Samstag, 13. April 2019

Eine Rede, die FAZ und ein Minister (Ralph Hartmann)

»Hinter dieser Zeitung steckt immer ein kluger Kopf.« Mit dem Slogan wirbt die FAZ, die Frankfurter Allgemeine Zeitung, seit 1965. Ergänzend muss man leider feststellen: In der Redaktion dieser allgemeinen Zeitung stecken immer wieder auch Brunnenvergifter und Scharfmacher. In einer Zeit, in der sich der NATO-Überfall auf Jugoslawien zum zwanzigsten Mal jährt, sei an einen von ihnen erinnert, den damaligen Mitherausgeber des Blattes Johann Georg Reißmüller. Er hatte große Verdienste an der Dämonisierung der Serben und damit an der medialen Vorbereitung der Aggression. Nach seiner Überzeugung waren die Ursache allen Übels in Jugoslawien die Kommunisten und die Serben. Bereits vor den Unabhängigkeitserklärungen Kroatiens und Sloweniens hatte er sich auf die Jugoslawische Volksarmee eingeschossen, sie als »serbische Streitmacht« deklariert und ihren Beitrag zum Sieg der Antihitlerkoalition auf seine Weise gewürdigt: »Das jugoslawische Militär ... hatte sich auch in früheren Zeiten keine Verdienste um Jugoslawien erworben. Das Partisanenheer Titos, aus dem die Armee hervorgegangen ist, hat schon im Zweiten Weltkrieg mehr wehrlose Zivilisten aus der Bevölkerung getötet als bewaffnete Okkupanten. Nach Kriegsende führte es riesige genozidhafte Mordaktionen durch, vor allem gegen das kroatische und das slowenische Volk sowie gegen die deutsche und albanische Minderheit.« Bei solch geistiger Verwirrung war es denn auch kein Wunder, dass Reißmüller im November 1992, als die Flammen des Bürgerkriegs längst Bosnien-Herzegowina erfasst hatten, einen Hassgesang anstimmte, der nur mit den »Werken« antiserbischer Karikaturisten in den bundesdeutschen Medien zu vergleichen war. Er schrieb: »Die Welt habe zu lange zu viel Geduld mit Serbien gehabt, sagte Genscher unlängst. Tatsächlich, was konnte Serbien nicht alles ungehindert und ungestraft tun. Es hat die Albaner auf dem Amselfeld unter ein brutales Kolonialregime gezwungen, Slowenien (erfolglos) überfallen, einen großen Teil Kroatiens verwüstet, erobert und ausgeraubt, Zehntausende Kroaten getötet; nun ergeht es Bosnien ebenso. Gegen die Verbrechen Serbiens seit dem Frühjahr 1991 wiegen die gering, welche die zivilisierte Welt jetzt Libyen vorwirft. Der Irak bleibt mit seiner bei der Aggression gegen Kuweit entfalteten kriminellen Energie hinter Serbien zurück.« Was die Karikaturisten anbelangt, so zeichneten sie die Serben als sich wälzende Schweine, mutierte Stiere, reißende Wölfe, blutsaufende Saurier, doppelzüngige Schlangen, aasfressende Geier, hungrige Hyänen und bullige Kampfhunde. Kurz gesagt: Die Serben waren Unmenschen, Monster. Auch dazu hatte Reißmüller seinen Beitrag geleistet.

Doch ob seiner Tiraden wollen wir die FAZ-Redaktion nicht allzu sehr beschimpfen, denn immerhin war sie die einzige bundesdeutsche Tageszeitung, die den Wortlaut der Rede abdruckte, die der damalige Vorsitzende des Präsidiums der Sozialistischen Republik Serbien, Slobodan Milošević, am 28. Juni 1989 aus Anlass des 600. Jahrestages der Schlacht auf dem Amselfeld am historischen Ort vor einer Million Serben und anderen Bürgern Jugoslawiens gehalten hatte. (In der Schlacht unterlagen die vereinigten Heere Serbiens, Bosniens und Mazedoniens den türkischen Heerscharen, womit der Balkan für Jahrhunderte unter osmanische Fremdherrschaft fiel.) Leider hatte der Abdruck der Rede in der FAZ zwei kleine Makel:

Erstens, die Veröffentlichung erfolgte etwas spät, am 28. Juni 1999, exakt zehn Jahre nach der Großkundgebung und wenige Tage nach der Beendigung der NATO-Luftangriffe auf Jugoslawien. Und die gewählte Überschrift mit Vorspann – »›Die Zeit der Erniedrigung Serbiens ist abgelaufen‹. Mit einer von Chauvinismus durchwirkten Rede hat Milošević vor zehn Jahren im Kosovo eine für den Balkan verhängnisvolle Entwicklung in Gang gesetzt« – verrät ein wenig zu offensichtlich die mit der Veröffentlichung verfolgte Absicht der Redaktion.

Der Grund für den verspäteten Nachdruck der Rede liegt auf der Hand, schließlich ist die 600 Jahre nach der historischen Schlacht gehaltene Ansprache des damaligen serbischen Präsidenten ein Schlüsseldokument sowohl für die Bemühungen um den Erhalt der jugoslawischen Föderation als auch für die Hetzkampagnen gegen Serbien und Milošević.

Zweitens, der Redetext ist bedauerlicherweise an zahlreichen Stellen durch falsche Übersetzung und Auslassungen verfälscht. Immerhin macht es ja zum Beispiel einen Unterschied, ob man das serbokroatische Wort »bitka« mit »Krieg« oder richtig mit »Schlacht« oder »Kampf« übersetzt, denn Krieg ist eindeutig, aber Schlachten, Kämpfe, von denen der Redner sprach, gibt es viele, zumindest im damaligen sozialistischen Sprachgebrauch: Aufbauschlachten, Ernteschlachten, Produktionsschlachten oder Kämpfe für die Steigerung der Arbeitsproduktivität, für den Ausbau der Demokratie, für die Erhöhung der Ernteerträge und selbstverständlich für den Frieden und so weiter und so fort. So, wie es nicht unerheblich ist, ob der Präsident sagte: »Sechs Jahrhunderte später befinden wir uns wieder in Kriegen« oder »sechs Jahrhunderte später befinden wir uns wieder in Kämpfen«, betonend, dass es sich nicht um bewaffnete handelt, die er allerdings nicht ausschließen konnte – wer kann das schon? So ist es auch nicht unwesentlich, um nur noch ein Beispiel ziemlich freier Übersetzerkunst zu nennen, ob die Menschen in die Sterne blicken und »für den Sieg bitten«, wie es wörtlich in der FAZ hieß und was prächtig zu den herbeigedeutschten »Kriegen« passte, oder ob sie nach den Sternen schauen, »erwartend, daß sie sie erobern«, wie der Redner etwas blumenreich formulierte.

Auffällig an dem von der FAZ veröffentlichten »Wortlaut« sind die vielen Auslassungspünktchen. Ein Vergleich mit dem von der Belgrader Politika am 29. Juni 1989 publizierten Originaltext der Rede zeigt, dass es sich nicht um die Auslassung einiger nebensächlicher Sätze handelt. Weggelassen wurden Wörter und Sätze, die nicht in das Diffamierungskonzept der Serbenhasser passen. Zwei Beispiele sprechen für sich. Weggelassen wurde nachstehende Aussage: »Die Krise, in die Jugoslawien geraten ist, führte zu nationalen, aber auch zu sozialen, kulturellen, religiösen und vielen anderen minder wichtigen Spaltungen. Unter all diesen Spaltungen erwiesen sich die nationalen als die dramatischsten. Ihre Überwindung wird die Beseitigung der anderen Spaltungen erleichtern und die Folgen lindern, die die anderen Teilungen hervorgerufen haben.« Laut FAZ-»Wortlaut« endete die Rede mit dem Ausruf: »Lang lebe Serbien! Lang lebe Jugoslawien!« Der darauf folgende Schlusssatz: »Es lebe der Frieden und die Brüderlichkeit zwischen den Völkern!« wurde gestrichen. Er war ja auch nicht wichtig. In Abwandlung der Worte des Altmeisters Goethe: »So fühlt man Absicht, und man ist verstimmt« kann man dazu nur feststellen: Man kennt die Absicht, und man ist nicht überrascht.

Den Lügenrekord, den der damalige deutsche Bundesverteidigungsminister, Rudolf Scharping, bereits 1999 aufgestellt hatte, stellte die FAZ allerdings nicht ein. Hatte dieser doch wortwörtlich behauptet: »An diesem Tag sprach Milošević von ›Groß-Serbien‹ und davon, dass dieses Land ein ethnisch reines sein solle.« Kein Wort davon ist wahr, es ist eine Lüge, eine vollgefressene, aber leider sehr langlebige.

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