Montag, 28. Januar 2019

Reden mit dem Serienkiller


Wie entwickelt sich der Kriminalroman? Diskussionen auf dem Festival »Global Crime« in Frankfurt am Main

  • Von Ute Evers
  • Lesedauer: 4 Min.

In seinem Aufsatz »Über die Popularität des Kriminalromans« konstatierte Bertolt Brecht 1938, dass dieser zwar »alle Merkmale eines blühenden Literaturzweigs zur Schau« trage, er aber »in den periodischen Umfragen nach den ›Bestsellers‹ kaum je genannt wird«.
Heute ist das völlig anders, viele Tages- oder Wochenzeitungen können auf eigene Krimi-Bestenlisten oder -beilagen verweisen. Es werden Kriminalliteraturpreise verliehen, es gibt Verlage mit expliziten Genrereihen, virtuelle Krimi-Plattformen und Spezialisten auf dem unendlichen Feld der Spannungsliteratur. Weltweit gehört der Kriminalroman zu der meistgelesenen Literatur. Er ist zu einem globalen Phänomen geworden. Am vergangenen Wochenende standen in Frankfurt am Main im Literaturhaus dann auch die achten Litprom-Literaturtage unter dem Motto »Global Crime - Kriminalliteratur als globaler Code«.
Die Literaturagentur Litprom gibt es seit 1980. Sie arbeitet nicht gewinnorientiert, wird unter anderem unterstützt durch Brot für die Welt, kooperiert mit der Frankfurter Buchmesse, und versteht sich als »eine vielseitige Plattform für literarische Begegnungen in Zeiten globalisierter Textzirkulation«, wie es auf ihrer Website heißt. Am Wochenende präsentierte sie zehn Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus fünf Kontinenten: Candice Fox (Australien), Chan Ho-kei (Hongkong), Jeong Yu-jeong (Süd-Korea), Deon Meyer (Südafrika), Marcelo Figueras (Argentinien), Mercedes Rosende (Uruguay), Patrícia Melo (Brasilien) und Gary Victor (Haiti). Deutschland wurde von Max Annas und Oliver Bottini vertreten.
Thomas Wörtche, freier Publizist und ausgewiesener Spezialist globaler Crime Fiction, war zusammen mit Achim Stanislaw Kurator dieser Literaturtage. Schon zu Beginn erklärte er den Kriminalroman zu einem nahezu zeitlosen wie globalen Genre, denn: »Fast alle Gesellschaften sind konstitutiv gewalttätig«, Verbrechen werde es immer geben. Gleichwohl gibt es literarische Entwicklungen. Die Aufklärung und das »Enträtseln« eines außergewöhnlichen Verbrechens stehen nicht mehr im Zentrum anspruchsvoller zeitgenössischer Kriminalgeschichten. Das klassische »Whodunit« á la Edgar Allan Poe, Sir Arthur Canon Doyle oder Agatha Christie ist passé.
Was interessiert den zeitgenössischen Krimi, wenn es also nicht mehr primär nur um die Auflösung des Verbrechens geht? Gibt es Verbindungen zwischen beispielsweise einer Autor*in aus Australien, Haiti und Südkorea? Was sind die Kontexte, was die Traditionen ihrer literarischen Sozialisationen? Was sind die Ansätze, das Innenleben der Romanfiguren zu erforschen bzw. zu entwickeln?
Die Diskussion dieser Fragen schafft die Momente, in denen solche Veranstaltungen an Dynamik gewinnen. Es erschließen sich Welten, die über den fiktiven Raum des Buches hinausgehen. Etwa, wenn Candice Fox erzählt, dass sie sich fünf Stunden lang mit einem Serienkiller im Gefängnis unterhielt, mit ihm eingesperrt in einem Glaskasten, um herauszufinden, wie so jemand tickt. Oder wenn Yu-jeong berichtet, wie sie sich für die Recherche ihres Romans »Der gute Sohn« wochenlang in ihr Zimmer eingeschlossen hatte, um die Gerichtsakte eines Psychopathen zu verinnerlichen. Gary Victor, der Krimis schreibt, um seiner Wut über die Zustände auf Haiti Ausdruck zu verleihen, will herausfinden, warum Menschen, die Leid erfahren, so unterschiedlich reagieren: »Ich muss mich in meine Figuren hineinversetzen wie ein Schauspieler es tut.« Die Arbeit eines Schriftstellers werde erst dann menschlich, »wenn du deine Figuren spüren kannst«. Doch »um die brutale Wirklichkeit ertragen zu können«, sei ein Panzer aus Humor und Fantasie notwendig, konstatiert der Schöpfer des sympathischen Inspektors Dieuswalwe Azémar.
Allgemein gilt: Die Definition, was ein Verbrechen ist, hat sich enorm erweitert, seit dem Miss Marple nicht mehr ermittelt. Verbrechen sind eben auch »Gewalt gegen Frauen, Umweltverschmutzung und das Geschäft mit dem Müll«, erklärte Mercedes Rosende auf dem Abschlusspodium, die in ihrem Roman »Krokodilstränen« mit Leonilda Lima eine ebenso erfolglose wie streitbare Kommissarin geschaffen hat. Verbrechen sind es auch, wenn deutsche Automobilkonzerne, trotz Skandalen, weiterhin über ihren Besitz verfügen, fügte Max Annas hinzu, der sich mit den anwesenden Autor*innen verbunden fühlte, weil sie alle gesellschaftlich etwas bewegen wollen.
Lösen sich die Grenzen zwischen Kriminalromanen und Gesellschaftsromanen eines Tages auf? Nur, wenn man sich von den konventionellen Strukturen des Kriminalromans beirren lässt.
Marcelo Figueras verwies auf die Veränderung des klassischen Detektivromans hin zu einer novela negra. In dem Maße, wie sich die Gesellschaft verändere, entwickele sich der Kriminalroman auch als Genre weiter. »Das Verbrechen ist keine Ausnahme in einer funktionierenden Gesellschaft mehr, sondern Alltag in einem korrupten System«, so Figueras. Die Verantwortlichen des »globalen Verbrechens zwingen uns, neue Formen zu entwickeln«, in die der klassische Detektiv nicht mehr hineinpasse.
Der Kriminalroman als literarisches Genre werde sich aber nie selbst abschaffen, sagte der Autor des Romans »Das schwarze Herz des Verbrechens«, im Gegenteil: diese Art von Literatur reagiere konstant auf gesellschaftliche Entwicklungen, ja, man könne hier von einer hohen Anpassungsfähigkeit des Genres sprechen. Oder wie es Figueras abschließend formulierte: »Was die Zukunft dieses Genres angeht, bin ich also zuversichtlich. Was die Zukunft unserer Welt angeht, eher weniger«.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1110981.global-crimes-reden-mit-dem-serienkiller.html

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