IMI-Standpunkt 2017/16
von: Christoph Marischka | Veröffentlicht am: 15. Juni 2017
Mehrere Aachener Friedensorganisationen, der Aachener Friedenspreis, das Antikriegsbündnis, die VVN/BdA sowie die DFG-VK NRW, planen am 1. Juli 2017 ab 11:00 Uhr eine Kundgebung vor dem Haupteingang des Fliegerhorst Geilenkirchen-Teveren, wo die AWACS-Flugzeuge der NATO stationiert sind. Im Vorfeld wurde die IMI um eine kurze Einschätzung gebeten, welche Rolle die AWACS im Syrienkrieg spielen. Da Geilenkirchen nah an jener Region liegt, in der gegenwärtig das Herz des neuen Bundeswehr-Organisationsbereichs „Cyber- und Informationsraum“ aufgebaut wird (hier eine entsprechende Karte des Raums Köln-Bonn), soll die Rolle der AWACS und damit der NATO im Syrienkrieg anhand verschiedener „Informationsräume“ dargestellt werden.
Angewandte Technologie repräsentiert mit unterschiedlicher Verzögerung politische Strategie und militärische Praxis. Um das zu verdeutlichen, sollen zunächst zwei unterschiedliche militärische Kommunikations-Technologien und ihre Bedeutung im Syrienkrieg dargestellt werden. Dabei handelt es sich einerseits um Software Defined Radio (SDR) und andererseits eben um die AWACS, die sozusagen die in Technologie gegossene NATO darstellen.
SDR: Spezialkräfte und irreguläre Kriegführung
Software Defined Radio (SDR) bedeutet technisch gesprochen, dass die zuvor in der Hardware von Funkgeräten verbauten Spezifikationen wie Frequenzbereich und Verschlüsselung durch Software bestimmt und aktualisiert werden können. Damit geht auch eine Fusion von Funkgerät und Computer einher, was bedeutet, dass die gesendeten und empfangenen Daten neben Text, Ton und Bild noch ganz andere Formate umfassen können: Das Gerät kann etwa mit und ohne deren Wissen Koordinaten seiner Nutzer_innen versenden, was ermöglicht, die Positionen verbündeter Kämpfer in einer Karte darzustellen. Diese wiederum können die Koordinaten verbündeter Stellungen empfangen und sich damit z.B. Informationen, ob und wie schnell Unterstützung (etwa durch Artillerie oder Luftangriffe) möglich ist, anzeigen lassen.
Das ursprüngliche Versprechen bei der Entwicklung von SDR bestand v.a. in der Interoperabilität. Damit ist klassischer Weise die Koordination und gemeinsame Führung, in der Konsequenz der hierarchische Informationsaustausch zwischen den Teilstreitkräften eines Staates und verbündeter Armeen untereinander gemeint. Als weiterer Vorteil wurde die Verlängerung des Produktzyklus genannt, da auf politische, strategische oder taktische Veränderungen reagiert werden könne, ohne die Hardware modifizieren zu müssen.
Ausgestattet mit Software Defined Radio wurden zunächst die Spezialkräfte, was aus verschiedenen Gründen nahe liegt. Natürlich sind die Spezialkräfte oft die ersten, die mit neuer, teurer Technologie ausgestattet werden und aufgrund ihres Einsatzprofils eignen sie sich auch am besten, um Vorteile und Schwächen der Technologie im Gefecht in der Praxis zu evaluieren. Darüber hinaus sind Spezialkräfte häufiger in kleinen Verbänden in feindlichem oder umkämpften Gebieten präsent und damit auf eine genauere Lokalisierung und die unmittelbare Kommunikation, z.B. mit der Luftwaffe zur Luftnahunterstützung angewiesen. Die Praxis der jüngsten Kriege in Libyen, Irak und Syrien weisen auf eine weitere Qualität der SDR-Technologie hin: Lose Verbündete wie z.B. lokale Milizen lassen sich recht einfach und kostengünstig mit entsprechenden Funkgeräten ausstatten und damit einerseits kontrollieren und koordinieren. Liefert man mit den Funkgeräten noch einen Laser-Entfernungsmesser, wie er gegenwärtig bei Spezialkräften üblich ist, können diese lokalen Verbündeten Ziele markieren, die dann von den intervenierenden Staaten aus der Luft angegriffen werden. Das ist eine Praxis, die die Kriege in Libyen und Syrien maßgeblich geprägt hat. Beide Kriege zeichnen sich darüber hinaus dadurch aus, dass die NATO-Staaten hier am Boden mit Kräften zusammengearbeitet haben, die – freundlich gesagt – unzuverlässig waren. Das verweist auf einen weiteren Vorteil des Software Defined Radio. Ohne dass die jeweiligen Nutzer_innen das verhindern oder kontrollieren könnten, kann auf die Geräte ein Update aufgespielt werden, das sie von einem Augenblick auf den nächsten nutzlos macht, sozusagen aus dem Informationsraum ausschließt und damit die Zusammenarbeit mit den betreffenden Kräften aufkündigt.
Was damit gesagt werden soll ist, dass verschiedene Kommunikations-Technologien unterschiedliche Informationsräume herstellen und damit auch unterschiedliche Formen der Kriegsführung bedingen. Das zunächst bei den Spezialkräften in den letzten zehn Jahren eingeführte SDR bringt einen Informationsraum hervor, in den recht flexibel irreguläre bewaffnete Gruppen aufgenommen und ausgeschlossen werden können. Es handelt sich damit um eine Technologie, die zumindest förderlich für eine schmutzige Kriegsführung am Boden ist, wie wir sie in Libyen und Syrien beobachten: Milizen bekämpfen sich in wechselnden Koalitionen, wobei einige von Spezialkräften der NATO-Staaten mit Waffen und v.a. auch Kommunikationstechnologie ausgestattet und aus der Luft unterstützt werden. In russischen Medien wird SDR deshalb auch als Voraussetzung für hybride Kriegführung gehandelt.
AWACS: Luft- und Staatenkrieg
Im Zusammenhang mit den AWACS ist das insofern interessant, weil die AWACS ebenfalls als Technologie zu betrachten sind, die in erster Linie einen Informationsraum herstellt. Die AWACS der NATO sind mit über fünfzig Antennen für verschiedene Frequenzbereiche und Wellentypen ausgestattet. Sie sind an das Informationsnetz der US-Streitkräfte angebunden, die als einzige Armee durch weiträumig verteilte Bodenstationen und Satelliten tatsächlich über ein globales Informationsnetz verfügen. Die Flugzeuge sind darüber hinaus vollgepackt mit Technologie, um sich mit Netzwerken verbündeter See- und Landstreitkräfte vor Ort zu verbinden. Darüber hinaus verfügen die AWACS über eigene Aufklärungstechnologie, die jedoch weitgehend auf den Luftraum spezialisiert ist.
Der Radar im charakteristischen, pilzförmigen Aufbau kann viel besser als landgestützte Systeme – die durch Hindernisse wie Berge oder Gebäude behindert werden – auch tieffliegende Flugkörper erkennen. Zwar können die AWACS damit auch Ziele auf See erkennen und identifizieren, nach Angaben der Bundesregierung jedoch keine Bodenziele.
Neben der eigenen Aufklärungsleistung besteht mit der Vernetzung bestehender Kommunikationsnetzwerke die zentrale Funktion der AWACS darin, dass sie zwangsläufig eine Kommandostruktur auf Ebene der NATO voraussetzen bzw. bedingen. Dabei ist ihr Kerngeschäft und historischer Ursprung die Luftverteidigung bzw. der Luftkrieg, wo Entscheidungen von hoher Relevanz und Eskalationsgefahr in kürzester Zeit getroffen werden müssen. Kurz gesagt bedeutet der Einsatz von AWACS in Syrien, wie er auf dem NATO-Gipfel im Juli 2016 von der NATO und im Oktober 2016 vom Bundeskabinett beschlossen, dann im November vom Bundestag abgesegnet wurde, dass die NATO ein gemeinsames Luftlagebild der Türkei, Syriens und des Irak erstellt und durch das NATO-Oberkommando definiert wird, welche Flugkörper als feindlich eingestuft und wie bekämpft werden.
Bemerkenswert ist dabei, dass der Einsatz der AWACS durch den Bundestag im Kontext der Bekämpfung des IS beschlossen wurde, sich der genuin durch die AWACS hergestellte Informationsraum aber lediglich auf Ziele und Waffen erstreckt, über die der IS nicht verfügt: Kampfflugzeuge, größere Drohnen, Helikopter, Marschflugkörper, ballistische Raketen. Die Beteiligung der NATO ist technisch bedingt nicht gegen den IS gerichtet ist, sondern gegen Russland, die Syrische Armee und mit Abstrichen die iranischen Kräfte vor Ort. Informationen lokaler Milizen und Spezialkräfte am Boden können zwar durch die AWACS verarbeitet und verteilt werden, das ist jedoch nicht ihre Kernaufgabe. Eine solche Koordination ist bereits durch verschiedene, bereits länger existierende Kommandozentralen am Boden möglich und zumindest teilweise auch explizit nicht gewollt und unterbunden.
Zugespitzt gesagt, stehen die AWACS gegenüber dem verworrenen und schmutzigen Bodenkrieg mit Spezialkräften und lokalen Milizen, wie er durch die SDR-Technologie befördert wird, eher für einen symmetrischen Konflikt zwischen der NATO einerseits und Russland, Syrien und dem Iran andererseits, der jedoch mit größerem Kaliber und noch größerer Eskalationsgefahr ausgefochten würde.
Zugespitzt gesagt, stehen die AWACS gegenüber dem verworrenen und schmutzigen Bodenkrieg mit Spezialkräften und lokalen Milizen, wie er durch die SDR-Technologie befördert wird, eher für einen symmetrischen Konflikt zwischen der NATO einerseits und Russland, Syrien und dem Iran andererseits, der jedoch mit größerem Kaliber und noch größerer Eskalationsgefahr ausgefochten würde.
Gleichzeitigkeit der Informationsräume und Allianzen
Nun mag man geneigt sein, gegenüber dem verworrenen Bürgerkrieg, wie er jetzt in Syrien und dem Irak stattfindet, trotzdem eine symmetrischere Form zu bevorzugen. Demgegenüber muss festgehalten werden, dass die eine Form der Kriegsführung die andere nicht ersetzt, sondern ergänzt. Das steckt bereits im Begriff der hybriden Kriegführung, dass an die Seite des klassischen, symmetrischen oder zwischenstaatlichen Krieges der verdeckte, die Zivilbevölkerung oder eben irreguläre Kräfte einbeziehende Krieg tritt. Im Falle Syriens bedeutet das, dass die Einbeziehung der NATO und der offene Konflikt mit Russland noch wahrscheinlicher wird, während der Bürgerkrieg am Boden unvermindert weitergehen wird.
Dies wird deutlich, wenn wir noch eine dritte Ebene des Informationsaustausches betrachten. Der Einsatz der AWACS wurde im deutschen Bundestag als Erweiterung eines Mandats beschlossen, das die Bekämpfung des IS in Syrien zum Ziel hat und bereits zuvor auch deutsche Aufklärungsflugzeuge vom Typ Tornado umfasst hatte. Diese liefern im Auftrag einer sehr losen und widersprüchliche Interessen vertretenden Allianz von über 60 Staaten Luftaufnahmen von möglichen Bodenzielen, Truppenbewegungen und Gefechtsfolgen in Syrien und Irak. Darüber, wie mit diesen Informationen verfahren wird, gab es im Bundestag heftige Kontroversen. Nach Darstellung der Regierungsparteien (Bundestags-Plenarprotokoll 18/199) wird noch vor der Durchführung einer jeden Mission geprüft, ob der Auftrag dem Mandat entspricht und nicht dazu dienen könnte, im Sinne der türkischen Alliierten Stellungen kurdischer Kräfte aufzuklären, mit denen z.B. die USA kooperieren. Angeblich werden dann auch die fertigen Bilder nochmal von einem sog. „Red Card Holder“ geprüft, bevor sie an die US-Luftwaffenbasis Al Udeid in Katar gehen, die das gemeinsame Operationszentrum der Allianz gegen den IS darstellt. Ab diesem Punkt dürfte zumindest von deutscher Seite gar nicht mehr kontrollierbar sein, welcher „Verbündete“ diese Aufklärungsdaten zu welchem Zweck nutzt.
Die Bundesregierung jedenfalls hat gegenüber Abgeordneten angegeben, nicht zu wissen, wie viele Luftangriffe auf welche Ziele die Allianz bislang auf Grundlage deutscher Aufklärungsdaten geflogen hätte. Der SPD-Abgeordnete Rainer Arnold, der sich vehement für das Mandat einsetzte, erklärte das in der Bundestagsdebatte so: „Wir liefern hochauflösende Bilder von den Tornadofliegern in die Einsatzzentrale, in der die Einsatzentscheidungen aufgrund vieler Informationen getroffen werden. Die Bilder, die die Tornados liefern, sind nur ein kleines Mosaiksteinchen, das erst zusammen mit vielen unterschiedlichen Mosaiksteinchen ein Gesamtbild ergibt. Auf deren Grundlage werden dann Einsatzentscheidungen getroffen, und die Einsatzentscheidungen trifft die Allianz…Und weil es sich um eine Fülle von Informationen handelt, kann … niemand direkt ableiten, wo die deutschen Bilder bei den Einsätzen hinführen“. Ergänzen müsste man hier allerdings, dass die Einsatzentscheidungen nicht nur durch „die Allianz“ getroffen werden, sondern oft auch durch deren – wie gesagt unterschiedliche Ziele verfolgende – Mitglieder. In diese Entscheidungen der beteiligten nationalen Armeen dürften mit großer Sicherheit auch die Informationen und Zieldaten ihrer jeweiligen, bilateralen Verbündeten am Boden eingehen.
NATO als Partei im Konflikt über die Vorherrschaft am Golf
Die AWACS sollen nach vorliegendem Mandat (Bundestags-Drucksache 18/9960) nur in türkischem und internationalem Luftraum fliegen und „der Verdichtung des Lagebildes unter Weitergabe der dabei gewonnenen Erkenntnisse in Echtzeit an die internationale Anti-IS-Koalition“ dienen. Da die Reichweite ihrer Sensoren jedoch tief in den irakischen und syrischen Luftraum hineinreicht soll dies „auch der Sicherheit der deutschen Aufklärungsflugzeuge Tornado sowie der [deutschen] Tankflugzeuge“ dienen. Letztlich übernimmt hiermit die NATO die Funktion der Luftsicherheit über den formal nach wie vor souveränen Staaten Irak und Syrien. Darüber hinaus werden alle Mitglieder der „Anti-IS-Koalition“ mit Informationen über Flugbewegungen Dritter versorgt und – dies aber unter Kommando der NATO und nicht der Koalition – Gegenmaßnahmen eingeleitet. Die NATO übernimmt damit den Schutz der Koalition im Luftraum, zu der auch verschiedene Staaten gehören, die offenbar am Boden auch mit radikal-islamistischen Gruppen zusammenarbeiten. Als mögliche Gegner dieses NATO-Einsatzes kommen gegenwärtig nur Russland, Syrien und der Iran infrage. Mit dem AWACS-Einsatz in der Türkei ist damit die NATO Partei im zunehmend eskalierenden Konflikt zwischen Saudi Arabien und Iran, sunnitischen und schiitischen bewaffneten Parteien und droht diesen mit einem zwischenstaatlichen Konflikt zwischen der NATO und Russland zu verbinden.
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