„… Es klang zu schön, um wahr zu sein. „Rüstungskontrolle und Abrüstung bleiben prioritäre Ziele deutscher Außen- und Sicherheitspolitik“, schrieben CDU, CSU und SPD in ihren Koalitionsvertrag vom März 2018. Auch eine „restriktive Rüstungsexportpolitik“ versprachen die drei Regierungsparteien. Und ganz konkret kündigten sie an: „Wir schränken die Rüstungsexporte für Drittländer weiter ein, die weder Nato- noch EU-Mitgliedsländer sind noch diesen gleichgestellt.“ Keine zwei Jahre später sind das nur noch hübsche Worte fürs politische Poesiealbum. Die Realität sieht anders aus, wie aus den Antworten des Wirtschaftsministeriums auf Anfragen der Abgeordneten Sevim Dağdelen (Linkspartei) und Omid Nouripour (Grüne) hervorgeht, die der taz vorliegen. Danach genehmigte die Bundesregierung in diesem Jahr – Stand 15. Dezember – Rüstungsexporte im Wert von insgesamt mehr als 7,95 Milliarden Euro. Damit wurde bereits vor Jahresende ein neues Allzeithoch erreicht. Die bisherige Rekordmarke aus dem Jahr 2015 lag bei „nur“ 7,86 Milliarden Euro. Nicht berücksichtigt sind dabei Sammelausfuhrgenehmigungen, die in 2019 auch noch mal mit mindestens rund einer halben Milliarde zu Buche schlagen dürften. An der Spitze der Empfängerländer steht das EU- und Nato-Mitglied Ungarn...“ aus dem Beitrag „Weniger versprochen, mehr geliefert“ von Pascal Beucker am 27. Dezember 2019 in der taz online über das (bisherige) Rekordergebnis der Waffenschmieden. Siehe dazu auch den Link zur Antwort der Bundesregierung an die Abgeordnete Dagdelen, deren Kommentar dazu, zwei Beiträge zur Aufrüstung der Bundeswehr, zwei Beiträge zum (in der offiziellen Liste natürlich nicht aufgeführten) sonstigen Rüstungsgut Überwachungssoftware – und einen Beitrag zu (einem der vielen) Unternehmen, die dabei gut verdienen…
„Schriftliche Frage an die Bundesregierung im Monat Dezember 2019 Frage Nr. 236“ am 23. Dezember 2019 auf der Webseite der Linke-Abgeordneten Sevi m Dagdelen dokumentiert, ist die Antwort der Bundesregierung auf ihre Frage nach der Entwicklung der Rüstungsexporte, worin die wesentlichen Zahlen (vorläufig) festgehalten sind.
„Merkels Rekordjahr“ von Sevim Dagdelen am 28. Dezember 2019 in der jungen welt kommentiert diese Entwicklung unter anderem so: „… Die Zahlen zeigen nicht nur, dass die Bundesregierung die Profite der deutschen Rüstungsindustrie unterstützt, wo es nur geht. Von fast 10.000 Exportanträgen wurden ganze 56 nicht genehmigt. Wer als deutscher Rüstungskonzern etwas beantragt, kann fast zu 100 Prozent sicher sein, dass seine Waffe auch den Empfänger erreicht. Der Rekord bei den Rüstungsexporten zeigt auch, dass diese Bundesregierung Rüstungsexporte zur globalen geopolitischen Machtprojektion einsetzt wie noch keine vor ihr. Um Diktaturen und islamistische oder rechtsnationale Autokratien an sich zu binden, wird gezielt auf Rüstungsexporte gesetzt. Dabei geht die Bundesregierung über Leichen. Diese dramatischen Zahlen des Jahres 2019 zeigen auch, dass das ganze System der Exportkontrolle schlicht nicht funktioniert. Das ganze Gerede von einer restriktiven Rüstungsexportpolitik fällt wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Jetzt werden neue Nebelkerzen gezündet. Man müsse schauen, welche Art von Rüstungsgütern geliefert werden. Alles nur, damit der Öffentlichkeit hier weiter vorgegaukelt werden kann, es gebe so etwas wie eine zurückhaltende Rüstungsexportpolitik. Doch das ist nichts als eine große Lüge. Wer wirklich etwas gegen Rüstungsexporte tun will – wer dagegen etwas tun will, dass mit deutschen Waffen und deutscher Munition weltweit gemordet wird, der muss sich für ein umfassendes Verbot von Rüstungsexporten einsetzen…“
„NATO-Kriterien: Versteckte Rüstungsausgaben“ von Jürgen Wagner am 04. Dezember 2019 bei telepolis zu einem keineswegs neuen, aber unglaublich beständigen Thema unter anderem: „… Stolz verkündete die Bundesregierung pünktlich kurz vor den Feierlichkeiten zum 70-jährigen Nato-Jubiläum, für das kommende Jahr seien dem Bündnis erstmals Militärausgaben von über 50 Milliarden Euro gemeldet worden. Der offizielle Haushalt soll laut Kabinettsbeschluss im Jahr 2020 allerdings “nur” 44,9 Milliarden Euro umfassen. Die Ursache für diese Lücke sind Umfrageergebnisse wie etwa vom Deutschlandtrend im April 2019: Sie zeigen ein ums andere Mal, dass sich eine Mehrheit der Bevölkerung – in diesem Fall von 53 Prozent – gegen eine vor allem von den USA massiv eingeforderten Erhöhung der Militärausgaben auf 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ausspricht. Insofern ist es für die Bundesregierung überaus attraktiv, immer mehr Posten in andere Haushalte zu verschieben, sie aber bei der NATO dennoch anzumelden. Das hilft, den offiziellen Haushalt mit Blick auf die skeptische Bevölkerung halbwegs niedrig zu halten und trotzdem bei den NATO-Kollegen auf Schönwetter machen zu können...“
„Die Sieger des Jahres: die Rüstungswirtschaft und das Militär. Nach Punkten, wenn nicht sogar mit einem K.O. für den Frieden“ von Albrecht Müller am 25. Dezember 2019 bei den Nachdenkseiten kommentiert dazu unter anderem: „… Angetrieben von der Forderung der NATO, 2 % des Bruttoinlandsproduktes für Militär auszugeben, ist dies auch in Deutschland perfekt gemacht worden. Zwei Personen haben dabei besonders mitgewirkt: Ursula von der Leyen als trotz vieler Skandale um Beratungen und gelöschte Handydaten unangefochtene konservative Politikerin hat quasi unbeeindruckt vom sonstigen Regierungshandeln und den anderen Ministern die Aufrüstung der Bundeswehr vorangetrieben, die neue CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer wurde von Angela Merkel sinnloserweise zur Verteidigungsministerin gemacht und propagiert seitdem die verstärkte Aufrüstung. Wenn es nicht so traurig wäre, müsste man lachen: zwei deutsche Frauen als die Vorkämpfer von Rüstung und kriegerischer Intervention...“
„Exportkontrolle von Digitalwaffen funktioniert nicht“ von Kai Biermann am 28. Dezember 2019 in der Zeit online berichtet vom 36. CCC und der Kontrolle: „… Es ist nicht leicht, zu sagen, wer der Urheber eines digitalen Angriffes ist. Angreifer können ihre Daten verschlüsseln, sie können auf Rechnern falsche Spuren legen, ihre Angriffswege verschleiern, ja sie können sogar so tun, als seien sie jemand völlig anderes. Attributionsproblem heißt das in der Forensik digitaler Daten – die Schwierigkeit, einen Angriff oder eine Software den Urhebern korrekt zuzuschreiben. Der Chaos Computer Club (CCC) hat trotzdem versucht, eine solche Attribution vorzunehmen. Es geht um eine Überwachungssoftware, die eine Zeit lang unter dem Namen FinSpy vertrieben wurde und um die es derzeit in Deutschland einen Rechtsstreit gibt. FinSpy gibt es für Android und iOS. Es dient dazu, aus der Ferne die Kontrolle über das infizierte Gerät zu übernehmen. Ist es einmal auf einem Mobiltelefon aufgespielt, kann der Angreifer dank FinSpy jeden Schritt, jedes Telefonat, jeden Text des Opfers verfolgen und beobachten: Anrufe, Geodaten, Textnachrichten, Kalendereinträge – alles kann unbemerkt vom Besitzer des Gerätes ausgelesen werden. Auch verschlüsselte Kommunikation über Telegram, Signal oder Threema ist nicht vor FinSpy sicher, da die Software die Texte mitschneidet, bevor sie in diesen Messenger-Apps verschlüsselt werden. FinSpy wurde entwickelt, um Behörden bei ihrer Arbeit zu unterstützen. Polizei und Geheimdienste beklagen immer wieder, dass Kriminelle und Terroristen in der Lage sind, ihre Kommunikation mithilfe von Verschlüsselung zu verbergen. “Going dark” nennen Behörden diesen Versuch, sich ihrer Überwachung zu entziehen: im Dunkeln verschwinden. Dank FinSpy funktioniert das nicht, weswegen die Behörden vieler Länder an dieser Software interessiert sind. Unter anderem hat das deutsche Bundeskriminalamt eine Version von FinSpy gekauft. Doch auch in der Türkei tauchte sie auf...“
„Export von Überwachungssoftware“ von Luisa Podsadny am 04. September 2019 bei der GFF meldete damals bereits unter anderem: „… Es liegen dringende Anhaltspunkte dafür vor, dass das Münchener Firmenkonglomerat die Spionagesoftware FinSpy ohne Genehmigung der Bundesregierung an die türkische Regierung verkauft und so zur Überwachung von Oppositionellen und Journalist*innen in der Türkei beigetragen hat. (…) Die in Europa ansässigen Softwarehersteller weisen oft jede Verantwortung von sich. Dabei wäre der Export der Überwachungssoftware FinSpy an die Türkei rechtswidrig. Die Ausfuhr der Software fand wahrscheinlich zwischen Oktober 2016 und Juni 2017 statt. Zu diesem Zeitpunkt war die Ausfuhr sowohl nach deutschen und europäischen Vorgaben genehmigungspflichtig, ein ungenehmigter Export ist nach dem Außenwirtschaftsgesetz strafbar. Eine effiziente Strafverfolgung dieser illegalen Exporte findet bisher kaum statt. Die Hersteller umgehen die Exportvorgaben durch komplizierte transnationale Firmenstrukturen. Das erschwert eine Strafverfolgung. So konnten FinFisher und Elaman ihre Geschäfte lange Zeit ungestört weiter betreiben. Auf die Strafanzeige der GFF und ihrer Partner hin hat die Staatsanwaltschaft München nun ein Ermittlungsverfahren gegen die Geschäftsführer der Unternehmen eingeleitet…“ Siehe dazu:
- Finfisher verklagen. Rechtsbrüche beim Export von Überwachungssoftware
“Die GFF hat gemeinsam mit Reporter ohne Grenzen (ROG), dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und netzpolitik.org Strafanzeige gegen die Geschäftsführer der Unternehmen FinFisher GmbH, FinFisher Labs GmbH und Elaman GmbH erstattet. Es liegen dringende Anhaltspunkte dafür vor, dass das Münchener Firmenkonglomerat die Spionagesoftware FinSpy ohne Genehmigung der Bundesregierung an die türkische Regierung verkauft und so zur Überwachung von Oppositionellen und Journalist*innen in der Türkei beigetragen hat.” Audio und Video des Vortrags von Thorsten Schröder und Ulf Buermeyer am 29.12.2019 beim 36c3 und - die Untersuchung veröffentlicht durch CCC : Evolution einer privatwirtschaftlichen Schadsoftware für staatliche Akteure
„Aktie mit Auftrieb“ von Thomas Magenheim-Hörmann am 30. Dezember 2019 in der FR online zu einem (von vielen) Unternehmen, die davon profitieren: „… In den Wochen vor Silvester hat das Geschäft mit Flugzeugtriebwerken noch einmal mehr Schub entwickelt als das mit Sportschuhen. Das hat den Anteilsschein des Turbinenherstellers MTU zur Dax-Aktie des Jahres 2019 gemacht – knapp vor Papieren des Sportartiklers Adidas. Beide haben dieses Jahr rund 60 Prozent zugelegt, MTU am Ende etwas mehr als Adidas. Etwa 255 Euro kostet eine Aktie der Industrieperle aus dem Münchner Norden nun. Wer nach Gründen für den Höhenflug sucht, könnte es sich einfach machen. Ende September wurde MTU in den führenden deutschen Aktienindex aufgenommen. Fonds, die ihn abbilden, mussten daraufhin kaufen, was der Aktie viel Auftrieb beschert hat. Das allein hat aber nicht zum Aufstieg der einst eher unscheinbaren Daimler-Tochter geführt. 2003 war es, als der Stuttgarter Autobauer beschlossen hatte, MTU für 1,5 Milliarden Euro an den Finanzinvestor KKR zu verkaufen. Zwei Jahre später startete MTU an der Börse mit 21 Euro je Aktie als Erstnotiz. Weit mehr als verzehnfacht hat sich der Kurs seither. Das Unternehmen wird heute mit gut 13 Milliarden Euro bewertet. Dabei baut MTU nicht einmal komplette Flugzeugtriebwerke wie die US-Hersteller GE und Pratt & Whitney oder die britische Rolls-Royce. Der Luftfahrtzulieferer aus München fertigt aber Schlüsselkomponenten wie Hochdruckverdichter oder Niederdruckturbinen, die es technologisch derart in sich haben, dass MTU-Teile im Schnitt in jedem dritten Passagierjet – von Boeing über Airbus bis Embraer oder westliche Militärjets wie dem Eurofighter – stecken. Der jeweilige MTU-Triebwerksanteil schwankt dabei zwischen vier und 40 Prozent…“
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