Sonntag, 21. Juli 2013
Kunst kommt von Kenntnis (Ingeborg Arlt)
Ein künstlerisches Werk, das sich schwer einordnen läßt, beweist, daß der Künstler sich nicht untergeordnet hat: Keiner Doktrin, keinen kulturpolitischen Vorgaben, keiner Strömung, auch keinem Vorbild. So ein Künstler wird sich vielleicht eine Zeit lang an etwas beteiligen, das ihn überzeugt. Aber er wird aussteigen, sobald er merkt: Er ist reingefallen. Wenn die Ziele derer, die ihn für sich beanspruchen möchten, nicht die seinen sind, hat er nur die Wahl, sich selbst zu verraten – und dann ist nichts mehr da, was seinem Werk Substanz geben könnte – oder sich zurückzuziehen. Letzteres kostet ihn die Anerkennung zu Lebzeiten und auferlegt den Nachkommenden eine Verpflichtung – wie im Falle des Malers Herbert Kunze.
Herbert Kunze, 1913 in Chemnitz geboren, war von 1953 bis 1975 als Dozent an der Dresdener Hochschule für Bildende Künste tätig. Er verstarb 1981 in Dresden und hinterließ uns ein künstlerisches Werk, das sich vom Realismus bis zum Informell entwickelte. Das war nicht, was man seinerzeit wollte. Und folglich wollte man seinerzeit Kunze nicht. Man versetzte ihn aus dem Grundstudium in die Material- und Farblehre. Daß er versagt habe »in ideologischer und erzieherischer Hinsicht«, bekam er schriftlich. Daß er sich den Studenten nicht versagte, daß er ungeachtet zunehmender Schwierigkeiten, die ihm die Hochschulleitung und manche Kollegen machten, ihnen trotzdem mit seinem Wissen beistand, sie auf die damals verpönte Klassische Moderne verwies, über Arbeiten mit ihnen sprach, die der herrschenden Doktrin nicht entsprachen und die sie ihm deshalb heimlich zeigten, »Ja, kommen Sie nachher rauf, aber passen Sie auf, daß Sie niemand sieht«, läßt ahnen, warum aus seinen damaligen Studenten so viele namhafte Künstler hervorgingen und warum diese sich heute noch voller Achtung auf ihn berufen. Diese Achtung sollte nun auch seinem Werk zukommen. Sein 100. Geburtstag wäre doch ein Anlaß?
Wiederholt machte schon die Kunsthistorikerin Reinhild Tetzlaff († 2010) auf die Qualität besonders des Kunzeschen Spätwerks aufmerksam. Ein Engagement, das, da es noch in den letzten DDR-Jahren stattfand, ihr nicht nur positive Beachtung eintrug. 1997 zeigte in Dresden die Galerie Döbele eine gemeinsame Ausstellung von Emil Schumacher und Herbert Kunze. Emil Schumacher schätzte Kunze. 2003 präsentierte Roland März in seiner Ausstellung »Kunst in der DDR« in der Berliner Neuen Nationalgalerie ein Werk Herbert Kunzes. Auch Sigrid Hofer aus Marburg räumte in der Ausstellung »Gegenwelten – Informelle Malerei in der DDR« dem Künstler einen wichtigen Platz ein. Man sollte nun meinen, vor diesem Hintergrund sei es ein Leichtes, Herbert Kunze anläßlich seines 100. Geburtstages zu einer Würdigung zu verhelfen. Vielleicht an seinem Wirkungsort? Oder in seiner Geburtsstadt?
In letzterer versuchte ich es – als Schriftstellerin mit dem Museums-, Galerien- und Ausstellungswesen unvertraut und deshalb frohgemut. Verblüfft starrte ich auf die Antwort. »Wir können Ihren Lehrer nicht ausstellen.« Lehrer? Hatte ich nicht geschrieben. Herbert Kunze war nicht mein Lehrer. Er war der Lehrer von Joachim Böttcher, Manfred Böttcher, Eberhard Göschel, Michael Freudenberg, Veit Hofmann, Gerda Lepke, Marlies Lilge, Sigrid Noack, Stefan Plenkers und Rainer Zille.
Immerhin: In Chemnitz antwortete man noch.
Ob es nun 100. Geburtstage sind oder Vorschläge von Außenstehenden, die in Kunstsammlungen, Kunstmuseen, Kunstgalerien, Kunsthallen nicht besonders geschätzt werden, und zwar selbst in solchen nicht, die sich auf ihrer Website der Präsentation ehedem marginalisierter KünstlerInnen aus der DDR ausdrücklich rühmen, ist eine Frage, die mir nun nachgeht. Vor allem wegen ihrer Auswirkungen auf die Kunst geht sie mir nach. Der Kunst, deren Name ja nicht, wie immer behauptet wird, von »können« kommt, sondern etymologisch von »Kenntnis«.
Der Künstler Herbert Kunze setzte auf Kenntnis. Er setzte auf die Kenntnis des Handwerks, die Kenntnis der Vorgänger, die Kenntnis der Kunstentwicklung und die Kenntnis des Lebens, das sich jenseits von Posteingangsbüchern und Verwaltungen abspielt. Mir scheint, ein Künstler, der auf Kenntnis setzt, hat es auch nach seinem Tode nicht leicht: Ein Grund mehr, an den Maler Herbert Kunze zu erinnern.
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