Dienstag, 23. Oktober 2018

[23. Oktober 2018: „Davos in der Wüste“] Nach dem Mord an Jamal Khashoggi ziehen zahlreiche Unternehmensvertreter ihre Teilnahme am saudischen Kapitalistengipfel zurück. Einmal raten, wer nicht?


saudi_arabias_new_flagWer sich die Mühe machen möchte, sich in die Lage (oder die Köpfe) der saudischen herrschenden Klasse zu versetzen (aber wer will das schon…) würde vermutlich vor allem eines finden: Irritation. Da werden Oppositionelle geköpft und ausgepeitscht, auf ewig ins Gefängnis geworden und Sippenhaft vollzogen: Stört kein Schwein. Da werden im Jemen Schulbusse und Krankenhäuser bombardiert und die halbe Bevölkerung in den Hunger getrieben: Macht mal, außer ein paar Meldungen in den Nachrichten passiert: Nichts. Und jetzt, nur weil man einen der arabischen (nicht nur) Journalisten, die sich ins Land des Herrn Erdogan geflüchtet haben, des Schutzherren der Muslim Bruderschaft (nicht nur in Ägypten) umgebracht hat und zersägt, jetzt dieser ganze Aufstand? Wobei man zu Bauernopfern gezwungen wird, die offensichtlich immer noch nicht ausreichen? Jetzt ist sogar das „Davos in der Wüste“ davon betroffen, jener Kapitalistengipfel, der ab 23. Oktober eine Demonstration der Wichtigkeit der saudischen Kapitalisten in der Welt werden soll und über künftige Investitionen (so offiziell der Titel) debattiert. Eine ganze Reihe prominenter Kapitalvertreter haben ihre Teilnahme abgesagt oder zumindest in Frage gestellt. Der Herr Ford von Ford beispielsweise. Oder der Herr Dara Khosrowshahi. (Unbekannt? – Leitet ein Unternehmen namens Uber). Zahlreiche Medienunternehmen, vor allem aus den USA. Aber es gibt auch die treuesten „Freunde“: Der Internationale Währungsfonds. Siemens. Deutsche Bank –  sie alle kommen… Zur „Khashoggi-Krise“ und ihrer gesellschaftlichen  Komponente, insbesondere die allseits bekannte repressive Tradition in Saudi Arabien – wie auch ihrer Unterstützer –  einige aktuelle Beiträge:
„Verhaftet, entführt und nicht mehr gesehen – wie das saudiarabische Regime seine Kritiker verfolgt“ von Daniel Steinworth am 10. Oktober 2018 in der NZZ externer Link ist einer – aus einer ganzen Reihe – der Beiträge, die wenigstens noch darauf hinweisen, dass es sich wahrlich nicht um einen Einzelfall handelt, etwa indem – bei der Ausrichtung des Blattes nicht überraschend – am Beispiel eines Prinzen  die „globale Tätigkeit“ hervor gehoben wird: „Vom sicheren Exil aus machte der oppositionelle Prinz dann seine Geschichte öffentlich: In der Schweiz klagte er gegen seinen Entführer, Prinz Abdelaziz, und den saudischen Minister für islamische Angelegenheiten. Mitte 2015 nahm die Genfer Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf. Nur wenige Monate später, am 1. Februar 2016, wurde Sultan laut übereinstimmenden Zeugenaussagen erneut gekidnappt. Der Prinz war auf dem Weg von Paris nach Kairo, um dort seinen Vater zu besuchen, als die Maschine – ein von der Botschaft in Paris bereitgestellter Privatjet – plötzlich Saudiarabien ansteuerte. Nach seiner Ankunft in Riad wurde Sultan nicht mehr öffentlich gesehen…
„City of exiles: Khashoggi case leaves Istanbul’s dissidents fearing for their safety“ von Ece Goksedef am 11. Oktober 2018 im Middle East Eye externer Link ist ein Beitrag über die Auswirkungen des saudischen Mordanschlags auf die „Gemeinschaft“ der Geflüchteten, die sich in Istanbul befindet. Darin wird unter anderem darauf verwiesen, dass es eine langjährige Tradition gibt, dass flüchtige Aktivisten – welcher Couleur auch immer – aus arabischen Ländern in der Türkei leben, vor allem eben in Istanbul. Dies wird dann – wenig überraschend – anhand eines ägyptischen Morsi-Anhängers konkret gemacht (dessen Putschisten ja auch von Saudi Arabien finanziell unterstützt werden).
„Outrage Overdue: Saudi Arabia’s Long History of Dictatorship and Opposition“ am 17. Oktober 2018 bei Jadaliyya externer Link ist ein redaktioneller Beitrag, der die Geschichte der Repression in Saudi Arabien in Form einer umfangreichen – sehr umfangreichen – Dokumentation früherer Beiträge über die saudische Diktatur nachzeichnet. Wobei insbesondere ein Schwergewicht darauf gelegt wird, das „Wirken“ jener Medien einfach nur zu dokumentieren, die plötzlich auf Abstand gehen: Etwa in dem in einem Beitrag ausführlich nachgezeichnet wird, wie die New York Times seit 70 Jahren die jeweils an der Macht befindliche Clique der Herrschenden als Reformer darstellt.
„In the Service of the Whole Community? Civic Engagement in Saudi Arabia (1950s-1960s)“ von Claudia Grahwi am 06. Mai 2015 ebenfalls bei Jadaliyya externer Link war ein Beitrag über oppositionelles Wirken auf kommunaler Ebene in der damaligen Zeit – was auch bei der Darstellung der einzelnen Aktivitäten immer wieder mit demselben endet: Flucht. Oder: Gefängnis…oder…
„Saudi-Arabiens Jagd auf Dissidenten – Riads langer Arm“ von Benno Schwinghammer am 16. Oktober 2018 bei Qantara.de externer Linkdokumentiert (dpa), stellt die Entwicklung anhand eines in die BRD geflohenen, unliebsam gewordenen Prinzen dar: „Prinz Chalid glaubt, dass auch er auf der Abschussliste der Saudis weit oben steht. Seiner Schilderung zufolge fiel er in Saudi-Arabien in Ungnade, als er dem heutigen König Salman – damals noch Emir von Riad – Korruption vorwarf. Der junge Prinz, der früher saudischer Diplomat unter anderem in Ägypten war, musste Saudi-Arabien verlassen. Seit 2004 lebt er eigenen Aussagen zufolge in Deutschland, mittlerweile in Düsseldorf. Doch auch in der Bundesrepublik wird Chalid bin Farhan Riads langen Arm nicht los. Anfangs sei er verfolgt worden, sagt er. Das habe sich mittlerweile gebessert, auch wenn er weiterhin viele anonyme Morddrohungen erhalte. Zudem sei er in den vergangenen Jahren insgesamt mehr als 50 Mal von saudischer Seite kontaktiert worden. «Ich habe mich mit dem saudischen Botschafter in Berlin zehn Mal getroffen. Aber immer nur in einem Café», sagt Chalid bin Farhan. Der Diplomat habe ihm mehrmals angeboten, für eine Aussprache mit dem König in seine Heimat geflogen zu werden. Prinz Chalid schlug die Angebote aus: «Wenn ich das gemacht hätte, würde ich nun nicht mit Ihnen reden.» Die Sorge der Dissidenten sei durch den Fall Khashoggi gestiegen. «Natürlich haben wir alle Angst. Denn die Regierung in Riad hat keinen Plan und geht über Leichen», sagt er…“
„Mord im Konsulat“ am 16. Oktober 2018 bei German Foreign Policy externer Link befasst sich insbesondere mit der Rolle von Siemens und der Bundesregierung (nicht nur) in der Vorbereitung des Gipfels in Saudi Arabien: „Deutsche Unternehmen wollen trotz des mutmaßlichen Mordes an dem saudischen Oppositionellen Jamal Khashoggi an der Konferenz Future Investment Initiative teilnehmen, die in der kommenden Woche (23. bis 25. Oktober) in Riad abgehalten wird. Die Konferenz ist Teil der Bemühungen des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman al Saud, die saudische Wirtschaft umfassend zu modernisieren, um das Land aus seiner extremen Abhängigkeit von der Erdölförderung zu lösen. Mohammed bin Salman wird dabei seit Juli von Ex-Siemens-Chef Klaus Kleinfeld beraten. Für die Future Investment Initiative hat Riad ein Beratungsgremium (“Advisory Board”) gegründet, dem unter anderem der heutige Siemens-Chef Joe Kaeser angehört. Siemens ist eines der vier nicht-saudischen Unternehmen, die als “Strategic Partners” der Konferenz fungieren; zu deren “Summit Partners” gehört die Unternehmensberatung Roland Berger. Die Veranstaltung ist groß angelegt; im vergangenen Jahr nahmen an der Vorläuferkonferenz 3.800 Personen aus mehr als 90 Ländern teil. (…) Die Experten von der Universität Toronto gehen davon aus, dass zumindest eine saudische Behörde auch deutsche Spysoftware nutzt – nämlich das Programm FinFisher, das von der in München und Salisbury ansässigen Gamma Group vertrieben wird.[6] Das Programm wurde schon vor Jahren verwendet, um Oppositionelle in Bahrain umfassend auszuspionieren.[7] Fest steht, dass deutsche Firmen saudischen Stellen schon lange im großen Stil Repressionstechnologie liefern. So genehmigte Berlin allein 2007 die Ausfuhr von Produkten zur Telekommunikationsüberwachung im Wert von mehr als 18 Millionen Euro nach Saudi-Arabien…“
„Updated: The complete list of CEOs boycotting Saudi Arabia’s “Davos in the Desert” conference“ von Heather Timmons am 20. Oktober 2018 bei Quartz externer Link ist eine – aktualisierte – Liste jener Unternehmensvertreter, die ihre Teilnahme am „Wüstengipfel“  abgesagt haben – und auch jener, die es nicht getan haben. Wozu neben Siemens vor allem auch die Deutsche Bank gehört…
„Tech giant faces crucial decision over Saudi ties“ von Harper Neiding am 20. Oktober 2018 bei The Hill externer Link ist ein Beitrag über die verdienten Probleme der japanischen SoftBank – ein Technologiekonzern, der auch als Bank für „Start ups“ fungiert und dabei nicht zuletzt in den USA zahlreiche firmen mit Kaptal aus Saudi Arabien ausgestattet hat: Von den 100 Milliarden Dollar, die Softbank für die IT-Branche bereit gestellt hat, stammen 45 Milliarden aus dem Fonds der regierenden saudischen Clique.
„Man schießt deutsch (II)“ am 01. Oktober 2018 bei German Foreign Policy externer Link zeigt deutlich, dass sich niemand von aktuellen Entwicklungen vom Geschäft abbringen lässt, indem etwa einleitend zusammen gefasst wird: „Parallel zur Bereinigung diplomatischer Streitigkeiten mit Saudi-Arabien genehmigt die Bundesregierung neue Rüstungsexporte in das Land. Während Außenminister Heiko Maas vergangene Woche mit einer Entschuldigung für kritische Äußerungen seines Amtsvorgängers Sigmar Gabriel den Weg für die Rückkehr des saudischen Botschafters in die Bundesrepublik bereitete, hat Berlin die Ausfuhr von Artillerieortungsradarsystemen nach Riad genehmigt. Parallel treibt ein Ex-Rheinmetall-Manager den Aufbau der saudischen Rüstungsindustrie voran. Der von ihm geführte Konzern SAMI (Saudi Arabian Military Industries) soll – basierend darauf, dass Riad über den drittgrößten Militäretat der Welt verfügt – zu einem der 25 größten Rüstungskonzerne weltweit aufsteigen. SAMI strebt dazu unter anderem ein Joint Venture mit der südafrikanischen Rüstungsfirma Denel an, die ihrerseits eng mit Rheinmetall kooperiert. Rheinmetall Denel Munition will Berichten zufolge große Mengen an Munition an die Vereinigten Arabischen Emirate liefern; diese kann im Krieg im Jemen verschossen werden…“

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