Freitag, 3. Mai 2013

Konzept der Bundeswehr zur Aufstandsbekämpfung in den Ländern des globalen Südens Teil 2

Im Keim ersticken (II) BERLIN/KIEL german-foreign-policy vom 02.05.2013 – Ein an der Universität Kiel neu entwickeltes Konzept für die Aufstandsbekämpfung der Bundeswehr fordert die Intensivierung der Auslandsspionage und eine stärkere staatliche Nutzung von Nichtregierungsorganisationen bei Militärinterventionen. Die im Auftrag des Bundesverteidigungsministeriums angefertigte Counterinsurgency-Studie plädiert unter anderem für die straffe Zentralisierung der Kommandobefugnisse und eine drastische Vergrößerung des Spionageapparats. Auch Nichtregierungsorganisationen (Non Governmental Organizations, NGOs) sollen weit stärker als bisher in den Kampf gegen Widerstandsbewegungen eingebunden werden. Ihnen wird die Fähigkeit zugeschrieben, durch humanitäre Hilfsleistungen zur „Stabilisierung fragiler Staaten“ und damit „indirekt“ zur Niederschlagung von Aufständen beizutragen. Die Lehren des Afghanistan-Kriegs Wie Robin Schroeder vom Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel (ISPK) schreibt, soll seine für das Bundesverteidigungsministerium angefertigte Studie über „Counterinsurgency“ (Aufstandsbekämpfung) dazu beitragen, die „Handlungsfähigkeit Deutschlands“ gegenüber den Ländern des globalen Südens zu stärken.[1] Vor dem Hintergrund der „geostrategischen Neuausrichtung“ der USA gen Südostasien müsse die BRD „in Zukunft mehr Verantwortung für die Wahrung von Stabilität und Sicherheit der an Europa angrenzenden unruhigen Regionen übernehmen“, erklärt der Autor. Dabei liege es im deutschen „außenpolitische(n) Interesse“, die Regierungen von „fragilen“ respektive „schwachen“ Staaten, deren „Stabilität“ von Aufständischen bedroht werde, „dabei zu unterstützen, den Aufstand zu beenden und Sicherheit und Ordnung wiederherzustellen“. Zu untersuchen sei daher, über welche „Fähigkeiten, Ressourcen und Strukturen“ für eine „effektive“ Aufstandsbekämpfung die hiesige politisch-militärische Führung verfügen müsse, und entsprechende „konkrete Politikempfehlungen“ zu formulieren. Als „Grundlage“ hierfür dienen Schroeder die „in Afghanistan gewonnenen Erfahrungen“. Statebuilding: „Überambitioniert“ Eine der zentralen „Lehren“ aus dem Afghanistankrieg besteht dem Autor zufolge in der Erkenntnis, Aufstandsbekämpfung müsse eine „ressortgemeinsame Aufgabe“ des Auswärtigen Amts und der Ministerien für Verteidigung, Inneres und Entwicklung sein. Allerdings fehlt es laut Schroeder sowohl an einer entsprechenden „Strategie“ als auch an einer zentralen Führungsinstanz. Letztere solle „allen Ressorts gegenüber weisungsberechtigt“ sein und die alleinige „Verantwortung für das gesamtstaatliche Handeln Deutschlands in einem Auslandseinsatz“ tragen – eine Funktion, die nach Auffassung des Autors wahlweise vom Auswärtigen Amt oder vom Bundeskanzleramt übernommen werden kann. Strategisch müsse man sich darauf konzentrieren, „alle einem Staat zur Verfügung stehenden Mittel“ einzusetzen, um gegen westliche Interessen gerichtete Widerstandsbewegungen zu zerschlagen, sich zugleich aber von „überambitionierte(n) Statebuilding-Projekt(en)“ wie in Afghanistan verabschieden, erklärt der Verfasser der Counterinsurgency-Studie. Sensoren außerhalb des Feldlagers Daneben identifiziert Schroeder verschiedene „Probleme auf operativer Ebene“, zu denen er insbesondere den Mangel an für die Aufstandsbekämpfung relevanten Informationen zählt. So sei ein „umfassendes und präzises Lagebild“ etwa dann „entscheidend“, wenn es darum gehe, „in einem fremden und äußerst komplexen Umfeld Aufständische vom großen Rest der Bevölkerung zu unterscheiden“. Ein solches „Lagebild“ aber lasse sich letztlich nur durch den Kontakt zu Einheimischen „generieren“, weshalb sowohl die zivilen wie die militärischen Mitarbeiter eines deutschen Einsatzkontingents zur „Gesprächsaufklärung“ angehalten seien: „Jede Person, die sich außerhalb des Feldlagers bewegt und im Kontakt zur Bevölkerung steht, ist prinzipiell ein Sensor, der Informationen aufnimmt.“ Gleichzeitig fordert der Autor, bestehende „Restriktionen“ für Spionageoperationen zu beseitigen; nur auf diese Weise könne eine „effektive Arbeitsteilung und Kooperation zwischen Bundesnachrichtendienst und anderen Akteuren wie beispielsweise den militärischen Feldnachrichtenkräften“ gewährleistet werden. Notwendig sei darüber hinaus die „Einführung einer gut durchdachten zentralen Datenbank“ sowie der „Aufbau einer personalstarken Analyse-Abteilung“ aus zivilen Spezialisten wie Linguisten, Regionalwissenschaftlern, Ökonomen und Entwicklungshelfern: „Dies würde nicht nur die Erstellung eines präziseren Lagebildes, sondern auch eine systematischere Messung des tatsächlichen Wirkungsgrades von Stabilisierungsmaßnahmen ermöglichen.“ Ein Modus Vivendi mit den NGOs Auch den in Bürgerkriegsgebieten aktiven Nichtregierungsorganisationen (Non Governmental Organizations, NGOs) weist der Autor der Counterinsurgency-Studie eine Funktion im Rahmen der Aufstandsbekämpfung zu. So trage die von ihnen etwa im Bildungs- und Gesundheitsbereich geleistete „humanitäre Hilfe“ wesentlich zur „Stabilisierung eines fragilen Staates“ bei, erklärt Schroeder: „Durch die Erzielung von positiven Effekten auf die Stabilität eines Raumes kann die Arbeit einer NGO (…) indirekt zur Bewältigung eines Aufstandes beitragen.“ Entscheidend hierfür sei allerdings, dass die NGOs ihre Arbeit an den Interessen der westlichen Interventionstruppen und der mit diesen verbündeten Kollaborationsregierung orientieren: „Helfen humanitäre NGOs der Bevölkerung in Räumen, die faktisch von Aufständischen kontrolliert werden, so können letztere die Taten der NGOs mittelbar oder unmittelbar als eigene Leistungen deklarieren. Indem die Aufständischen so kommunizieren, dass den Menschen auch unter ihrer Kontrolle geholfen wird, können sie die Legitimität des Staates gezielt untergraben.“ Abschließend konstatiert der Autor, „dass staatliche Organisation und NGOs heute einen belastbaren Modus Vivendi gefunden haben“; es seien „keine Probleme“ zu identifizieren, „die strategische Konsequenzen hätten“.[2] Eine neue Gendarmerie Um die „Handlungsfähigkeit Deutschlands“ auf dem Gebiet der Aufstandsbekämpfung zu „verbessern“, fordert Schroeder zudem, eine dem Bundesverteidigungsministerium unterstellte Gendarmerie-Einheit aufzubauen. Diese soll seiner Ansicht nach sowohl für die Ausbildung einheimischer Polizeikräfte im Interventionsgebiet zuständig sein als auch „polizeiliche Exekutivfunktionen wahrnehmen“. Alternativ könnten „entsprechend aufgestellte Kräfte der Bundespolizei wie vormals der Bundesgrenzschutz den Kombattantenstatus sowie eine entsprechende Ausbildung und Ausrüstung erhalten“, erklärt der Autor: „Dies würde eine einsatzbegleitende, praktische Ausbildung von lokalen Polizeikräften im Feld ermöglichen. Ein solches Partnering, wie es durch das Militär (…) praktiziert wird, wäre wesentlich effektiver als der derzeitige Ansatz, da die Simulation von Einsatzszenarien oft nur unzureichend auf die Realität vorbereiten kann.“ Für möglich hält er auch, die „Polizeiausbildung in Stabilisierungseinsätzen zu einer Kernkompetenz der Feldjäger werden zu lassen“.[3] Fähigkeitsprofile Für letztlich „erfolgsentscheidend“ bei der Aufstandsbekämpfung erachtet Schroeder indes nach wie vor die deutschen Streitkräfte. Diese müssten „so aufgestellt sein, dass sie in potentiellen zukünftigen Szenarien, welche die Bewältigung eines Aufstandes und den Kampf gegen irreguläre Kräfte erfordern, jederzeit einsetzbar sind“, heißt es. Zu priorisieren seien dabei Gewaltoperationen in „vorwiegend ländlichen Räumen wie in Afghanistan“ und „in einem dichtbesiedelten urbanen Umfeld“: „Hier können wichtige Lehren aus Fallbeispielen wie den amerikanischen Counterinsurgency-Operationen im Großraum von Bagdad oder auch der britischen Aufstandsbewältigung in Nordirland gezogen werden.“[4] Parallel dazu fordert Schroeder, die Fähigkeiten der Bundeswehr in den Bereichen Spionage, zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) und Propaganda („Operative Information“) beständig weiterzuentwickeln – dies sei entscheidend „für das effektive Agieren militärischer Kräfte inmitten der Zivilbevölkerung“. Darüber hinaus will er „Spezialkräfte“ als „strategisches Instrument“ begriffen wissen und verlangt, diese nicht nur bei Kommandooperationen gegen Aufständische einzusetzen, sondern auch mit der Ausbildung kollaborationswilliger einheimischer „Sicherheitskräfte“ zu betrauen: „Investitionen in dieses Fähigkeitsprofil reduzieren die Notwendigkeit eines direkten Kampfeinsatzes deutscher Truppen in einem Stabilisierungseinsatz.“ [1] s. hierzu und im Folgenden Robin Schroeder (Institut für Sicherheitspolitik an der Universität Kiel): Counterinsurgency. Erfahrungen, Strategien und Aussichten unter besonderer Berücksichtigung des ressortübergreifenden Ansatzes (Abschlussbericht). Kiel, 30.01.2013 [2] s. dazu Von Helfern zu Kollaborateuren [3] s. dazu Paramilitärische Auslandspolizei und Aufstandsbekämpfung, effizient abgestuft [4] s. dazu Urban Operations und Urban Operations (II)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen