Ethan Pollock, ’Conversations with Stalin on Questions of Political Economy‘, Working Paper 33, Woodrow Wilson International Center for Scholars, Washington, D. C., July 2001, Cold War International History Project Working Paper Series, @http://cwihp.si.edu
Übersetzung ins Deutsche und Vorwort:
Gerhard Schnehen, 2014
Vorwort:
Es sind insgesamt fünf Dokumente, die fünf Gespräche Stalins mit sowjetischen Politikern und Ökonomen, die an dem neuen Lehrbuch der Politischen Ökonomie arbeiteten, wiedergeben.Die Gespräche fanden 1941 (ein Treffen), 1950 (drei Treffen) und 1952 (ein Treffen) statt.
Sie zeigen, dass die durchweg namhaften sowjetischen Ökonomen, die an dem Lehrwerk beteiligt waren, oft ganz andere Vorstellungen von Politischer Ökonomie besaßen als Stalin selbst. Sie demonstrieren die himmelweite Überlegenheit Stalins und sein überragendes Wissen und Verständnis in allen Fragen der Politischen Ökonomie, besonders aber auch was die geschichtliche Entwicklung der Gesellschaftsformationen angeht. Den Ökonomen, die an dem Lehrwerk arbeiteten, schienen oft die einfachsten Fragen, die einfachsten Grundsätze des Marxismus und der marxistischen Politischen Ökonomie abzugehen, und sie kümmerten sich auch wenig um eine einfache, allgemeinverständliche und fachgerechte Sprache, um die Leser zu erreichen und voranzubringen. Immer wieder muss Stalin sie darauf aufmerksam machen, dass die Entwürfe den Anforderungen, die die Leserschaft an ein gutes Lehrbuch der Politischen Ökonomie stellt, das in aller Welt gelesen werde, nicht genügen, und immer wieder müssen sie umgearbeitet werden. Schließlich gibt es zwei Entwürfe, die beide nach Stalins Worten völlig unzureichend sind und teilweise ein völliges Missverständnis des Marxismus zeigen.
Später tauchen einige dieser Ökonomen wieder auf, als es gilt, für das Breschnew-Kossygin-Regime Entwürfe für die kapitalistische Wirtschaftsreform von 1965 auszuarbeiten (z. B. Leontjew, Kosiatschenko und Gatowski), und tun sich dabei hervor; der Philosoph Judin, der auch mit von der Partie ist, sollte später als Botschafter der UdSSR in Peking an den ‚Vier Bänden‘ Mao Tse-tungs mitarbeiten und sehr viel zur Vulgarisierung des Marxismus und seiner Instrumentalisierung für den Maoismus beitragen.
Stalin geht mit ihnen teilweise scharf ins Gericht und kritisiert weite Teile des Lehrbuchentwurfs. Hier zeigt sich schon im Keim die Auseinandersetzung zwischen der in der Sowjetunion zu dem Zeitpunkt noch vorherrschenden marxistisch-leninistischen Strömung, angeführt von Stalin und Schdanow auf der einen Seite und den Chruschtschow-Revisionisten, die nach Stalins Tod an der sog. Wirtschaftsreform mitarbeiteten, um den Sozialismus nach und nach zu demontieren und in den Kapitalismus zurückzuführen, auf der anderen.
Man gewinnt teilweise den Eindruck, dass Stalin dieser Kampf zwischen Marxismus-Leninismus und Revisionismus besonders bei den späteren Treffen bewusst war und dass er seinen ganzen Einfluss nutzte, um falsche Vorstellungen in der sowjetischen Politischen Ökonomie zurückzudrängen.
Später, als Stalin erkannte, dass er massiv eingreifen musste, um solchen falschen antimarxistischen und revisionistischen Vorstellungen auf dem Gebiet der Politischen Ökonomie zu begegnen, fasste er seine Kritik in seinem Werk ‚Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR‘ zusammen, das kurz vor dem 19. Parteitag der KPdSU, B im Oktober 1952 herauskam und den Revisionisten im Politbüro der KPdSU, darunter Chruschtschow, Bulganin und Mikoyan u. a., einen schweren Schlag versetzte.
Man erkennt also, wenn man die Gespräche aufmerksam liest, deutlich die Trennlinie zwischen Marxismus-Leninismus in seiner reinsten Form, vertreten durch Stalin, einerseits und der sich entwickelnden Verfälschung der marxistischen Politischen Ökonomie durch die Revisionisten auf der anderen Seite, was diese Gespräche, die kleine Lehrstücke sind, auch so interessant macht für einen Leser, der ehrlich darum bemüht ist zu erfahren, was eigentlich das Wesen marxistisch-leninistischer Politische Ökonomie ausmacht.
Dokument 1:
Nach den Aufzeichnungen von Stalins Sekretär Proskrebyschew fand diese erste Unterhaltung in Stalins Büro im Kreml von 1:20 bis 2:50 (nachmittags) am 29. Januar 1941 statt. Anwesend waren:J. W. Stalin, Andrej A. Schdanow, Wjatscheslaw M. Molotow, Nikolai Wosnessenski, Georgi F. Aleksandrow, Boris L. Markus, G. P. Kosiatschenko, Iossif A. Trachtenberg, Lew A. Leontjew, Anatoli I. Paschkow sowie Konstantin W. Ostrowitjanow.
Über das Aufgabengebiet der Politischen Ökonomie
Stalin:
Es gibt verschiedene Definitionen darüber, was der Gegenstand der Politischen Ökonomie ist: Engels definiert Politische Ökonomie als die Wissenschaft von der Produktion, des Austausches und der Verteilung; Marx‘ Definition dazu befindet sich in den Vorarbeiten zum ‚Kapital‘; von Lenin gibt es eine Äußerung, wonach er die Definition von Bogdanow aus dem Jahre 1889 gutheißt. Es gibt bei uns viele Pedanten, die versuchen, die eine Definition gegen die andere auszuspielen. Wir zitieren viel zu viel. Zitate sind ein Zeichen von Unwissenheit. Deshalb müssen wir uns angewöhnen, selbst sorgfältig über die richtige Umschreibung des Gegenstandes nachzudenken und dann dazu stehen und versuchen sie durchzusetzen.
Wenn wir schreiben, dass die Politische Ökonomie die Wissenschaft von der geschichtlichen Entwicklung des Systems der sozialen Produktion ist, dann werden die Menschen nicht sofort verstehen, dass wir über Wirtschaftswissenschaft sprechen, d. h. über die Beziehungen von Menschen untereinander. Es ist besser zu sagen:
„Politische Ökonomie ist die Wissenschaft von der Entwicklung der sozialen Produktion, d. h. der wirtschaftlichen Beziehungen der Menschen untereinander. Sie erläutert die Gesetze, die die Produktion steuern und die Verteilung der notwendigen Konsumgüter – im persönlichen wie im produktiven Sinne.“
Wenn ich von Verteilung spreche, dann meine ich nicht die weit verbreitete enge Bedeutung des Wortes von der Verteilung von Konsumgütern. Wir sprechen von Verteilung so wie Engels dies in seinem ‚Anti-Dühring‘ tat, wo er die Verteilung als Form des Eigentums an den Produktionsmitteln und an Konsumgütern betrachtete.
Das sollte auf der folgenden Seite ausgeführt werden, und der zweite Abschnitt sollte damit enden, dass wir sagen: „Das heißt, wie Produktionsmittel und daher andere materielle Güter, die für das menschliche Leben unverzichtbar sind, unter den Mitgliedern einer Gesellschaft verteilt werden.“
Sie kennen sicherlich Marx‘ Anmerkungen zu all seinen vier Bänden des ‚Kapital‘. Dort gibt es eine Definition über den Gegenstand der Politischen Ökonomie. Wenn Marx von Produktion spricht, schließt er den Transport mit ein (gleich ob nah oder fern, egal ob er über Baumwolle von Turkestan oder über den Transport zwischen Werken spricht). Für Marx gehören alle Probleme der Verteilung zu seinem Verständnis von Produktion. Was meinen Sie: Ist die hier gegebene Definition richtig?
Bemerkung (eines Anwesenden):
Ohne Zweifel sind die angegebenen Änderungen eine grundlegende Verbesserung.
Frage (eines Anwesenden):
Ist es richtig, ‚soziale, produktive‘ Beziehungen zusammen zu sagen? Braucht man das Wort ‚sozial‘? Ist Produktion nicht automatisch ‚soziale Produktion‘? Ist das Wort nicht überflüssig?
Stalin:
Nein, wir müssen soziale Produktion sagen, denn Produktion kann fachliche Beziehungen mitumfassen, aber an dieser Stelle müssen wir besonders von sozialer Produktion sprechen.
Frage:
Wäre es nicht richtiger von ‚produktiven Beziehungen‘ zu sprechen, statt von ‚Produktionsbeziehungen‘?
Nach einer kurzen Diskussion einigt man sich auf ‚Produktionsbeziehungen‘.
Stalin:
Wenn wir die vorgeschlagene Formulierung des Aufgabengebietes übernehmen, dann kommen wir zwangsläufig zu der Schlussfolgerung, dass Fragen der Verteilung in allen Gesellschaftsformationen stärker beachtet werden müssen. Aber hier (gemeint: in dem Entwurf für das neue Lehrwerk – Übers.) ist wenig von unseren Banken, unserem Austausch und dem Markt die Rede. Das reicht so nicht. Besonders der Abschnitt über den Sozialismus leidet darunter.
Auf Seite 5 gibt es stilistische Ungereimtheiten. Die müssen beseitigt werden. Es heißt dort: ‚Sie (also die Politische Ökonomie – Übers.) ist eine historische Wissenschaft, die die verschiedenen Produktionsweisen ‚erforscht‘ und die spezifischen Eigenheiten jeder einzelnen von ihnen ‚erklärt‘.‘ Sie müssen das russisch schreiben, nicht mit ‚erforschen‘ und ‚erklären‘, sondern ‚forschende und erklärende Wissenschaft‘ sagen.
Über das Wertgesetz
Stalin:
Ich gehe jetzt zu dem Abschnitt über den Sozialismus über. Einige Dinge sind verbessert worden, aber vieles ist wieder im Vergleich zu dem, was früher drinstand, verdorben worden.
Hier steht zum Beispiel, dass das Wertgesetz überwunden worden sei. Dann wird nicht deutlich, wo die Kategorie der Produktionskosten herkommt. Ohne Produktionskosten ist es unmöglich, Kalkulationen vorzunehmen, ist es unmöglich, der Arbeit entsprechend zu verteilen, unmöglich Preise zu fixieren. Und bislang ist das Wertgesetz nicht überwunden worden. Und es stimmt auch nicht, dass wir die Preise kontrollieren. Wir möchten es gerne, haben es aber noch nicht geschafft. Um Preise kontrollieren zu können, braucht man enorme Reserven, einen Überfluss an Gütern, und erst dann können wir unsere Preise diktieren. Aber es gibt immer noch einen schwarzen Markt, einen ‚Kolchosmarkt‘, und dort gibt es noch Marktpreise. Ohne das Wertgesetz hat man nichts, um Einkommen zu bemessen, und Einkommen wird nicht nach der Arbeit bemessen. Wenn wir anfangen, den Bedürfnissen entsprechend zu verteilen, wird das etwas anderes sein, aber bislang ist das Wertgesetz noch nicht überwunden. Wir müssen es gezielt anwenden. Wir müssen die Preise innerhalb des Rahmens dieses Gesetzes festlegen. 1940 hatten wir eine schlechte Ernte, und in Lettland und Estland gab es nicht genug Brot, und der Brotpreis ging schnell nach oben. Wir schickten dann 200.000 Pud (1 Pud = 16,381kg – Übers.) an Getreide, und sofort ging der Preis wieder runter. Aber können wir das Gleiche mit jeder Ware in unserem Land machen? Nein, weil wir weit davon entfernt sind, den Preis jeder Ware zu bestimmen. Um das tun zu können, müssen wir sehr viel produzieren. Sehr viel mehr als jetzt. Also bis jetzt können wir keine Preise diktieren. Das Einkommen aus den Verkäufen auf den Kolchosmärkten bekommen die ‚kolchosniki‘ (die Mitglieder einer Kolchose – Übers.). Natürlich sind wir nicht in der Lage, dieses Einkommen zu verwenden, um die Produktionsmittel zu erwerben und es für eine Steigerung des privaten Konsums zu verwenden.
In dem Lehrbuch taucht plötzlich wie aus dem Nichts die Propagandasprache von Flugblättern auf. Das geht nicht. Ein Ökonom sollte Fakten studieren, aber urplötzlich hören wir etwas von ‚trotzkistisch-bucharinistischen Verrätern‘ … Weshalb davon anfangen, was das Gericht hier und dort festgestellt hat? Was hat das mit Ökonomie zu tun? Die Propaganda muss raus. Politische Ökonomie ist eine seriöse Sache.
Einwurf (eines Anwesenden):
Das wurde vor langer Zeit geschrieben, als die Prozesse noch im Gang waren.
Stalin:
Es spielt keine Rolle, wann das geschrieben wurde. Jetzt wurde eine neue Version vorgelegt, und die Propaganda ist immer noch in dem Buch. Das ist fehl am Platz. Wissenschaft appelliert an den Verstand. Aber hier wird an Emotionen appelliert. Das ruiniert das ganze Buch.
Über Planung
Stalin:
Viele furchtbare Worte werden über die geplante Wirtschaft verloren. Merkwürdige Sachen stehen dort wie:
„Der unmittelbare soziale Charakter der Arbeit in der sozialistischen Gesellschaft … Die Überwindung des Wertgesetzes und die Ausschaltung der Anarchie in der Produktion … Die geplante Leitung der Wirtschaft als Instrument der Verwirklichung der Übereinstimmung der Produktionsverhältnisse mit dem Charakter der Produktivkräfte.“
Eine Art von perfekt geplanter Wirtschaft wird beschrieben. Es kommt darauf an es einfach zu sagen: Im Kapitalismus ist es unmöglich, die Produktion nach einem Plan gesamtgesellschaftlich durchzuführen wegen der Konkurrenz, und es gibt das Privateigentum, das die Dinge voneinander trennt. Aber in der UdSSR sind alle Betriebe durch das sozialistische Eigentum vereint. Deshalb können und müssen wir eine geplante Wirtschaft haben. Die Planwirtschaft ist nicht unser Wunsch; sie ist unumgänglich oder sie wird zusammenbrechen. Wir haben bourgeoise Einrichtungen wie den Markt oder den Handel abgeschafft, mit denen die Bourgeoisie Ungleichgewichte korrigiert. Wir haben alles selbst gemacht. Die geplante Wirtschaft ist unumgänglich für uns wie der Brotverbrauch. Das liegt nicht daran, dass wir die ‚Guten‘ sind und dass wir in der Lage sind, alles hinzukriegen und dass sie (gemeint die Kapitalisten – Übers.) es nicht sind, sondern weil bei uns alle Betriebe vereint sind.
Bei ihnen ist es so, dass allerhöchstens ein paar Trusts oder Kartelle vereinigt werden können, innerhalb enger Grenzen, aber sie nicht in der Lage, die gesamte Wirtschaft zu organisieren. An dieser Stelle ist es angebracht, sich an Lenins Kritik an Kautsky über den Ultra-Imperialismus zu erinnern. Die kapitalistische Industrie, die Landwirtschaft und der Transport können nicht nach Plan laufen. Im Kapitalismus müssen die Städte das Land schlucken. Bei ihnen kommt immer das Privateigentum dazwischen. Sagt es einfacher: Bei uns sind die Dinge vereint, bei ihnen sind sie getrennt.
Auf Seite 369 des Entwurfs (gemeint das geplante Lehrwerk zur Politischen Ökonomie – Übers.) steht:
„Die geplante Leitung der Wirtschaft ist ein Instrument, um die Kooperation zwischen den Produktionsverhältnissen des Sozialismus mit dem Charakter der Produktivkräfte zu verwirklichen.“
Das ist alles Blödsinn, so eine Art Schulhofgeschwätz.
Marx und Engels schrieben aus der Distanz, sie hätten von Widersprüchen sprechen sollen. Aber warum um Himmels Willen füttert ihr uns mit solchen Abstraktionen? Sagt es doch einfach: Sie haben eine Wirtschaft, wo alles aufgesplittert ist, aber hier bei uns führt das sozialistische Eigentum alles zusammen. Wir kontrollieren alles, und die Macht gehört uns. Ihr müsst es klarer sagen!
Ihr müsst die Aufgaben des Planungszentrums benennen. Es legt nicht nur Proportionen fest. Proportionen sind nicht das Wichtigste, es ist grundlegend, aber doch gleichzeitig nur etwas Abgeleitetes.
Worin besteht denn die wichtigste Aufgabe der Planung? Die wichtigste Aufgabe der Planung besteht in der Gewährleistung der Unabhängigkeit der sozialistischen Ökonomie von der kapitalistischen Umkreisung. Das ist die absolut wichtigste Aufgabe. Es ist eine Art Kampf mit dem Weltkapitalismus. Die fundamentale Aufgabe der Planung besteht darin, einen Zustand zu erreichen, wo Metall und Maschinen ganz in unseren Händen sind und wir nicht mehr von der kapitalistischen Ökonomie abhängig sind. Darauf kommt es an! Auf dieser Basis ist der GOELRO-Plan (die geplante Elektrifizierung Russlands unter Lenin Anfang der zwanziger Jahre – Übers.) entstanden und sind die folgenden Pläne entstanden.
Wie sollte die Planung organisiert sein? Dort bei ihnen wird das Kapital spontan dem Gewinn entsprechend verteilt. Wenn wir unsere Wirtschaftszweige nach der Rentabilität entwickelt hätten, wären wir nur in der Lage gewesen, die Mehlproduktion, die Produktion von Spielsachen zu entwickeln (weil dort ein höherer Gewinn erzielt wird) und noch Textilien, aber wir hätten keine Schwerindustrie. Die Schwerindustrie erfordert große Investitionen, und sie ist zuerst unprofitabel. Rykow und seine Anhänger wollten davon wegkommen.
Wir haben das Entwicklungsgesetz der kapitalistischen Wirtschaft umgekippt (wonach zuerst die Leichtindustrie und dann später die Schwerindustrie entwickelt wird – Übers.) oder, um es klarer zu sagen: Wir haben es von den Füßen auf den Kopf gestellt. Wir sind mit der Entwicklung der Schwerindustrie und dem Maschinenbau angefangen. Ohne die geplante Wirtschaft wäre das nicht gegangen.
Wie läuft das bei ihnen? Einige Staaten plündern andere aus, sie plündern die Kolonien aus; die Leibeigenen kriegen die Hütten. Hier ist es anders. Das Entscheidende bei der geplanten Wirtschaft ist, dass wir nicht von der Weltwirtschaft abhängig geworden sind.
Die zweite Aufgabe der geplanten Wirtschaft besteht in der Festigung des sozialistischen Systems und darin, alle Kräften, die den Kapitalismus wieder auferstehen lassen wollen, auszuschließen. Rykow und Trotzki in ihrer Zeit schlugen die Schließung unrentabler Betriebe vor (die Putilowski-Werke und andere zum Beispiel). Das hätte zur ‚Schließung‘ des Sozialismus geführt. Das Kapital wäre zu den Mehlfabriken geflossen und in die Produktion von Spielsachen, weil das Gewinn bringt. Wir konnten diesen Weg nicht gehen.
Die dritte Aufgabe der Planung besteht darin, keine Ungleichgewichte zuzulassen. Weil die Wirtschaft so enorm groß ist, haben Wirtschaftszweige noch ihren Platz. Deshalb benötigen wir große Reserven, nicht nur in Form von Fonds, sondern auch an Arbeitskraft.
Sie müssen den Lesern etwas Neues bieten und nicht endlos das Verhältnis zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen wiederholen. Damit bietet man nichts an. Sie dürfen unser System nicht so anpreisen und Errungenschaften beschreiben, die es gar nicht gibt. Der Wert existiert, auch die Differentialrente, aber walzt das nicht aus.
Ich habe über das Wort ‚Profit‘ nachgedacht. Sollte man den Begriff aufgeben oder weglassen?
Antwort eines Anwesenden:
Vielleicht wäre es besser das Wort ‚Einkommen‘ zu verwenden?
Molotow:
Es gibt aber verschiedene Arten von Einkommen.
Vorschlag eines Anwesenden:
Vielleicht ‚sozialistische Akkumulation‘?
Stalin:
Solange es Profit gibt, gibt es Akkumulation. Profit entsteht aus der Produktion.
Sollte das Lehrbuch sagen, dass es das Mehrprodukt in der sozialistischen Gesellschaft noch gibt? Es gab in der Kommission dazu Meinungsverschiedenheiten.
Molotow:
Wir müssen den Arbeitern beibringen, dass sie wissen, dass sie für die gesamte Gesellschaft arbeiten und nicht nur für ihre Familie.
Stalin:
Ohne das Mehrprodukt kann man kein neues System aufbauen. Wir müssen den Arbeitern klarmachen, dass sie im Kapitalismus nur daran interessiert sein können, was sie erhalten sollten, aber im Sozialismus kümmern sie sich um ihre Gesellschaft, und das hebt sie auf ein höheres Niveau. Das Einkommen bleibt, aber es erhält einen neuen Charakter. Das Mehrprodukt existiert, es führt nicht zur Ausbeutung, stattdessen führt es zu einem Anwachsen des Volkswohlstandes, zur Verstärkung der Verteidigungsfähigkeit usw. Das Mehrprodukt wandelt sich.
Bei uns erfolgt die Verteilung nach der Arbeit. Wir haben qualifizierte und nicht qualifizierte Arbeit. Was ist die Arbeit eines Ingenieurs? Es ist qualifizierte, einfache Arbeit. Bei uns wird das Einkommen nach der Arbeit verteilt. Aber es ist unmöglich, das ohne das Wertgesetz zu tun. Wir bilden uns ein, dass die Wirtschaft nach dem Plan abläuft, aber es ist in Wirklichkeit nicht immer so. Bei uns gibt es noch viel spontane Aktivität. Aber wir wenden es bewusst an und unterliegen nicht der Spontaneität dieses Gesetzes. Dort (im Kapitalismus – Übers.) wirkt das Gesetz spontan, es bringt Zerstörung und fordert eine enorme Anzahl an Opfern. Bei uns wandelt sich das Wertgesetz, erhält es einen neuen Inhalt und eine neue Form. Wir legen Preise bewusst fest, nicht spontan.
Bei Engels ist die Rede von einem plötzlichen Wandel. Das ist eine riskante Formulierung, aber man kann sie akzeptieren, wenn man den plötzlichen Übergang vom Reich der Notwendigkeit ins Reich der Freiheit richtig begreift. Wir müssen den freien Willen als grundlegende Notwendigkeit verstehen, wenn Sprünge den Übergang von spontaner Unvermeidlichkeit hin zu grundlegender Notwendigkeit markieren. Bei ihnen wirkt das Wertgesetz spontan und bewirkt große Zerstörung. Aber wir sollten die Dinge so organisieren, dass es weniger Opfer gibt. Das Wertgesetz muss bei uns bewusst angewendet werden.
Frage:
In der Kommission (die das Lehrwerk erarbeitet hat – Übers.) bestand Verwirrung und eine Diskussion darüber, ob es in der sowjetischen Ökonomie noch Waren gibt. Obwohl die Mehrheit dieser Meinung war, war der Autor dafür, eher von Produkten zu sprechen.
Stalin:
Wir haben eine Geldwirtschaft, woraus folgt, dass es auch noch Waren gibt. Alle Kategorien (des Kapitalismus – Übers.) bleiben erhalten, aber sie nehmen einen neuen Charakter an. Für sie (die Kapitalisten – Übers.) dient Geld als Mittel der Ausbeutung, aber bei uns hat es einen anderen Inhalt.
Frage:
Bislang wurde das Wertgesetz als ein Gesetz des spontanen Marktes beschrieben, das auch spontan die Arbeitskraft verteilt. Stimmt das?
Stalin:
Das ist nicht richtig. Es geht nicht an, die Frage einzuengen. Trotzki hat wiederholt das Geld auf ein Mittel der Kalkulation reduziert. Darauf bestand er, bevor wir zur NÖP übergingen (NÖP=Neues Ökonomisches System, das den Kapitalismus in bestimmten Grenzen für ein Jahr – 1921 bis 1922 – in der Sowjetunion zuließ – Übers.), aber auch noch danach. Das ist nicht richtig. Wir antworteten ihm: Wenn ein Arbeiter irgendetwas kauft, kalkuliert er dann mit Geld oder macht er etwas ganz anderes? Mehr als einmal haben Lenin und das Politbüro darauf hingewiesen, dass es nicht richtig ist, die Frage so zu stellen, dass es also nicht richtig ist, die Rolle des Geldes auf ein Kalkulationsmittel zu reduzieren.
Bemerkung eines Anwesenden:
Den Begriff ‚Mehrprodukt‘ im Sozialismus zu verwenden ist peinlich.
Stalin:
Ganz im Gegenteil. Wir müssen den Arbeitern sagen, dass wir das Mehrprodukt brauchen und dass ihre Verantwortung steigt. Die Arbeiter müssen verstehen, dass sie nicht nur für sich selbst und ihre Familien produzieren, sondern auch, um Reserven für das Land zu erwirtschaften und die Verteidigungskraft zu erhöhen usw.
Bemerkung:
Marx hat in seiner ‚Kritik des Gothaer Programms‘ nichts vom Mehrprodukt geschrieben.
Stalin:
Wenn Sie immer nach einer Antwort bei Marx suchen, kommen Sie vom Weg ab. In der UdSSR haben Sie ein Labor, das nun schon seit mehr als 20 Jahre existiert, und Sie meinen, dass Marx mehr wusste als wir über den Sozialismus inzwischen wissen? Marx hat nicht dieses oder jenes in seiner ‚Kritik am Gothaer Programm‘ vorhergesagt! Sie müssen mit ihrem eigenen Kopf arbeiten und nicht Zitate miteinander verbinden. Es gibt neue Fakten und eine neue Kräftekonstellation. Seien Sie bitte so gut und arbeiten Sie mit Ihrem Kopf!
Über Löhne und den Arbeitstag
Stalin:
Ein paar Worte zu den Löhnen, zum Arbeitstag, zum Einkommen der Arbeiter, zu den Bauern und zur Intelligenz. Das Lehrwerk zeigt nicht auf, dass Menschen nicht deshalb arbeiten, weil Marxisten an der Macht sind oder weil die Wirtschaft geplant wird, sondern weil sie Interesse an ihrer Arbeit haben. Wir hängen an unseren Interessen. Arbeiter sind keine Idealisten und keine idealen Menschen. Einige meinen, dass es unmöglich sei, die Wirtschaft auf der Basis von gleichen Löhnen zu leiten. Es gab Theorien über kollektive Löhne und über die Kommune in der Fabrik. Damit kann man die Industrie aber nicht voranbringen. Bei uns wird der Plan erfüllt oder übererfüllt, weil wir den Arbeiter nach Akkord bezahlen, weil wir für die Leitungen das Prämiensystem haben und weil wir Belohnungen haben für Bauern, die besser arbeiten. Vor nicht allzu langer Zeit verabschiedete auch die Ukraine ein solches Gesetz.
Ich werde Ihnen von zwei Fällen erzählen:
In der Kohleindustrie gab es vor ein paar Jahren die Situation, dass die Leute, die über der Erde gearbeitet haben, mehr verdienten als die Arbeiter unter der Erde. Der Ingenieur, der in seinem Büro saß, erhielt anderthalb mal mehr als die, die in den Minen gearbeitet haben. Die Betriebsleiter und Manager wollten sich die besten Ingenieure heranziehen und sie in ihrer Nähe haben. Wenn etwas geschafft werden soll, dann müssen die Menschen ein Interesse daran haben. Als die Löhne für die Untertage Arbeitenden angehoben wurden, dann tat sich etwas. Die Frage der Löhne ist also eine wichtige Sache.
Ein anderes Beispiel:
die Baumwollproduktion. Seit vier Jahren steigt laufend die Baumwollproduktion, und der Grund ist, dass das Prämiensystem geändert wurde. Sie erhalten mehr entsprechend dem, was in einem bestimmten Gebiet geerntet wurde. Die Leute wissen, was für sie am besten ist.
Das Prämiengesetz für die ‚kolchosniki‘ in der Ukraine hat eine ganz außergewöhnliche Bedeutung. Erweckt das Interesse der Menschen und die Menschen werden vorankommen, werden sich weiterqualifizieren, werden besser arbeiten. Sie erkennen, was ihnen mehr einbringt. Es gab eine Zeit, da wurde die Intelligenz und da wurden qualifizierte Arbeiter schief angesehen. Es war dumm von uns, dass wir keine richtigen Produktionsbedingungen geschaffen haben.
Sie reden viel von Stalins sechs Bedingungen (bezieht sich auf die sechs Punkte, die Stalin zehn Jahre früher in einer Rede auf einer Wirtschaftskonferenz ansprach – Übers.). Sie meinen wohl, das ist etwas Neues. Es wurden nur Sachen von mir gesagt, die jedermann ohnehin weiß, aber die wir vergessen haben. Akkordarbeit für Arbeiter, Prämien für die Ingenieure, Belohnungen für die ‚kolchosniki‘ – das sind die Hebel, um Industrie und Landwirtschaft zu entwickeln. Nutzt diese Hebel und es wird keine Grenzen des Produktionswachstums mehr geben. Ohne sie tut sich gar nichts.
Es gab eine Zeit, als wir uns damit brüsteten, dass Facharbeiter und Ingenieure nicht mehr verdienten als gelernte Arbeiter. Engels verstand überhaupt nichts von Produktion und hat das durcheinander gebracht. Das war genauso absurd wie das, was andere dazu gesagt haben. Als ob man ständig die Leitungen auswechseln müsste! Wenn wir diesen Weg gegangen wären, wäre alles auseinandergefallen. Er wollte direkt zum Kommunismus übergehen. Marx und Engels hatten den kompletten Kommunismus im Kopf, als sie schrieben. Der Übergang vom Sozialismus zum Kommunismus ist aber eine schwierige Sache. Wir sind immer noch dabei, den Sozialismus in Fleisch und Blut übergehen zu lassen, und müssen immer noch den Sozialismus in Ordnung bringen, müssen immer noch der Arbeit entsprechend verteilen, weil es notwendig ist.
Wir haben Schmutz in den Fabriken und wollen direkt zum Kommunismus übergehen! Und wer wird Sie hereinlassen? Sie wühlen im Abfall, aber wünschen sich den Kommunismus! Vor zwei Jahren haben sie in einem größeren Werk noch Hühner und Gänse gezüchtet. Was soll dabei herauskommen? Schmutzigen Leute ist der Zugang zum Kommunismus verwehrt. Wir müssen aufhören, Schweine zu sein! Sie reden vom Übergang zum Kommunismus, und Engels wollte gleich direkt zu ihm übergehen und begeisterte sich dafür.
Molotow:
Auf Seite 333 (des Lehrbuch-Entwurfes – Übers.) steht:
„Der entscheidende Vorteil des Artels (eine Art Kolchose – Übers.) besteht darin, dass dort das persönliche Interesse der Bauern mit ihren sozialen Interessen erfolgreich koordiniert wird.“
Stalin:
Diese Umschreibung ist abwegig. Worin besteht die richtige Abstimmung der persönlichen Interessen mit denen der Gesellschaft? Das ist eine leere Phrase; es ist viel zu wenig konkret. Es hat den Anschein, dass alles schon vernünftig funktioniert. Aber davon sind wir weit entfernt. Im Prinzip haben wir diese Fragen richtig gelöst, aber in der Praxis wird vieles nach wie vor falsch gemacht und ist wenig erfolgreich. Das muss erklärt werden. Die soziale Ökonomie hat Vorrang.
Ebenso ist es notwendig, die Frage des Stückakkords und des Akkordlohns aufzuwerfen. Es gab eine Zeit, da war dies sehr schwierig, weil das Akkordsystem nicht verstanden wurde. Um ein Beispiel zu nennen:
Eine französische Gewerkschaftsdelegation kam zu uns und fragte uns, weshalb wir die Akkordarbeit und das Prämiensystem haben, obwohl die Arbeiter unter kapitalistischen Bedingungen dagegen kämpfen. Inzwischen versteht jeder, dass es ohne die Aktivisten und ohne Akkordarbeiter es keine Stachanow-Bewegung und keine Stoßarbeiter geben würde (Stachanow war eine sowjetischer Bergarbeiter, der sich für die Übererfüllung des Plans einsetzte – Übers.). Im Prinzip ist diese Frage eindeutig, aber in der Praxis haben wir endlose Skandale. 1949 müssen wir zu dem Beschluss von 1933 zurückkehren und ihn noch einmal stellen. Es gibt Kräfte, die uns in eine andere Richtung drängen. Der Betriebsleiter möchte gute Ingenieure um sich herum haben. Sie beschönigen die Realität viel zu sehr. Wir sind noch gar nicht so weit wie wir gerne sein möchten. Wir brauchen eine Kritik an unserer praktischen Arbeit.
Über Faschismus
Stalin:
Einige Bemerkungen zur faschistischen Ideologie. Sie (die Faschisten – Übers.) tun so, als ob sie Sozialismus haben. Ökonomen müssen das entlarven.
Hitler sagt:
„Staat, Volk! … Unsere Kapitalisten erhalten nur 8 Prozent, genug für sie!“
Diese Frage sollte im Zusammenhang mit der Frage der Konkurrenz und der anarchischen Produktion gestellt werden, mit den Bemühungen der Kapitalisten, Konkurrenz zu vermeiden sowie mit der Theorie vom Ultra-Imperialismus. Wir müssen aufzeigen, dass sie keine Zukunft haben. Sie machen Propaganda für das kooperative System, so als ob es über der Arbeiterklasse und über den Kapitalisten stünde und als ob der Staat sich um die Arbeiter kümmern würde. Sie gehen sogar so weit, dass sie einzelne Kapitalisten verhaften (es stimmt, dass Thyssen davon gelaufen ist). Wir müssen sagen, dass das alles Demagogie ist, dass dies der Druck eines bürgerlichen Staates gegen vereinzelte und isolierte Kapitalisten ist, die sich nicht der Klassendisziplin des Staates unterwerfen wollen.
Sie müssen all dies in dem ersten Abschnitt über die Bildung der Kartelle und über die gescheiterten Versuche zu planen darstellen. Dann sprechen Sie das noch einmal in dem Abschnitt über den Sozialismus an. Wer, Herr Faschist, ist der Eigentümer der Produktionsmittel? Es sind Einzelkapitalisten und Gruppen von Kapitalisten, was bedeutet: Sie können keine richtige Planung haben. Es wird nur einige Schnipsel an Planung geben, weil die Wirtschaft unter Gruppen von Eigentümern aufgeteilt ist.
Frage:
Sollten wir den Begriff ‚Faschisten‘ verwenden?
Stalin:
Nennt sie doch so, wie sie sich selbst nennen: die Italiener Faschisten, die Deutschen Nationalsozialisten.
Zu mir ins Büro kam Wells (H. G. Wells, britischer Schriftsteller, der Stalin 1934 traf – Übers.), und er meinte, er wolle die Arbeiter nicht an der Macht, aber auch nicht die Kapitalisten. Er möchte, dass die Ingenieure regieren. Er sagte, er sei für Präsident Roosevelt, den er gut kennt und von dem er als einen ehrlichen Mann spricht, der sich für den Mann aus der Arbeiterklasse einsetzt. Solche Ideen haben sich bei den Faschisten einen besonderen Platz erobert.
Übrigens, da wir bei den Utopisten sind. Auch hier müssen wir die Idee der Klassenversöhnung kritisch sehen. Es gibt natürlich einen Unterschied zwischen der Position der Utopisten und der der Faschisten. Der Unterschied fällt zugunsten der Utopisten aus, aber diese Idee durchgehen zu lassen, ist nicht angebracht. Owen (britischer Utopist, Unternehmer und Sozialreformer des 19. Jahrhunderts – Übers.) würde sich schämen, wenn er sich mit Faschisten in derselben Gesellschaft wiederfände, aber er muss kritisiert werden.
Die ausfallende Sprache muss vollständig aus dem Buch verschwinden. Beleidigungen überzeugen niemanden, und aller Wahrscheinlichkeit nach erreicht man damit nur das Gegenteil. Der Leser wird hellhörig und denkt sich: „Wenn es der Autor nötig hat, andere zu beschimpfen, dann hat er anscheinend ein Problem.“
Sie müssen so schreiben, dass es so rüber kommt, dass nicht alles, was sie (gemeint: die Utopisten – Übers.) betrifft, schlecht ist, und dass nicht alles, was uns betrifft, gut ist. Nicht alles übertreiben.
Bemerkung eines Anwesenden:
Hier steht, dass der Staat den Plan praktisch für alle festlegt.
Stalin:
Das ist Unsinn. Im Allgemeinen wird im Abschnitt über den Sozialismus zu viel herumphilosophiert. Sie müssen einfacher schreiben.
Frage:
Ist das Kapitel ‚Vorbereitung der kapitalistischen Produktionsweise‘ richtig überschrieben? Das hört sich an, als ob es eine bewusste Vorbereitung gab.
Stalin:
Das ist eine Frage der Terminologie. Man kann das Wort ‚vorbereitet‘ durchaus verwenden. Es geht um die Entstehung (des Kapitalismus – Übers.) und um das Setzen der Voraussetzungen.
Übrigens: Ich habe eine weitere Frage zur Anbahnung der sozialistischen Produktionsweise. Es steht hier, dass der Sozialismus nicht im Schoß des Kapitalismus entstanden ist. Das muss erklärt werden. Die materiellen Voraussetzungen entstehen im Schoß des Kapitalismus. Die objektiven und subjektiven Voraussetzungen werden im Kapitalismus geschaffen. Es gibt keinen Grund zu vergessen, dass wir aus dem Kapitalismus entstanden sind.
(Quelle: ARAN fond 1705, opis 1, delo 166, listy 14-26. Aus dem Russischen ins Englische übersetzt von Ethan Pollock).
Dokument 2:
Aufzeichnungen vom Treffen am 22. Februar 1950, 11:15 bis 11:45 abends in Stalins Büro im Kreml. Ostrowitjanow führte das Protokoll. Anwesend waren: Stalin, Malenkow, Judin, Ostrowitjanow und Leontjew.Stalin:
Es gibt zwei verschiedene Versionen des Entwurfs zum Lehrbuch Politische Ökonomie. Aber trotzdem gibt es keine nennenswerten Unterschiede zwischen ihnen, weder was ihre Herangehensweise an Fragen der Politischen Ökonomie noch was das Verständnis dieser Fragen angeht. Also gibt es nicht genug Material für die beiden Versionen. Leontjews Version sollte als Grundlage genommen werden.
Das Lehrbuch sollte eine konkrete Kritik am amerikanischen Imperialismus enthalten. Benutzt das Material, das dazu im ‚Bolschewik‘ oder in ‚Voprosy ekonomiki‘ erschienen ist.
Leute, die nichts mit wirtschaftlichen Beziehungen am Hut haben, werden keine Unterschiede sehen zwischen der Volksrepublik China und den Volksdemokratien in Zentral- und Osteuropa, darunter die Volksrepublik Polen. Inzwischen unterscheiden sich die chinesische und die polnische Volksrepublik.
Die Volksdemokratien kennzeichnet Folgendes:
- Die Diktatur des Proletariats;
- Die Verstaatlichung der Industrie;
- Die führende Rolle der kommunistischen und Arbeiterpartei;
- Der Übergang vom Aufbau des Sozialismus in der Stadt zu dem auf dem Lande.
- In China existiert eine demokratische Diktatur des Proletariats und der Bauernschaft.
- China litt unter dem Druck der ausländischen Bourgeoisie. Deshalb war die chinesische nationale Bourgeoisie Teil der Revolution.
- In China geht es um die Beseitigung der feudalen Abhängigkeiten. In dieser Beziehung ähnelt die chinesische Revolution der französischen.
- Die Besonderheit der Chinesischen Revolution ergibt sich aus der Existenz der kommunistischen Partei.
Die Tatsache, dass unsere Kader keine fundierte Ausbildung in Ökonomie haben, erklärt die Verwirrung, die es in dieser Frage gibt.
Eine Kommission sollte gebildet werden aus Malenkow, Leontjew, Ostrowitjanow und Judin, um den Entwurf innerhalb eines Monats zu überarbeiten.
(Quelle: RGASPI, fond 17, opis 133, delo 41, listy 5-6, aus dem Russischen ins Englische übersetzt von Ethan Pollock).
Dokument 3:
Erneutes Treffen zwischen Stalin und den Autoren des neuen Lehrbuchs im April 1950. Teilnehmer der Besprechung: Stalin, Leontjew, Ostrowitjanow, Judin und Schepilow. Das Protokoll führten Leontjew, Ostrowitjanow, Judin und SchepilowStalin:
Ich möchte ein paar kritische Bemerkungen zum neuen Entwurf des Lehrbuchs zur Politischen Ökonomie machen:
Ich habe ungefähr 100 Seiten über die vorkapitalistische Formation und den Kapitalismus gelesen. In den Abschnitt ‚Sozialismus‘ habe ich nur reingeschaut. Darüber werde ich später etwas sagen. Heute geht es mir um ein paar Mängel, was den Abschnitt über den Kapitalismus und über die vorkapitalistische Formation betrifft.
Die Kommission (also der Arbeitskreis aus Malenkow, Judin, Leontjew und Ostrowitjanow, den Stalin im Februar beauftragt hatte, die erste Version des Entwurfs neu zu überarbeiten, vgl. Dokument 1 – Übers.) hat einen falschen Weg eingeschlagen. Ich hatte gesagt, dass Sie die erste Version als Grundlage für den Entwurf nehmen sollten. Aber Sie haben das anscheinend so verstanden, dass der Lehrbuchentwurf eigentlich gar nicht überarbeitet zu werden brauchte. Das stimmt nicht. Er muss grundlegend überarbeitet werden.
Der erste und schlimmste Mangel des Lehrbuchs besteht darin, dass er ein völliges Unverständnis des Marxismus zeigt.
Das zeigt sich anhand der fehlerhaften Beschreibung der Manufaktur- und Maschinenperiode des Kapitalismus. Der Abschnitt über die Manufakturperiode ist viel zu aufgebläht. Er umfasst 10 Seiten – mehr als der über die Maschinenperiode. Eigentlich fehlt diese Periode vollständig. Sie ist verschwunden. Es gibt kein eigenes Kapitel dazu. Dazu findet man nur ein paar Seiten im Kapitel über ‚Kapital und Mehrwert‘. Nehmen wir Marx ‚Kapital‘. Im ‚Kapital‘ umfasst die Periode der Manufaktur 28 Seiten, aber die Maschinenperiode umfasst 110 Seiten, und dann spricht Marx noch häufig in anderen Kapiteln über die Maschinenperiode des Kapitalismus.
Ein Marxist wie Lenin hat in seinem Werk ‚Die Entwicklung des Kapitalismus in Russland‘ der Maschinenperiode sein Hauptaugenmerk gewidmet. Ohne Maschinen – kein Kapitalismus. Maschinen bilden die Grundlage der revolutionären Macht, die die Gesellschaft umgestaltet hat.
Das Lehrbuch zeigt nicht, was das Maschinensystem ist. Es verliert genau ein Wort darüber. Deshalb ist das gesamte Bild der Entwicklung der Kapitalismus verzerrt.
Die Manufaktur gründete auf Handwerk und Handarbeit. Die Maschine ersetzte die Handarbeit. Maschinenproduktion – das ist groß angelegte Produktion und die Basis des Maschinensystems.
Sie dürfen nicht vergessen, dass unsere Kader und jungen Leute sieben bis zehn Jahre Schulausbildung haben. Sie interessieren sich für alles. Sie sehen sich Marx‘ ‚Kapital‘ an und Lenins Werke und fragen sich: ‚Weshalb wird das hier ganz anders beschrieben als bei Marx und Lenin?‘
Das ist der Hauptmangel. Sie müssen die Geschichte des Kapitalismus so beschreiben wie Marx und Lenin es getan haben. Ein eigenes Kapitel über das Maschinensystem ist notwendig und das Kapitel über die Manufakturen sollte gestrichen werden.
Der zweite Hauptmangel im Lehrbuch besteht darin, dass es keine Analyse der Löhne gibt. Die wichtigsten Fragen werden nicht angesprochen. Der Abschnitt über den vormonopolistischen Kapitalismus beschreibt die Löhne so wie Marx es getan hat. Die Löhne werden aber nicht beim Monopolkapitalismus angesprochen. Seit Marx ist viel Zeit vergangen.
Was sind denn Löhne? Sie bestehen aus dem, was man zum Lebensunterhalt braucht, plus Ersparnisse. Sie müssen zeigen, was das ist, was der Nominallohn und was der Reallohn ist. Das muss klar rauskommen. Wir befinden uns heute in einem Kampf mit dem Kapitalismus über die Löhne. Nennen Sie Beispiele aus dem Leben. In Frankreich, wo der Geldwert fällt, kriegen sie heute Millionen, aber man kann damit nichts mehr davon kaufen. Die Engländer behaupten, dass sie die höchsten Löhne haben und billige Waren. Aber wenn sie das tun, dann vertuschen sie damit, dass die Löhne zwar hoch sein mögen, aber trotzdem noch nicht einmal für den Lebensunterhalt ausreichen, ganz abgesehen von den Ersparnissen. In England sind die Preise für einige Produkte zwar niedrig, wie für Brot und Fleisch zum Beispiel, aber die Arbeiter bekommen das nur zugeteilt nach Rationen und in begrenztem Umfang. Alle anderen Lebensmittel muss man zu hohen Preisen auf den Märkten kaufen. Es gibt die verschiedensten Preise. Die Amerikaner geben mit ihrem hohen Lebensstandard an, aber wenn man ihre eigenen Statistiken nimmt, erhalten zwei von drei Arbeitern nicht genug zum Leben. All diese kapitalistischen Tricks müssen entlarvt werden. Mit Hilfe konkreter Fakten müssen wir aufzeigen, dass die gleichen englischen Arbeiter, die lange Zeit von den Superprofiten aus den Kolonien profitiert haben, einen fallenden Reallohn haben, weil das Absinken der Reallöhne für den Kapitalismus typisch ist.
Wir können gleichzeitig zeigen, dass während des Bürgerkrieges bei uns jeder ein Millionär war. Während des Krieges hatten wir die niedrigsten Preise; Brot wurde für einen Rubel pro Kilo verkauft, aber die Lebensmittel waren festgelegt.
Wir berechnen Löhne ganz anders. Wir müssen mit konkreten Fakten arbeiten, um zu zeigen, wie es hier mit den Reallöhnen aussieht. Das hat große revolutionäre und propagandistische Bedeutung.
Es wäre angebracht, in dem Abschnitt über den Monopolkapitalismus auf die Frage der Löhne zurückzukommen und zu zeigen, wie es wirklich funktioniert.
Im Lehrbuch findet sich ein langes Kapitel über die ursprüngliche Akkumulation. Darüber braucht man nicht viele Worte zu verlieren, man kann es auf zwei Seiten abhandeln. Hier im Lehrbuch wird es dargestellt, so als ob eine Gräfin die Bauern von ihrem Land vertrieben hätte. Wen wollen Sie damit beeindrucken? Es gibt wichtigere Dinge. Die Epoche des Imperialismus liefert uns bessere Fakten.
Zur Anlage des Buches:
Der Abschnitt über den Kapitalismus sollte in zwei Abschnitte untergliedert werden: Unter ‚A‘ handeln Sie den vormonopolistischen Kapitalismus ab und unter ‚B‘ den Monopolkapitalismus.
Zum Thema Politische Ökonomie
Im Lehrbuch gibt es keine Definition des Gegenstandes der Politischen Ökonomie, stattdessen eine Art Einführung. Es besteht ein Unterschied zwischen der Definition des Gegenstandes der Politischen Ökonomie und einer Einführung. In diesem Sinne ist die zweite Version näher an dem, was wirklich vonnöten wäre, obwohl wir auch hier nur eine Einführung haben, in der einige der ökonomischen Begriffe von Marx erklärt werden. Der Leser erhält den Eindruck, dass das Werk von Marx und das von Lenin das gleiche ist.
Sie schreiben, dass die Politische Ökonomie die Produktionsverhältnisse untersucht. Aber das versteht nicht jeder. Dann schreiben sie, dass die Politische Ökonomie die Beziehungen zwischen Produktion und Austausch untersucht. Das stimmt nicht. Nehmen wir den Austausch. Im primitiven Kommune-System gab es keinen Austausch. Auch im Sklavenhaltersystem war er unterentwickelt. Auch die Sprache ist wieder unangemessen. All dies trifft auch nicht vollständig auf den Sozialismus zu. Man muss sagen:
Politische Ökonomie beschäftigt sich mit der Produktion und der Verteilung von materiellen Gütern, und das trifft auf alle Perioden zu. Produktion ist das Verhältnis von Menschen zur Natur und Verteilung handelt davon, wo der produzierte Reichtum hingeht. Das ist reine Ökonomie.
Im Lehrbuch wird keine Verbindung hergestellt zwischen dem primitiven Kommune-System und der Politischen Ökonomie. Marx beginnt sein ‚Kapital‘ mit der Ware. Aber Sie beginnen aus irgendeinem Grunde mit dem primitiven Kommune-System. Sie müssen das begründen.
Es gibt zwei Methoden der Beschreibung: Die erste ist abstrakt und analytisch und beginnt allgemein und abstrakt und fügt dann historisches Material hinzu. Diese Methode (die Marx im ‚Kapital‘ verwendet) wendet sich an Leute mit höherem Bildungsgrad. Die andere Methode ist historisch. Sie beschreibt die historische Entwicklung verschiedener ökonomischer Systeme und benutzt historisches Material für ein grobes Verständnis. Wenn Sie beabsichtigen, dass die Masse der Menschen die Mehrwerttheorie versteht, dann müssen Sie die Frage von der Entstehung des Mehrwerts her aufrollen. Diese historische Methode wendet sich an weniger gebildete Menschen. Sie verleiht einen einfacheren Zugang, so dass der Leser nach und nach die Gesetze der ökonomischen Entwicklung versteht (Stalin liest Definitionen der analytischen und der historischen Methode vor).
Engels Schema über das Stadium der Wildheit und die Barbarei wird in dem Lehrwerk verwendet. Das ist völlig nichtsagend. Es ist eine Art von Unsinn! Engels wollte sich da nicht mit Morgan entzweien (Lewis Henry Morgan, US-Anthropologe des 19. Jahrhunderts – Übers.), der sich an der Stelle dem Materialismus annäherte. Aber das war Engels Sache. Was geht das uns an? Wollen Sie damit sagen, dass wir schlechte Marxisten sind, wenn wir an die Sache nicht so herangehen wie Engels das getan hat? Weit gefehlt! Es liest sich wie ein Müllhaufen: Das Steinzeitalter, das Bronzezeitalter, das Stammessystem, das Matriarchat, das Patriarchat, dann Wildheit und Barbarei. Das verwirrt den Leser doch nur. Wildheit und Barbarei – das sind herabwürdigende Namen, die von sog. Zivilisierten verwendet werden.
Es gibt da viel Geschwätz, leere und unnötige Worte und viele historische Exkurse. Ich habe hundert Seiten gelesen und zehn davon ausgestrichen und hätte noch viel mehr streichen können. Es darf in dem Lehrbuch nicht ein einziges überflüssiges Wort geben! Die Beschreibung sollte wie eine polierte Statue sein. Dann gibt es am Schluss des Abschnitts noch einige Angriffe auf die Imperialisten: Ja – ihr seid Imperialisten, also Schurken, Sklaventreiber, Feudalherrn. Das sind alles Komsomol-Witze, Komsomol-Transparente. Das verschlingt viel Zeit zu lesen und überfrachtet die Köpfe der Leser. Wir sollten an die Intelligenz der Menschen appellieren!
Sie schreiben, dass Thomas Morus und Campanella (Morus, englischer Humanist des 16. Jahrhunderts; Campanella, italienischer Utopist des siebzehnten Jahrhunderts – Übers.) Individualisten waren und keinen Kontakt zu den Massen hatten. Das ist einfach lächerlich! Soll das wirklich so gewesen sein? Und wenn sie Kontakt zu den Massen hatten, was hätte sich daraus ergeben? Der Stand der Entwicklung der Produktivkräfte machte damals die Ungleichheit erforderlich. Diese Ungleichheit konnte unmöglich zu der Zeit beseitigt werden. Die Utopisten kannten die Gesetze der sozialen Entwicklung nicht. Sie standen für eine idealistische Interpretation.
Unsere Kader müssen die marxistische Ökonomie gut kennen. Die erste, ältere Generation von Bolschewiki war noch versiert im Marxismus. Wir lernten das ‚Kapital‘ auswendig, wir verfassten Zusammenfassungen, argumentierten und prüften uns gegenseitig. Das war unsere Stärke. Das half uns sehr viel. Die zweite Generation hatte weniger gut fundiertes Wissen. Sie beschäftigte sich mit der praktischen Arbeit und mit dem Aufbau. Sie studierte den Marxismus mit Hilfe von Broschüren.
Die dritte Generation ist nur noch mit Pamphleten und Zeitungsartikeln aufgewachsen. Sie hat kein tiefes Verständnis des Marxismus mehr. Sie braucht leicht verdauliche Kost. Die Mehrheit von ihnen wurde durch Zitate erzogen, nicht durch das Studium von Marx und Lenin. Wenn das so weitergeht, werden die Menschen herunterkommen. Es kann dann sein, dass die Leute meinen, sie brauchten das ‚Kapital‘ nicht mehr, wenn wir den Sozialismus aufbauen. Hier liegt die Gefahr des Verfalls. Das wird der Tod sein. Um das auch nur teilweise abzuwenden, ist es nötig, das Niveau des ökonomischen Verständnisses anzuheben.
Der Umfang des Lehrbuchs ist unangemessen. Es ist auf 766 Seiten angeschwollen. Es dürfen nicht mehr als 500 Seiten sein, davon die Hälfte über die vorsozialistische Formation und die andere über den Sozialismus (das Lehrbuch hatte dann doch nach Stalins Tod 720 Seiten – Übers.).
Die Autoren der ersten Version des Lehrbuches haben es unterlassen, die Begriffe, die Marx im ‚Kapital‘ verwendet, zu umschreiben. Die Begriffe, die von Marx und Lenin oft verwendet werden, müssen gleich von Anfang an erläutert werden, um den Leser zu befähigen, damit er in die Lage versetzt wird, das ‚Kapital‘ zu verstehen, aber auch andere Werke von Marx und Lenin.
Es ist schlecht, dass es in der Kommission keine Meinungsverschiedenheiten gibt und deshalb auch keine Auseinandersetzungen über theoretische Fragen. Und dabei arbeiten Sie an einem historischen Projekt! Alle werden dieses Lehrwerk lesen. Die Sowjetmacht gibt es nun 33 Jahre, und wir besitzen immer noch kein Buch über Politische Ökonomie. Alle warten darauf.
Die literarische Seite des Buches ist dürftig. Es wird viel herumgeschwatzt, es gibt viele historische Exkurse und Exkurse in Kulturgeschichte. Das ist aber kein Lehrbuch der Kulturgeschichte. Von diesen Exkursen muss es weniger geben. Verwenden Sie sie nur, wenn es nötig ist, eine theoretische Position zu illustrieren.
Nehmen Sie Marx‘ ‚Kapital‘ und Lenins ‚Entwicklung des Kapitalismus‘ und lassen Sie sich davon bei Ihrer Arbeit leiten.
Wenn das Lehrbuch fertig ist, wird es vor den Richterstuhl der öffentlichen Meinung gestellt werden.
Ich habe noch eine Anmerkung. Die Beschreibung des Kapitalismus in dem Lehrbuch bezieht sich nur auf die Industrie. Aber Sie müssen die gesamte Industrie im Auge haben. Im ‚Kapital‘ konzentrierte sich Marx auch auf die Frage der Industrie. Aber vor uns stehen andere Aufgaben. Er hatte den Kapitalismus zu entlarven und seine Verwerflichkeit zu zeigen. Marx verstand die Ökonomie als Ganze. Das ergibt sich schon aus seiner Interpretation von Quesnays Wirtschaftsstatistiken (Francois Quesnay, franz. Physiokrat des 18. Jahrhunderts, der sich mit der Bedeutung der Landwirtschaft befasste – Übers.). Es geht nicht an, landwirtschaftliche Fragen nur in dem Kapitel über die Pacht zu behandeln.
Wir haben den Kapitalismus nicht nur demaskiert, wir haben ihn gestürzt und sind an der Macht. Wir wissen, welche Bedeutung und welches Gewicht die Landwirtschaft in unserer Ökonomie hat.
Wie bei Marx wird der Landwirtschaft nicht genügend Beachtung geschenkt. Das muss korrigiert werden.
Wir müssen die Gesetze der Ökonomie in ihrer Gesamtheit sehen. Vergessen Sie nicht die agrarischen Verhältnisse im Kapitalismus oder im Sozialismus!
(Quelle: RGASPI, fond 17, opis 133, delo 41, listy 18-25; aus dem Russischen ins Englische übersetzt von Ethan Pollock).
Dokument 4:
Das Treffen fand von 7 Uhr abends bis 8 Uhr am 30. Mai 1950 in Stalins Büro im Kreml statt. Teilnehmer: Stalin, Malenkow, Judin, Schepilow, Leontjew, Laptjew, Ostrowitjanow und Paschkow. Das Protokoll führten Leontjew, Laptjew und Ostrowitjanow.Stalin:
Wie wollen Sie den Text über den vormonopolistischen Kapitalismus anordnen, kapitelweise?
Durch einzelne Kapitel wird nichts erreicht. Ein allgemeines Bild ist vonnöten. Deshalb habe ich Sie ja gebeten, alle Kapitel sofort vorzulegen. Es ist unmöglich, nur ein einzelnes Kapitel durchzusehen. Es ist notwendig, den vormonopolistischen Kapitalismus als Ganzes darzustellen und auch eine Zusammenfassung von den entsprechenden wirtschaftlichen Bedingungen zu geben, indem Sie die Kritik von Marx an der vorangegangenen Politischen Ökonomie wiedergeben.
Wie schlagen Sie vor, in dem Abschnitt zum vormonopolistischen Kapitalismus die ursprüngliche Akkumulation zu beschreiben – in getrennten Kapiteln?
Antwort:
Nein, durch das Kapitel über den Aufstieg des Kapitalismus.
Stalin:
Sie wollen das Thema ‚Kaufmannskapitals und Handelsgewinne‘ nur im 13. Kapitel beschreiben, wonach dann die Merkmale des Industriekapitals beschrieben werden. Das ist historisch gesehen falsch.
Die Analyse des Kaufmannskapitals sollte vorne stehen. Ich würde das Thema Kaufmannskapital vor das Auftreten der kapitalistischen Produktionsweise stellen. Das Kaufmannskapital geht dem Industriekapital voraus. Dieses Kapital läutet den Beginn der Manufakturperiode ein.
Bemerkung einer der Anwesenden:
Wir wollen uns mit dem Kaufmannskapital und dem Handelsgewinn in den Kapiteln über die gestiegenen Kosten im Kapitalismus beschäftigen. In dem Kapitel über den Feudalismus wollen wir die Rolle des Kaufmannskapitals nur in dieser Periode ansprechen.
Stalin:
Dann ist aber die Überschrift nicht sinnvoll. Nennen Sie das Kapitel ‚Gewinn aus dem Handel‘, sonst werden die Leser denken, dass das Kaufmannskapital nur in der Periode der mechanisierten Industrie auftrat, und das wäre historisch gesehen falsch.
Im Lehrbuch vermisst man die historische Methode. In der Einführung schreiben Sie, dass die Beschreibung nach der historischen Methoden erfolgen soll, aber Sie vermeiden sie ja. Die historische Methode brauchen wir aber in diesem Lehrwerk. Ohne sie geht es nicht. Niemand von Ihnen weiß, weshalb das Thema Kaufmannskapital hinter die Darstellung der Maschinenperiode gestellt wurde.
Sie haben den Abschnitt über den Feudalismus schlecht geschrieben. Er ist bizarr und populistisch, so als ob ein Opa seinen Kindern eine Geschichte erzählt. In diesem Abschnitt kommt alles wie aus dem Nichts: plötzlich treten Feudalherrn auf, Handel und Käufer erscheinen wie Puppen auf der Bühne.
Stellen Sie sich mal die Zuschauer vor, für die Sie schreiben. Denken Sie nicht, dass das Anfänger sind. Denken Sie daran, dass das Leute sind, die das achte bis zehnte Schuljahr abgeschlossen haben. Sie erklären solche Worte wie ‚Regulierung‘. Aber glauben Sie denn nicht, dass das nicht auch ohne Erklärung verstanden wird? Die Sprache ist falsch; Sie beschreiben die Dinge so, als ob Sie Märchen erzählen würden.
In dem Kapitel über den Feudalismus schreiben Sie, dass die Stadt erneut vom Land getrennt wurde. Das erste Mal, dass die Stadt vom Land getrennt wurde, soll in der Sklavenhaltergesellschaft gewesen sein und das zweite Mal im Feudalismus. Das ist Unsinn. Das hört sich so an, als ob die Städte zusammen mit der Sklaverei untergegangen wären. Die Städte begannen sich in der Sklavenhaltergesellschaft zu entwickeln. In der feudalen Periode blieben die Städte erhalten. Es stimmt zwar, dass die Städte sich zuerst nur schwach entwickelten, aber dann doch sehr stark. Der Unterschied zwischen Stadt und Land blieb. Der Handel entwickelte sich im Zusammenhang mit der Entdeckung Amerikas und der Entwicklung der Märkte in den Städten. Reichtum wurde angehäuft.
Im Kapitel über den Feudalismus wird die Entdeckung Amerikas gar nicht erwähnt. Sehr wenig wird über Russland geschrieben. Es muss mehr über Russland geschrieben werden, angefangen mit dem Feudalismus. In dem Kapitel über den Feudalismus muss die feudale Periode in Russland beschrieben werden, bis hin zur Abschaffung der Leibeigenschaft.
Im Feudalismus gab es sehr viele große Städte wie Genf, Venedig oder Florenz. Der Handel wuchs stark an. Florenz war Rom um drei Schritte voraus.
Während der Sklavenhalterzeit haben sich schon größere Städte und eine umfassende Produktion entwickelt. Solange es Sklavenarbeit und billige Arbeitskraft gab, konnte es auch eine umfangreiche Produktion geben und große Anwesen. Sobald aber die Sklavenarbeit verschwand, verschwand diese umfangreiche Produktion, und die großen Güter wurden aufgeteilt. Das Stadtleben, wie es früher vorhanden war, hörte auf zu existieren. Aber die Städte blieben und konnten überleben. Der Handel ging weiter und Schiffe segelten mit 150 Rudern.
Einigen geschichtlichen Schilderungen zufolge scheint es so gewesen zu sein, dass das Mittelalter im Vergleich zur Sklavenhaltergesellschaft einen Niedergang durchmachte und dass es keine Entwicklung nach vorn gab. Aber das stimmt nicht.
In dem Kapitel über den Feudalismus sagen Sie noch nicht einmal, welche Art von Arbeit die Grundlage der Feudalgesellschaft war. Aber Sie müssen aufzeigen, dass in der Antike die Sklavenarbeit die Grundlage war und dass es in der Feudalgesellschaft die Arbeit der Bauern war.
Als sich die größten Güter, die Sklavenarbeit verwendeten, auflösten und die Sklavenarbeit verschwand, gab es auch keine Sklaven mehr, aber die Bauern blieben. Auch in der Sklavenhalterzeit gab es Bauern, aber nur wenige, und sie mussten ständig Angst haben, in die Sklaverei geschickt zu werden.
Das Römische Reich bekämpfte die sog. ‚barbarischen‘ Stämme. Der Feudalismus trat auf, als zwei Gesellschaften aufeinander prallten: auf der einen Seite stand das Römische Reich und auf der anderen die ‚barbarischen‘ Stämme, die gegen Rom kämpften. Sie haben diese Frage vermieden. Sie erwähnen diese ‚barbarischen‘ Stämme noch nicht einmal. Wer waren denn diese Stämme? Es waren Germanen, Slawen, Gallier und andere. Diese Stämme kämpften gegen Rom und besaßen ein kommunales System, das besonders bei den Germanen mit ihren ‚Marken‘ stark ausgeprägt war. Die ländliche Gesellschaft begann, sich mit den Überbleibseln der römischen Sklavenhaltergesellschaft auseinanderzusetzen. Dieses Römische Reich erwies sich lange Zeit als sehr widerstandsfähig und zählebig. Zuerst teilte es sich in zwei Teile: in das westliche und dann in das östliche Reich. Später, als das westliche Reich schon untergegangen war, blieb das oströmische Reich noch lange bestehen.
Es muss klar und präzise herausgearbeitet werden, dass im Feudalismus das Fundament der Gesellschaft die Arbeit der Bauern war.
Wir sagen immer, dass der Kapitalismus in der Tiefe des Feudalismus entstand. Das ist absolut unbestreitbar, aber wir müssen aufzeigen, wie das historisch entstanden ist. Wenn man dies hier liest, dann erfährt man nicht, wie der Kapitalismus in den Tiefen des Feudalismus aufkeimte. Sie haben die Entdeckung Amerikas weggelassen, aber diese Entdeckung ereignete sich im Mittelalter, vor der bürgerlichen Revolution. Sie versuchten, einen Seeweg nach Indien zu finden und stießen dabei auf einen neuen Kontinent. Aber das ist nicht das Wichtigste. Das Wichtige ist, dass sich dadurch der Handel ungemein ausdehnte und dass die Märkte sich ausbreiteten. Dadurch wurden die Bedingungen geschaffen, durch die die ersten kapitalistischen Manufakturbesitzer in der Lage waren, das System der Gilden zu durchbrechen. Es entstand eine große Nachfrage nach Gütern und das Manufakturwesen wuchs an, um diese Nachfrage zu befriedigen. So entstand der Kapitalismus. All dies fehlt in dem Kapitel über die Feudalgesellschaft.
Ein Lehrwerk zu schreiben, ist keine leichte Angelegenheit. Sie müssen sich mehr mit der Geschichte befassen. Sie haben über den Feudalismus geschrieben wie Stückwerk. Sie sind es gewohnt, so ihre Vorlesungen zu halten, ohne Zusammenhang, erst dies und dann das. Sie hören ihnen zu und niemand kritisiert sie.
Das Lehrbuch ist für Millionen von Menschen bestimmt. Es wird nicht nur hier studiert werden, sondern in der ganzen Welt. Es wird von Amerikanern und Chinesen gelesen werden, es wird in allen Ländern studiert werden. Sie müssen sich eine qualifiziertere Leserschaft vorstellen.
Das Sklavenhaltersystem war die erste Klassengesellschaft. Das war die interessanteste Gesellschaftsform vor dem Kapitalismus. Die Plage der klassengeteilten Gesellschaft wurde damals bis auf die Spitze getrieben. Jetzt, wo der Kapitalismus in die Enge getrieben worden ist, greift er auf die Methoden der Sklaverei zurück. In der antiken Welt wurden Kriege geführt, um Sklaven zu bekommen. Aber in unseren Zeiten hat Hitler Kriege angefangen, um ganze Völker zu versklaven, besonders die der Sowjetunion. Das war auch ein Kampf um die Menschen. Hitler sammelte überall Sklaven ein. Er brachte Millionen von ausländischen Arbeitern nach Deutschland – Italiener, Bulgaren und Menschen aus anderen Ländern. Er hatte vor, die Sklaverei wieder einzuführen. Aber er konnte es nicht. Die Schlussfolgerung besteht darin, dass, wenn der Kapitalismus kaputtgeht, er zu den alten und brutalsten Methoden der Sklaverei Zuflucht ergreift.
Bürgerliche Lehrwerke lassen sich aus über die demokratischen Bewegungen in den alten Zeiten und preisen ‚das goldene Zeitalter des Perikles‘. Wir müssen aufzeigen, dass Demokratie in der Welt der Sklaverei die Demokratie der Sklaverei war.
Ich appelliere an Sie, Ihre Arbeit an dem Lehrbuch ernst zu nehmen. Wenn Sie kein Material haben, studieren Sie Bücher, Quellen, fragen Sie wen auch immer. Alle werden das Lehrbuch lesen. Es wird für alle ein Maßstab sein.
Sie müssen das Kapitel über das feudale System neu schreiben. Sie müssen aufzeigen, wie das feudale System entstand. Die Elite der Sklavenhalter wurde beseitigt. Die Sklaverei verfiel. Das Land blieb, der Handel blieb, die Kolonien blieben wie auch die Bauernarbeit. Die Städte blieben. Sie blühten bis zum Ausgang des Mittelalters auf.
Daraus folgt, dass die Beschreibung der kapitalistischen Periode mit der bürgerlichen Revolution in England beginnen sollte, dann in Frankreich und mit der Bauernreform in Russland. Das bessere Material über den Beginn des Kapitalismus sollte im Kapitel über den Feudalismus behandelt werden.
Die Rolle und Bedeutung der staatlichen Macht während des Feudalismus muss aufgezeigt werden. Als das Römische Reich nicht mehr existierte, wurde die Macht, wie auch die wirtschaftlichen Aktivitäten, dezentralisiert. Feudalherrn bekämpften sich gegenseitig. Es entstanden kleine Fürstentümer. Staatliche Macht wurde zur Fiktion. Jeder Landbesitzer hatte seine eigene Verbrauchssteuer. Die Macht musste wieder zentralisiert werden. Später, als die Nationalstaaten entstanden, auf der Basis der nationalen Märkte, wurde sie richtig stark. Der Feudalismus behinderte den Handel. Sie führten die verschiedensten Zölle und Tarife ein. Sie müssen all dies kurz und bündig ansprechen.
Die feudale Gesellschaft ist uns näher. Es ist (in Russland – Übers.) noch gar nicht so lange her. Es lohnt sich, in dem Kapitel auch Russland zu erwähnen, die Bauernreform, wie die Bauern befreit wurden, mit oder ohne Land. Die Grundbesitzer hatten Angst, dass die Bauern von unten befreit würden, deshalb leitete der Staat die Reform von oben ein. Bei uns endete das System der Leibeigenschaft in dem Moment, wo die Bauernreform kam; in Frankreich mit der bürgerlichen Revolution.
Das Kapitel gibt dazu die richtige Beschreibung. Aber alles ist verstreut und nicht komprimiert. Es gibt keine Konsistenz. Die eigentliche Grundlage wird nicht angegeben: die Arbeit war die Grundlage des Feudalsystems.
Ein Zitat von Illych (gemeint Lenin – Übers.) wird herangezogen, um zu zeigen, dass das System der Leibeigenschaft mit dem Stock aufrechterhalten wurde. Dieses Zitat wurde aus dem Zusammenhang gerissen. Lenin hat sich viel mit den ökonomischen Aspekten der Frage beschäftigt. Es ist unmöglich, den Stock 600 oder 700 Jahre lang zu schwingen, um die Menschen zu kontrollieren. Das Entscheidende ist nicht der Stock, sondern dass das Land den Grundbesitzern gehörte. Das Land war die Basis und dazu kam der Stock. Sie benutzen Zitate von Marx und Lenin, ohne daran zu denken, in welchem Bedeutungszusammenhang sie stehen.
Knausern Sie nicht mit ökonomischen Theorien. Wenn man sich mit ihnen vertraut macht, so erhält der Leser ein konkretes Bild von der Epoche. Sie müssen über den Merkantilismus sprechen, über Colbert (Jean-Baptist Colbert, französischer Politiker des 17. Jahrhunderts, Berater von Ludwig XIV. – Übers.). Colbert senkte die Zölle im Land, aber er schirmte den Staat mit hohen Außenzöllen ab, um das Manufaktursystem und die Entwicklung des Kapitals zu fördern. Der Merkantilismus geht der bürgerlichen Revolution voraus.
Ich sollte einen Kommentar dazu schreiben und für Sie eine Seite über die demokratischen Bewegungen in Griechenland und Rom schreiben. In dem Kapitel über die Sklaverei gab es keine Kritik an der bürgerlichen Sichtweise der demokratischen Bewegungen in Griechenland und Rom. Diese Bewegung wird in der bürgerlichen Literatur nicht richtig behandelt, aber auch bei uns in einigen Büchern nicht. Die französischen Revolutionäre verfluchten die Namen der Gracchi (Tiberius und Cajus Gracchus, zwei römische Staatsmänner – Übers.).
Sie müssen das Material nach der historischen Methode präsentieren, da Sie das ja auch angekündigt haben.
Es ist nicht ratsam, bizarre Propaganda zu verwenden und eine populistische Sprache. Es sieht sonst so aus, als ob irgendein Opa ein Märchen erzählt.
Nach Ihrer Darstellung wurden die Städte zweimal vom Land getrennt. Erst gab es eine Trennung, dann blieb es so, und dann nach der Aufhebung wieder getrennt. Aber die alte Stadt im System der Sklavenhaltergesellschaft wurde nicht vom Land aus aufgelöst. Einige Städte haben sich unabhängig vom Land am Ende des Mittelalters weiter entwickelt. Man braucht sich doch nur an Städte wie Venedig und Florenz zu erinnern. Auch an die Hanse. Was für ein Handel dort stattfand! Was für Schiffe! Das Handelskapital spielte eine große Rolle. Könige gerieten in Abhängigkeit von mächtigen Kaufleuten.
Venedig eroberte Konstantinopel. Sie führten Krieg und kämpften. Die Handelsgebiete entwickelten sich enorm. Im Schoße des Feudalismus wuchs eine Klasse der Händler heran. Diese Klasse verlieh einen großen Teil ihres Reichtums. In der Antike gab es zwei große Geldverleiher: einer war ein Hittite, dessen Namen mir jetzt nicht einfällt und ein anderer war ein Phönizier namens Khiram. Sie besaßen viel Geld und verliehen es sogar an den Staat. Aber im Vergleich zu den Fuggern waren sie unbedeutend (Johannes Fugger und Jacob Fugger, sein Sohn, deutsche Großfinanziers des fünfzehnten Jahrhunderts mit großem politischen Einfluss – Übers.).
Frage:
Ihren Anweisungen entsprechen, wäre es nicht angebracht, wenn das Warenproblem teilweise schon im Abschnitt über den Feudalismus, so wie im Entwurf, abgehandelt werden würde?
Stalin:
Natürlich ist es besser, wenn über Waren und über verschiedene Warenarten im Kapitel über den Feudalismus schon die Rede wäre. Aber das Warenproblem als Ganzes sollte seinen Platz im Kapitel über den Kapitalismus finden, weil wir uns ja darauf geeinigt haben, die historische Methode anzuwenden.
Marx folgte einer anderen Methode. Er fängt mit den Waren an als einer ökonomische Größe des Kapitalismus und betrachtet sie von allen Seiten, indem er sie nach allen Seiten dreht. Aber Sie behandeln das Problem der Ware getrennt. In dem Kapitel über den Kapitalismus betrachten sie das Ganze, weil es so leichter ist, es zu meistern. Sie müssen dann die Elemente einzeln untersuchen, um dann eine Theorie der Ware zu präsentieren, um so die entsprechenden Beziehungen richtig einschätzen zu können.
Frage:
Bei der Darstellung der ökonomischen Seite des vormonopolistischen Kapitalismus – wie sollen wir Lenins Werk dabei verwenden?
Stalin:
In dem Kapitel über den vormonopolistischen Kapitalismus lohnt es sich Lenins Arbeiten bis zum Auftauchen des Imperialismus zu verwenden oder, um es genauer zu sagen: bis zum Auftauchen des Artikels gegen Trotzki, ‚Über die Losung von den Vereinigten Staaten Europas‘ (von Lenin im Jahre 1915 geschriebener Artikel – Übers.). Danach können Sie neue ökonomische Studien über die Periode des sog. freien Kapitalismus verwenden, als verschiedene Länder allmählich übereinkamen, sich nicht noch mehr Territorien einzuverleiben. Dann begann die neue Periode – die Periode des Monopolkapitalismus. In diesem Sinn kann die Beschreibung von Lenins Ansichten in zwei Abschnitte erfolgen.
Die Ideologie des Kapitalismus der vormonopolistischen Periode unterscheidet sich vollkommen von der monopolistischen Periode. In der vormonopolistischen Periode sprach die Bourgeoisie von Freiheit, pries den Liberalismus an. Aber im Imperialismus sieht das ganz anders aus, als die Ideologie des Kapitalismus die Überreste des Liberalismus ablegte und die reaktionärsten Ansichten aus der Periode davor übernahm. Dies ist dann eine ganz andere Ideologie.
Frage:
Wir kämpften auch mit folgendem Problem: In dem Abschnitt über den vormonopolistischen Kapitalismus haben wir verschiedene Themen behandelt, wie die Grundrente, die dann in dem Abschnitt über den Imperialismus nicht mehr auftauchen. Können wir hier konkrete Fakten in Bezug auf den modernen Kapitalismus verwenden?
Stalin:
Natürlich können Sie das, weil der Imperialismus ja auch Kapitalismus ist.
Frage:
In dem Kapitel über die Maschinenperiode ist es da notwendig sich auf die Diskussion über die Dampfmaschine zu beschränken, wie Marx dies tut, oder sollte man ihre weitere Entwicklung bis hin zum Verbrennungsmotor und zur Elektrizität aufzeigen, ohne die es kein Maschinensystem gibt?
Stalin:
Natürlich ist es notwendig, über das Maschinensystem zu sprechen. Marx schrieb in den 60iger Jahren des 19. Jahrhunderts, und seitdem hat sich die Technik weiter entwickelt.
Es wird notwendig sein, das Kapitel über den Feudalismus um etwa 15-20 Seiten zu erweitern.
Frage:
Sollten wir zwei Kapitel schreiben, eines über die wichtigsten Merkmale der feudalistischen Produktionsweise und ein zweites über das Ende der feudalistischen Produktionsweise?
Stalin:
Entscheiden Sie das selbst. Das Kapitel über den Feudalismus sollte neu verfasst werden so in der Art wie das Kapitel über die Sklaverei geschrieben wurde.
In dem Kapitel über den Feudalismus lohnt es sich, sich an das ökonomische System der sogenannten ‚barbarischen Stämme‘ zu erinnern. Sie müssen aufzeigen, was passierte, als diese ‚barbarischen‘ Stämme auf die Sklaven haltenden Römer trafen.
Am Anfang hat der Feudalismus die Bauern nicht in die Leibeigenschaft gezwungen, erst später. Sie müssen zeigen, wie sich das System der Leibeigenschaft herausbildete. Vielleicht ist es sinnvoll, das Thema Feudalismus in zwei Abschnitten zu behandeln: in eine frühe und eine spätere Phase.
Faseln Sie nicht zu viel von den Manufakturen. Das ist nicht die interessanteste Periode des Kapitalismus. In dieser Periode war die Technologie veraltet. Es war tatsächlich nicht viel mehr als eine Art erweiterte Handarbeit. Aber die Maschinen schufen eine neue Qualität. Schreiben Sie also weniger über Manufakturen; steigen Sie da nicht zu sehr ein. Die Maschinenperiode jedoch veränderte alles.
Ein Monat reicht nicht aus, um ein Kapitel über den vormonopolistischen Kapitalismus zu schreiben. Ich gehe davon aus, dass die Arbeit an dem Lehrwerk das ganze Jahr in Anspruch nehmen wird. Vielleicht auch noch einen Teil des folgenden Jahres. Dies ist eine sehr wichtige Arbeit.
Wir sind der Meinung, dass die Namen aller Mitglieder der Kommission mit dem Zusatz ‚Vom Zentralkomitee der Kommunistischen Partei gebilligt‘ aufgeführt werden sollten.
(Quelle: RGASPI, fond 17, opis 133, delo 41, listy 8-17, vom Russischen ins Englische übersetzt von Ethan Pollock).
Dokument 5:
Treffen zum Lehrbuch Politische Ökonomie am 15. Februar, von 10 abends bis 11 Uhr zehn. Teilnehmer: Stalin, Gatowski, Kusminow, Laptjew, Leontjew, Ostrowitjanow, Pereslegin, Paschkow, Schepilow, Judin. Diese Teilnehmer, außer Stalin, schrieben das Protokoll. Weitere Teilnehmer waren: Atlas, Arakelian, Bolgow, Wassilewa, Gusakow, Koslow, Lubimow und Rubinschtein.Frage von Ostrowitjanow:
Werden die ‚Bemerkungen zu ökonomischen Problemen‘ in der Presse veröffentlicht? (Stalin hatte eine 50 Seiten lange Abhandlung, die ‚Bemerkungen‘, geschrieben – Übers.)
Stalin:
Das ist nicht ratsam. Die Diskussion zur Politischen Ökonomie fand hinter verschlossenen Türen statt, und die Menschen wissen nichts davon. Die Reden der Teilnehmer an der Diskussion wurden nicht veröffentlicht. Die Menschen werden nicht verstehen, weshalb ich in der Presse mit meinen ‚Bemerkungen‘ aufwarte. Die Veröffentlichung der ‚Bemerkungen‘ in der Presse ist nicht in Ihrem Interesse. Sie werden annehmen, dass alles in dem Lehrbuch von Stalin im Voraus festgelegt wurde.
Ich mache mir Sorgen über die Autorität des Lehrbuchs. Es sollte unerschütterliche Autorität besitzen. Es wäre besser, man wenn alles, was in den ‚Bemerkungen‘ steht, zuerst durch das Lehrwerk erfahren würde. Aus den ‚Bemerkungen‘ in der Presse zu zitieren, ist auch nicht ratsam. Wie können Sie aus einem Dokument zitieren, das noch nicht veröffentlicht wurde? Wenn Ihnen meine ‚Bemerkungen‘ gefallen, dann verwenden Sie sie doch in dem Lehrbuch.
Sie können sie auch in Ihren Vorlesungen verwenden, in den wissenschaftlichen Abteilungen, in politischen Zirkeln, ohne den Autor zu nennen. Wenn bisher zu wenige Exemplare veröffentlicht wurden, dann können Sie das ändern, aber zu diesem Zeitpunkt ist es nicht ratsam, sie in der Presse zu veröffentlichen. Wenn das Lehrbuch erschienen ist und ein Jahr oder so vergangen ist, dann können Sie auch die ‚Bemerkungen‘ bringen. Vielleicht kann man sie in einem meiner Werke unterbringen.
Frage von Ostrowitjanow:
In Ihren ‚Bemerkungen‘ zu ökonomischen Fragen werden die Konsumgüter erwähnt. Sind die Produktionsmittel auch Waren für uns? Falls nicht, wie können wir die Anwendung der Kostenrechnung in Sektoren erklären, die Produktionsmittel produzieren?
Stalin:
Waren sind Dinge, die frei verkauft und gekauft werden, zum Beispiel Brot, Fleisch usw. Es ist aber unmöglich, unsere Produktionsmittel zu den Waren zu rechnen. Sie sind kein Gebrauchsgegenstand auf einem Markt, wo jeder, der kaufen will, kauft. Wir weisen die Produktionsmittel von uns aus zu. Sie sind keine Ware im allgemeinen Sinne, keine Waren, wie sie in den kapitalistischen Ländern existieren. Dort sind die Produktionsmittel Waren. Hier kann man sie nicht als Waren bezeichnen.
Unsere Rechnungsführung ist nicht eine Rechnungsführung wie in den kapitalistischen Ländern. Rechnungsführung im Kapitalismus bedeutet, dass unrentable Betriebe geschlossen werden. Unsere Betriebe können sehr rentabel sein, können aber auch vollständig unrentabel sein. Aber sie werden bei uns nicht geschlossen. Sie erhalten Subventionen aus dem Staatshaushalt. Für uns wird die Kostenrechnung für die Statistik benötigt, für Kalkulationen, für die Bilanzbuchhaltung. Sie wird verwendet, damit die ökonomischen Leiter eine Kontrolle haben. Die Produktionsmittel werden bei uns formell als Waren aufgeführt. Konsumgüter sind Gegenstände, die sich in der Warenzirkulation befinden, aber nicht die Produktionsmittel.
Frage von Ostrowitjanow:
Kann man die Produktionsmittel als ‚Waren besonderen Typs‘ bezeichnen?
Stalin:
Nein. Wenn sie eine Ware wären, dann muss sie an jeden verkauft werden können, und jeder, der will, kann sie kaufen. Die Bezeichnung ‚Waren besonderen Typs‘ trifft nicht. Das Wertgesetz wirkt bei der Herstellung von Produktionsmitteln über die Realisierung von Konsumgütern. Das Wertgesetz ist in diesem Bereich notwendig für die Rechnungsführung, für die Bilanzierung, für Kalkulationen, dafür, ob eine Maßnahme angebracht ist oder nicht.
Frage von Ostrowitjanow:
Wie soll man die Bezeichnung ‚allgemeine Krise des Kapitalismus‘ und den Begriff ‚Krise des internationalen kapitalistischen Wirtschaftssystems‘ verstehen? Ist das gleichzusetzen?
Stalin:
Das ist ein und dasselbe. Ich betone, dass Sie über die Krise des internationalen kapitalistischen Systems als Ganzes schreiben müssen. Wir nehmen häufig nur den einen oder anderen Aspekt heraus, aber das reicht nicht. Früher, als man sich mit der kapitalistischen Ökonomie beschäftigte, kam man zu Schlussfolgerungen nur auf der Grundlage eines einzigen Landes: England. Wenn wir uns jetzt mit dem Zustand des Kapitalismus beschäftigen und ihn einschätzen wollen, sollten wir das gesamte System betrachten und nicht nur ein Land. Die Ökonomien aller kapitalistischen Länder sind miteinander verflochten. Einige Länder steigen auf Kosten anderer auf. Wir müssen die gewachsene Natur des modernen kapitalistischen Marktes in Betracht ziehen. Zum Beispiel: Die Vereinigten Staaten wurden ihre stärksten Konkurrenten, Deutschland und Japan, los und befanden sich danach in einer sehr guten Verfassung. Sie hofften, ihre Produktion aufgrund ihrer monopolistischen Stellung zu verdoppeln. Aber sie haben ihre Produktion nicht verdoppelt und ihre Berechnungen mussten nach unten hin korrigiert werden. Ein Land, die Vereinigten Staaten, machte Fortschritte und die anderen fielen zurück. Aber die Lage ist instabil. Künftig werden sich die Verhältnisse wieder ändern. Also man kann nicht ein Land als typisch für alle anderen ansehen, um den Kapitalismus als Ganzes zu betrachten. Es ist also nicht richtig, sich nur auf ein Land zu beschränken. Sie müssen den Kapitalismus insgesamt sehen. Ich betone: Sie müssen das gesamte internationale kapitalistische System betrachten. Aber wir sind es gewohnt, nur auf ein Land zu blicken.
Frage von Schepilow:
Ist der Entwurf für den Abschnitt über ‚die sozialistische Produktionsweise‘, so wie er in den ‚Vorschlägen‘ für den Entwurf des Lehrbuchs vorgelegt wurde, richtig? (‚Vorschläge‘ bezieht sich auf das vom Zentralkomitee im November 1951 verabschiedete Dokument, das Änderungen am Entwurf des Lehrbuches forderte – Übers.).
Stalin:
Ja, ich stimme dem Plan, so wie er in den ‚Vorschlägen‘ vorgelegt wurde, zu.
Frage von Arakelian:
Wie sollen wir den Teil über das Nationaleinkommen der UdSSR, wo Bezeichnungen wie ‚die notwendigen Produkte‘ und ‚Mehrprodukte‘ vorkommen, nennen?
Stalin:
Bezeichnungen wie ‚notwendige und Mehrarbeit‘ und ‚notwendige und Mehrprodukte‘ passen nicht auf unsere Ökonomie. Wäre es möglich zu sagen, dass solche Dinge, die für Ausbildung und Verteidigung gedacht sind, keine notwendigen Produkte sind? Haben die Arbeiter daran kein Interesse?
In einer sozialistischen Gesellschaft ist es notwendig, etwa diese Unterscheidung zu treffen: Arbeit für einen selbst und Arbeit für die Gesellschaft. Was früher einmal ‚notwendige Arbeit‘ in sozialistischen Ökonomien genannt wurde, entspricht der Arbeit für einen selbst und das, was früher ‚Mehrarbeit‘ genannt wurde, ist für die gesamte Gesellschaft.
Frage von Arkalian:
Ist es richtig, das ‚organische Funktionieren‘ des Wertgesetzes an die Stelle von ‚Transformation‘ des Wertgesetzes in der UdSSR zu setzen?
Stalin:
Gesetze der Wissenschaft kann man nicht selbst schaffen, sie können nicht zerstört, abgeschafft, geändert oder transformiert werden. Gesetze müssen berücksichtigt werden. Wenn Sie ein solches Gesetz brechen, müssen sie leiden. Bei uns gibt es die weit verbreitete Meinung, dass die Zeit der Gesetze vorbei ist. Diese Meinung herrscht nicht nur unter Ökonomen vor, sondern auch unter praktischen Arbeitern und Politikern. Das entspricht aber nicht dem Sinn der Gesetze. Gesetze zu transformieren bedeutet ein Abgehen von der Wissenschaft und ist ein Zeichen von Beschränktheit. Sie können die Gesetze der Natur und der Gesellschaft nicht transformieren. Wenn Sie das tun könnten, dann könnten Sie auch ein Gesetz ganz abschaffen. Wenn Sie ein Gesetz der Wissenschaft transformieren und abschaffen könnten, dann wären wir umsonst da. Gesetze muss man berücksichtigen, kontrollieren und benutzen. Der Rahmen, in dem sie wirken, kann begrenzt werden. Das ist so in der Physik und in der Chemie. Das trifft auch auf die gesamte Wissenschaft zu. Sie dürfen nicht von der Transformation von Gesetzen sprechen, sondern davon, wie man den Wirkungsbereich begrenzen kann. Das wäre genauer und wissenschaftlicher. Keinerlei Ungenauigkeit darf in dem Lehrwerk geduldet werden. Wir stellen uns der ganzen Welt mit dem Lehrbuch über Politische Ökonomie. Mit ihm wird hier bei uns und im Ausland gearbeitet werden.
Wir begrenzen keine Gesetze. Die Existenz objektiver Bedingungen begrenzt Gesetze. Wenn der Wirkungsbereich von Gesetzen begrenzt ist, dann stellt sich das Gesetz ganz anders dar. Der Wirkungsbereich ist dann begrenzt. Das Wertgesetz ist bei uns nicht mehr das, was es noch im Kapitalismus ist. Es ist bei uns nicht transformiert worden, sondern seine Macht ist durch objektive Bedingungen begrenzt worden. Das Entscheidende ist, dass hier das Privateigentum aufgehört hat, von Bedeutung zu sein und die Arbeitskraft keine Ware mehr ist. Diese objektiven Bedingungen grenzen den Wirkungsbereich des Wertgesetzes ein. Das ist aber nicht dadurch gekommen, weil wir es so gewollt haben, sondern weil diese Grenzen notwendig sind und weil es bei uns günstige Bedingungen für jene Grenzen gibt. Diese objektiven Bedingungen bringen uns an den Rand des Wirkungsbereichs des Wertgesetzes.
Ein Gesetz widerspiegelt einen objektiven Prozess. Ein Gesetz widerspiegelt die Beziehung zwischen objektiv vorhandenen Kräften. Ein Gesetz zeigt die Beziehung zwischen Ursache und Wirkung auf. Wenn wir diese Beziehungen haben und die entsprechenden Bedingungen, dann gibt es zwangsläufig eine bestimmte Wirkung. Man kommt nicht umhin, diese objektiven Bedingungen zu berücksichtigen. Wenn Bedingungen fehlen, dann wird auch die entsprechende Wirkung eine andere sein. Wir haben bei uns objektive Bedingungen, die sich im Vergleich zu denen im Kapitalismus geändert haben (es gibt kein Privateigentum an Produktionsmitteln, die Arbeitskraft ist keine Ware) und deshalb sind die Wirkungen andere. Das Wertgesetz ist bei uns nicht umgewandelt worden, sondern sein Wirkungsbereich ist hier begrenzt, wegen der objektiven Bedingungen.
Frage von Pereslegin:
Wie soll man in der UdSSR die Kategorie des Profits verstehen?
Stalin:
Wir brauchen den Profit. Ohne den Profit können wir noch keine Reserven bilden und akkumulieren, die Probleme der Verteidigung lösen oder soziale Bedürfnisse befriedigen. Es ist offensichtlich, dass es Arbeit für einen selbst und für die Gesellschaft gibt.
Das bloße Wort ‚Profit‘ ist schwammig. Es wäre gut, wenn wir ein anderes Verständnis davon bekämen. Aber welches? Vielleicht Nettoeinkommen? Ein völlig anderer Inhalt verbirgt sich hinter der Kategorie Profit. Wir haben bei uns keinen spontanen Kapitaltransfer. Es gibt kein Gesetz der Konkurrenz. Wir haben bei uns nicht das kapitalistische Gesetz der Profitmaximierung, nur Zwischenprofite. Aber ohne Profit ist es noch unmöglich, unsere Ökonomie zu entwickeln. Für unsere Betriebe reicht ein Minimalprofit, und mitunter können Betriebe auch ohne Profit wirtschaften, auf Kosten anderer. Wir sind es selbst, die die Mittel verteilen. Wir haben sehr profitable, gering profitable und völlig unprofitabel arbeitende Betriebe. In unseren Anfangsjahren machte unsere Schwerindustrie überhaupt keine Profite, aber danach wurden einige Profite gemacht. Im Allgemeinen ist es so, dass die Schwerindustrie zunächst einmal Kapital braucht.
Frage von Paschkow:
War die Position der Mehrheit der Teilnehmer an der ökonomischen Diskussion korrekt in der Frage des Verhältnisses des sowjetischen Geldes zum Gold? Einige, die in der Minderheit waren, verneinten diese Beziehung und behaupteten, dass in den ‚Bemerkungen zu ökonomischen Fragen in Verbindung mit der November-Diskussion 1951 keine Antwort darauf gegeben wird.
Stalin:
Haben Sie die ‚Vorschläge‘ gelesen? In meinen ‚Bemerkungen‘ steht, dass ich in anderen Fragen den ‚Vorschlägen‘ nichts hinzuzufügen habe. Das bedeutet, dass ich den ‚Vorschlägen‘ zustimme in der Frage des Verhältnisses unseres Geldes zum Gold.
Frage von Paschkow:
Ist es richtig, dass die Differentialrente in der UdSSR vollkommen vom Staat zurückgezogen werden soll, was einige Diskussionsteilnehmer behaupteten.
Stalin:
In der Frage der Differentialrente stimme ich der Mehrheit zu.
Frage von Gussakow:
Ergibt sich aus dem Verhältnis des sowjetischen Geldes zum Gold, dass in der UdSSR das Gold eine Geldware ist?
Stalin:
Für uns ist das Gold eine Geldware. Früher hatten wir Probleme mit den Kosten der Goldgewinnung; dann ergriffen wir Maßnahmen, um die Kosten zu senken und die Lage verbesserte sich. Wir gingen zu einer Goldbasis über. Wir verfolgen die Linie, so als ob Gold eine Ware ist und wir werden damit gut fahren. Es gibt natürlich keinen Bedarf daran, Geld in Gold zu tauschen. In kapitalistischen Ländern gibt es das jetzt auch nicht.
Frage von Lubimow:
Sind die sowjetischen Staatsfinanzen Teil der Basis oder des staatspolitischen Überbaus?
Stalin:
Ist es Überbau oder Basis? (Stalin lacht). Viel ist über die Frage von Basis und Überbau gesagt worden. Es gibt Leute, die meinen, dass sogar die Sowjetmacht Teil der Basis ist.
Wenn wir die abstrakten Konzepte von Basis und Überbau vermeiden wollen, dann ist es notwendig, mit dem sozialistischen Eigentum anzufangen. Der Haushalt unterscheidet sich grundlegend von einem kapitalistischen Haushalt. Im Kapitalismus hat jeder Betrieb seinen eigenen Haushalt, und der Staatshaushalt macht einen viel kleineren Teil der Ökonomie aus als unser Staatshaushalt. Unser Haushalt umfasst alle Einnahmen und Ausgaben der Wirtschaft. Er widerspiegelt den Zustand der gesamten Ökonomie und nicht nur der Verwaltung der Ausgaben. Dieser Haushalt ist für die gesamte Wirtschaft. Deshalb herrschen bei uns Elemente der Basis in unseren Finanzen vor. Aber es gibt Elemente des Überbaus darin, zum Beispiel die Verwaltung der Ausgaben. Unser Staat ist der Führer der Wirtschaft. Der Haushalt beinhaltet nicht nur die Gewinne für den Verwaltungsapparat, sondern auch die Ausgaben für die gesamte Wirtschaft. Der Haushalt hat auch Elemente des Überbaus, aber die ökonomischen Elemente überwiegen.
Frage von Bolgow:
Stimmt es, dass das Artel in der gesamten Periode des allmählichen Übergangs vom Sozialismus zum Kommunismus bestehen bleibt und dass es die landwirtschaftliche Kommune nur in der zweiten Phase des Kommunismus geben wird?
Stalin:
Das ist eine müßige Frage. Dass das Artel zum Kommunismus hinführt, ist klar. Die Kommune wird danach kommen als Instrument des Bauerndorfes für private Bedürfnisse. Es gibt keinen Grund, die Bauernkommune überstürzt einzuführen. Der Übergang zum Kommunismus verlangt nach Lösungen einer Menge von Fragen, die Schaffung von Cafeterien, Waschplätzen usw. Es wird die landwirtschaftliche Kommune geben, wenn die Bauern sich selbst von den Vorteilen des Übergangs zu ihnen überzeugt haben. Die zweite Phase des Kommunismus wird die Kommune bevorzugen, nicht das Artel. Das Artel bedarf der Warenzirkulation oder zumindest vorläufig noch. Mit ihr gibt es weder einen Produktenaustausch noch eine direkte Verteilung. Produktenaustausch ist aber auch Handel, und die direkte Verteilung ist eine Verteilung nach Bedürfnissen. Solange wie Warenproduktion und Kauf und Verkauf existieren, muss man das im Hinterkopf haben. Das Artel ist mit Kauf und Verkauf verbunden. Die direkte Verteilung wird es in der zweiten Phase des Kommunismus geben. Wann das landwirtschaftliche Artel in den Kommunismus hineinwächst, ist schwer zu sagen. Es ist unmöglich, genau vorherzusagen, dass die zweite Phase des Kommunismus schon direkt mit der Entstehung von Kommunen beginnen wird. Aber zu sagen, dass ohne Kommunen es unmöglich sein wird, den Übergang zur zweiten Phase des Kommunismus zu vollziehen, ist ebenfalls sehr riskant.
Es ist unmöglich, sich den Übergang zur zweiten Phase des Kommunismus schematisch vorzustellen. Es wird keinen besonderen ‚Schritt‘ dahin geben. Langsam, ohne dass wir es merken, werden wir in den Kommunismus eintreten. Das ist nicht so wie das ‚Betreten einer Stadt‘, dass wenn ‚das Tor geöffnet ist, man eintreten möge‘. Bei uns drängen bereits einige ‚kolchosniki‘ der Kollektivfarmen darauf, dass sie von den Fesseln der Hausarbeit befreit werden, wenn sie fordern, dass dem Kolchos Nutzvieh zur Verfügung gestellt wird, um dafür Fleisch- und Milchprodukte zu erhalten. Aber sie übergeben noch kein Geflügel. Das sind alles nur isolierte Fakten, Hinweise auf das Künftige. Zurzeit ist es noch so, dass das Artel in keiner Weise ein Hemmnis für die Entwicklung der Ökonomie darstellt. In der ersten Phase des Kommunismus wird das Artel allmählich in den Kommunismus hineinwachsen. Ein abrupter Übergang ist hier nicht möglich.
Die Kolchos-Produktion muss allmählich den allgemeinen Bedürfnissen der Menschen nachkommen. Es gibt da ein Bündel schwieriger Fragen. Wir müssen die Kolchosarbeiter dazu erziehen, sich stärker um die Angelegenheiten der Gesellschaft zu kümmern. Jetzt ist es noch so, dass der Kolchosarbeiter nur an sich selbst denkt und mit der Ökonomie nichts zu tun haben will. Wäre es nicht ratsam, von oben ein Allunionsorgan zu schaffen mit Vertretern aus Industrie und Wirtschaft, das sich mit der industriellen Produktion und der Kolchosproduktion befasst? Wir müssen mit einem Überblick der Produktion der staatlichen Betriebe und der Kolchosbetriebe beginnen und dann die Verteilung der überschüssigen Produkte organisieren. Fonds müssten angelegt werden, die nicht verteilt werden und solche, aus denen verteilt wird. Wir müssen die ‚kolchosniki‘ langsam dazu bringen, dass sie sich mit der Gesellschaft im Allgemeinen befassen. Aber das ist ein langer Weg, und man darf nichts übereilen. Nirgendwo sollte man Dinge überstürzen. Alles geht seinen Gang. Das Ziel stimmt, und die Wege sind deutlich markiert.
Frage von Atlas:
Warum ist der Begriff ‚Geld-Ökonomie‘ in den ‚Bemerkungen zu ökonomischen Problemen‘ im Zusammenhang mit der November-Diskussion in Anführungszeichen gesetzt?
Stalin:
Weil Waren zirkulieren, muss es auch Geld geben. In kapitalistischen Ländern, tragen Finanzinstitutionen, einschließlich Banken, zur Verarmung der Arbeiter bei, zur Bereicherung der Ausbeuter und zur Verelendung der Menschen. Im Kapitalismus dienen Geld und Banken als Mittel der Ausbeutung. Unsere Geldwirtschaft ist nicht typisch, sondern unterscheidet sich von der kapitalistischen Geldwirtschaft. Bei uns dienen das Geld und die begrenzte Geldwirtschaft dazu, die sozialistische Ökonomie zu stärken. Für uns ist die Geld-Ökonomie ein Instrument, das wir für die Interessen des Sozialismus einsetzen. Die Anführungszeichen sollen andeuten, dass unsere Geldwirtschaft nicht mit der kapitalistischen verwechselt werden darf. Ich verwende das Wort Wert und die Form des Wertes ohne Anführungszeichen. Bei Geld ist es anders. Bei uns bestimmt das Wertgesetz noch vieles, und indirekt beeinflusst es auch die Produktion und die Zirkulation direkt. Aber sein Wirkungsbereich ist begrenzt. Bei uns erzeugt das Wertgesetz keine Verarmung.
Das größte Problem für die Kapitalisten besteht in dem Verkauf der Produkte auf dem Markt und die Umwandlung von Gütern in Geld. Das ist mühevoll für sie und erzeugt die Verarmung der Arbeiter. Bei uns ist das anders: der Verkauf ist mühelos, einfach und reibungslos.
Frage von Koslow:
Worin besteht das Wesen des Gesetzes der planvollen, proportionalen Entwicklung der Wirtschaft?
Stalin:
Es gibt zunächst einmal einen Unterschied zwischen dem Gesetz der planvollen Entwicklung der Volkswirtschaft einerseits und der Planung andererseits. Es kann sein, dass Pläne nicht das Wesen dieses Gesetzes und seine Anforderungen, die es stellt, berücksichtigen. Zum Beispiel: Wenn eine bestimmte Zahl an Autos geplant wird und gleichzeitig die dafür erforderliche Menge an Dünnblech nicht geplant wird, dann wird das Autowerk mitten im Jahr seine Produktion anhalten müssen. Oder: Wenn der Plan eine bestimmte Anzahl an Autos vorsieht, aber die entsprechende Menge an Benzol nicht geplant wird, dann wird dies zu Unterbrechungen in den einzelnen Industriezweigen führen. In solchen Situationen meldet sich das Gesetz der planvollen, proportionalen Entwicklung mit lauter Stimme zu Wort. Wenn Sie das Gesetz aber nicht brechen, dann sitzt es still irgendwo an seinem Platz. Es ist überall und nirgends. Im Allgemeinen ist es so, dass alle Gesetze sich bemerkbar machen, wenn sie gebrochen werden, und das passiert nicht ohne Folgen. Das Gesetz der planvollen, proportionalen Entwicklung beeinflusst den Mangel an Koordination zwischen den einzelnen Branchen. Es verlangt, dass sämtliche Elemente der Ökonomie sich gegenseitig entsprechen und, abgestimmt aufeinander, sich harmonisch entwickeln. Das Gesetz der planvollen, proportionalen Entwicklung korrigiert jeden Mangel in der Planung.
Frage von Rubinschtein:
Worin bestehen die derzeit wichtigsten ökonomischen Probleme in der UdSSR? Wie gehen wir an diese Frage heran – indem wir die kapitalistische Pro-Kopf-Produktion aus dem Jahre 1929 zugrunde legen oder sollten wir als Vergleichsmaßstab den gegenwärtigen Stand der kapitalistischen Produktion zugrunde legen, der zum Beispiel in den USA im Vergleich zu 1929 wegen der Militarisierung der Ökonomie höher ist? Ist es richtig anzunehmen, wie dies häufig in der Presse und bei Vorträgen geschieht, dass der Stand der Produktion, wie Sie ihn in Ihrer Rede vom 9. Februar 1946 umrissen haben, schon die Lösung der grundlegenden ökonomischen Probleme der UdSSR angibt und einen Schritt in Richtung zweite Phase des Kommunismus markiert?
Stalin:
Die Berechnungsmethode, die die Pro-Kopf-Produktion zugrunde legt, bleibt in Kraft. Die Pro-Kopf-Produktion ist der wichtigste Maßstab für die wirtschaftliche Macht eines Staates. Es gibt außer der bestehenden keine andere. Wir dürfen nicht mit dem Stand des Jahres 1929 anfangen, sondern mit dem Stand der gegenwärtigen Produktion. Wir brauchen neue Berechnungen. Wir müssen unsere Pro-Kopf-Produktion mit den aktuellen Zahlen der kapitalistischen Länder vergleichen.
Die Zahlen, die ich 1946 vorgelegt habe, waren kein Maßstab für die Lösung der wichtigsten ökonomischen Probleme und auch keiner für den Übergang zur zweiten Phase des Kommunismus. Weil wir diesen Stand erreicht hatten, sind wir stärker geworden. Dies bewahrt uns vor Unglücken, vor der Gefahr von Feinden angegriffen zu werden und vom Kapitalismus. Aber die Lösung von Problemen, die ich in meiner Rede von 1946 ansprach, ist noch kein Übergang zur zweiten Phase des Kommunismus. Einige Genossen haben es zu eilig mit diesem Übergang zum Kommunismus. Es ist unmöglich, diesen Übergang zu beschleunigen, genauso wenig wie es möglich ist, Gesetze zu schaffen. Einige haben sich sogar eine dritte Phase des Kommunismus ausgedacht.
Die Messlatten sind alt, aber wir müssen aktuelle Daten verwenden und uns mit einem Land vergleichen, das reich ist. Das bringt uns voran.
(Quelle: RGASPI, fond 17, opis 133, delo 215, listy 2-13. Vom Russischen ins Englische übersetzt von Ethan Pollock).
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