Freitag, 8. Januar 2016

Zerstörerische Politik

 

Türkei mit Vorherrschaftsbestrebungen: Die AKP-Regierung führt Krieg nach innen und außen

Von Aydin Cubukcu
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Belagerungszustand, Panzerpatrouillen, Razzien. Ankara hat in den kurdischen Gebieten einen Bürgerkrieg entfacht (kurdische Demonstrantin, bedroht von türkischen ­Sicherheitskräften am 31. Dezember in Diyarbakir)
Aydin Cubukcu ist politischer Aktivist, Schriftsteller, Revolutionär und Chefredakteur der Zeitschrift Evrensel Kültür sowie von Hayat TV. Er saß 19 Jahre in türkischen Gefängnissen und wurde 1991 freigelassen. Am Sonnabend wird er auf der XXI. Rosa-Luxemburg-Konferenz über die praktische Bedeutung von Kultur in den Klassenkämpfen und zur Lage in der Türkei sprechen. (jW)
Mit Beginn des Syrien-Krieges wurde die Türkei zu einem Problemstaat im Nahen Osten. Die AKP-Regierungen hatten fast 15 Jahre ein außenpolitisches Programm entwickelt, das gerade auf den Nahen Osten und insbesondere auf die islamischen Länder ausgerichtet war. Sowohl im Land selbst als auch im Nahen Osten hat diese Politik aber zu einer Krise beigetragen, die von der AKP kaum mehr kontrolliert werden kann.

Ziel: ein neues osmanisches Reich

Die islamistische Ideologie der AKP nach innen wurde durch eine Politik nach außen ergänzt, die darauf orientierte, die Bevölkerungen in den islamisch geprägten Ländern der Region unter eigener Führung zu versammeln, in den Gebieten des ehemaligen Osmanischen Reiches eine neue Vorherrschaft zu installieren. Die AKP beabsichtigte, die islamistische Ideologie mit einer expansionistischen Politik in der Region zu verbinden. Diese Vorhaben standen im großen und ganzen in Einklang mit den Neuordnungsplänen der NATO, denen Washingtons und Berlins für den Nahen Osten.
Diese Absichten der Partei haben eine Vorgeschichte, die weit vor ihrer Regierungszeit liegt. Der heutige Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, der Architekt der neoosmanischen Außenpolitik, hatte bereits zu seiner Zeit als Hochschullehrer die Bedingungen analysiert, unter denen die Türkei bei Berücksichtigung ihres historischen Erbes in der Lage sein würde, zu einem führenden Staat in der Region aufzusteigen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde später zum einen die »Null-Problem-Politik mit den Nachbarländern« ausgerufen. Es galt zweitens, eine »historische und geographische Tiefe« zu erreichen, damit drittens die islamische Zivilisation und insbesondere die Türkei »am Fortgang der Geschichte« wieder teilhaben könne. Kurzum, die Türkei wurde nicht nur zur Anwärterin auf die regionale Führungsmacht gekürt, sie sollte darüber hinaus zur »neuen imperialen Macht« aufsteigen, die imstande sein würde, eine »eine neue Zivilisation aus der Taufe zu heben«. Das außenpolitische Konzept der AKP basiert auf der von Davutoglu verfassten Schrift »Stratejik Derinlik« (strategische Tiefe).
Bis zum Beginn des »arabischen Frühlings« hatte die türkische Regierung einigermaßen erfolgreich versucht, eine Politik der islamischen Öffnung umzusetzen. Nach dem Sturz der Diktaturen in Tunesien und Ägypten verfolgte die AKP das Ziel, die Region zu beherrschen, indem sie sich vor allem auf die Muslimbrüder insbesondere in Ägypten stützte. Die Ziele ihrer Politik entstammen also einer Ideologie des Neoosmanismus, die den Traum einer Wiederbelebung des Osmanischen Reiches formuliert. Dazu gehörte gleichzeitig auch die Unterdrückung demokratischer Forderungen der Arbeiterklasse.
In den ersten Jahren ihrer Herrschaft wurde die AKP jedoch insbesondere in liberalen Kreisen als eine »demokratisch-islamische Kraft« wahrgenommen. Die von Anfang an vorhandenen repressiven Tendenzen übersah man. Es wurde nicht erkannt, dass ihr Programm und ihre Praxis zwar so manch einen demokratischen Fortschritt mit Verweis auf eine Integration in die EU anstrebten, dies allerdings lediglich in Vorbereitung auf eine neue Ära der Repression. Die mangelnde Klarsicht war einer der Gründe dafür, dass die Regierung bei den Volksabstimmungen über Verfassungsänderungen 2007 und 2010 mit zuerst deutlich über und dann mit zumindest knapp unter 60 Prozent Zustimmung der Bevölkerung erlangte. Mehrheitlich wurden mit den Referenden die Hoffnungen auf ein demokratischeres politisches Leben zum Ausdruck gebracht. Die AKP und vor allem Erdogan interpretierten die Ergebnisse als gewonnene Vertrauensfragen und nutzten sie zur Legitimation ihrer Machtbestrebungen.

Strategie der Spannung

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Ängste schüren und dann als Garant von Sicherheit und Stabilität auftreten. Dieses Rezept verhalf der AKP am 1. November zu einem neuerlichen Wahlsieg (Anhängerinnen am selben Abend in Ankara)
Im Jahr 2013 erhielt die konservativ-muslimische Partei einen ersten Dämpfer. Am 28. Mai begannen in Istanbul Demonstrationen gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks, der unmittelbar an den Taksim-Platz angrenzt. Der Protest eskalierte infolge eines gewaltsamen Polizeieinsatzes am 31. Mai 2013. Daraufhin protestierten Demonstranten in mehreren türkischen Großstädten. Der Gezi-Aufstand erstreckte sich auf 73 Provinzen, rund drei Millionen Menschen beteiligten sich. Er währte bis September 2013 und wurde zur bis dahin größten Protestbewegung gegen die Herrschaft der AKP. Diese Aktionen brachten einerseits die breite Massenbasis der Volksopposition und deren Klassencharakter an den Tag, andererseits führten sie zu wichtigen Erfahrungen im Hinblick auf neue Formen der Organisation und des Kampfes. Die Herrschenden indes gerieten angesichts des Aufstands in Panik und griffen verstärkt zu den Mitteln der Gewalt. Mit neuen Gesetzen wurden die Befugnisse des Staatsapparats erheblich ausgeweitet.
Einige Monate nach dem Ende des Gezi-Widerstands, im Dezember 2013, wurde der große Korruptionsskandal ruchbar. Die Regierung entledigte sich drei ihrer Minister und versuchte ansonsten, die Angelegenheit auszusitzen. Allerdings gab es auch gegenüber Premier Erdogan Bestechungsvorwürfe. Als schließlich die Wohnung seines Sohnes durchsucht werden sollte, führte der Skandal zu einer tiefen Staatskrise. Anschließende Polizeigewalt und die Repression gegen oppositionelle Zeitungen und Fernsehsender verschärften das Problem zusätzlich. Und dennoch vermochte die AKP bei der Kommunalwahl im März 2014 erneut einen wichtigen Sieg einzufahren. Mit diesem Erfolg im Rücken verstärkte sie erneut die Angriffe gegen die Opposition. In der Kurdenfrage wurde dagegen der Anschein erweckt, als würde man bei deren Lösung vorankommen und einen langfristigen Konsens erreichen.
Die Parlamentswahlen vom 7. Juni 2015 verpassten der AKP einen weiteren Dämpfer. Die als kurdische Partei bezeichnete HDP (Demokratische Partei der Völker) erhielt bei der Abstimmung die Unterstützung einer breiten gesellschaftlichen Opposition, die während der Gezi-Ereignisse entstanden war. Sie übersprang die Zehn-Prozent-Hürde und zog mit 80 Abgeordneten in die 550 Sitze umfassende türkische Nationalversammlung ein. Dieses Ergebnis führte zum Verlust der Regierungsmehrheit der AKP und gleichzeitig auch zu der Erwartungshaltung innerhalb der Bevölkerung, das Ergebnis sei Ausdruck einer neuen Welle der Demokratie.

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