Sonntag, 21. Juli 2013
Kommentar: Geheimhaltung, Demokratie und Militär
IMI-Standpunkt 2013/034
von: Thomas Mickan | Veröffentlicht am: 18. Juli 2013
Geheimhaltung ist ein konstitutives Element des Militärischen. Jedes Militär, auch die Bundeswehr, ist auf diese angewiesen, sie liegt in der Natur des Militärischen selbst.[1] Geheimhaltung und Demokratie stehen jedoch in einem Spannungsverhältnis. Werden dabei potenzielle Entscheidungen über Leben und Tod, Krieg und Frieden getroffen, muss dieses Spannungsverhältnis – jeder Demokratie ansonsten unwürdig – zugunsten von informierten Bürgerinnen und Bürgern aufgelöst werden.[2] Diese müssen schließlich als Gemeinwesen den Krieg führen und als informierte Teilnehmer_innen solcher Entscheidungen diese gegebenenfalls mittragen, das heißt sie legitimieren oder dagegen ihre Stimme erheben können. Solange beispielsweise keine offiziellen Zahlen bekannt gegeben werden, wie viele Menschen die Bundeswehr, egal ob Aufständische oder nicht, durch Waffeneinsatz oder Unfälle in Afghanistan getötet hat, ist es unmöglich, irgendein Fazit über das ganze Ausmaß an Schäden und den vermeintlichen Nutzen des Krieges in Afghanistan zu ziehen, schon gar kein positives, wie es so manche Politiker_innen zuweilen versuchen.
Diesen Umstand der Unvereinbarkeit von Demokratie und Geheimhaltung in Fragen von Krieg und Frieden berücksichtigend, ereignete sich in den letzten Tagen ein politisches Trauerspiel. Wie der Focus und die Bild-Zeitung berichteten, trägt Keith Alexander, der Chef des US-Geheimdienstes NSA, der für die Prism-Überwachung zuständig ist, bei öffentlichen Auftritten ein Fallschirmjäger_innenabzeichen der Bundeswehr, das er bei einer gemeinsamen Fallschirmjäger_innenübung in seiner Stationierungszeit in Deutschland erwarb. Den Berichten der Zeitungen folgend, empörten sich dabei der SPD-Verteidigungsexperte MdB Lars Klingbeil und der FDP-Politiker MdB Burkhardt Müller-Sönsken und forderten, dass er dieses Zeichen der Bundeswehr bis zur weiteren Klärung der NSA-Abhörungen ablegen solle.[3] Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass nur wenige Tage später die gleichen und andere Zeitungen, darüber berichten, dass die Bundeswehr (ganz abgesehen vom BND) schon seit 2011 von Prism wisse und womöglich dessen Daten (indirekt) nutze, wie aus ebenfalls geheimen NATO-Dokumenten zu entnehmen sei.[4] Schnell wurde von der Bundesregierung dementiert, dass es sich um dasselbe Prism handele, über das Deutschland derzeit diskutiere.[5] Das Prism in Afghanistan habe der Unterstützung der Soldat_innen gedient und keineswegs der Ausspionierung wie das andere Prism, was eigentlich ja auch nicht der Ausspionierung diene, sondern vor allem der Verhinderung von Terroranschlägen, über welches aber auch niemand genaueres weiß, außer dass es eben nicht jenes Prism in Afghanistan sein könne. Die Bild-Zeitung legte dann noch einmal nach, indem sie darauf verwies, dass beide Prism auf die gleichen Datenbaken wie zum Beispiel „MAINWAY“, zugriffen.[6] Sicher scheint zu sein, dass nichts sicher ist, und das im doppelten Wortsinne.
Mit einer „überraschenden“ anderen Gewissheit und (neuem) Selbstvertrauen trat vor einigen Tagen der Militärische Abschirmdienst (MAD) aus der vermuteten Selbstmontage eines Geheimdienstes nach dem NSU-Skandal auf: Im vergangenem Jahr 2012 konnten 400 Extremist_innen innerhalb der Bundeswehr, die große Mehrzahl Rechtsextremist_innen, „enttarnt“ werden. Der MAD-Präsident Ulrich Birkenheier erklärte die Attraktivität der Bundeswehr für Rechtsextremisten dadurch, dass „dort eine bestimmte Struktur herrsch[e]”[7] – Chapeau! Herr Birkenheier, eine Erkenntnis die jedem militärischen Geheimdienst würdig ist. Von dieser bemerkenswerten Einsicht, die zum Nachdenken über die Bundeswehr anregen sollte, ungetrübt, äußerte sich dann der Grünen-Politiker MdB Wolfgang Wieland in der Berliner Zeitung mit dem Satz, dass man den Eindruck bekomme, die Bundeswehr sei nicht „Schule der Nation, sondern […] Schule der Neonazis“.[8] Eine wohl gut gemeinte Kritik, die leider an Herrn Birkenheiers scharfen analytischen Verstand nicht heranreichen kann. Die Bundeswehr als „Schule der Nation“ zu verstehen, ist entweder schlechte Ironie oder eine grausige Replik auf ein Verständnis des Militärischen, das eher an die undemokratische wilhelminische Kaiserzeit erinnert und alles andere als geeignet ist, die rechtsextremistischen Elemente in der Bundeswehr und den Umgang mit ihnen zu kritisieren, die durch den überaus „demokratisch transparenten“ MAD zu Tage gefördert wurden. Der MAD wollte dabei sein Engagement gegen Rechts zugleich belohnt wissen, mit einer Ausweitung seiner Überwachungskompetenzen auf alle Bewerber_innen für den Dienst an der Waffe.[9] Indirekt bedeutet das auch, bei Sicherheitsüberprüfungen Zugriff auf das mögliche Umfeld der Bewerber_innen zu erlangen – ein Ruf, der angesichts der flächendeckenden Überwachung fast schon überflüssig erscheint oder als eine Bitte verstanden werden muss, selbst auf diese Daten zugreifen zu dürfen.
Dass der MAD nicht auch gleich einforderte, die zivilen Mitarbeiter_innen, die als deutsche Vertreter_innen für die NATO arbeiten, zu überwachen, erstaunt angesichts der Expansionsbestrebungen des MAD und eines Gerichtsprozess in Koblenz. Dort steht seit einigen Tagen ein sich mittlerweile im Ruhestand befindender ehemaliger NATO-Mitarbeiter vor Gericht. Der Vorwurf lautet, er solle das US-Militär im US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein ausspioniert haben und die Weitergabe der so erlangten Daten planen. Laut Zeitungsberichten bestreite der 61-jährige aber, die Daten weitergeben zu wollen. Er wollte lediglich auf ein Sicherheitsproblem aufmerksam machen, und vermutet, dass die Vorwürfe gemacht würden, „liege wohl daran, dass er zwischen 2008 und 2010 einige Veranstaltungen der rechtsextremen NPD besucht habe und der Verfassungsschutz (Inlandsgeheimdienst) darüber erbost gewesen sei.“[10] Es fehlen einem die Worte.
Festzuhalten bleibt, dass es sich bei diesen Vorfällen, die das Verhältnis von Militär und Geheimhaltung betreffen, nicht um Ausrutscher handelt oder um unterschiedliche Auffassungen, was denn eine gute Demokratie sei. Es sind Zeichen jedes Militärischen, die gut veranschaulichen, wie auch die Geheimhaltung des Militärs jegliche Demokratie zu untergraben droht – in Zeiten von zunehmenden Drohnenangriffen, geheimen Spezialkommandos und flächendeckender Überwachung gilt dies noch mehr als zuvor. Der Verweis mancher Sicherheitsexpert_innen, das Militär würde die Demokratie schützen, ist dabei ein Trugbild, dass es vermeintlich einfach macht, aus dem offensichtlichen Widerspruch von Militär und Demokratie zu entfliehen. Viel eher ist im Gegenteil zutreffend, dass nur das beständige Engagement von vielen aktiven Menschen in der Demokratie gegen eine fortschreitende Militarisierung das Gemeinwesen vor dem Militär, dessen Denkweisen und rechter Kumpanei schützt.
[1] Vgl. hierzu z.B.: Perthes, Volker (2011): Wikileaks und warum Diskretion in der Außen- und Sicherheitspolitik wichtig sind. In: Wikileaks und die Folgen (2011), Edition Suhrkamp, S. 164-174.
[2] Zu den engen Grenzen jeder parlamentarischen Kontrolle vgl. Bannas, Günter (FAZ 16.7.2013): Inhalt vertraulich, Erkenntnis dürftig, Folgen: keine, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/nsa-affaere-inhalt-vertraulich-erkenntnis-duerftig-folgen-keine-12284478.html.
[3] Focus (16.7.2013): Politiker empört: NSA-Chef trägt Bundeswehr-Abzeichen, URL: http://www.focus.de/politik/ausland/general-alexander-lebte-in-bayern-politiker-empoert-nsa-chef-traegt-bundeswehr-abzeichen_aid_1044573.html; Bild (16.7.2013): Das deutsche Geheimnis des NSA-Chefs, URL: http://www.bild.de/politik/ausland/edward-snowden/das-deutsche-geheimnis-des-nsa-chefs-31353902.bild.html.
[4] Vgl. z.B. FAZ (17.7.2013): „Brisante Hinweise“ auf die Spähprogramme, URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/was-wussten-bundeswehr-und-bnd-brisante-hinweise-auf-die-spaehprogramme-12285004.html.
[5] Dokumentiert u.a. bei Wiegold, Thomas (17.7.2013): Briefmarke; PRISM und die Bundeswehr, URL: http://augengeradeaus.net/2013/07/kurze-urlaubsunterbrechung-briefmarke-prism-und-die-bundeswehr/#more-12240.
[6] Reichelt, Julian (Bild, 17.7.2013): Gibt es plötzlich ZWEI Spähprogramme? URL: http://www.bild.de/politik/ausland/edward-snowden/gibt-es-zwei-spaeh-programme-31385042.bild.html.
[7] Vgl. z.B.: tagesschau.de (14.7.2013): Etwa 400 Extremisten in der Bundeswehr, URL: http://www.tagesschau.de/inland/bundeswehr666.html.
[8] Gajevic, Mira (2013): Kommentar: Späte Erkenntnisse des MAD, Berliner Zeitung, 14.7.2013, URL: http://www.berliner-zeitung.de/meinung/bundeswehr-kommentar–spaete-erkenntnisse-des-mad,10808020,23713396.html.
[9] Vgl. z.B.: tagesschau.de (14.7.2013): Etwa 400 Extremisten in der Bundeswehr.
[10] Tiroler Tageszeitung (17.7.2013): NATO-Mitarbeiter soll US-Militär in Deutschland ausspioniert haben, URL: http://www.tt.com/%C3%9Cberblick/Chronik/6890655-6/nato-mitarbeiter-soll-us-milit%C3%A4r-in-deutschland-ausspioniert-haben.csp.
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen