Freitag, 5. Juli 2013
Für Ethel und Julius Rosenberg (Conrad Taler)
Er starb vor ihr. Um 20 Uhr schaltete der Henker in der Todeskammer des Staatsgefängnisses von New York den Strom für den elektrischen Stuhl ein, auf dem Julius Rosenberg mit Ledermanschetten festgebunden war. Nach sechs Minuten stellte ein Arzt den Tod des 35jährigen fest. Kurz danach war seine zwei Jahre ältere Frau Ethel an der Reihe. »Frau Rosenberg saß auf dem elektrischen Stuhl mit dem beherrschtesten Blick, den man jemals sah«, schrieb ein Journalist, der bei der Hinrichtung zugegen war. Der erste Stromstoß fuhr um 20 Uhr 11 Minuten durch ihren Körper. Zwei weitere folgten, aber selbst dann vernahm der Arzt immer noch Herztöne. Auf seinen Wink hin löste der Henker abermals einen Stromschlag aus, und dann noch einen. Dann erst wurde Ethel Rosenberg für tot erklärt. Zwei minderjährige Kinder hatten ihre Eltern verloren. Das war am 19. Juni 1953.
Die »Chronik des 20. Jahrhunderts« notiert unter dem 20. Juni: »Trotz internationaler Proteste wird das Ehepaar Ethel und Julius Rosenberg in den USA auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet. Sie sind angeklagt, an der Weitergabe von amerikanischen Atomgeheimnissen an die Sowjetunion beteiligt zu sein. Ihnen kann jedoch bestenfalls eine mittelbare Täterschaft nachgewiesen werden.« Beide hatten bis zum Schluß ihre Unschuld beteuert. Drei Mal war die Hinrichtung in letzter Minute verschoben worden. Nachdem Präsident Eisenhower am 19. Juni ein letztes Gnadengesuch abgelehnt hatte, wurde sie am selben Tag vollstreckt.
Unter dem Eindruck der weltweiten Empörung rechtfertigte Eisenhower die Hinrichtung. Er verschließe sich nicht vor der Tatsache, »daß dieser Fall im In- und Ausland in den Köpfen ernster Menschen schwere Besorgnis erregt hat, von juristischen Erwägungen ganz zu schweigen«, erklärte der Präsident in einer Stellungnahme. Die Hinrichtung zweier Menschenwesen sei eine ernste Angelegenheit. Aber noch ernster sei der Gedanke an die Millionen Menschen, deren Tod direkt auf die Taten dieser Spione zurückgeführt werden könnte.
Die beiden Angeklagten kamen 1951 in einer Zeit allgemeiner politischer Hysterie vor Gericht. Im Jahr davor hatte der republikanische Senator Joseph McCarthy die amerikanische Öffentlichkeit mit der Behauptung in Aufruhr versetzt, der Regierungsapparat der Vereinigten Staaten sei von Kommunisten unterwandert. Ein Unterausschuß des Senats bezeichnete die Vorwürfe nach fünfmonatiger Prüfung als »Betrug und Schwindel am US-Senat und dem amerikanischen Volk«. Ungeachtet dessen setzte McCarthy seine Kampagne gegen vermeintlich unzuverlässige Amerikaner fort und stürzte Tausende ins Unglück. Er selbst starb mit 49 Jahren an den Folgen seiner Alkoholsucht.
In der aufgeheizten innenpolitischen Atmosphäre hatten Ethel und Julius Rosenberg, die sich 1936 in der Young Communist League kennengelernt hatten, keine Chance. Wichtigster Zeuge der Staatsanwaltschaft war Ethels Bruder David Greenglass, der seine Haut zu retten versuchte, indem er seine Schwester und seinen Schwager belastete. Als Gegenleistung wurde er ungeachtet der eigenen Spionagetätigkeit zu lediglich 15 Jahren Haft verurteilt und nach zehn Jahren entlassen. Als 86jähriger gab er zu, vor Gericht gelogen zu haben. Der ehemalige sowjetische Geheimdienstoffizier Alexander Feklisow sagte nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation, Ethel Rosenberg sei vermutlich zu Unrecht hingerichtet worden. Ihr Mann hingegen habe in der Tat militärische Informationen von geringer Bedeutung weitergegeben. Nachdem ein Teil der Prozeßakten freigegeben worden war, strengte der Vorsitzende des amerikanischen Rosenberg-Komitees, Rechtsanwalt Marshall Perlin, ein neues Gerichtsverfahren an, das 1993 mit einem Freispruch endete. Nach Darstellung des Vorsitzenden Richters gab es keine wirklichen Beweise für eine Beteiligung der Rosenbergs am Verrat militärischer Geheimnisse.
Unter den zahlreichen Persönlichkeiten, die gegen die Verurteilung von Ethel und Julius Rosenberg protestierten, waren Papst Pius XII., Albert Einstein, Jean-Paul Sartre und Pablo Picasso, der seine Verbundenheit mit den beiden Hingerichteten durch zwei weitgehend unbekannte Porträtzeichnungen bekundete. In der Bundesrepublik Deutschland blieb das Ereignis ohne nennenswerte Resonanz. 60 Jahre später bezeichnete Günter Grass den wegen Spionage zu 18 Jahren Haft verurteilten israelischen Nukleartechniker Mordechai Vanunu in seinem Gedichtband »Eintagsfliegen« als Vorbild und Helden und rief zwischen den Zeilen zum Verrat militärischer Geheimnisse überall dort auf, wo Vernichtungswaffen hergestellt würden.
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