Freitag, 12. Juli 2013

Die humanitare Hilfe der DDR für Vietnam

Die Solidarität mit dem leidenden und kämpfenden Vietnam war für Millionen Menschen in der DDR eine Herzensangelegenheit. Diese solidarische Hilfe war von Anfang an eine Bewegung von unten, spontan und nicht stabsmäßig geplant, die von allen Schichten der Bevölkerung getragen wurde. Sie blieb der Kristallisationspunkt aller Aktionen auch dann noch, als auch in diesem bereich feste politische und organisatorische Strukturen bestimmende waren. In der noch jungen DDR haben die Bürger bereits in den 50er Jahren auf vielfältige Art und Weise ihre Solidarität mit dem um seine Existenz, Freiheit und Unabhängigkeit kämpfenden vietnamesischen Volk zum Ausdruck gebracht. Sie forderten die Beendigung des Krieges Frankreichs gegen Vietnam, das wider kolonisiert werden sollte. Nach dem Sieg der Vietnamesischen Volksarmee über die französischen Kolonialtruppen in der Schlacht bei Dien Bien Phu und der Unterzeichnung des Genfer Abkommens vor genau 55 Jahren war es dann möglich, auch konkrete materielle Hilfe zu organisieren. Zu dieser Zeit wurden alle orhaben vom bereits bestehenden Solidaritätsausschuss für Korea koordiniert, der auf Vietnam erweitert wurde. Es ist schier unglaublich, was die DDR-Bevölkerung bereits ein Jahrzehnt nach Ende des Zweiten Weltkrieges geleistet hat. Aus Zusammenstellungen des Solidaritätskomitees der DDR über Spendenleistungen seit 1956 sind für die ersten Jahre vor allem zu nennen: Die Errichtung eines Fernsprechamtes und einer Druckerei, die Ausrüstung eines Filmstudios in Hanoi, der Aufbau einer Glasfabrik in Haiphong sowie die Lieferung von 20 Fischkuttern. Parallel dazu bildeten DDR-Spezialisten vor Ort Vietnamesen für die Wartung und den Einsatz der für sie neuen Technik aus. Natürlich stand die Hilfe bei der medizinischen Versorgung ganz oben auf der Prioritätenliste. Das damals 50 Jahre alte und armselige Phu-Doan-Krankenhaus in Hanoi mit 400 Betten erhielt aus Spenden über den Solidaritätsausschuss dringend benötigte medizinische Ausrüstungen, Medikamente und Verbrauchsmaterialien. Die Ausrüstungen umfassten: Neuausstattung der Operations- und Krankensäle, der Röntgenabteilung, der Stomatologie und des Zentrallabors sowie den Aufbau einer orthopädischen Werkstatt. Auch hierbei stand die Weiterbildung des medizinischen Personals im Mittelpunkt. Als dank für die überragende Unterstützung seitens der DDR wurde diese große Klinik schon 1956 in "Krankenhaus der deutsch-vietnamesischen Freundschaft umbenannt. Es war ein Symbol der Solidarität und der Zusammenarbeit gerade auch während der militärischen Aggression der USA von 1964 bis 1973 sowie später in der Phase des Wiederaufbaus des zerstörten Landes bis zum Jahre 1989. Niemand konnte damals ahnen, dass der Weh zu Frieden, Freiheit und Einheit für das vietnamesische Volk noch so viele opferreiche Jahre dauern würde. In diesem Zusammenhang darf ich Sie an folgendes erinnern: Am 5. August 1964 begannen die USA ihre Bombardements gegen fünf Städte im Norden des Landes, darunter auch die Stadt Vinh. Unsere Antwort war die Bildung eines speziellen Vietnam-Ausschusses beim damaligen Afro-Asiatischen Solidaritätskomitee der DDR, um die spontan ansteigende Flut von Hilfsaktionen aus der Bevölkerung für Vietnam zu koordinieren und effektiv zu gestalten. Parallel dazu weitete sich die Solidaritätsbewegung in der DDR auch für andere Länder weiter aus und führte dazu, dass die vielschichtigen Aktivitäten im Lande und deren Umsetzung durch das im Jahr 1973 gegründete Solidaritätskomitee der DDR gebündelt wurden. Die Hilfsleistungen aus Spenden der Bevölkerung für Vietnam waren riesengroß. Sie beliefen sich von 1965 bis 1989 auf insgesamt 1,3 Milliarden Mark der DDR. Hinter dieser Zahl verbirgt sich eine Opferbereitschaft von vielen Millionen Menschen. Solidarität mit den Ärmsten der Armen und um ihre politische und ökonomische Unabhängigkeit kämpfenden Völker auch in Mittel- und Südamerika war zu einem inneren Bedürfnis geworden. Die Spendengelder sowie spezifische Aktionen kamen von Mitgliedern und Verbänden wie den Gewerkschaften und Bauern, von Organisationen der Frauen, der Kinder und der Jugendlichen, von Handwerkern und Gewerbetreibenden sowie von Kleintierzüchtern, aber auch von Angehörigen der Armee und der Polizei. Um die finanziellen Mittel in dieser Höhe in konkrete materielle Hilfe für Vietnam umsetzen zu können, war eine enge Zusammenarbeit des Soli-Komitees mit den zuständigen Ministerien und der Staatlichen Plankommission nötig. Da die Währung der DDR nicht konvertierbar war, mussten alle Güter bei uns im Lande gekauft und per Schiff von Rostock nach Haiphong im Norden und ab 1975 auch nach Da Nang und Na Thrang sowie nach Ho-Chi-Minh-Stadt im Süden transportiert werden. In den 60er Jahren gab es viele Aktionen, an denen unzählige DDR-Bürger beteiligt waren - darunter Blutspenden für Kriegsopfer, 4.000 mechanische Nähmaschinen aus Spenden von Frauen, drei von Eisenbahnern voll ausgerüstete und bezahlte Züge zur Reparatur von Brücken und Gleisen, Spenden von Bergarbeitern für 9.000 Tonnen Kali als Düngemittel, 10.000 Fahrräder bezahlt durch eine Aktion der Schriftsteller, 22.000 Pflanzenschutz-Sprühgeräte finanziert durch Spenden der Genossenschaftsbauern - um nur einige zu nennen. Ein Projekt, welches uns im Solidaritätskomitee all die Jahre besonders am Herzen lag, war die fortschreitende Rekonstruktion, Erweiterung und Neueinrichtung des "Krankenhauses der deutsch-vietnamesischen Freundschaft". Dadurch war es stets auf dem neuesten Stand und konnte vielen Menschen helfen sowie seinen Aufgaben als Universitätsklinik gerecht werden. Jahr für Jahr aufs Neue erfolgte die Versorgung mit medizinischen Geräten, Instrumenten, Verbrauchsmaterialien, Medikamenten und technischen Ersatzteilen. 1993 besuchte ich den Direktor des Krankenhauses, um ihm mitzuteilen, dass eine weitere Unterstützung nun nicht mehr möglich sei. Darauf antwortete er mir: "Die DDR und das Solidaritätskomitee haben uns in den schwersten Zeiten bis zum Ende der DDR treu zur Seite gestanden. Das werden wir nie vergessen. Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um das Geschaffene zum Wohle der Patienten zu erhalten." Dann fügte er noch hinzu, es sei nun an Vietnam, den Freunden in Deutschland ihre Solidarität zu erwidern. Erlauben Sie mir, nun gleichsam in Stichworten auf weitere Projekte in Vietnam hinzuweisen, die das Solidaritätskomitee zu verantworten hatte: Zum einen das Zentrum für Orthopädie und Rehabilitation in Ba Vi, das erste dieser Art in Vietnam mit allem, was dazu gehört, z.B. Herstellung von Prothesen und Rollstühlen sowie eine Ausbildungsstätte für Lehrlinge. Pro Jahr konnten 6.000 Patienten versorgt werden. Hier arbeiteten im Laufe des Jahres mehr als 120 Spezialisten aus der DDR. 54 Vietnamesen wurden zu entsprechenden Spezialisten in unserem Lande ausgebildet. Zum anderen die Einrichtung von nicht weniger als 153 Werkstätten mit insgesamt 6.500 Arbeitsplätzen, darunter solche für Metallverarbeitung, für Leder- und Holzbearbeitung, für die Reparatur von Elektromotoren und Fahrrädern sowie Scheiderwerkstätten. Und was hier auf gar keinen Fall unerwähnt bleiben darf: Die Stadt Vinh, Hauptstadt der Provinz Nghe An, wurde zur Partnerstadt der DDR erklärt. Am Wiederaufbau der völlig zerstörten Stadt beteiligte sich die DDR mit staatlichen Mitteln beim Bau von 1.600 Wohnungen und der dazu gehörigen Infrastruktur. Das Solidaritätskomitee finanzierte aus Spendenmitteln den Bau und die Einrichtung einer Schule, von zwei Kinderkrippen und eines Kindergartens sowie der Berufsschule für Bauwesen. Bestandteil aller realisierten Vorhanden war die Entsendung von DDR-Fachkräften (z.B. im Werkstattprogramm von 800 Handwerkern) sowie die projektbezogene Ausbildung und Qualifizierung von Vietnamesen sowohl vor Ort als auch in der DDR - und das auch noch viele Jahre nach Fertigstellung der jeweiligen Objekte. Gestatten Sie mir, an dieser Stelle auch auf ein ernstes Problem hinzuweisen, vor dem wir in den 80er Jahren standen: Es ging um das kritische Verhältnis zwischen dem enormen Spendenaufkommen einerseits und den ökonomischen Möglichkeiten der DDR andererseits. Die wirtschaftliche Kraft und die wirtschaftlichen Ressourcen unseres Landes waren begrenzt. Somit wurde es zunehmend schwieriger, die Spendenbereitschaft auch in konkrete materielle Unterstützung z.B. für Vietnam umzusetzen. Große Projekte standen nun nicht mehr auf der Tagesordnung. Dennoch konnten unter großen Anstrengungen umfangreiche jährliche Lieferungen von dringend benötigten Gütern für das Orthopädiezentrum und das Krankenhaus fortgesetzt werden. Außerdem gingen Jahr für Jahr vor allem Schulmaterialien, medizinisches Verbrauchsmaterial, Nähmaschinen, Fahrräder, Waschpulver, Bekleidungsstoffe sowie Waren des täglichen Bedarfs per Schiff nach Vietnam. Die materiellen Engpässe in der DDR führten dazu, dass von 1983 bis 1989 die Finanzierung des Studiums von jungen Menschen aus Entwicklungsländern an unseren Universitäten, Hoch- und Fachschulen und für die Berufsausbildung zu einem neuen Schwerpunkt der Solidaritätsarbeit wurde. In diesem Zeitraum trug das Solidaritätskomitee der DDR die gesamten Studiums- und Ausbildungskosten von Vietnamesen. Die jährliche Aufnahmekapazität betrug 165 Plätze zum Studium und 250 Plätze für die Berufsausbildung. Das war auf jeden Fall eine wichtige Investition in die Zukunft Vietnams. Insgesamt absolvierten in der DDR mehr als 3.000 Vietnamesen Universitäten, Hoch- und Fachschulen, 11.000 Vietnamesen erhielten eine Facharbeiterausbildung. Summe summarum wäre festzustellen: Die DDR und ihre Bevölkerung haben eine riesige Leistung zur Unterstützung Vietnams vollbracht, auch wenn das aus der Sicht der enormen Bedürfnisse dieses Landes zu relativieren wäre. Die moralische Wirkung dieser Hilfe auf die Menschen in Vietnam kann dagegen nicht hoch genug gewertet werden. Sie stärke den Mut und den Willen, die Feinde militärisch zu besiegen, die Hinterlassenschaften des Krieges zu überwinden sowie mit großem Fleiß und zielbewusst ein neues Leben aufzubauen. Den Blick zurück auf die DDR zu richten, um Antworten für die Zukunft zu finden, wäre bei meinem Thema unvollständig, ohne der Frage nachzugehen, wie es heute bei uns um die Solidarität bestellt ist. Ohne lange Erklärungen ist festzustellen: Mein Verein, der "Solidaritätsdienst - international e.V." (SODI), wurde 1990 gegründet und verstand sich in gewisser Weise als Nachfolger des Solidaritätskomitees der DDR. Er setzte die Tradition der solidarischen Hilfe auch in Vietnam fort, um den Menschen zu helfen, die Kriegsfolgen und die daraus entstandene Armut zu überwinden. SODI knüpft nahtlos an die tief verwurzelten Gefühle der humanitären Hilfe und der Solidarität an. Allerdings gab es beim Spendenaufkommen dramatische Einbrüche, weil die Wirtschaft in unserem Teil Deutschlands und damit auch die Existenzgrundlagen vieler Menschen in kurzer Zeit zunichte gemacht wurden. Aber die systematische Präsenz von SODI hat dazu beigetragen, den Solidaritätsgedanken wach zu halten und ihm eine neue Orientierung zu geben. Somit konnte auch neue Menschengruppen erreicht werden. Das Ergebnis ist: Trotz aller Widrigkeiten stieg das Spendenaufkommen nach und nach wieder an. Die Leistungen für Vietnam wurden sowohl aus steigenden Spendeneinnahmen als auch durch ergänzende finanzielle Zuwendungen ermöglicht. Es war auch kein Zufall, dass SODI in Vinh, der Partnerstadt der DDR, die neue Projektarbeit begann und bis heute fortsetzt. Dabei nutzten wir die Erfahrungen aus der DDR-Zeit und brachten einen neuen, äußerst wichtigen Faktor zum Tragen. SODI konnte und kann nun im Unterschied zu früher die D-Mark bzw. den Euro als konvertierbare Währung einsetzen. Die Hilfsprojekte werden direkt vor Ort in enger Zusammenarbeit mit vietnamesischen Kräften und Organisationen sowie gemeinsam mit der Bevölkerung geplant, vorbereitet und realisiert. Dadurch ist unser Verein immer in der Lage, auch für die kleinste Geldspende einen konkreten Empfänger und ein konkretes Projekt zu benennen. Das war eine der Voraussetzungen für den ständigen Anstieg der Spenden auf dem Konto von SODI. Außerdem haben wir aus der Not eine Tugend gemacht und nach 1990 funktionstüchtige medizinische Geräte und sehr gut erhaltene Ausrüstungen gesammelt und in großen Containern auch nach Vietnam geschickt. Bekanntlich wurden damals ganze Krankenhäuser geschlossen bzw. völlig neu ausgestattet auch dann, wenn es sich um nagelneue und hochwertige Aggregate und Einrichtungsgegenstände handelte. SODI hat sich durch seine Aktionen und Dank der Spenden aus der Bevölkerung vor allem der so genannten neuen Bundesländer eine feste Position erarbeitet und zwar sowohl in Gesamtdeutschland als auch in Ländern Asiens und Afrikas sowie mit Abstrichen auch in Lateinamerika. Das Kürzel SODI ist in Vietnam im Laufe der vergangenen 20 Jahre sozusagen zu einem Markenzeichen für die solidarische und humanitäre Hilfe aus Deutschland geworden. Monika van der Meer (1980-1990 Mitarbeiterin für Asien im Solidaritätskomitee der DDR, bis 2002 Projektmanagerin beim Solidaritätsdienst-international (SODI) für Vietnam, Laos und Kambodscha. Mitglied im Solidaritätsdienst-international e.V. -SODI-) Auszüge aus dem Vortrag auf der wissenschaftlichen Konferenz vom 10./11. Oktober 2009 in Berlin anlässlich des 60. Gründungstages der Gründung der DDR, veranstaltet durch offen-siv. http://ddr-kabinett-bochum.blogspot.de/2013/07/die-humanitare-hilfe-der-ddr-fur-vietnam.html

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