Montag, 27. März 2017

Enkel und anderes Folk (Matthias Biskupek)


Es gab etwas in der DDR, das ein Dilemma deutlich machte: Das Festival des Politischen Liedes, alljährlich im Februar. Sänger aus fernen Weltteilen waren geladen, antiimperialistischer Kampf war gefragt, revolutionäre Aufbruchstimmung sollte lodern …, die Sänger aus dem eigenen Land aber hatten doch bitte den jeweiligen Staatskurs zu loben. Denn alles, was die führende Partei tat, verordnete, anregte und missbilligte, war richtig, weil es vernünftig war. Hie preußisch-hegelsche Staatsdisziplin, da revolutionärer Funke.

Nun gehorchen Künstler, wenn sie denn Künstler sind, kaum staatlichen Wünschen. Wie sollte das in der DDR anders gewesen sein? Gewiss war der Oktoberklub oft lammfromm und anbiedernd, doch was sich besonders in den Siebzigern an politischem Liedgut herausbildete, war so widersprüchlich wie die ganze DDR.

Jenes Polfestival, wie es hieß, hat in neuerer Zeit eine – viel kleinere – Entsprechung gefunden: Das »Festival Musik + Politik«, auch heuer in der WABE nebst einer »Jugendtheateretage«, einem Veranstaltungszentrum im Prenzlauer Berg, gefeiert. Neben Konzerten mit russischen Liedermachern »Imagine – Musik statt Krieg«, einem »Liederpodium« und der »Liederbestenliste« tauchte man in die Vergangenheit: »Enkel und anderes Folk – Umbrüche in den Siebzigern«. Dazu eine große Ausstellung: »Lieder zu den X. Weltfestspielen«, »Die Folkszene«, »Gruppe Schicht«, »Brigade Feuerstein« und »Liedertheater Karls Enkel«. Letzteres erklärt die Überschrift – jene Truppe verstand sich als Enkel von Karl Marx und Karl Valentin, vielleicht auch Karl May und Karl Napp. An Protagonisten von damals waren erschienen: Stefan Körbel, Gründungsmitglied der Enkel, Bernd Rump, der in Dresden nach eher braver Singeclubkarriere das Liedertheater »Gruppe Schicht« initiierte, Wolfgang Leyn, der ein famoses Buch über die ostdeutsche Folkszene geschrieben hat, die im Rudolstadt-Festival eine gesamtdeutsche Blüte erlangte, Elke Förster, Mitglied der »Brigade Feuerstein«, die in Hoyerswerda einst die Kulturszene mit dem unvergessenen Gerhard Gundermann aufmischte, und Reinhold Andert, der quasi von Staats wegen bestallt war, DAS Lied zu den Weltfestspielen zu finden: Hundert neue Lieder von den bekanntesten Poeten der DDR.

Steffen Mensching moderierte dieses Podium, auch er Protagonist der »Enkel«, später mit Wenzel gemeinsam der Erfinder einer Kabarettclownerie neuen Typus; man darf sich durchaus einer Leninschen Fügung bedienen. Er stellte zunächst mal fest, dass bei Wikipedia, Stichwort Siebziger, die DDR nicht vorkommt, wenn man von einer Oscar-Nominierung absieht.

Die Disputanten kamen, wenn man so will, alle von sozialistisch-kommunistischen Positionen: Das Land ist mein Land. Ich will es voranbringen. Und alle rieben sich an einer Funktionärswirklichkeit, manche scheiterten. Dabei war es nie so: Hier die phantasievollen Künstler, da die staatsleitenden Betonköpfe. Quer durch die Organe, auch durch die Reihen der führenden Partei verliefen Fronten. In Dresden war möglich, was in Berlin verboten wurde, in Hoyerswerda waren Feuerstein DIE Kultur. Wenzel/Mensching waren als Mitglieder des Schriftstellerverbandes einigermaßen geschützt. Ein sehr schönes Lied aus einem Mühsam-Programm tönte denn auch durch den Raum: »Das sind die deutschen Künstler – der Hofstaat von Berlin«. Derlei Selbstironie war den einst Führenden leider nicht gegeben.

Am Abend gab es dann ein Konzert der alten Barden, Andert sang von einstigen Fahrstuhlbedürfnissen, Elke Förster hatte einen Pianisten an ihrer Seite, der bis zu den Proben noch nie etwas von der »Brigade Feuerstein« gehört hatte, auch das ist bezeichnend für unser neues unvereinigtes Deutschland, Bernd Rump traktierte den Flügel und sang mit wahrem Gefühle, Mensching zeigte, dass seine Gedichte nach wie vor bühnenwirksam sind, und das »Duo Sonnenschirm« mit ihrer Brachialromantik setzte den satirischen Glanzpunkt. Wunderschön und noch einmal bezeichnend eine Episode, die sie zum Besten gaben. Im Jahre 1991 waren sie ins Saarland geladen, um eine Preisverleihung zu verschönern. Der zuständige Kulturreferent fragte, wann sie denn in der DDR gesessen hätten. Als sie das verneinten, nie seien sie im Gefängnis gewesen, wollte er dann doch lieber die Texte zuvor einsehen … Wir erkennen: Die DDR wird weiterhin fester Bestandteil, zumindest im Denken von Kulturreferenten, sein.

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