Montag, 8. April 2019

Bolkestein kehrt zurück: Die EU-Kommission greift nach der Macht über Dienstleistungen


Stop Bolkestein“Die EU-Institutionen verhandeln derzeit über neue Regeln für den Binnenmarkt. Doch diese hätten hochproblematische Auswirkungen auf die Entscheidungsmacht von Parlamenten, Landtagen und Gemeinderäten in ganz Europa. Denn die Kommission schlägt vor, die bereits existierende Dienstleistungsrichtlinie – auch bekannt als Bolkestein-Richtlinie – auf eine neue und äußerst einschränkende Weise durchzusetzen. Kurz gesagt: Die Kommission will das Recht, neue Gesetze und Regulierungen für Dienstleistungen in den Mitgliedsstaaten zu genehmigen oder abzulehnen. Erfasst wären viele Bereiche wie die Raumordnung (Stadtplanung), Wohnen, Energie- und Wasserversorgung, Abfallwirtschaft und mehr. Doch der Widerstand gegen den Vorschlag der Kommission wächst rasant. Insbesondere Gemeinderäte äußern sich dagegen, da sie nicht ausreichend informiert wurden und der Vorschlag ihre Handlungsfähigkeit stark einzuschränken droht. Nun stellen viele von ihnen fest, dass selbst Städte und Gemeinden zukünftig die Erlaubnis der Kommission einholen müssen, bevor sie Maßnahmen im Zusammenhang mit Dienstleistungen ergreifen. In Amsterdam verabschiedete der Gemeinderat daher eine einstimmige Resolution, laut derer der Vorschlag „die Autonomie der lokalen Behörden beeinträchtigt und damit eine Bedrohung für die lokale Demokratie darstellt“. Diese starke Botschaft für den Erhalt lokaler Gestaltungsspielräume findet Resonanz in Städten in ganz Europa. Eine öffentliche Erklärung gegen den Vorschlag wurde in kürzester Zeit von 75 europäischen Organisationen, darunter NGOs, soziale Bewegungen und politische Parteien, unterzeichnet – und es werden täglich mehr…”Beitrag der NGO “Corporate Europe Observatory” vom 18. Dezember 2018 externer Link, wir erinnern an die Rubrik zu Bolkestein im LabourNet-Archiv. Siehe dazu:
  • Bolkesteins Hammer schlägt wieder zu: Wie die EU die Daseinsvorsorge demontiert New 
    “Still und heimlich untergräbt die EU-Dienstleistungsrichtlinie die Daseinsvorsorge. Im Dienst der Konzerne will die EU sie jetzt sogar noch verschärfen. Das vorliegende Hintergrundpapier analysiert die Wirkungsweise dieser Richtlinie, mögliche Folgen ihrer geplanten Verschärfung sowie Vorschläge für den Schutz öffentlicher Dienstleistungen gegen die Eingriffe der EU. Mit der Dienstleistungsrichtlinie sollte ein Traum der Marktradikalen Wirklichkeit werden: die EU-weite Beseitigung sozialer Errungenschaften und die Schrumpfung der Wohlfahrtsstaaten zu Nachtwächterstaaten. Den ersten Entwurf präsentierte Anfang 2004 der damalige EU-Binnenmarktkommissar Frits Bolkestein, ein niederländischer Politiker und Mitglied der neoliberalen Mont Pèlerin Society. Gewerkschaften und soziale Bewegungen wie Attac waren entsetzt und leisteten grenzüberschreitenden Widerstand gegen den „Bolkestein-Hammer“. Doch vergeblich: Im November 2006 segnete das Europaparlament mit den Stimmen von SozialdemokratInnen, Liberalen und Konservativen die Bolkestein-Richtlinie in zweiter Lesung ab, während Grüne und Linke dagegen votierten. Am 28. Dezember 2009 trat sie schließlich in Kraft. Zwar gelang es durch den Widerstand, dem ursprünglichen Entwurf der Bolkestein-Richtlinie einige wenige Zähne zu ziehen. Doch nach dem Inkrafttreten der Richtlinie wurden Wirtschaftsverbände nicht müde, weitere Verschärfungen zu fordern. Mit Erfolg: Im Januar 2017 veröffentlichte die EU-Kommission den Entwurf einer sogenannten Notifizierungsrichtlinie, die die Bolkestein-Richtlinie massiv verschärfen soll. Der Entwurf befindet sich zur Zeit im sogenannten Trilogverfahren, das heißt Kommission, Europäischer Rat und Europaparlament beraten unter Ausschluss der Öffentlichkeit über seine Modifizierung und mögliche Annahme. Nach fast zehn Jahren ihrer Anwendung lohnt ein Blick darauf, wie die Bolkestein-Richtlinie in der Praxis funktioniert. Es zeichnet sich dabei immer deutlicher ab, wie die Richtlinie der öffentlichen Daseinsvorsorge schadet und welche Folgen ihre Verschärfung nach sich ziehen könnte. (…) Die Europäische Kommission ist eine überaus intransparente Behörde. Ihren Druck auf die Mitgliedsstaaten übt sie häufig im Verborgenen aus. Die Stellungnahmen („reasoned opinions“), die sie den Mitgliedsstaaten bei von ihr behaupteten Bolkestein-Verstößen übermittelt, bleiben unter Verschluss. Doch fortschrittliche Regierungen von Ländern und Kommunen, die solche Kommissionspapiere erhalten, könnten sie veröffentlichen oder durchsickern lassen, um gesellschaftliche Unterstützung in ihren Auseinandersetzungen mit der Kommission zu erhalten. Derartige Dokumente gehören grundsätzlich ans Licht der Öffentlichkeit. Denn als Teil der Exekutive müsste sich die Kommission öffentlich rechtfertigen, wenn sie eigene Interpretationen des EU-Rechts vornimmt und Richtlinienverstöße behauptet. Durch Veröffentlichung solcher Kommissionsschreiben könnten fortschrittliche Regierungen die EU-Behörde insofern zur Einhaltung grundlegender demokratischer Spielregeln zwingen.” Beitrag von Jana Mattert und Thomas Fritz vom 2. April 2019 beim Attac Theorieblog externer Link

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