Montag, 29. April 2019

So kulinarisch ward Cäsar nie gemeuchelt (Monika Köhler)


Ist es die Wippe, auf die das Volk zur Belustigung steigen soll, oder Messers Schneide – eine rostige Klinge? Es ist das Bühnenbild zu »Rom«, nach William Shakespeare. Die drei Stücke »Coriolan«, »Julius Cäsar« und »Antonius und Cleopatra« zu einem vereint, von John von Düffel. Regie führte Stefan Bachmann im Hamburger Thalia Theater. Schon diese, alles beherrschende, Bühneninstallation (Olaf Altmann) zeigt plastisch, wer die Spitze erreicht hat und wer am Boden liegt. Nur je sieben Schauspieler übernehmen alle Rollen – auch die weiblichen – in den drei Teilen: »Verachtung«, »Verrat« und »Vernichtung«. Die kapitolinische Wölfin, die an ihren vielen Zitzen Romulus und Remus saugen lässt, ist auch die Mutter Volumnia (Nicki von Tempelhoff) die, nicht selbstlos nährend, ihren Sohn Cajus Marcius, später Coriolan genannt (Thomas Niehaus), in Kriege hetzt. Sie freut sich über seine Wunden, die sie, jede einzelne, zählt, dokumentiert. Er muss sie zeigen, dem Volk präsentieren, wenn er Consul von Rom werden will. Im zweiten Stück ist er Julius Cäsar, im dritten Oktavius Cäsar, der Stiefsohn des alten Cäsar. Alle sieben Schauspieler beherrschen dieses Wechselspiel der Rollen so perfekt, dass keine weiteren Namen genannt werden müssen. Die Ensembleleistung: bewundernswert.

Sprechgesang der beiden Volkstribunen über die »satten Herren im Senat«, es gibt Korn, »die Speicher sind voll« – die beiden in Fell gehüllten, sie stehen unten. Cajus Marcius, der Feldherr, General, er ist ein Feind des Staates, sagen die Tribunen. Er will »keine Almosen verteilen«, auch keine Gesetze gegen Wucher? Aber er will Consul werden und braucht die Stimme des Volkes. Erst einmal Krieg, vom letzten hat er nur fünfundzwanzig Wunden. Auffidius, der Anführer der Volsker, der Gegner, rückt vor. Ein Ruf: »Werft euch in die Schlacht!« – hier kämpfen nur zwei, geschmückt mit Kriegshelmen, wie zwei Hähne, die sich begackern und fetzen. Eine wunderbare Pantomime zu aufpeitschender Musik (Sven Kaiser) – ein Tanz? Keine Waffen. Ein Sich-Umschlingen, Küssen sogar. Ach, wenn Krieg so wäre! Cajus Marcius sinkt zu Boden, Auffidius fällt nach hinten über. Volumnia ist begeistert über die Verletzungen ihres Sohnes: »Ich danke den Göttern dafür«, Wunden werden gezählt. Sind es genug? Wunden – die Glücksgefühle einer Mutter, die ihren Sohn aufsteigen sehen will. Es gab und gibt Mütter, die so denken. Warum darf heute keine Frau ein solches Weib spielen?

Der Kriegsheld Cajus Marcius soll nun endlich seine Narben zeigen und sich in ein einfaches Gewand hüllen – so wie es Brauch ist. Er aber will sich nicht »halbnackt« präsentieren und nicht »bitte, bitte« sagen. Dann erscheint er doch dort unten im weißen Schafsfell, mit zynischem Lächeln zur Lyra singend. Zuruf von oben: »Du musst sie umstimmen« – das unsichtbare Instrument oder das Volk? »Gegen ein kleines Almosen trete ich an«, singt er mit Kreidestimme und wirft Küsschen ins Publikum – das Volk? Die Tribunen versuchen, das Volk aufzurütteln, spürt es denn nicht, dass es zum Esel gemacht wird? Die Schiffe mit Korn sind eingetroffen, doch nicht für Flickschuster, Plebejer. Coriolan kann nur verspotten: »Ihr seid das Volk – ja?« dröhnt es, »ein Schwarm von Quallen« ohne Hirn. Alle versuchen, ihn zu beruhigen, nun auch Volumnia. Er war doch auf Stimmenfang für das Consul-Amt – hat er das vergessen? »Ihr sollt verrecken« schreit er. Ein Volk, das sich immer mehr Macht anmaßt, nach »Mitbestimmung« ruft. Nun: »Jagt die Tribunen aus der Stadt und reißt in Stücke die Verfassung« schäumt der mit dem Ehrennamen Coriolan Ausgezeichnete. Schluss des ersten Teils, der ratlos macht. »Reißt ihn in Stücke«, schreien die Bürger, dann: »Er tötete meinen Sohn, meine Tochter, er tötete meinen Vetter, meinen Vater« – er, nicht die Verfassung wird durchbohrt bei Shakespeare.

Das Drama um »Julius Cäsar« schließt sich bruchlos an den »Coriolan« an. Die Verschwörer tragen Masken und changierende Anzüge, agieren auf der Schräge. Unten ringt Brutus mit sich im nächtlichen Dunkel – soll er oder nicht? Seine Frau Portia (hier ein Mann) will ihn ins Bett locken. Doch auch Brutus betritt die steil nach oben führende Klinge, die straucheln macht. Oben steht Cäsar mit Fell-Toga und Lorbeerkranz, lässt sich huldigen. Wer spricht, das deuten nur die Gesten an, Masken decken zu, schlucken die Worte. Pantomimen wie im Stummfilm – oder eine kleine Oper ohne Gesang, phantastisch. Die Faszination der Darstellung, das Artifizielle, Ironische nimmt so gefangen, dass der Inhalt dabei oft verloren geht. Ich kann – sichtbedingt – Cäsar nicht sehen, er hoch oben links. Erst die Ermordung erschließt sich mir langsam, wenn er auf der absteigenden Linie mit den imaginären Dolchen der Verschwörer im Leib hinstürzt, Brutus sticht als Letzter zu. Dann doch Gesang: »Freiheit, das Volk hat gesiegt – lasst uns die Hände tauchen in sein Blut.« Als Marcus Antonius befiehlt: »Schafft die Leiche weg«, geht sie von selbst.

Diese Scherzchen setzen sich fort im dritten Teil »Antonius und Cleopatra« oder »Vernichtung«. Vor dem roten Vorhang tritt Oktavius auf, einer der drei Triumvirn, die Rom regieren. Im bunten Hemdchen, bedruckt mit Botticellis »Geburt der Venus«, singt er mit Fistelstimme über Antonius, den »Herrscher des Weltreichs«, der sich Orgien hingibt. Immer wiederholt er den Vers wie einen Schlager: »Wo ist Antonius, wenn man ihn braucht?« Er liegt bei Cleopatra, die ihn bezirzt, gibt sich der Wollust hin und dem Drogenrausch. Viel Dampf um Cleopatra suggeriert: das Laster. Alles, was noch geschieht, führt zum Untergang und Tod. Der Bote lockert mit gezielten Slapstick-Einlagen und Akrobatik die düstere Stimmung auf. Lepidus, ein anderer der Triumvirn, sitzt nur da, erschöpft oder trunken. Alle degeneriert? Ach, besser ein trunkener als ein kampfeslüsterner General. Auch Antonius ist kriegsmüde. Und warum ist Cleopatra ein Mann? Im Interview mit dem Hamburger Abendblattsagt dazu der Regisseur Bachmann, damit stelle sich das Problem »Stereotypischer Frauenzeichnung« nicht. Und so spricht Cleopatra – bevor sie stirbt – zu Oktavius, der sie als Beute nach Rom mitnehmen will: »Du willst mich als Püppchen.« Und »Bänkelsänger« werden Liedchen singen. »Ich soll mit ansehen, wie irgendein Knabe meine Größe verspottet als Cleopat.« Schluss.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen