Mahner
und Warner gab es genug. Sie brachten CETA zum Straucheln. Am Ende aber
ignorierte die Mehrzahl der Politiker den vielstimmigen Protest der
EU-Bürger. Doch noch gibt es Chancen, das Abkommen zu Fall zu bringen.
Am 17. September 2016 gingen in sieben deutschen Großstädten mehr als 300.000 Menschen aus Protest gegen das umstrittene Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) auf die Straße. Es war die größte Demonstration seit vielen Jahren, sie war sogar noch größer als ein Jahr zuvor die zentrale Berliner Demonstration gegen das TTIP-Abkommen mit 250.000 Teilnehmern. Den Hauptadressaten des Protestes, die SPD, haben die Proteste, jedenfalls bei CETA, kaum aus der Ruhe gebracht. Als jetzt, am 15. Februar, das EU-Parlament endgültig den Weg für CETA hätte sperren können, stimmten 16 der SPD-Abgeordneten für das Abkommen und nur fünf dagegen. Dass es im EU-Parlament eine Mehrheit geben würde, war aufgrund der weitgehenden Übereinstimmung von Konservativen und Sozialdemokraten in dieser Sache allerdings erwartet worden. Überraschend war allenfalls, wie klar die Abstimmung mit 408:254 für die Befürworter ausfiel. Von den Abgeordneten der CDU/CSU kam erwartungsgemäß keine einzige Gegenstimme.
Dieser 15. Februar markiert einen verhängnisvollen Stichtag in der europäischen Handelspolitik, er dürfte in die Geschichte eingehen. Mit seiner Zustimmung zu CETA eröffnete das EU-Parlament nicht weniger als eine neue Ära der Handelspolitik, in der Konzerne einen Einfluss wie nie zuvor auf politische Entscheidungen erhalten. Niemand wird sagen können, es habe an Warnungen gefehlt. Die für die Sozialdemokraten wahrscheinlich bedeutsamste kam vom Deutschen Gewerkschaftsbund. In einer Stellungnahme des DGB, mit dem die SPD traditionell eng verbunden ist, hieß es am 6. Dezember unmissverständlich, das Abkommen und die später angehängte gemeinsame Auslegungserklärung erfüllten in der vorliegenden Form nicht ausreichend die Anforderungen und: »Deshalb sieht der DGB die Parlamentarier insbesondere auf europäischer und auch auf nationaler Ebene in der Pflicht, einer vorläufigen Anwendung und anschließender Ratifizierung nur dann zuzustimmen, wenn Nachbesserungen … erfolgen.« Nachbesserungen hielt der DGB in fünf Bereichen für erforderlich, unter anderem beim Investitionsschutz, bei Arbeitnehmer-, Sozial- und Umweltstandards und beim Vorsorgeprinzip.
Ähnlich sehen das zwar die Basis der SPD und auch einige wenige Europaabgeordnete der Partei, nicht aber Sigmar Gabriel, Martin Schulz und andere Mitglieder der Parteiführung. Als einer der wenigen Abweichler begründete der Bremer Abgeordnete Joachim Schuster in einem Interview der jungen Welt seine Ablehnung von CETA: »Unbestimmte Rechtsbegriffe wie ›faire und gerechte Behandlung‹ können immer noch zur Begründung von Klagen [vor dem neu zu schaffenden Investitionsgerichtshof, R.-H. H.] herangezogen werden. Damit wird die Freiheit des Gesetzgebers faktisch inakzeptabel eingeschränkt.«
Diese vernichtende Einschätzung vertreten Organisationen des breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses gegen CETA in zahllosen Veranstaltungen schon seit langem. Dabei hatte den Begriff »faire und gerechte Behandlung« die SPD selbst als untauglich abgelehnt, weil sie ihn für zu dehnbar hält. Sowohl Parteitag als auch Konvent hatten als »rote Linie« festgelegt, dass der Begriff nicht akzeptabel sei. Befürchtet wurde, Schiedsgerichte könnten solche Begriffe leicht im Sinne der klagenden Konzerne auslegen. Obwohl CETA die »roten Linien« der SPD noch in weiteren Punkten verletzt, hinderte das die Parteiführung am Ende nicht, für Zustimmung zu werben.
Joachim Schuster, der bereits im Handelsausschuss des Europaparlaments gegen CETA und damit gegen seinen ParteifreundBernd Lange votierte, stimmte im Plenum am 15. Februar erneut mit Nein. Nur vier SPD-Abgeordnete teilten seine ablehnende Haltung. Dagegen stimmten die Abgeordneten der Linkspartei und der deutschen Grünen (mit Ausnahme von Rebecca Harms) geschlossen gegen CETA.
Bis heute wissen große Teile der deutschen Bevölkerung nicht, dass mit CETA – anders als nach deutschem Recht – Staaten verurteilt werden können, Investoren für entgangene zukünftige Gewinne zu entschädigen. Über die Höhe sollen Schiedsrichter entscheiden, die saftige Honorare von 3000 US-Dollar pro Tag erhalten. Es liegt nahe, dass sie damit an möglichst vielen Verfahren interessiert sind. Deren Zahl wiederum ist nicht zuletzt davon abhängig, dass die Schadensersatzurteile Anreize für Unternehmen schaffen, solche Klagen einzureichen. Was hat das eigentlich noch mit unabhängiger Rechtsprechung zu tun, fragen sich viele.
Den meisten Menschen in der EU dürfte ebenfalls unbekannt sein, dass im Falle der Verletzung von Arbeitnehmerrechten CETA keine einklagbaren Rechte enthält.
Die verbreitete Unkenntnis hängt damit zusammen, dass die allermeisten Zeitungen und Rundfunkanstalten im Falle von CETA bei ihrer Informationsaufgabe krass versagt haben. TTIP und CETA wurden überhaupt erst nach starkem Druck von unten thematisiert (während das mindestens ebenso extreme Dienstleistungsabkommen TiSA von den Medien bisher verschwindend wenig problematisiert wurde). Die Gefahren von CETA wurden bis zum Schluss verharmlost. Die Süddeutsche Zeitung, die sich selbst als Qualitätszeitung lobt, handelte etwa die ausführliche Begründung des Deutschen Richterbundes, warum der in CETA vorgesehene Investitionsgerichtshof (ICS) nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, in einem kurzen Einspalter ab. In so verkürzter Form sind die Bedenken einer Organisation, die 16.000 Richter und Staatsanwälte vertritt, kaum nachzuvollziehen.
Noch einseitiger war die Kommentierung in den allermeisten Zeitungen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Hier wurde CETA bis zuletzt gepriesen. Ausnahmen waren die ganz wenigen Zeitungen, die linke oder grüne Ideen vertreten, und die Website Nachdenkseiten.
Die Zustimmung zu CETA ist ein Meilenstein in Richtung Ultraliberalisierung des Welthandels. Er geht auf Kosten mühsam erkämpfter sozialer Errungenschaften. Aber trotz dieser schweren Niederlage gibt es weiter einige Ansatzpunkte, die völlige Durchsetzung doch noch zu stoppen: Erstens steht in den Niederlanden ein Referendum mit guten Chancen zur Ablehnung von CETA an. Zweitens muss das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüfen. Drittens behält sich Wallonien die endgültige Entscheidung weiter vor, und viertens wird im Bundesrat, der ebenfalls zustimmen muss, die erforderliche Mehrheit gegenwärtig verfehlt.
Auch wenn die SPD sich mit der Nominierung von Martin Schulz in den Umfragen verbessert hat, ist ihre Glaubwürdigkeit durch ihr Lavieren bei CETA abermals beschädigt worden. Schulz wird das als überzeugter CETA-Fürsprecher am Wahltag deutlich zu spüren bekommen. Die Nachfrage nach einer neoliberalen SPD wird sich in Grenzen halten.
Am 17. September 2016 gingen in sieben deutschen Großstädten mehr als 300.000 Menschen aus Protest gegen das umstrittene Handelsabkommen der EU mit Kanada (CETA) auf die Straße. Es war die größte Demonstration seit vielen Jahren, sie war sogar noch größer als ein Jahr zuvor die zentrale Berliner Demonstration gegen das TTIP-Abkommen mit 250.000 Teilnehmern. Den Hauptadressaten des Protestes, die SPD, haben die Proteste, jedenfalls bei CETA, kaum aus der Ruhe gebracht. Als jetzt, am 15. Februar, das EU-Parlament endgültig den Weg für CETA hätte sperren können, stimmten 16 der SPD-Abgeordneten für das Abkommen und nur fünf dagegen. Dass es im EU-Parlament eine Mehrheit geben würde, war aufgrund der weitgehenden Übereinstimmung von Konservativen und Sozialdemokraten in dieser Sache allerdings erwartet worden. Überraschend war allenfalls, wie klar die Abstimmung mit 408:254 für die Befürworter ausfiel. Von den Abgeordneten der CDU/CSU kam erwartungsgemäß keine einzige Gegenstimme.
Dieser 15. Februar markiert einen verhängnisvollen Stichtag in der europäischen Handelspolitik, er dürfte in die Geschichte eingehen. Mit seiner Zustimmung zu CETA eröffnete das EU-Parlament nicht weniger als eine neue Ära der Handelspolitik, in der Konzerne einen Einfluss wie nie zuvor auf politische Entscheidungen erhalten. Niemand wird sagen können, es habe an Warnungen gefehlt. Die für die Sozialdemokraten wahrscheinlich bedeutsamste kam vom Deutschen Gewerkschaftsbund. In einer Stellungnahme des DGB, mit dem die SPD traditionell eng verbunden ist, hieß es am 6. Dezember unmissverständlich, das Abkommen und die später angehängte gemeinsame Auslegungserklärung erfüllten in der vorliegenden Form nicht ausreichend die Anforderungen und: »Deshalb sieht der DGB die Parlamentarier insbesondere auf europäischer und auch auf nationaler Ebene in der Pflicht, einer vorläufigen Anwendung und anschließender Ratifizierung nur dann zuzustimmen, wenn Nachbesserungen … erfolgen.« Nachbesserungen hielt der DGB in fünf Bereichen für erforderlich, unter anderem beim Investitionsschutz, bei Arbeitnehmer-, Sozial- und Umweltstandards und beim Vorsorgeprinzip.
Ähnlich sehen das zwar die Basis der SPD und auch einige wenige Europaabgeordnete der Partei, nicht aber Sigmar Gabriel, Martin Schulz und andere Mitglieder der Parteiführung. Als einer der wenigen Abweichler begründete der Bremer Abgeordnete Joachim Schuster in einem Interview der jungen Welt seine Ablehnung von CETA: »Unbestimmte Rechtsbegriffe wie ›faire und gerechte Behandlung‹ können immer noch zur Begründung von Klagen [vor dem neu zu schaffenden Investitionsgerichtshof, R.-H. H.] herangezogen werden. Damit wird die Freiheit des Gesetzgebers faktisch inakzeptabel eingeschränkt.«
Diese vernichtende Einschätzung vertreten Organisationen des breiten zivilgesellschaftlichen Bündnisses gegen CETA in zahllosen Veranstaltungen schon seit langem. Dabei hatte den Begriff »faire und gerechte Behandlung« die SPD selbst als untauglich abgelehnt, weil sie ihn für zu dehnbar hält. Sowohl Parteitag als auch Konvent hatten als »rote Linie« festgelegt, dass der Begriff nicht akzeptabel sei. Befürchtet wurde, Schiedsgerichte könnten solche Begriffe leicht im Sinne der klagenden Konzerne auslegen. Obwohl CETA die »roten Linien« der SPD noch in weiteren Punkten verletzt, hinderte das die Parteiführung am Ende nicht, für Zustimmung zu werben.
Joachim Schuster, der bereits im Handelsausschuss des Europaparlaments gegen CETA und damit gegen seinen ParteifreundBernd Lange votierte, stimmte im Plenum am 15. Februar erneut mit Nein. Nur vier SPD-Abgeordnete teilten seine ablehnende Haltung. Dagegen stimmten die Abgeordneten der Linkspartei und der deutschen Grünen (mit Ausnahme von Rebecca Harms) geschlossen gegen CETA.
Bis heute wissen große Teile der deutschen Bevölkerung nicht, dass mit CETA – anders als nach deutschem Recht – Staaten verurteilt werden können, Investoren für entgangene zukünftige Gewinne zu entschädigen. Über die Höhe sollen Schiedsrichter entscheiden, die saftige Honorare von 3000 US-Dollar pro Tag erhalten. Es liegt nahe, dass sie damit an möglichst vielen Verfahren interessiert sind. Deren Zahl wiederum ist nicht zuletzt davon abhängig, dass die Schadensersatzurteile Anreize für Unternehmen schaffen, solche Klagen einzureichen. Was hat das eigentlich noch mit unabhängiger Rechtsprechung zu tun, fragen sich viele.
Den meisten Menschen in der EU dürfte ebenfalls unbekannt sein, dass im Falle der Verletzung von Arbeitnehmerrechten CETA keine einklagbaren Rechte enthält.
Die verbreitete Unkenntnis hängt damit zusammen, dass die allermeisten Zeitungen und Rundfunkanstalten im Falle von CETA bei ihrer Informationsaufgabe krass versagt haben. TTIP und CETA wurden überhaupt erst nach starkem Druck von unten thematisiert (während das mindestens ebenso extreme Dienstleistungsabkommen TiSA von den Medien bisher verschwindend wenig problematisiert wurde). Die Gefahren von CETA wurden bis zum Schluss verharmlost. Die Süddeutsche Zeitung, die sich selbst als Qualitätszeitung lobt, handelte etwa die ausführliche Begründung des Deutschen Richterbundes, warum der in CETA vorgesehene Investitionsgerichtshof (ICS) nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei, in einem kurzen Einspalter ab. In so verkürzter Form sind die Bedenken einer Organisation, die 16.000 Richter und Staatsanwälte vertritt, kaum nachzuvollziehen.
Noch einseitiger war die Kommentierung in den allermeisten Zeitungen und im öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Hier wurde CETA bis zuletzt gepriesen. Ausnahmen waren die ganz wenigen Zeitungen, die linke oder grüne Ideen vertreten, und die Website Nachdenkseiten.
Die Zustimmung zu CETA ist ein Meilenstein in Richtung Ultraliberalisierung des Welthandels. Er geht auf Kosten mühsam erkämpfter sozialer Errungenschaften. Aber trotz dieser schweren Niederlage gibt es weiter einige Ansatzpunkte, die völlige Durchsetzung doch noch zu stoppen: Erstens steht in den Niederlanden ein Referendum mit guten Chancen zur Ablehnung von CETA an. Zweitens muss das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz überprüfen. Drittens behält sich Wallonien die endgültige Entscheidung weiter vor, und viertens wird im Bundesrat, der ebenfalls zustimmen muss, die erforderliche Mehrheit gegenwärtig verfehlt.
Auch wenn die SPD sich mit der Nominierung von Martin Schulz in den Umfragen verbessert hat, ist ihre Glaubwürdigkeit durch ihr Lavieren bei CETA abermals beschädigt worden. Schulz wird das als überzeugter CETA-Fürsprecher am Wahltag deutlich zu spüren bekommen. Die Nachfrage nach einer neoliberalen SPD wird sich in Grenzen halten.
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