Montag, 29. April 2019

Sanders setzt auf eine Million freiwillige Unterstützer

Wahlkampf mit Bern-App

Der Demokrat Joe Biden veranstaltete am Donnerstag, dem ersten Tag seiner Präsidentschaftskampagne, im Haus eines Telekokommuniktionslobbyisten ein Fundraising Event für wohlhabende Großspender. Seine Berater sagten der »New York Times«, er sei besorgt, nicht so viele Spenden zu sammeln wie Sanders und der Texaner Beto O’Rourke. Die Sanders-Kampagne kann hingegen bereits den nächsten Schritt gehen. Am Samstagabend trommelte Bernie Sanders auf bundesweit 4700 »Watch Parties« seine »Freiwilligenarmee« zusammen. Das erklärte Ziel: Mit zahlreichen freiwilligen Unterstützern eine soziale Bewegung zu organisieren, um Präsidentschaftskandidat der Demokraten zu werden - und dann den bisherigen US-Präsidenten Donald Trump zu schlagen.
Die Veranstaltungsserie war lange geplant, doch es war auch eine willkommene Demonstration der Stärke der Kampagne von Bernie Sanders gegenüber seinem derzeit größten Rivalen um die Nominierung der Demokraten, Joe Biden. »Wir werden viel Geld sammeln, ich werde euch nicht erzählen, dass das nicht wichtig ist«, so Sanders im vorab aufgezeichneten Video. Doch wichtiger sei »people power«. Um die ging es bei den rund 4700 »watch parties« der Bernie Sanders Kampagne, auf denen sein Freiwilligenprogramm vorgestellt wurde.
Sanders will mit dem Geld seiner Unterstützer achtsam umgehen, erklärte er am Wochenende. Wichtiger als 30-Sekunden-Fernsehspots sei Graswurzelaktivismus. Das Konzept dazu wurde mit der Vorstellung seines Freiwilligenkonzepts in Kneipen und Wohnzimmer von Unterstützern in allen 50 Bundesstaaten, an Hunderten US-Universitäten und in 30 Länder übertragen.
Auch in Berlin. Es gibt Pizza. »Wie bei jedem amerikanischen Polittreffen«, scherzt Organisator Thomas Adams. Ein Dutzend eher junge Interessierte sind gekommen. Zwei Deutsche, die helfen wollen, eine kanadische Sozialistin, eine Studentin, die seit Bernie Sanders und den 2018 neugewählten Kongressabgeordneten »zum ersten Mal begeistert ist von amerikanischer Politik«, eine ältere Künstlerin, die in Wisconsin in einem Gewerkschafterhaushalt und dem »Konzept von Fairness« aufgewachsen ist.

Neue Maßstäbe setzen

Event-Organisator Thomas Adams sagt, die Sanders Kampagne vor vier Jahren sei »die Größte« zu seinen Lebzeiten gewesen. »Als Sanders im Februar die Zielmarke von einer Million Aktivisten in der Kampagne ausgegeben hat, dachte ich, das ist wirklich viel. Ich meine die Obama-Kampagne hatte 150 000 Freiwillige und damals sagten wir, das war wirklich groß«, so Adams.
Dann startet das Sanders-Video. In dem erklärt Kampagnenmanager Faiz Shakir, der früher für die amerikanische Bürgerrechtsorganisation ACLU arbeitete, die Mission sei einfach: »Beenden wir, was wir 2016 begonnen haben, wir werden gewinnen.« Danach hält Sanders noch eine kurze Wahlkampfrede und erklärt seine Strategie. Er wolle zwei Gruppen erreichen. Erstens Desillusionierte, die sich schon aus dem politischen Prozess verabschiedet haben, enttäuschte Arbeiter etwa. Zweitens: junge Wähler. Dazu will Sanders auch eine massives Programm zur Registrierung neuer Wähler aufbauen.
»Holt jetzt eure Handys raus und geht auf app.berniesanders.com«, heißt es in der Videobotschaft. Mit der App namens »Bern« sollen Sanders-Anhänger autonom Freunde, Kollegen Verwandte mobilisieren und selber Haustürwahlkampf machen können. »Das altmodische Zeug tun«, nennt Sanders das bei der Vorstellung.
»Distributed Organizing« heißt das Konzept. Freiwillige sollen nicht nur mit Flyern und Schildern für den Vorgarten, sondern auch mit Tools wie Software zum Haustürwahlkampf oder zum Versenden von SMS-Nachrichten selbstständig in ihren Communities mobilisieren. Auch in Gegenden, wo es kein »Field Office«, also keine hauptamtlichen Sanders-Mitarbeiter gibt.
»Wir sind bereit die Leute loszuschicken und ihnen die Werkzeuge zu geben, die sie brauchen«, erklärte Claire Sandberg, die nationale Organizing-Direktorin der Kampagne bei der Vorstellung der massiven Freiwilligenoperation. Mit der Strategie hätten die Bernie-Anhänger schon vor zwei Jahren 80 000 Events, 85 Millionen Telefonanrufe und zehn Millionen SMS an Freunde organisiert, so Sandberg.
Der Start des massiven Freiwilligenprogramms liegt dieses Mal zehn Monate vor den ersten Vorwahlen der Demokraten im Bundesstaat am 3. Februar 2020. Dieses Mal soll die Kampagne deutlich umfassender und systematischer sein als noch 2016, auch weil sie früher startet. »Vielen Menschen ist nicht klar, dass unser Programm zum Wählerkontakt bei der letzten Kampagne erst im Januar 2016 begann«. Doch schon wenig später, am »Super Tuesday« am 1. März 2016 fanden bereits Wahlen in elf US-Bundesstaaten und damit quasi eine Vorentscheidung auf die finalen Präsidentschaftskandidaten statt. Da sei es »fast zu spät« gewesen, so Sandberg. Dieses Mal haben die Aktivisten der Sanderskampagne also nicht wenige Wochen, sondern ein Jahr oder mehr Zeit, um die Programmpunkte von Sanders im direkten Gespräch mit Nachbarn und potenziellen Wählern in deren Köpfe zu hämmern.

Sanders führt Spendenliste an

Sanders bringt durch seine Kampagne von 2016 stärker als andere Kandidaten bereits ein Spendernetzwerk mit und ist bekannter als seine Mitbewerber. Auch deswegen hat er von allen möglichen Anwärtern der Demokraten derzeit die meisten Spenden erhalten: 18 Millionen Dollar waren es im ersten Quartal 2019.
Die aktuelle Spenden setzen sich aus 900 000 Einzelspenden von 525 000 Kleinspendern, die zum Teil mehrmals Geld und im Durchschnitt 20 Dollar gaben. Die meisten von ihnen waren unter 39 Jahren alt. Denn: Als Teil des leichten Linksschwenks der Partei und der damit verbundenen Betonung von Graswurzelunterstützung zeigt es Enthusiasmus für Bernie an der Basis. Noch wichtiger aber: Unter Sanders Spendern waren 20 Prozent Neuspender. Denn eine wichtige Frage seiner Kandidatur wird sein, ob er es schafft, über seine bisherige treue Basis hinaus genug neue Demokraten für sich zu begeistern. Aktuell kommt Sanders laut dem Wahlumfrageaggregator »realclearpolitics« im Durchschnitt auf 23 Prozent - und liegt damit sechs Prozentpunkte hinter seinem größten Rivalen Joe Biden. Denn dieser liegt derzeit bei 29 Prozent. Weil es mit 20 Kandidaten dieses Jahr so viele Mitbewerber gibt, könnten schon etwa ein Drittel der Delegierten ausreichen, um die Nominierung zu erreichen, heißt es von Sanders-Strategen, etwa von seinem Umfrageforscher Ben Tulchin.
Es fehlen also noch ein paar Prozentpunkte. Das Problem von Sanders, der im Grunde, mit kurzer Unterbrechung zur Unterstützung lokaler Kandidaten im ganzen Land in den Monaten vor den Zwischenwahlen im Dezember 2018, seit vier Jahren Wahlkampf macht: Er braucht virale Momente. Denn: seine inhaltlichen Positionen sind weitgehend bekannt. Seine Wahlkampfreden und Punkte, etwa der zum Thema staatliche Krankenversicherung für alle, wo er daraufhin weist, das »alle industrialisierten Länder der Welt« diese haben, bietet wenig Neues in einem Feld mit 20 anderen zum größten Teil neuen Kandidaten.
Doch Sanders scheint darauf zu reagieren. Anders als vorher gibt er nun stärker als vorher seine persönliche Geschichte preis: Er ist Sohn jüdischer Einwanderer, Holocaust-Flüchtlinge aus Polen. Doch es sind auch die kleinen Dinge: Ende März verletzte sich Sanders in der Dusche am Kopf und trat daraufhin mit Kopfpflaster bei Wahlkampfveranstaltungen auf. Dies machte ihn anfassbar. Seine Präsidentschaftskampagne ist zudem die erste, die gewerkschaftlich organisiert ist, die CO2-Emissionen aller Reisen sollen ausgeglichen werden und das Führungsteam seiner Kampagne besteht zu 70 Prozent aus Frauen, viele von ihnen sind Women of Color, also Nicht-Weiße.
Gleichzeitig bringt Sanders weiter erfolgreich vorher unsagbare Positionen in die Debatte ein. Bei einer landesweit übertragenen CNN-Townhall wurde Sanders gefragt, ob seine Position, das auch Straftäter wählen können müssten, auch bedeuten würde, das dann der Attentäter von Boston, oder Vergewaltiger wählen dürften. Ja, sagte Sanders. Auch »schreckliche Leute«, die ja im Gefängnis die Schuld für ihre Taten »abzahlen« würden, sollten dieses Recht - wie es in seinem Heimatstaat Vermont bereits praktiziert werde - haben. Was der CNN-Moderator als Material für die Republikaner verstand, wurde später landesweit breit diskutiert.
Als erster Demokrat wagte sich Sanders Mitte April auf feindliches Territorium und stellte sich einer Fox News Townhall, auf der er Arbeiter in Pennsylvania erreichen wollte. Der Abend wurde zum Quotenhit für Fox und generierte diesen denkwürdigen Moment: Auf die Frage der Moderatoren an die Zuschauer im Raum, ob diese die private Krankenversicherung ihrer Arbeitgeber zugunsten einer staatlichen Krankenversicherung aufgeben würden gingen unter Jubel die Mehrheit der Hände nach oben.
Mit dem Auftritt bei Fox und in seinem Wahlkampf greift Sanders als einziger Kandidat mit Ausnahme von Joe Biden auch direkt den US-Präsidenten Trump an. Vor einer Wahlkampfveransstaltung von Trump in Green Bay veröffentlichte das Sanders Team eine Anzeige in der Lokalzeitung. Trump habe »die Arbeiter von Wisconsin belogen«, statt neuer Jobs gebe es Fabrikschließungen. So versucht die Sanders Kampagne - auch unter Verweis auf Direktvergleich-Umfragen mit Trump, in denen Sanders leicht vorne liegt - die Wählbarkeit ihres Kandidaten zu demonstrieren: Seht her, wir können es mit Trump aufnehmen. Das ist laut Umfragen den meisten Demokraten am wichtigsten.

Nicht missionieren, zuhören

Sanders versucht gleichzeitig gegen das demokratische Establishment zu kämpfen und die Sorgen der Nicht-Bernie-Anhänger zu entkräften er sei zu links, könne nicht gewinnen. Er war der erste Kandidat, der Ende letzter Woche ein Dokument der Basisaktivistengruppe »Indivisible« unterzeichnete, die von allen Präsidentschaftskandidaten verlangt, sich bei einer Vorwahlniederlage hinter den oder die Gewinnerin zu stellen. In der »Bern-App« wird zurückhaltendes Auftreten gefordert: Man wolle nicht missionieren, sondern zuhören und durch das Erzählen der eigenen Gründe für die Sanders-Unterstützung eine Situation schaffen, mit der sich Menschen »identifizieren können«. So soll das Aufreißen alter Gräben zwischen Clinton-Wählern und »Bernie Bros«, also dem Bernie-Lager, verhindert werden.
Gleichzeitig warnt Sanders die Moderaten in seiner Partei. Mit einer erneuten Hillary-Strategie, das Trump verabscheuungswürdig sei, könne man nicht gewinnen. »Donald Trump ist 2016 als Rassist und Frauenfeind angetreten, und ökonomisch als fake Bernie. Dagegen hilft nur, den echten Bernie zu liefern«, so Sanders am Samstag.
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