Mit
Gesundheit, Krankheit und Pflege lässt sich Geld verdienen, viel Geld.
Seit Jahrzehnten arbeiten die EU-Kommission und die Bundesregierung
darauf hin, den europäischen Binnenmarkt und vorrangig die
Bundesrepublik Deutschland für internationale Profitunternehmen der
Gesundheits- und Sozialwirtschaft attraktiv zu machen. Dem dient auch
die seit 2013 alljährlich in Nürnberg stattfindende Fachmesse ConSozial.
Auf dieser Messe tummeln sich die Branchenvertreter und werden nicht
müde, die Bundesrepublik als bevorzugtes Zielterritorium der
unternehmerischen Ausbeutung zum Nachteil von Kindern und Jugendlichen,
Kranken, Behinderten, Pflegebedürftigen und letztlich auch
Versicherungspflichtigen anzupreisen.
Je mehr die Branche der Sozialunternehmen zum Investitionsobjekt wird, desto schärfer wird die Konkurrenz der einzelnen Anbieter, desto größer der Druck auf die Lohnkosten, umso mehr spüren die Patienten und Klienten die Auswirkungen des Kalküls betriebswirtschaftlicher »Optimierung« durch krasse Einsparungen und Budgetkürzungen. Zugleich führen die steigenden Gewinnanforderungen dazu, dass den Versicherungen und letzten Endes also den Versicherten höhere Aufwendungen berechnet werden.
Wie sehr die Bundesrepublik in den Fokus internationaler sozial- und gesundheitswirtschaftlicher Unternehmen geraten ist, zeigt der Pflege-»Markt«. Hier expandierten in der Vergangenheit die französischen Konzerne Korian und Orpea. Zu letzterem gehört neben deutschen Pflegeheimgruppen die Senevita in der Schweiz. Der Konzern Korian ist der größte europäische Pflegeheimbetreiber mit den deutschen Unternehmen Pro Seniore AG (mit Sitz in Saarbrücken), Kursana GmbH (Berlin) und Curanum AG (München).
Im Bereich der Altenpflege ebenso wie im Krankenhaussektor bieten sich die bestehenden Einrichtungen in der Bundesrepublik aus einer Reihe von wirtschaftlichen Gründen einerseits als Investitionsobjekte für all diejenigen an, die nicht wissen, wohin mit ihrem Vermögen. Nicht zuletzt sind es andererseits die als stabil geltenden Marktverhältnisse hierzulande, die hohe Kaufkraft (der Begüterten wohlgemerkt), die als hoch eingeschätzte Planungssicherheit und die steigende Nachfrage aufgrund höherer Lebenserwartung, welche besondere Investitions-anreize bieten und hohe Gewinne versprechen. Da vor allem bestehende Einrichtungen privatisiert oder weiterverkauft, neue jedoch kaum gebaut werden, entsteht ein Angebotsengpass mit längeren Wartezeiten und mit steigenden Unterbringungskosten zu Lasten der Nachfrage.
Neben den strategischen Investoren, die an der Ausweitung des Bestandes ihrer Einrichtungen interessiert sind, sind auch Finanzinvestoren aktiv. Dazu zählen Private-Equity-Gesellschaften wie Waterland aus den Niederlanden und The Carlyle aus den USA. Zur Carlyle Group, die beispielsweise auch Dienstleistungen für das US-Verteidigungsministerium und die NSA erbringt, gehören in der Bundesrepublik unter anderem die Alloheim Senioren-Residenzen (Sitz: Düsseldorf). Waterland Private Equity war zunächst mehrheitlich an den RHM Klinik- und Altenheimbetrieben (Deidesheim) beteiligt, die inzwischen mit den ebenfalls Waterland gehörenden Betrieben der Median-Unternehmensgruppe (Berlin) verschmolzen sind. Median umfasst derzeit 129 Kliniken, deren Geschäftsführung sich zweier Anwaltskanzleien und der Unternehmensberater von McKinsey bedient, um die Mitarbeiter-Löhne zu drücken und die Einrichtungen »gewerkschaftsfrei« zu machen. Es mangelt an Transparenz und deshalb auch an Untersuchungen beziehungsweise öffentlich zugänglichen Untersuchungsergebnissen, um detailliert belegen zu können, wie sich der größere Marktanteil der Finanzinvestoren auf Kosten und Qualität der Angebote auswirkt.
Gleiches gilt für die empirische Beantwortung der Frage, ob und wie sich die Aufkäufe der als »Heuschrecken« bekannten Risikokapitalgesellschaften auswirken auf die Beschleunigung der Konzentrationsprozesse im Bereich der Kranken-, Behinderten- und Pflegeanstalten sowie der Jugendeinrichtungen (auch derer für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge und Migranten).
Im Gegenzug zu den Investoren aus dem Ausland sind die Träger von Einrichtungen der hiesigen frei-gemeinnützigen Wohlfahrtspflege ebenfalls bestrebt, europaweit zu expandieren. Bei diesen Trägern handelt es sich um die Wohlfahrtsverbände Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden und Paritätischer. Da es diesen Verbänden weitgehend untersagt ist, Rücklagen zu bilden, sind sie bei eigenen Investitionen vor allem auf Kredite angewiesen. Die Kreditwürdigkeit setzt aber voraus, dass sie als Schuldner auf dem Kapitalmarkt für Banken und andere Kreditgeber attraktiv sind, das heißt höchst gewinnbringend wirtschaften.
Der damit in Gang gebrachte Prozess der Ökonomisierung hat eine verschärfte Konkurrenz zur Folge, die sich – wie eingangs angedeutet – negativ auf die Unterbringungskosten auswirkt (sie steigen) und auf die Dienstleistungsqualität (sie sinkt) – und zwar unabhängig davon, ob es sich um privatwirtschaftliche Einrichtungen handelt oder um solche der gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände. Die gern in Umlauf gebrachte Regel, dass Konkurrenz eine Verbilligung der Preise und vermehrte Anstrengungen zur Steigerung der Qualität zur Folge hat, trifft auf den sozialwirtschaftlichen Dienstleistungssektor nicht zu. Da die Nachfrage nach Plätzen in den Einrichtungen deutlich höher ist als das vorhandene Angebot, konkurrieren nicht die zu erbringenden Leistungen und deren Qualität. Vielmehr konkurrieren die Einrichtungen in ihrer Gesamtheit miteinander unter dem Gesichtspunkt, welche von ihnen die höhere Investitionsrendite verspricht.
Eine Methode des gewinnbringenden Wirtschaftens schlug bereits 2014 die Stiftung des Konzerns Bertelsmann/Mohn mit dem von ihr veröffentlichten »Konzept für ein regionales Pflegebudget« vor. Die Aufsichtsrätin des Bertelsmann-Medien-Konzerns, Brigitte Mohn, ist zugleich Mitglied im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG, einer börsennotierten Betreibergesellschaft von Krankenhäusern, Kliniken und Medizinischen Versorgungszentren. Das im Auftrag der Stiftung von einem Autorenteam der Unternehmens- und Politikberatungsfirma Prognos AG der Stuttgarter Verlagsgruppe von Holtzbrinck vorgelegte Papier »Pflege vor Ort gestalten und verantworten« enthält ein sparpolitisches Modell zur strukturellen Reduzierung des Bedarfs an professionellen Fachkräften beim Pflegepersonal.
Die Kosten senkende Reduzierung dieses Bedarfs soll fiskalisch erzwungen und praktisch erreicht werden durch den Ausbau »informeller« Angebote auf kommunaler Ebene. Neben unentgeltlich pflegenden Angehörigen sei künftig ein größerer Anteil von Pflegeleistungen durch »niedrigschwellige Hilfen« und »zivilgesellschaftlich Engagierte« zu erbringen. Schlecht bezahlte Fachkräfte, unbezahlte Freiwillige (»Ehrenamtliche«) und kostenlos tätige Angehörige sollen zu den tragenden Säulen der pflegerischen Versorgung werden. Fiskalisch erzwungen werden soll das Konzept dadurch, dass die Pflegekassen an die Kommunen wirtschaftlich eng kalkulierte Pauschalen für die Pflegebedürftigen in deren Bereich überweisen.
»Zumindest im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen hat das Modell bereits begonnen, politische Wirkungsmacht zu entwickeln«, schreibt Daniel Kreutz in einer Ausgabe der Nachdenkseiten. Das von Barbara Steffens (Grüne) geführte NRW-Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter machte sich das Modell 2015 in einem Bericht über altengerechte Quartiersentwicklung zu eigen und fügte ein entsprechendes Werbeblatt der Bertelsmann-Stiftung bei. Ein Durchbruch auf Bundesebene allerdings blieb den Bertelsmann/Prognos-Vorstellungen bisher noch versagt.
Im Juni 2016 legte die Bertelsmann-Stiftung nach und unterbreitete ein Eckpunkte-Papier »für die zukünftige Qualitätssicherung und -berichterstattung«. Am 30. November 2016 haben Die Grünen im Bundestag unter Drucksache 18/10530 einen Entschließungsantrag zum Dritten Pflegestärkungsgesetz vorgelegt, der in dieselbe Richtung tendiert. Der Entschließungsantrag und die beiden Konzepte der Bertelsmann-Stiftung dürften nach der diesjährigen Bundestagswahl voraussichtlich auf der Tagesordnung der Koalitionsverhandlungen stehen.
Im Teufelskreis der Kosten senkenden Personalpolitik sowie der gewinnorientierten und Profit scheffelnden Finanz- und Investitionswirtschaft sehen sich die klassischen gemeinnützigen Dienstleistungseinrichtungen des bundesdeutschen Sozial- und Gesundheitswesens gezwungen, ihr Handeln in erster Linie an ökonomischen Maßstäben auszurichten. Ihre »Kunden« – vor allem die Kranken, Behinderten, Pflegebedürftigen, Migranten und Jugendlichen – ebenso wie ihre Mitarbeiter werden zum Kosten- beziehungsweise »Spar«-Faktor. Mittelfristig werden auch die Versicherungspflichtigen im Rahmen weiterer Beitragserhöhungen an der Generierung der Investorenprofite beteiligt werden.
Für gemeinnützige Träger aus der Bundesrepublik ergibt sich bei ihrer europäischen Expansion ein zusätzliches Problem: Die im Inland gewonnenen Erfahrungen können nicht ungebrochen übertragen werden auf Projekte im europäischen Ausland. In anderen Ländern der EU sind sie mit diversen kulturellen Unterschieden sowie mit anderen Systemen und Standards konfrontiert (siehe »Hilfetraditionen und Wohlfahrtskulturen Europas« in: Rudolph Bauer: »Personenbezogene Soziale Dienstleistungen«, 2001, S. 135-163). Diese Problematik war vorrangig auch Thema des eingangs erwähnten ConSozial-Kongresses 2016. Die Gefahr liegt auf der Hand, dass in den nichtdeutschen Einrichtungen der Gemeinnützigen die sozialen und kulturellen Differenzen, die zwischen den europäischen Ländern vorhanden sind, ökonomisch nivelliert werden, und zwar wiederum auf Kosten der darauf angewiesenen Menschen.
An die Stelle des Humanen tritt im Sozial- und Gesundheitswesen die Herrschaft der ungeschmälerten Profite. Wo den Menschen geholfen werden soll, bereichern sich schamlos die Investoren. Immer mehr dienen die Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens unter der Oberherrschaft der Ökonomie als Schaufelbagger zur Umverteilung von unten nach oben. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass dieser Vorgang kein sozialwissenschaftliches Forschungsthema ist und kaum auf öffentliches Interesse stößt; Geschäfte macht man besser unbeobachtet.
Je mehr die Branche der Sozialunternehmen zum Investitionsobjekt wird, desto schärfer wird die Konkurrenz der einzelnen Anbieter, desto größer der Druck auf die Lohnkosten, umso mehr spüren die Patienten und Klienten die Auswirkungen des Kalküls betriebswirtschaftlicher »Optimierung« durch krasse Einsparungen und Budgetkürzungen. Zugleich führen die steigenden Gewinnanforderungen dazu, dass den Versicherungen und letzten Endes also den Versicherten höhere Aufwendungen berechnet werden.
Wie sehr die Bundesrepublik in den Fokus internationaler sozial- und gesundheitswirtschaftlicher Unternehmen geraten ist, zeigt der Pflege-»Markt«. Hier expandierten in der Vergangenheit die französischen Konzerne Korian und Orpea. Zu letzterem gehört neben deutschen Pflegeheimgruppen die Senevita in der Schweiz. Der Konzern Korian ist der größte europäische Pflegeheimbetreiber mit den deutschen Unternehmen Pro Seniore AG (mit Sitz in Saarbrücken), Kursana GmbH (Berlin) und Curanum AG (München).
Im Bereich der Altenpflege ebenso wie im Krankenhaussektor bieten sich die bestehenden Einrichtungen in der Bundesrepublik aus einer Reihe von wirtschaftlichen Gründen einerseits als Investitionsobjekte für all diejenigen an, die nicht wissen, wohin mit ihrem Vermögen. Nicht zuletzt sind es andererseits die als stabil geltenden Marktverhältnisse hierzulande, die hohe Kaufkraft (der Begüterten wohlgemerkt), die als hoch eingeschätzte Planungssicherheit und die steigende Nachfrage aufgrund höherer Lebenserwartung, welche besondere Investitions-anreize bieten und hohe Gewinne versprechen. Da vor allem bestehende Einrichtungen privatisiert oder weiterverkauft, neue jedoch kaum gebaut werden, entsteht ein Angebotsengpass mit längeren Wartezeiten und mit steigenden Unterbringungskosten zu Lasten der Nachfrage.
Neben den strategischen Investoren, die an der Ausweitung des Bestandes ihrer Einrichtungen interessiert sind, sind auch Finanzinvestoren aktiv. Dazu zählen Private-Equity-Gesellschaften wie Waterland aus den Niederlanden und The Carlyle aus den USA. Zur Carlyle Group, die beispielsweise auch Dienstleistungen für das US-Verteidigungsministerium und die NSA erbringt, gehören in der Bundesrepublik unter anderem die Alloheim Senioren-Residenzen (Sitz: Düsseldorf). Waterland Private Equity war zunächst mehrheitlich an den RHM Klinik- und Altenheimbetrieben (Deidesheim) beteiligt, die inzwischen mit den ebenfalls Waterland gehörenden Betrieben der Median-Unternehmensgruppe (Berlin) verschmolzen sind. Median umfasst derzeit 129 Kliniken, deren Geschäftsführung sich zweier Anwaltskanzleien und der Unternehmensberater von McKinsey bedient, um die Mitarbeiter-Löhne zu drücken und die Einrichtungen »gewerkschaftsfrei« zu machen. Es mangelt an Transparenz und deshalb auch an Untersuchungen beziehungsweise öffentlich zugänglichen Untersuchungsergebnissen, um detailliert belegen zu können, wie sich der größere Marktanteil der Finanzinvestoren auf Kosten und Qualität der Angebote auswirkt.
Gleiches gilt für die empirische Beantwortung der Frage, ob und wie sich die Aufkäufe der als »Heuschrecken« bekannten Risikokapitalgesellschaften auswirken auf die Beschleunigung der Konzentrationsprozesse im Bereich der Kranken-, Behinderten- und Pflegeanstalten sowie der Jugendeinrichtungen (auch derer für unbegleitete jugendliche Flüchtlinge und Migranten).
Im Gegenzug zu den Investoren aus dem Ausland sind die Träger von Einrichtungen der hiesigen frei-gemeinnützigen Wohlfahrtspflege ebenfalls bestrebt, europaweit zu expandieren. Bei diesen Trägern handelt es sich um die Wohlfahrtsverbände Caritas, Diakonie, Rotes Kreuz, Arbeiterwohlfahrt, Zentralwohlfahrtsstelle der Juden und Paritätischer. Da es diesen Verbänden weitgehend untersagt ist, Rücklagen zu bilden, sind sie bei eigenen Investitionen vor allem auf Kredite angewiesen. Die Kreditwürdigkeit setzt aber voraus, dass sie als Schuldner auf dem Kapitalmarkt für Banken und andere Kreditgeber attraktiv sind, das heißt höchst gewinnbringend wirtschaften.
Der damit in Gang gebrachte Prozess der Ökonomisierung hat eine verschärfte Konkurrenz zur Folge, die sich – wie eingangs angedeutet – negativ auf die Unterbringungskosten auswirkt (sie steigen) und auf die Dienstleistungsqualität (sie sinkt) – und zwar unabhängig davon, ob es sich um privatwirtschaftliche Einrichtungen handelt oder um solche der gemeinnützigen Wohlfahrtsverbände. Die gern in Umlauf gebrachte Regel, dass Konkurrenz eine Verbilligung der Preise und vermehrte Anstrengungen zur Steigerung der Qualität zur Folge hat, trifft auf den sozialwirtschaftlichen Dienstleistungssektor nicht zu. Da die Nachfrage nach Plätzen in den Einrichtungen deutlich höher ist als das vorhandene Angebot, konkurrieren nicht die zu erbringenden Leistungen und deren Qualität. Vielmehr konkurrieren die Einrichtungen in ihrer Gesamtheit miteinander unter dem Gesichtspunkt, welche von ihnen die höhere Investitionsrendite verspricht.
Eine Methode des gewinnbringenden Wirtschaftens schlug bereits 2014 die Stiftung des Konzerns Bertelsmann/Mohn mit dem von ihr veröffentlichten »Konzept für ein regionales Pflegebudget« vor. Die Aufsichtsrätin des Bertelsmann-Medien-Konzerns, Brigitte Mohn, ist zugleich Mitglied im Aufsichtsrat der Rhön-Klinikum AG, einer börsennotierten Betreibergesellschaft von Krankenhäusern, Kliniken und Medizinischen Versorgungszentren. Das im Auftrag der Stiftung von einem Autorenteam der Unternehmens- und Politikberatungsfirma Prognos AG der Stuttgarter Verlagsgruppe von Holtzbrinck vorgelegte Papier »Pflege vor Ort gestalten und verantworten« enthält ein sparpolitisches Modell zur strukturellen Reduzierung des Bedarfs an professionellen Fachkräften beim Pflegepersonal.
Die Kosten senkende Reduzierung dieses Bedarfs soll fiskalisch erzwungen und praktisch erreicht werden durch den Ausbau »informeller« Angebote auf kommunaler Ebene. Neben unentgeltlich pflegenden Angehörigen sei künftig ein größerer Anteil von Pflegeleistungen durch »niedrigschwellige Hilfen« und »zivilgesellschaftlich Engagierte« zu erbringen. Schlecht bezahlte Fachkräfte, unbezahlte Freiwillige (»Ehrenamtliche«) und kostenlos tätige Angehörige sollen zu den tragenden Säulen der pflegerischen Versorgung werden. Fiskalisch erzwungen werden soll das Konzept dadurch, dass die Pflegekassen an die Kommunen wirtschaftlich eng kalkulierte Pauschalen für die Pflegebedürftigen in deren Bereich überweisen.
»Zumindest im rot-grün regierten Nordrhein-Westfalen hat das Modell bereits begonnen, politische Wirkungsmacht zu entwickeln«, schreibt Daniel Kreutz in einer Ausgabe der Nachdenkseiten. Das von Barbara Steffens (Grüne) geführte NRW-Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter machte sich das Modell 2015 in einem Bericht über altengerechte Quartiersentwicklung zu eigen und fügte ein entsprechendes Werbeblatt der Bertelsmann-Stiftung bei. Ein Durchbruch auf Bundesebene allerdings blieb den Bertelsmann/Prognos-Vorstellungen bisher noch versagt.
Im Juni 2016 legte die Bertelsmann-Stiftung nach und unterbreitete ein Eckpunkte-Papier »für die zukünftige Qualitätssicherung und -berichterstattung«. Am 30. November 2016 haben Die Grünen im Bundestag unter Drucksache 18/10530 einen Entschließungsantrag zum Dritten Pflegestärkungsgesetz vorgelegt, der in dieselbe Richtung tendiert. Der Entschließungsantrag und die beiden Konzepte der Bertelsmann-Stiftung dürften nach der diesjährigen Bundestagswahl voraussichtlich auf der Tagesordnung der Koalitionsverhandlungen stehen.
Im Teufelskreis der Kosten senkenden Personalpolitik sowie der gewinnorientierten und Profit scheffelnden Finanz- und Investitionswirtschaft sehen sich die klassischen gemeinnützigen Dienstleistungseinrichtungen des bundesdeutschen Sozial- und Gesundheitswesens gezwungen, ihr Handeln in erster Linie an ökonomischen Maßstäben auszurichten. Ihre »Kunden« – vor allem die Kranken, Behinderten, Pflegebedürftigen, Migranten und Jugendlichen – ebenso wie ihre Mitarbeiter werden zum Kosten- beziehungsweise »Spar«-Faktor. Mittelfristig werden auch die Versicherungspflichtigen im Rahmen weiterer Beitragserhöhungen an der Generierung der Investorenprofite beteiligt werden.
Für gemeinnützige Träger aus der Bundesrepublik ergibt sich bei ihrer europäischen Expansion ein zusätzliches Problem: Die im Inland gewonnenen Erfahrungen können nicht ungebrochen übertragen werden auf Projekte im europäischen Ausland. In anderen Ländern der EU sind sie mit diversen kulturellen Unterschieden sowie mit anderen Systemen und Standards konfrontiert (siehe »Hilfetraditionen und Wohlfahrtskulturen Europas« in: Rudolph Bauer: »Personenbezogene Soziale Dienstleistungen«, 2001, S. 135-163). Diese Problematik war vorrangig auch Thema des eingangs erwähnten ConSozial-Kongresses 2016. Die Gefahr liegt auf der Hand, dass in den nichtdeutschen Einrichtungen der Gemeinnützigen die sozialen und kulturellen Differenzen, die zwischen den europäischen Ländern vorhanden sind, ökonomisch nivelliert werden, und zwar wiederum auf Kosten der darauf angewiesenen Menschen.
An die Stelle des Humanen tritt im Sozial- und Gesundheitswesen die Herrschaft der ungeschmälerten Profite. Wo den Menschen geholfen werden soll, bereichern sich schamlos die Investoren. Immer mehr dienen die Einrichtungen des Sozial- und Gesundheitswesens unter der Oberherrschaft der Ökonomie als Schaufelbagger zur Umverteilung von unten nach oben. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass dieser Vorgang kein sozialwissenschaftliches Forschungsthema ist und kaum auf öffentliches Interesse stößt; Geschäfte macht man besser unbeobachtet.
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