Freitag, 8. Januar 2016

Renten weiter runter

 

Griechenlands Linksregierung kürzt für IWF und EU die Altersbezüge der Bevölkerung. Krokodilstränen bei Oppositionsparteien Pasok und Nea Dimokratia

Von Heike Schrader, Athen
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»Nein« zum Kürzungsdiktat aus Brüssel, Washington und Berlin: Demonstration in Athen (3. Juli 2015)

Alternativen zum Austeritätsprogramm

Griechenlands ehemaliger Finanzminister Gianis Varoufakis will nach eigenem Bekunden eine neue politische Bewegung ins Leben rufen. Am 9. Februar soll in der Berliner Volksbühne die Bewegung »Democracy in Europe Movement 2025« vorgestellt werden. Das berichtete die Tageszeitung Neues Deutschland am Wochenende. Der Ökonom hatte die Gründung seit längerem angekündigt. Es gehe ihm keineswegs darum, bloß eine neue Partei zu starten. Vielmehr gehe es um eine »dritte Alternative« zwischen der falschen Strategie, in den »Kokon der Nationalstaaten« zurückzustreben und dem ebenso falschen Kurs, sich »antidemokratischen EU-Institutionen« zu unterwerfen.
Die als paneuropäisch angekündigte Bewegung habe »ein einziges, radikales Ziel: die EU zu demokratisieren«, sagte Varoufakis der italienischen Wochenzeitung L’Espresso. Man wolle versuchen, »die Energie der proeuropäischen, radikalen Kritiker der Institutionen in Brüssel und Frankfurt« zu bündeln, um einen »Zerfall der EU zu verhindern«, so der frühere Minister.
Bereits am 23. und 24. Januar soll in Paris eine Konferenz zum »Plan B« für EU-Europa stattfinden. Ursprünglich war sie für November geplant, musste wegen der Terroranschläge in der französischen Hauptstadt dann aber vertagt werden. Auf dem Treffen wollen unter anderem Italiens früherer Finanzminister Stefano Fassina, der frühere SPD- und Linke-Vorsitzende Oskar Lafontaine sowie der frühere französische Minister für Berufsbildung Jean-Luc Mélenchon (Parti de Gauche) und die Globalisierungskritikerin Susan George über Alternativen zur Austeritätspolitik von EU und IWF diskutieren. Die Erpressung der griechischen Syriza-Regierung durch die »Troika« bzw. »Institutionen« hätte verhindert werden können, wenn Athen mit einer praktikablen Alternative – etwa einem »Grexit«, einem Ausstieg aus dem Euro – hätte drohen können. (jW)
Die Syriza-Regierung in Griechenland hat es nicht leicht. Insgesamt 1,8 Milliarden Euro staatlicher Zuschüsse sollen in diesem Jahr bei den Rentenkassen eingespart werden. Das hatten Ministerpräsident Alexis Tsipras und sein Finanzminister Euklid Tsakalotos im vergangenen Sommer mit den ausländischen Gläubigern und eigentlichen Herren von Athen vereinbart. Die Hauptrenten der bereits im Ruhestand Befindlichen würden nicht gekürzt, versprach der für das Sozialversicherungssystem zuständige Arbeitsminister Giorgos Katrougalos der austeritätsgeplagten griechischen Bevölkerung zu Wochenbeginn. Für die staatlich bezuschussten Zusatzrenten gilt dies jedoch nicht. Hier sollen nach den Plänen der Regierung 300 Millionen Euro weniger ausgegeben werden. Weitere 400 Millionen Euro sollen durch eine Beitragserhöhung bei den Zusatzrenten von 0,5 Prozent für die Arbeitnehmer und einem Prozent für die Arbeitgeber aufgebracht werden. Mehr sei nicht nötig, denn die Vereinbarung mit den Gläubigern sei durch die im vergangenen Sommer beschlossene Verlängerung der Lebensarbeitszeit schon größtenteils erfüllt worden. Die Regierung rechnet durch die Abschaffung weitgehend aller Möglichkeiten, früher als mit 67 in Rente zu gehen, mit Einsparungen in Höhe von 1,1 Milliarden Euro.
Doch unter den Rentnern von morgen macht der Arbeitsminister auch Gewinner aus. Insbesondere Bezieher von Minirenten zwischen 450 Euro und 650 Euro würden in Zukunft in den »Genuss« von Erhöhungen kommen, betonte Katrougalos – die bewegen sich freilich im ein- bis unteren zweistelligen Euro-Bereich. Die meisten anderen werden durch die veränderte Berechnungsgrundlage jedoch weniger als nach derzeit geltendem Recht beziehen. Im Gegenzug soll auch die Rentenobergrenze von 2.733 Euro auf 2.300 Euro sinken. Derartige Beträge beziehen jedoch die wenigsten der über zwei Millionen Altersruheständler in Griechenland. Deren Durchschnittsrente liegt bei 863 Euro, mehr als 60 Prozent der bei der Krankenkasse IKA – einem Pendant zur deutschen AOK – Versicherten beziehen sogar weniger als 600 Euro im Monat. Vor allem Freiberufler und Landwirte müssen fortan höhere Beiträge aufbringen. Letztere werden schrittweise statt der heute geltenden sieben Prozent fast das Dreifache (20 Prozent) von ihrem Nettoeinkommen einzahlen.
Bei der Opposition stieß das Vorhaben der Tsipras-Regierung auf Ablehnung. Man sei »gegen jede Verringerung der Renten und Erhöhung der Beiträge«, ließen sowohl der Interimsvorsitzende der konservativen Nea Dimokratia, Giannis Plakiotakis, als auch die Vorsitzende der sozialdemokratischen Pasok, Fofi Gennimata, Arbeitsminister Katrougalos im persönlichen Gespräch wissen. Gennimata schlug statt dessen vor, die staatliche Sozialversicherung mit Einnahmen aus den ebenfalls mit den Gläubigern vereinbarten Privatisierungen öffentlichen Eigentums zu finanzieren.
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Die Haltung der ehemaligen Regierungsparteien Pasok und Nea Dimokratia sei »nie dagewesene Heuchelei«, konterte Regierungssprecherin Olga Gerovasili. Sie wies darauf hin, dass die Durchschnittsrente erst unter den Regierungen dieser beiden Parteien von 1.480 Euro im Jahr 2010 auf die heutigen 863 Euro gefallen war. Zur Konsolidierung des Staatshaushalts waren Rentenbezüge von mehr als 1.000 Euro im Monat zwischen 2010 und 2013 insgesamt elf Mal gekürzt worden.
Mehr Schwierigkeiten als die Beschwerden der vormaligen Rentenkürzerparteien dürften der Regierung jedoch die Einsprüche der Gläubiger in Berlin, Brüssel, Frankfurt am Main und Washington machen. Offiziell hat man sich hier noch nicht geäußert, aus der Vergangenheit ist jedoch bekannt, dass insbesondere eine Erhöhung des Arbeitgeberbeitrags von »den Institutionen« – Internationaler Währungsfonds, EU-Kommission und Europäische Zentralbank – als wettbewerbsschädigend abgelehnt wird. Griechischen Medienberichten zufolge gehen die Gläubiger überdies von noch aufzubringenden 800 Millionen Euro bis eine Milliarde Euro und nicht wie die Athener Regierung von 700 Millionen Euro aus.
Weiteres Kopfzerbrechen bereitet Tsipras eine Entscheidung des Obersten Verwaltungsgerichtshofes von Griechenland. Dieser hatte im vergangenen Jahr eine Reihe der von den Vorgängerregierungen vorgenommenen Rentenkürzungen als verfassungswidrig eingestuft. Eine Nachzahlung der einbehaltenen Gelder würde ein neues Loch von bis zu vier Milliarden Euro in die Rentenkassen reißen.

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