Freitag, 5. Juli 2013
Zum Beispiel: Josef Schafheutle (Hans Canjé)
Für die Welt aus dem Hause Springer schien es eine echte Überraschung gewesen zu sein, als die amtierende Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) verkündete, sie wolle »Klarheit über Alt-Nazis« im von ihr geleiteten Ministerium. Unter dieser Schlagzeile war jedenfalls in diesem Blatt zu lesen: »Mehr NSDAP-Mitglieder als befürchtet konnten nach dem Zweiten Weltkrieg Karriere an den Schaltstellen der Bundesregierung machen.« Zu dieser Erkenntnis zu kommen ist knapp 68 Jahre nach der Zerschlagung des Faschismus eine beachtliche Leistung. Man bedenke vergleichsweise, wie im vergangenen Vierteljahrhundert die »Aufarbeitungsindustrie« (Norbert Frei) sich mit der Geschichte der DDR befaßt hat.
Nun also, nachdem das Auswärtige Amt nach dem Ableben der dort untergekommenen NS-Protagonisten sich mit deren – nur durch die Niederlage des faschistischen Regimes kurzzeitig unterbrochenen – Tätigkeit in der Nachkriegs-BRD beschäftig hat, zieht das Justizministerium nach. Eine Historiker-Kommission soll, so alle Akten freigegeben werden, sich der braunen Blutjuristen annehmen, die im Justizministerium bald wieder Schlüsselstellungen einnehmen konnten.
Das stellt die, offensichtlich bislang ahnungslose Ministerin, »vor viele Fragen«. Es habe, sagte sie fast entsetzt, »immer wieder Entscheidungen gegeben, die die Strafverfolgung von Tätern aus der NS-Zeit nicht gerade forciert hätten«. Und dann möchte die Hausherrin im Amt noch gern herausbekommen, »wie diese personelle Kontinuität auch Auswirkungen auf die Gesetzgebung der Bundesrepublik hatte«.
Wenn die Ministerin das ernsthaft will, dann wäre neben dem von ihr genannten Komplex Familienpolitik noch vorzuschlagen, sich zum Beispiel die Akte Josef Schafheutle anzuschauen. Ein verdienter und erfahrener Jurist. Er hatte wesentlichen Anteil an der Erarbeitung des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes, das als »Blitzgesetz« in die Nachkriegsgeschichte eingegangen ist. Das Gesetz war am 9. Juli in Zweiter und am 11. Juli 1951 in Dritter Lesung im Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition und der SPD gegen die Stimmen der KPD verabschiedet worden. Am 30. August trat es in Kraft.
Sechs Jahre später, am 8. Februar 1957, sprach der CDU-Abgeordnete Hassler im Bundestag Klartext. Das Gesetz sei eine »Waffe, die geschmiedet wurde, um im Kalten Krieg zu bestehen«. Der Verfassungsrechtler Alexander von Brünneck wurde konkreter. Zitat: Das Gesetz sei »eindeutig und ausschließlich gegen die Kommunisten gerichtet«. Die »fast wörtlich aus der Strafrechtsnovelle von 1934 übernommenen Landesverratsdelikte paßten in ihrer Struktur genau in das Konzept des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes«.
Was nicht verwundern kann. Denn: Federführender »Waffenschmied« bei der Erarbeitung dieses Gesetzes im Bundesjustizministerium war Ministerialdirigent Josef Schafheutle. Der vormalige Regierungsrat im NS-Justizministerium war dort als Sachbearbeiter verantwortlich an der Schaffung der politischen Sondergesetzgebung des Regimes beteiligt. Dazu gehören unter anderem die im März 1933 verkündete »Verordnung zur Beschleunigung des Verfahrens in Hochverrats- und Landesverratssachen«, die »Verordnung über die Bildung von Sondergerichten«, das »Gesetz über Verhängung und Vollzug der Todesstrafe« und das »Gesetz zur Abwehr politischer Gewalttaten«. Schafheutle kommentierte die Verordnungen in seiner 1934 erschienenen Schrift mit den Worten: »Die wichtigste Änderung ist die Verschärfung der Strafen ...«
Genau das war auch die Zielsetzung des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes von 1951 und die Stunde des alten Kämpfers Josef Schafheutle. Die Alliierten hatten nach 1945 Sondergerichte verboten. Nun wurden sie wieder gebildet. In jedem Oberlandesgerichtsbezirk entstand eine politische Sonderstrafkammer.
Beim Bundesgerichtshof war der 3. Strafsenat als erste und letzte Instanz für politische Delikte zuständig. Auch hier war Kontinuität angesagt: Der ehemalige Richter am Reichsgericht, Chefrichter im okkupierten Dänemark und Generalrichter der Wehrmacht, Ernst Kanter, war einer der ersten Senatspräsidenten.
Stoff genug also für die Historikerkommission und die Ministerin, die sich »so viele Fragen stellt«. Vielleicht stößt sie in diesem Zusammenhang auch auf die Ergebnisse der Tätigkeit der politischen Sonderjustiz. Bundesbürger, die gegen die Wiederaufrüstung, die alten Faschisten im Staatsapparat oder gegen Ostpolitik der Bundesregierung protestiert hatten, wurden Opfer der »wehrhaften Demokratie«. Und die hatte, ausgerüstet mit den Bestimmungen des Ersten Strafrechtsänderungsgesetzes ein scharfes Schwert. Von 1951 bis 1968 wurden – mit einem Höhepunkt nach dem Verbot der KPD von 1956 durch das Bundesverfassungsgericht – an die 250.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet, in die sich rund 500.000 Bundesbürger einbezogen und 10.000 als »Verfassungsfeinde« verurteilt sahen. Das sind, um einen Parteifreund der heute amtierenden, und vor so »vielen Fragen« stehenden Justizministerin zu zitieren, »Zahlen, die einem Polizeistaat alle Ehren machen« (Werner Maihofer). Das wäre vielleicht auch ein reizvolles Thema für eine Historikerkommission, die am Ende einen Vorschlag zur Rehabilitierung derjenigen vorlegen könnte, die jene »Waffe« traf, »die geschmiedet wurde, um im Kalten Krieg zu bestehen«.
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