Im
Bühnenhintergrund: Schattenspiele. Auf einer groben Plane sichtbar ein
verzerrtes Rad, fünf Speichen, daran lange Seile mit Ringen – zum
Hochschwingen? Und eine Schaukel – zum Abstürzen? Das Rad dreht sich.
Ein Kettenkarussell in den Lüften? Alles beherrschend ein großer
schwarzer Schatten mit Zylinder (Bühnenbild: Annette Kurz). Das Stück im
Hamburger Thalia Theater, der von Luk Perceval (Regie) fürs Theater
bearbeitete Roman von Hans Fallada »Wer einmal aus dem Blechnapf
frisst«, 1934 erschienen. Ort des Geschehens: meist Hamburg.
Melancholischer Gesang: »Alle Tage ist kein Sonntag / alle Tag gibt‘s keinen Wein …« Vorn an der Bühne steht eine traurige Gestalt (Tilo Werner) und zitiert aus dem Brief, den er bekam: »Herrn Willi Kufalt, zur Zeit Zentralgefängnis, Zelle 565«. Er liest mit tonloser Stimme: »Wir beehren uns …« Das lang erwartete Schreiben vom Schwager – Geld liegt nicht dabei. Kufalt steht kurz vor der Entlassung hier. »Herr Pause [der Schwager] bedauert, Ihnen sagen zu müssen, dass zurzeit in seinen Büros keine Stellung für Sie frei ist.« Hinweis auf die vielen Arbeitslosen, die nicht vorbestraft sind – Kufalt war wegen Unterschlagung hier. »Auch verweist Sie Herr Pause nachdrücklich auf die zahlreichen Fürsorgevereine, in deren Arbeitsgebiet Ihr Fall fällt …« Der Brief kam von einer Kanzlei. Kein Gruß von der Schwester oder der Mutter. Kaum der Versuch, sich hochzuschwingen, schon abgestürzt. Hinten auf der Schattenwand wird jemand mit einem Gürtel auf den nackten Rücken geschlagen. Kufalt führt Selbstgespräche. Der Gefängnisdirektor kann ihm nicht helfen. Der lässt sich von einem Untergebenen tragen: Der von ihm Abhängige ist unter einen Tisch gekrochen, den er fortbewegt. Auf dem Tisch: der Direktor. Ist eigentlich nicht nötig, der Tisch hat Rollen wie auch alle Stühle im Stück. Die Menschen gleiten, rasen, jagen wild umher und kommen von ihren Vehikeln nicht mehr los. In wechselnden, absurden Verkleidungen machen sie die Unterscheidung schwer. Vor allem, weil ein Schauspieler bis zu zehn Rollen spielen muss, auch weibliche. Karikaturen wie von George Grosz beherrschen die Bühne, groteske Gestalten, die durch ihr aufgedrehtes Glücklichsein-Wollen und -Zeigen aufreizend und nervend wirken. Alles zu laut und zu schnell, wie Ver-Rückte. Wer aus dem Gefängnis kommt, wo in den Zellen Friedhofsruhe herrscht, dem ist alles zu laut. Wie Aufsässige ans Bett gefesselt werden, mit Zwangsjacke ruhiggestellt – das alles muss Kufalt miterleben. Er hat keinen Stuhl als Hilfe, muss die Schritte ins Leben zurück allein machen.
Eine mitfühlende weibliche Seele? Kufalt, der nur ein bisschen privates Glück will, wird durch Knast-Kameraden immer wieder hereingelegt und durch die Bürokratie an seine Verfehlungen erinnert. Daran scheitern auch die Versuche, eine bürgerliche Existenz zu gründen. Das Mädchen Hilde braucht für ihr uneheliches Kind einen Vater, dann ist die Welt wieder in Ordnung. Szenen um den Kinderwagen herum, überdreht und albern, Kufalt steht unbeteiligt daneben. Er spricht mit sich in der dritten Person: »Er nahm sie in seinen Arm, er tröstete sie und wusste dabei: Jedes Wort war unwahr.« Der schwarze Mann mit Zylinder (Hendrik Lücke) singt hingebungsvoll: »Mädchen, mein Mädchen, wie lieb ich dich.« Und Willi Kufalt zu sich: »Gott, das ist ja die Frau, nach der du dich gesehnt hast, das ist das große Glück« – nein, er sagt laut: »Wie ich dich liebe«, emotionslos und nüchtern. Lieber allein bleiben.
Arbeit in einer Schreibstube, karitativ, im christlichen Friedensheim. Dann der Versuch, ein eigenes Schreibbüro zu gründen mit den Knast-Kumpels. Das Geklapper der Schreibmaschinen, erzeugt durch gedrehte Ratschen. Doch die unsinnigen Vorschriften der Behörden – dem sind die ehemaligen Knastbrüder nicht gewachsen. Kufalt bemüht sich, als Annoncenwerber für ein »Käseblatt« Geld zu verdienen. Das Wissen, er hat einmal etwas unterschlagen, das bricht ihm den Hals. Er wird zu Unrecht verdächtigt. Die letzte Rettung: ein Juwelenraub. Kufalt plant, denkt und probiert zu viel – er ist kein Profi.
Batzke, den er aus dem Gefängnis kennt, zieht alles an sich, legt ihn rein. Doch vorher hat Willi Kufalt eine neue – unsichere – Geldquelle für sich entdeckt: Handtaschenraub. Er schlägt Frauen und Mädchen mit der Faust ins Gesicht, dann schnell die Tasche. Er bringt es auf vierzehn Stück, die er aufbewahrt. Was gingen ihn Taschen an? Es war »der angstvolle Blick, die fliehende Gestalt, das schmerzliche Schreien: Ihn ging an, dass er nicht mehr der Letzte, der Getretenste von allen war, sondern dass auch er noch treten und Schmerz bereiten konnte.«
Selbstverständlich wird er geschnappt, ja er sehnt sich ins Gefängnis zurück, dort hat man seine »Ruhe«, und »Knast ist nicht das Ende der Welt, man kann sich immer noch aufhängen«. So endet das Stück, das aktuell ist so wie Falladas resignierendes Exposé 1932 zum Roman: »Der kleine Lump Kufalt strampelt sich ab …, ohne seinen Willen wird er das, was die Umwelt will, dass er es wird: ein bisschen Kot, eine Mikrobe, bösartig, die man vernichten muss.«
Melancholischer Gesang: »Alle Tage ist kein Sonntag / alle Tag gibt‘s keinen Wein …« Vorn an der Bühne steht eine traurige Gestalt (Tilo Werner) und zitiert aus dem Brief, den er bekam: »Herrn Willi Kufalt, zur Zeit Zentralgefängnis, Zelle 565«. Er liest mit tonloser Stimme: »Wir beehren uns …« Das lang erwartete Schreiben vom Schwager – Geld liegt nicht dabei. Kufalt steht kurz vor der Entlassung hier. »Herr Pause [der Schwager] bedauert, Ihnen sagen zu müssen, dass zurzeit in seinen Büros keine Stellung für Sie frei ist.« Hinweis auf die vielen Arbeitslosen, die nicht vorbestraft sind – Kufalt war wegen Unterschlagung hier. »Auch verweist Sie Herr Pause nachdrücklich auf die zahlreichen Fürsorgevereine, in deren Arbeitsgebiet Ihr Fall fällt …« Der Brief kam von einer Kanzlei. Kein Gruß von der Schwester oder der Mutter. Kaum der Versuch, sich hochzuschwingen, schon abgestürzt. Hinten auf der Schattenwand wird jemand mit einem Gürtel auf den nackten Rücken geschlagen. Kufalt führt Selbstgespräche. Der Gefängnisdirektor kann ihm nicht helfen. Der lässt sich von einem Untergebenen tragen: Der von ihm Abhängige ist unter einen Tisch gekrochen, den er fortbewegt. Auf dem Tisch: der Direktor. Ist eigentlich nicht nötig, der Tisch hat Rollen wie auch alle Stühle im Stück. Die Menschen gleiten, rasen, jagen wild umher und kommen von ihren Vehikeln nicht mehr los. In wechselnden, absurden Verkleidungen machen sie die Unterscheidung schwer. Vor allem, weil ein Schauspieler bis zu zehn Rollen spielen muss, auch weibliche. Karikaturen wie von George Grosz beherrschen die Bühne, groteske Gestalten, die durch ihr aufgedrehtes Glücklichsein-Wollen und -Zeigen aufreizend und nervend wirken. Alles zu laut und zu schnell, wie Ver-Rückte. Wer aus dem Gefängnis kommt, wo in den Zellen Friedhofsruhe herrscht, dem ist alles zu laut. Wie Aufsässige ans Bett gefesselt werden, mit Zwangsjacke ruhiggestellt – das alles muss Kufalt miterleben. Er hat keinen Stuhl als Hilfe, muss die Schritte ins Leben zurück allein machen.
Eine mitfühlende weibliche Seele? Kufalt, der nur ein bisschen privates Glück will, wird durch Knast-Kameraden immer wieder hereingelegt und durch die Bürokratie an seine Verfehlungen erinnert. Daran scheitern auch die Versuche, eine bürgerliche Existenz zu gründen. Das Mädchen Hilde braucht für ihr uneheliches Kind einen Vater, dann ist die Welt wieder in Ordnung. Szenen um den Kinderwagen herum, überdreht und albern, Kufalt steht unbeteiligt daneben. Er spricht mit sich in der dritten Person: »Er nahm sie in seinen Arm, er tröstete sie und wusste dabei: Jedes Wort war unwahr.« Der schwarze Mann mit Zylinder (Hendrik Lücke) singt hingebungsvoll: »Mädchen, mein Mädchen, wie lieb ich dich.« Und Willi Kufalt zu sich: »Gott, das ist ja die Frau, nach der du dich gesehnt hast, das ist das große Glück« – nein, er sagt laut: »Wie ich dich liebe«, emotionslos und nüchtern. Lieber allein bleiben.
Arbeit in einer Schreibstube, karitativ, im christlichen Friedensheim. Dann der Versuch, ein eigenes Schreibbüro zu gründen mit den Knast-Kumpels. Das Geklapper der Schreibmaschinen, erzeugt durch gedrehte Ratschen. Doch die unsinnigen Vorschriften der Behörden – dem sind die ehemaligen Knastbrüder nicht gewachsen. Kufalt bemüht sich, als Annoncenwerber für ein »Käseblatt« Geld zu verdienen. Das Wissen, er hat einmal etwas unterschlagen, das bricht ihm den Hals. Er wird zu Unrecht verdächtigt. Die letzte Rettung: ein Juwelenraub. Kufalt plant, denkt und probiert zu viel – er ist kein Profi.
Batzke, den er aus dem Gefängnis kennt, zieht alles an sich, legt ihn rein. Doch vorher hat Willi Kufalt eine neue – unsichere – Geldquelle für sich entdeckt: Handtaschenraub. Er schlägt Frauen und Mädchen mit der Faust ins Gesicht, dann schnell die Tasche. Er bringt es auf vierzehn Stück, die er aufbewahrt. Was gingen ihn Taschen an? Es war »der angstvolle Blick, die fliehende Gestalt, das schmerzliche Schreien: Ihn ging an, dass er nicht mehr der Letzte, der Getretenste von allen war, sondern dass auch er noch treten und Schmerz bereiten konnte.«
Selbstverständlich wird er geschnappt, ja er sehnt sich ins Gefängnis zurück, dort hat man seine »Ruhe«, und »Knast ist nicht das Ende der Welt, man kann sich immer noch aufhängen«. So endet das Stück, das aktuell ist so wie Falladas resignierendes Exposé 1932 zum Roman: »Der kleine Lump Kufalt strampelt sich ab …, ohne seinen Willen wird er das, was die Umwelt will, dass er es wird: ein bisschen Kot, eine Mikrobe, bösartig, die man vernichten muss.«
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen