Gebäudes der Anklagebehörde seien sechs Archivkartons mit Aktenmaterial zum Fall Abu-Jamal aufgefunden worden. Die Kartons, die der leitende Bezirksstaatsanwalt Krasner selbst entdeckt habe, als er den bislang verschlossenen Abstellraum mit Mitarbeitern auf der Suche nach einem Schreibtisch betreten hatte, seien auf der Frontseite mit dem Namen »McCann« beschriftet. Dies bezieht sich offenbar auf Edward McCann, den langjährigen Leiter der Abteilung für Tötungsdelikte bei der Staatsanwaltschaft (McCann ist seit 2015 nicht mehr für die Behörde tätig). Als man die unter dem Schreibtisch befindlichen Kartons hervorzog, habe man festgestellt, dass sie auf der Rückseite mit »Mumia«, »Abu-Jamal« oder »Mumia Abu-Jamal« beschriftet waren.
Inmitten der neuen, durch Tuckers Entscheidung veränderten Situation teilte die Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia dem Richter nun am 3. Januar 2019 mit, in einem abgeschlossenen Lagerraum des Gebäudes der Anklagebehörde seien sechs Archivkartons mit Aktenmaterial zum Fall Abu-Jamal aufgefunden worden. Die Kartons, die der leitende Bezirksstaatsanwalt Krasner selbst entdeckt habe, als er den bislang verschlossenen Abstellraum mit Mitarbeitern auf der Suche nach einem Schreibtisch betreten hatte, seien auf der Frontseite mit dem Namen »McCann« beschriftet. Dies bezieht sich offenbar auf Edward McCann, den langjährigen Leiter der Abteilung für Tötungsdelikte bei der Staatsanwaltschaft (McCann ist seit 2015 nicht mehr für die Behörde tätig). Als man die unter dem Schreibtisch befindlichen Kartons hervorzog, habe man festgestellt, dass sie auf der Rückseite mit »Mumia«, »Abu-Jamal« oder »Mumia Abu-Jamal« beschriftet waren.
Berichten zufolge waren fünf der Kartons numeriert (18/29, 21/29, 23/29, 24/29 und 29/29). Der sechste trug keine Nummer. Die bisher bei den von Tucker durchgeführten Anhörungen bekannten Kartons sind bei der Bezirksstaatsanwaltschaft mit den Ziffern eins bis 32 gekennzeichnet. Einige weisen also ähnlich Beschriftungen auf wie die im Lagerraum aufgefundenen. Wie die Bezirksstaatsanwaltschaft verlauten ließ, will sie diese Kartons, die Prozessakten und Beweismaterial aus dem Verfahren gegen Abu-Jamal enthalten, der Verteidigung zur Verfügung stellen.
Der Radiosender WHYY zitierte am 10. Januar 2019 den pensionierten Staatsanwalt McCann zu den mit seinem Namen beschrifteten Kartons. McCann äußerte, er »bezweifle«, dass Abu-Jamals Verteidigungsteam darin neue Beweise finden werde. Vielleicht handele es sich um Fotokopien der Prozessakten, die der Verteidigung bereits bekannt seien. Das Verteidigungsteam lehnte es ab, sich dazu öffentlich zu äußern, zeigte sich jedoch gegenüber dem Verfasser überzeugt davon, dass McCann falschliege. Das derzeitige Team werde die Fundstücke in den Archivkisten sichten, um nach Beweismitteln zu suchen, die ihm und früheren Anwaltsteams eventuell bislang vorenthalten wurden.
Die überraschende Entdeckung von Krasner, der sich zuvor als progressiver Strafverteidiger profiliert hatte und im November 2017 die Wahl zum Leiter der Bezirksstaatsanwaltschaft gewann – er ist seit Januar 2018 im Amt –, ist von herausragender Bedeutung. Sollten diese Boxen Beweismaterial enthalten, das der Verteidigung rechtswidrig vorenthalten wurde, und sollte sich dieses Aktenmaterial als so bedeutend erweisen, dass es die Jury im ursprünglichen Prozess des Jahres 1982 möglicherweise zu einer anderen Schlussfolgerung geführt hätte – beispielsweise zu einem nicht einstimmigen Urteil –, dann könnte das Anlass für eine Neuverhandlung sein.
Selbst wenn diese Beweise von weniger grundlegender Bedeutung wären, könnten sie die Verteidigung veranlassen, einen neuen Antrag für eine Anhörung zur Wiederaufnahme des Verfahrens nach dem PCRA-Gesetz vor dem Staatsgericht Court of Common Pleas in Philadelphia zu stellen. In einer solchen Anhörung könnten Verteidigung und Staatsanwaltschaft ihre jeweiligen Argumente vorbringen und auf der Basis der in den Kartons entdeckten Beweise Zeugen vorladen, möglicherweise sogar Zeugen aus dem ursprünglichen Verfahren, die unter Eid erneut aussagen müssten.
Interessanterweise wurden die sechs Kisten am 28. Dezember entdeckt, nur einen Tag nach der Entscheidung von Richter Tucker. Dieser hatte im Rahmen seiner Anhörungen eine gründliche Durchsuchung der Büros der Staatsanwaltschaft angeordnet, um Aktennotizen oder andere Dokumente ausfindig zu machen, die beweisen könnten, dass der ehemalige Bezirksstaatsanwalt Castille entgegen seiner Behauptungen doch an Abu-Jamals Verfahren beteiligt war. Krasners Büro hatte einen Bürogehilfen mit der Suche beauftragt, der aber nur die beiden weiter oben genannten Notizen einer Ms. Barthold fand, die Fragen an Castille gerichtet hatte. Dessen Antworten blieben jedoch »unauffindbar«.
Krasners Behörde müsste innerhalb von 30 Tagen, d. h. bis zum 26. Januar 2019, Berufung gegen Richter Tuckers Entscheidung einlegen, wenn sie die Anordnung anfechten möchte. Keiner anderen Partei oder Behörde außer der Bezirksstaatsanwaltschaft von Philadelphia stehen Rechtsmittel in dieser Sache zu. Wenn Krasner nicht handelt, wird Tuckers Richterspruch rechtskräftig.
Mumia Abu-Jamal ist zu einer mächtigen Stimme aus dem Innern des von ihm so bezeichneten »gefängnisindustriellen Komplex« der USA geworden. Sein ursprünglicher Prozess wird weithin als Farce und Ausdruck einer korrupten Justiz angesehen. Abu-Jamals Anhänger in der ganzen Welt fordern seit langem die Freiheit des politischen Gefangenen. Wie die jüngsten Entwicklungen zeigen, ist sein Fall noch lange nicht zu Ende.
Anmerkungen:
1 Yohn rügte mit seinem Beschluss die nicht verfassungskonforme Besetzung der fast ausschließlich weißen Jury, aus der zahlreiche schwarze Geschworene trotz ihrer prinzipiellen Eignung aus rassistischen Gründen von der Staatsanwaltschaft ausgeschlossen worden waren.
2 In der Grundsatzentscheidung des U. S. Supreme Court im Berufungsverfahren »Williams gegen Pennsylvania« von 2016 ging es um das Recht des Angeklagten auf ein faires Berufungsverfahren, das verletzt werde, wenn ein Staatsanwalt, der am ursprünglichen Strafverfahren beteiligt war, in der Berufungsverhandlung als Richter tätig sei. Wie bei Abu-Jamal trat Ronald Castille auch gegen Terrance Williams zuerst als Bezirksstaatsanwalt und später als Richter am Obersten Gerichtshof auf.
3 Neben Teamleiter Leonard Weinglass und Daniel Williams gehörten noch Jonathan Piper, Stephan Hawkins und Rachel Wolkenstein zum ersten Verteidigungsteam. Zum Antragsinhalt siehe Leonard Weinglass: »Freiheit für Mumia! Hintergründe eines Fehlurteils und juristische Fakten gegen einen drohenden Justizmord«, Atlantik-Verlag, Bremen 1997
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