Samstag, 13. April 2019

Die digitale Wunschproduktion mündet in ein Regime des Funktionierens.

Neue Verhältnisse verlangen manchmal nach neuen Wörtern. Ein solches ist der englische Neologismus »Happycracy«, den die Soziologin Eva Illouz und der Psychologe Edgar Cabanas jüngst per Buchtitel in die Welt gesetzt haben. Indem sie »happy« (glücklich) und »-cracy« (Herrschaft) zusammenziehen, wollen sie einen neuen, zwar informellen, aber doch höchst wirksamen gesellschaftlichen Imperativ auf den Punkt bringen. Wir leben, so die These dieses Wortes, unter der Ägide eines permanenten Glücksbefehls.
Die Orte, an denen derselbe manifest und wirksam wird, müssen nicht lang gesucht werden. Es sind etwa soziale Netzwerke wie Instagram, die die Welt - zumindest der etwas Jüngeren - tagtäglich mit ästhetisierten Bildern des Glücks überfluten, die zugleich konsumiert und nachgeahmt werden wollen. Illouz erinnert das an Kannibalismus: »Man konsumiert das eigene Leben und das der anderen online.« Denn auf solchen Plattformen besteht das Leben vornehmlich in der einseitigen Perspektive der Selfies, jenen Selbstbildfotos, in denen die sich fotografierenden Menschen in eine Symbiose mit der Kamera treten. Doch auch abseits der Filterblasen ist dieser Imperativ allgegenwärtig, wie etwa Steve Cutts 2017 in seinem Kurzfilm »Happiness« zeigen will: eine Montage aus alledem, was was verspricht, uns endlich glücklich zu machen: Alkohol, Schuhe, Beruhigungspillen, Fitnesskurse, ein roter Porsche - überall blinkt das befehlende Versprechen: »Happiness. Buy it today.«
Wo aber kommt das her - und wo steuert es hin? Die Gesellschaft des Glücksbefehls, so Illouz und Cabanas, fußt auf der US-amerikanischen Kultur der »Selbsthilfe«, die ab den 1980er Jahren auch nach Europa kam. Spätestens mit der Digitalisierung habe diese einen neuen Dreh bekommen - in Richtung Selbstoptimierung. Der mächtige Zwang, stets die beste Version seiner selbst zu sein, setzt die Einzelnen nicht nur unter ständigen Druck. Er verlagert auch soziale Probleme ins Private: Schlafapps, Filter auf Instagram, Aufräumtipps auf Netflix und Yogakurse auf Youtube versprechen das Glück, sich zu verbessern. Doch wer sich permanent darum kümmert, dass der BMI ausgewogen, der Smoothie maximal gesund und der Schlafrhythmus dem Arbeitsalltag angepasst ist, fragt sich nur selten, warum es normal sein sollte, um sechs Uhr früh aufzustehen, um die lächerlich hohe Miete und den ganzen Kram bezahlen zu können. Stattdessen gilt Unglücklichsein als Scheitern, als Ausweis individueller Mängel. Anstatt - wie die Band »Ton, Steine, Scherben« 1971 sang - kaputtzumachen, was kaputtmacht, passt man sich lieber selbst an. Und Unternehmen von heute, die Yoga- und Achtsamkeitskurse für Beschäftigte anbieten, statt prekäre und überfordernde Arbeitssituationen zu beheben, reiben sich die Hände.
Illouz und Cabanas sind nicht gegen den Wunsch nach Glück. Ihnen geht es um die eingeengte Vision eines glücklichen Lebens, die als alternativlos propagiert wird. Auch die feministische Theoretikerin Sara Ahmed hat sich mit dem fordernden Versprechen des Glücklichseins beschäftigt, das vor allem mit dem Bild (weißer) Angestellter verbunden sei, die sich mit ihrer Firma identifizieren und in einer (heterosexuellen, monogamen) Partnerschaft und Familie leben. Menschen, die dem nicht entsprechen, haben mit Diskriminierung, Gewalt und sozialer Benachteiligung zu kämpfen. Der allgemeine Glücksbefehl kann so Unterdrückung mit verweigerter Anpassung rechtfertigen. Eine solche Definition von Glück verschleiert andere erfüllende Lebensweisen, Gesellschaftsmodelle und Wirtschaftssysteme.
Nichts gegen Sport, gegen Yoga oder gesunde Ernährung. All das kann auch dazu beitragen, in politischen Kämpfen ausgeglichener zu sein und mehr Kraft zu haben. Und ja: Das Digitalzeitalter bietet auch Neuerungen mit Emanzipationspotenzial, den schnellen Zugang zu Informationen auch ohne Geld, weltweite Vernetzung und Kontaktmöglichkeiten. Doch solange diese Technologien und Selbsttechniken nicht gegen Missstände eingesetzt werden, ändert sich nichts am eigenen Unglücklichsein.
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